Archiv


"Es geht mir nicht um Realos und Fundis"

Es gehe ihm darum, ob seine Partei auch Regierungsverantwortung im Gesamtangebot hat, wenn sie sich zur Wahl stellt, sagt Bodo Ramelow, Fraktionschef der Linken im thüringischen Landtag. Er hofft weiter, dass Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch den Parteivorsitz übernehmen.

Bodo Ramelow im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Und Bodo Ramelow, eben Fraktionschef der Linken im thüringischen Landtag ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Bodo Ramelow: Guten Morgen!

    Müller: Unterstützen Sie immer noch einen Königsmörder?

    Ramelow: Tja, wissen Sie, ich habe jetzt aufmerksam Ihren Beitrag gehört. Interessant für mich war, dass die Stimmen, die alle gesagt haben, wir brauchen jetzt einen Neuanfang oder wir brauchen eine Neuorientierung, alles Stimmen waren von ehemaligen Sozialdemokraten. Da ich nie Sozialdemokrat war, kenne ich den Phantomschmerz nicht, den die Genossen jetzt dort offenbar haben, und ich weiß nicht, warum Dietmar Bartsch ein Königsmörder sein soll, weil ich nicht wusste, dass Oskar Lafontaine ein König ist. Ich weiß auch nicht, was Böcke sind, die aufeinander zugehen. Ich kann nur sagen, dass das Teamspiel in der Tat seit einiger Zeit sehr durcheinandergeraten ist, weil wir weder einen Schiedsrichter noch einen ordentlichen Trainer hatten, weil derjenige, der immer von Schuld redet, den ich gerade gehört habe, das Wort Verantwortung, der Führungsverantwortung offenbar überhaupt nicht kennt. Wir haben eine Situation, dass wir ohne ein Personaltableau in diesen Parteitag gehen, und dafür mache ich den Parteivorsitzenden beziehungsweise den Parteivorstand in Gänze verantwortlich.
    Müller: Was haben Sie denn gegen ehemalige Sozialdemokraten?

    Ramelow: Überhaupt nichts. Wir haben gemeinsam eine Partei auf den Weg gebracht, die sich plural aushalten wollte. Aber es geht nicht darum, ob wir alte Bilder, die jemand in sich trägt, abarbeitet, und wenn ich Ulrich Maurer eben gehört habe, habe ich so ein bisschen das Gefühl, dass es da auch noch eine Auseinandersetzung mit einer ehemaligen Partei gibt. Ich weiß nicht, was Bartschisten sind, ich weiß auch nicht, was Lafontainisten sind. Ich kenne nur die Partei Die Linke, und ich habe das Gefühl, dass die zehn Prozent unserer Partei, die in Strömungen organisiert sind, tatsächlich im Moment eine Auseinandersetzung inszenieren, die 90 Prozent unserer Mitglieder völlig außen vor lässt. Und die 90 Prozent, die keiner Strömung angehören – ich gehöre auch keiner Strömung an –, die haben das Gefühl, zu Zuschauern degradiert worden zu sein in einem Spiel, wo sich Akteure der Bundestagsfraktion mit dem Parteivorstand wechselseitig in Schach halten. Und da haben wir seit zwei Jahren Stagnation.

    Müller: Wir haben in den vergangenen Monaten, Bodo Ramelow, ja gleich mehrfach über den Kurs beziehungsweise auch über den Konflikt innerhalb der Linkspartei gesprochen. Hätten wir das vor zwei, drei Jahren gemacht an dieser Stelle, hätten Sie da auch schon gewusst, dass die Gräben so tief sind?

    Ramelow: Ich ahnte, dass es Unterschiede gibt, und das sind nicht nur West-Ost-Unterschiede, es sind in der Tat politische, konzeptionelle Unterschiede, die eher dahin gehen, dass es Akteure gibt, die sagen: Also, wir sind Fundamentalopposition. Diese Auffassung gab es auch bei der Parteibildung schon. Ich hatte immer gehofft, dass wir aus den Unterschieden, … dass derjenige, der sagt, ich will immer in meinem Leben Oppositionsarbeit machen und aus der Oppositionsarbeit gesellschaftsverändernd wirken, dass der auch ein Verständnis dafür hat, dass derjenige, der sagt, wenn wir kandidieren, müssen wir auch gewinnen wollen, wenn wir gewinnen, müssen wir mit dem gleichen Thema gesellschaftsverändernd auch in Koalitionen oder in Verantwortung als Landrat oder Oberbürgermeister gehen. An dem Tag, an dem wir in Schleswig-Holstein abgewählt, rausgewählt wurden aus dem Landtag, an dem gleichen Tag haben wir in Thüringen alle Oberbürgermeister- und Landratswahlen gewonnen. Wir haben sieben Menschen in der Stichwahl gehabt, es waren 890.000 Wählerinnen und Wähler aufgerufen, und die Linke hat abgeräumt, hat gepunktet. Und mit jeder Kandidatur zu einem Landrat ist man anschließend Regierung. Diese Landräte und Oberbürgermeister und Bürgermeister versehen überhaupt diese Diskussion um rote Linien, um Haltelinien nicht. Ich weiß nicht, was ich Katja Wolf, der neuen Oberbürgermeisterin von Eisenach, jetzt sagen soll, die eine völlig marode Kommune übernehmen muss, weil die Bürger ihr das Vertrauen schenken, auch das Zutrauen, dass sie sozusagen aus dem Nichts heraus neue Wege geht, und diese neuen Wege hätten wir überall gehen müssen, um uns wechselseitig auch zu stärken. Und ich habe jetzt das Gefühl, dass die, die Fundamentalopposition im Herzen tragen, der Meinung sind, dass sie die anderen in der Partei nicht aushalten, und das bedeutet, dass wir uns selber blockieren oder uns nur selbst in die Kniekehlen treten.

    Müller: Blicken wir auf die Politiker, die Sie meinen, blicken wir auf viele Politiker, die Sie meinen, die sich im Westen aufhalten: Ist für Ideologie werben einfacher als Verantwortung tragen?

    Ramelow: Noch mal: Ich weiß gar nicht, ob es ein West-Ost-Konflikt ist. Ich habe jetzt Klaus Ernst gerade gehört, der für Sahra Wagenknecht wirbt. Ich finde, Sahra Wagenknecht ist eine Vollblutpolitikerin, die wir dringend brauchen. Ich finde es nur absonderlich, wenn Klaus Ernst sagt, sie vertritt die Ideale der WAsG. Also Sahra Wagenknecht war zu diesem Zeitpunkt schon aktive PDS-Politikerin. Es war Klaus Ernst, der damals gesagt hat: Die PDS, das käme ja in Bayern gar nicht infrage, und das Wort Sozialismus – wir hießen nämlich "Partei des demokratischen Sozialismus" – darf es in Westdeutschland und in Bayern gar nicht geben, weil der Antikommunismus so stark wirkt.

    Müller: Kommunistische Plattform?

    Ramelow: Da müssten Sie jetzt Klaus Ernst fragen. Ich bin in meinem ganzen Leben immer wieder, politischen Leben, in einer Partei immer wieder danach gefragt worden, ob ich mich von der Kommunistischen Plattform distanziere. Ich gehöre ihr nicht an, ich habe sie akzeptiert, und ich habe sie selbst in den Gerichtsverfahren, bei der Vorbereitung der Bundesverfassungsgerichtsklage gegen den Verfassungsschutz, … Da bin ich immer wieder gefragt worden, ob ich mich distanziere von der Kommunistischen Plattform, was ich nicht gemacht habe, weil ich finde: In Deutschland muss man über Kommunismus reden dürfen. Dann muss man allerdings auch über den real untergegangenen Kommunismus reden, man muss dann auch über Gulags, über Mauer und über Stalin reden. Aber über Kommunismus als Idee, herkommend von Karl Marx, muss man reden dürfen. In Frankreich ist das ganz normal, in Italien ist es ganz normal. Nur: Es war Klaus Ernst und die WAsG, die gesagt hat: Wir wollen doch der PDS nicht beitreten, wir wollen, dass der Name verschwindet, wir wollen, dass Sozialismus als Begrifflichkeit verschwindet. Und heute höre ich die Kollegen und Freunde aus der WAsG, die vorher in der SPD waren, dass sie immer schon glühende Vertreter der sozialistischen Idee waren.

    Müller: Aber Sie wollen schon, Herr Ramelow, dass die Realos nach vorne kommen und nicht die Fundis?

    Ramelow: Es geht mir nicht um Realos und Fundis. Es geht darum, ob wir im Gesamtangebot, wenn wir uns zu Wahlen stellen, ob wir im Gesamtangebot auch die Regierungsverantwortung haben, ob wir Mehrheiten im Bundesrat durchsetzen wollen, um im Bundesrat zum Beispiel eine Mehrheit für längeres gemeinsames Lernen oder für gesetzlichen Mindestlohn bekommen. Wenn wir kandidieren, dürfen wir nicht sagen, aber Verantwortung im letzten Schritt übernehmen wir nicht, sondern es muss darum gehen, wie wir mit dem Landeswahlprogramm, mit dem wir uns den Bürgern stellen, anschließend auch Koalitionsverträge abschließen, und nicht diese Denunziationskultur: Wenn du kandidierst, wenn du gewählt wirst, passt du dich schon an. Wenn die Anpassung schon als Unterstellung da ist, dann ist es besser, wir kandidieren gar nicht, aber dann müssen wir uns überlegen, was wir überhaupt sein wollen. Wollen wir eine Ideologievereinigung sein, oder wollen wir eine politische Partei sein, die Ideologien bearbeitet, aber trotzdem mit dem jeweils festgelegten Landesprogramm kandidiert und Verantwortung übernimmt?

    Müller: Herr Ramelow, ich schaue ein bisschen auf die Uhr, wir haben noch anderthalb Minuten, deswegen müssen wir ein bisschen uns beeilen. Es gibt noch einige Fragen. Sie haben vor sechs Wochen im Deutschlandfunk für das Duo Bartsch/Wagenknecht plädiert. Wie sieht ihr Plädoyer heute aus?

    Ramelow: Immer noch genauso, weil die Pluralität unserer Partei … würde es gut tun, auch in der Außendarstellung, wenn die beiden Personen, die offenbar unversöhnliche Lager repräsentieren, gemeinsam die Versöhnungsarbeit leisten und die gemeinsame Position auch dokumentieren. Und ich habe auch gesagt: Ich plädiere für die Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl Gregor Gysi und Oskar Lafontaine.

    Müller: Ist das jetzt immer noch realistisch?

    Ramelow: Wissen Sie, ich habe ja auch Ihren Anspieler eben gehört. Ich hab die Zitate ja gehört. Es verwundert mich einfach: Im Dezember haben wir das in einer gemeinsamen Runde zwischen Fraktionsvorsitzenden und Landesvorsitzenden genau so festgelegt und die Akteure haben alle zugesagt, dass sie sich auf den Weg machen, einen solchen Vorschlag zu erarbeiten. Ich bin entsetzt, dass der Vorschlag nicht da ist, sondern ich höre jetzt nur, wer mit wem nicht kandidieren kann. Das ist ein unmöglicher Zustand.

    Müller: Noch mal die Frage, wir haben noch zehn Sekunden: Ist der Vorschlag realistisch?

    Ramelow: Ich hoffe es.

    Müller: Bodo Ramelow bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk, Fraktionschef der Linken im Thüringischen Landtag. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Ramelow: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Mehr zum Thema bei dradio.de:

    Showdown beim Parteitag der Linken -
    Kritik an Kandidatendebatte - Wahl der Parteivorsitzenden

    Berliner Linke-Chef sieht "großes Misstrauen" innerhalb der Partei
    Klaus Lederer: Streits erwecken nicht den Eindruck, "dass wir derzeit miteinander können und wollen" (DKultur)