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"Es geht darum, dass wir aufklären"

Omid Nouripour hält den Verdacht, dass die Kundus-Affäre wegen der damals bevorstehenden Bundestagswahl unter den Tisch gekehrt werden sollte, für "mehr als begründet". Der Grünenpolitiker geht daher davon aus, dass der Kundus-Untersuchungsausschuss auch Bundeskanzlerin Merkel und den damaligen Außenminister Steinmeier vorladen wird.

Omid Nouripour im Gespräch mit Friedbert Meurer | 29.09.2010
    Friedbert Meurer: Die verhängnisvollen Luftangriffe von Kundus mit bis zu 140 Toten haben in Deutschland einem Verteidigungsminister den Job gekostet, einem Staatssekretär und einem Generalinspekteur. Karl-Theodor zu Guttenberg beschuldigte nämlich seinerzeit seinen obersten General Schneiderhan und seinen Staatssekretär Wichert, sie hätten ihm wichtige Dokumente und Berichte vorenthalten und deswegen sei er in seiner Einschätzung dann anderer Meinung gewesen. Die beiden Zeugen bestreiten das und diese Version werden sie wohl auch wieder heute im Untersuchungsausschuss wiederholen, allerdings nicht in einer persönlichen Gegenüberstellung mit ihrem damaligen Chef zu Guttenberg.
    Der Kundus-Untersuchungsausschuss verhört heute wieder die Zeugen, also Ex-Generalinspekteur Schneiderhan und den ehemaligen Verteidigungsstaatssekretär Wichert. Am Telefon begrüße ich Omid Nouripour, der für die Bündnisgrünen im Untersuchungsausschuss sitzt. Guten Morgen, Herr Nouripour.

    Omid Nouripour: Schönen guten Morgen!

    Meurer: Wollen Sie heute Morgen wieder am Image des Verteidigungsministers kratzen?

    Nouripour: Nein, darum geht es nicht. Der Job des Untersuchungsausschusses ist nicht, dass wir eine Guillotine darstellen und Köpfe rollen lassen. Es geht darum, dass wir aufklären, es geht darum, dass wir herausfinden, welche Fehler gemacht worden sind, und es geht darum, dass wir Empfehlungen abgeben, wie man diese Fehler in der Zukunft auch abstellen kann. Dafür brauchen wir Klarheit, und diese hatten wir im Falle von Wichert und Schneiderhan bisher nicht. Sie haben Aussagen getroffen, es gab andere, die das Gegenteil behauptet haben, und jetzt wollen wir von den beiden wissen, was denn nun gilt.

    Meurer: Sie wollten ja eigentlich, dass es eine Gegenüberstellung gibt des Verteidigungsministers zu Guttenberg mit den beiden Zeugen. Warum?

    Nouripour: Die Klage, auf die Sie beziehen, dass dieses Format hätte erzwungen werden sollen, war nicht von den Grünen, das war von den anderen beiden Oppositionsparteien.

    Meurer: Dem haben Sie sich also nicht angeschlossen?

    Nouripour: Wir haben nicht mitgeklagt. Wir haben uns angeschlossen dem Antrag im Ausschuss, weil wir innerhalb der Opposition darauf angewiesen sind, dass wir einander unterstützen, damit wir die jeweiligen Quoren erreichen, aber wir haben nicht mitgeklagt damals. Das Format ist mir persönlich nie wichtig gewesen, aber mir war wichtig, dass Wichert und Schneiderhan wieder da sind, dass wir noch mal mit denen reden und sie die Chance bekommen, diese Widersprüche aufzulösen. Wenn sie es schaffen, ist es gut, dann gibt es vielleicht auch neue Erkenntnisse. Es kann aber auch sein, dass wir noch mal sagen, wir müssen Guttenberg noch mal fragen, wenn sie das nicht auflösen können. Dann ist der Minister auch in vielen Fragen entlastet, nicht nur dieser Minister, sondern möglicherweise auch sein Vorgänger Jung.

    Meurer: Also letzten Endes diese spektakuläre Gegenüberstellung war schon so was wie ein Popanz, der aufgebaut werden sollte?

    Nouripour: Das kann ich so nicht sagen. Es gibt Kollegen, vor allem von der Sozialdemokratie, die dieses Format wollten, und sie werden sich gedacht haben, warum sie das tun. Sie werden auch einen Grund dafür gehabt haben und ich will nicht den Kollegen unterstellen, dass sie das machen wegen Popanz.

    Meurer: Aber Sie haben nichts davon gehalten?

    Nouripour: Ich fand nicht, dass das der substanziell größte Unterschied ist, um an Informationen heranzukommen. Wenn Kollegen das anders sehen, muss ich das respektieren.

    Meurer: Jetzt werden ja, Herr Nouripour, Schneiderhan und Wichert heute Morgen oder heute Mittag vermutlich noch einmal sagen, der Minister wusste alles, wir haben ihm nichts vorenthalten. Da könnte die Konsequenz lauten, einer muss also lügen. Kann die Lösung nicht trotzdem sein, dass Schneiderhan und Wichert gedacht haben, der berühmte Feldjägerbericht ist ja gar nicht so wichtig, der ist in dem ISAF-Bericht drin gewesen, also danach hätten alle drei recht?

    Nouripour: Das kann so wie Sie es sagen kommen, wenn wir nicht präzise genug fragen. Es gibt eine lange Liste von faktisch verschieden dargestellten Situationen und da kann es nicht sein, dass alle recht haben. Wenn einer sagt, es waren vier im Raum, der andere sagt, es waren fünf im Raum, dann kann nur eines davon richtig sein. Es gibt diverse andere Situationen, bei denen es sich genauso abspielt. Uns Grünen ist am zentralsten die Frage des Statements des Ministers, dass der Militärschlag vom 4. September militärisch angemessen und ja zwingend war und wenige Wochen später das Gegenteil und dann wiederum im Untersuchungsausschuss schon was anderes.

    Meurer: Und da sagt ja der Minister, da hat ihm der Bericht gefehlt. Wer lügt Ihrem Eindruck nach?

    Nouripour: Ich kann es Ihnen noch nicht sagen! Ich kann Ihnen nicht wirklich definitiv sagen, wer lügt. Sonst, wenn ich ein klares Bild hätte, würde ich auch nicht insistieren, dass wir heute noch mal Wichert und Schneiderhan hören. Ich kann es Ihnen nicht sagen!

    Meurer: Es gibt ja noch einen zweiten Punkt – vermutlich gibt es noch sehr viel mehr. Der zweite Punkt lautet: 4. September 2009 waren die Luftangriffe, knapp drei Wochen später war die Bundestagswahl. Sollte Ihrer Kenntnis nach das Ganze damals unter den Tisch gekehrt werden?

    Nouripour: Es riecht alles sehr stark so. Wenn wir uns die Akten anschauen, wenn wir uns so manche Zeugen angucken, wenn wir uns das Agieren der Bundesregierung nahezu in Toto in den Tagen danach anschauen, dann ist dieser Verdacht mehr als begründet. Das ist aus meiner Sicht eine der zentralen Baustellen auch des Untersuchungsausschusses. Ich gehe davon aus, dass wir auch die Bundeskanzlerin werden hören müssen, weil, um es jetzt mal drastisch zu sagen, die Frage, warum vier, fünf Tage nach diesem Bombardement Franz-Josef Jung herumlaufen durfte und behaupten durfte wider besseren Wissens, dass es keine zivilen Opfer gegeben habe, ist so was wie eine Aushebelung der Richtlinienkompetenz, wenn die Kanzlerin das anders gesehen hat.

    Meurer: Die Kanzlerin hat ja im Bundestag dann gesagt, sie kann es nicht ausschließen, dass es zivile Opfer gegeben hat. Ist sie damit für Sie noch nicht aus dem Schneider?

    Nouripour: Wir wollen vom Kanzleramt wissen, ob Informationsflüsse dort stimmen, ob Informationen, die am 4. September selbst vorgelegen haben über zivile Opfer, weitergegeben worden sind, wenn nicht, warum nicht, und wenn doch, warum die Bundeskanzlerin vier Tage lang Franz-Josef Jung hat so agieren lassen, wie sie es getan hat. Und natürlich ist auch die Frage die sozusagen Zurückweisung jeglicher Kritik. Die Bundeskanzlerin hat ja in derselben Rede, die Sie zitiert haben, sich auch jegliche Kritik verbeten. Wie kam sie eigentlich dazu?

    Meurer: Damals gab es ja eine Große Koalition. Würden Sie sagen, an der Vertuschungsaktion, wenn es sie gab, hat sich auch zum Beispiel der damalige Außenminister Steinmeier beteiligt?

    Nouripour: Wir werden möglicherweise auch Steinmeier hören müssen. Ich gehe ganz ehrlich davon aus, wenn die Bundeskanzlerin kommt, dass auch der Außenminister a.D. Steinmeier wird kommen müssen. Das ist noch nicht ganz klar, weil wir in jeder einzelnen kleinen Formalität in diesem Untersuchungsausschuss uns ganz heftig bekriegen müssen zwischen Regierung und Opposition. Das ist rituell geworden, das ist extrem bedauerlich, ist aber so. Aber auch an ihn hätte ich so manche Frage.

    Meurer: Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied im Kundus-Untersuchungsausschuss, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Nouripour, herzlichen Dank und auf Wiederhören!

    Nouripour: Danke Ihnen!