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Es geht nicht darum, "den Bündnisfall nach Artikel fünf auszurufen"

Noch läge keine Anfrage der Türkei an die Nato vor, "Patriot"-Systeme zur Verfügung zu stellen. Sie sei aber legitim, meint Elke Hoff. Man dürfe den "Bündnispartner nicht alleine lassen", so die sicherheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion. Vor einem Einsatz deutscher Soldaten sei eine "breite politische Rückendeckung" notwendig.

Elke Hoff im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Raketen, Tote und Verletzte – die Gewalt im Nahen Osten steht ganz oben auf der Agenda der europäischen Außen- und Verteidigungsminister in Brüssel, aber nicht nur. Der zweite Konfliktherd dreht sich wieder einmal um Syrien und um die Türkei. Die Regierung in Ankara fordert nun materielle und personelle Solidarität von der NATO. Das bedeutet: die Türkei will Patriot-Raketen der Bundeswehr. Patriot-Raketen, also Raketen zur Flugabwehr, sollen helfen, die Grenze zum syrischen Nachbarn besser zu schützen. Die SPD fordert nun ein Mandat des Bundestages für den Fall, dass deutsche Waffensysteme an den Bosporus verlegt werden.
    Am Telefon ist nun die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Elke Hoff. Guten Tag!

    Elke Hoff: Ja schönen guten Tag!

    Müller: Frau Hoff, muss Thomas Oppermann als SPD-Politiker immer Unrecht haben?

    Hoff: Thomas Oppermann muss nicht immer Unrecht haben, aber wo er sicherlich Unrecht hat ist, dass es sich hier um eine Hurra-Mentalität handelt, sondern es geht hier um einen Vorgang innerhalb des Bündnisses, von dem wir, wie der Minister sehr deutlich gesagt hat, seit 45 Jahren profitieren, und ich halte es für absolut angemessen, dass wir eine Anfrage eines zuverlässigen Bündnispartners ebenso zuverlässig prüfen und dann darauf auch antworten werden.

    Müller: Die Türkei ist für Sie ein zuverlässiger Staat?

    Hoff: Ja natürlich! Wir werden einen großen Teil der Rückverlegung unserer Truppen aus Afghanistan nur mit Hilfe unseres türkischen Bündnispartners durchführen können. Insofern können wir uns in dem Fall auf die Türkei verlassen. Und auf der anderen Seite werden wir nach genauer Prüfung der Anfrage auch uns entsprechend aufstellen müssen.

    Müller: Ist die Türkei eine lupenreine Demokratie?

    Hoff: Ich glaube, hier geht es nicht um diese Frage, die bei der Anfrage eines Bündnispartners auf militärische Unterstützung zu stellen ist, sondern es geht darum, ob wir im Rahmen unserer Bündnisverpflichtungen, die wir auch eingegangen sind, ob wir hier eine Notwendigkeit sehen, einen Bündnispartner zu unterstützen. Das wird die Prüfung des Antrags ergeben. Ich bin allerdings sehr dafür, dass das dann auch durch den Deutschen Bundestag so unterstützt und beschlossen wird, weil eine breite politische Rückendeckung für den Einsatz von Soldatinnen und Soldaten in einem Krisengebiet nach unserer Auffassung zwingend notwendig ist.

    Müller: Wenn wir das richtig verstanden haben, Frau Hoff, ist ja der Bündnisfall noch gar nicht eingetreten beziehungsweise gar nicht festgestellt worden. Warum das Ganze dann?

    Hoff: Nein ich glaube auch nicht, dass es hier darum geht, und ich glaube, dass wir dieses Missverständnis auch vermeiden sollten, dass es nicht darum geht, jetzt den Bündnisfall nach Artikel fünf auszurufen, sondern es gibt ein Ersuchen eines Partners auf Unterstützung im Rahmen seiner Selbstverteidigungsmöglichkeiten. Und da das Land selber über diese Fähigkeit nicht verfügt, sondern wie schon gesagt worden ist USA, Deutschland und Niederlande, wird auch an uns Partner diese Anfrage, wenn sie denn vorliegen sollte, gerichtet sein. Ich bin auch dafür, dass wir prüfen, es gemeinsam dann auch mit einem anderen Partner, beispielsweise den Niederländern zu machen, um auch ein Stück weit die Bündnissolidarität zu unterstreichen. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass sich Den Haag an der Stelle verweigern würde.

    Müller: Frau Hoff, um das auch für die Hörer noch einmal klarzumachen: Wir reden, wenn die Zahlen stimmen, bislang über 170, also knapp 200 deutsche Bundeswehrsoldaten, die in die Türkei gehen. Das heißt, sie werden auf türkischem Boden sein, mit Flugabwehrsystemen mit dem Namen Patriot. Und falls es zum Konflikt kommt, falls es zu einer Eskalation kommt, kämpfen deutsche Soldaten auf türkischem Gebiet gegen Syrien. Wollen Sie das?

    Hoff: Nein. Also ich würde die Sache. Man kann sie auf die Spitze treiben. Aber wir sollten an der Stelle auch wirklich die Kirche im Dorf lassen. Es gibt die Anfrage eines Bündnispartners für den Fall, dass er sich selbst verteidigen muss, dass er über Fähigkeiten verfügen kann, die nicht bereitstehen. Wir werden selbstverständlich eine genaue Lageeinschätzung vor einer Entscheidung verlangen. Das ist auch völlig normal, das wird auch bei solchen Anfragen gemacht. Und wir werden dann ganz genau uns die Anfrage anschauen, die Situation bewerten, um dann zu entscheiden, unter welchen Rahmenbedingungen ein deutsches Patriot-System an einem solchen Einsatz teilnehmen kann, und das wird jetzt in den nächsten Tagen, falls diese Anfrage heute kommen soll, wie es angekündigt ist, auch stattfinden. Aber ich möchte jetzt im Vorhinein nicht irgendwelche Szenarien aufbauschen, die sich dann am Ende der Reise als völlig unrealistisch herausstellen.

    Müller: Wobei wir reden ja über Szenarien, die im Eskalationsfall – wir sehen es ja gerade im Nahen Osten ein paar Kilometer weiter – durchaus ja eintreffen könnten.

    Hoff: Ja, das ist richtig. Und deswegen sind wir auch der Auffassung, dass wir dringend hier eine Debatte im Deutschen Bundestag brauchen und dass wir auch innerhalb des Bündnisses klar machen müssen, wo die Möglichkeiten, aber auch, wo die Grenzen eines weiteren Eskalationspotenzials liegen. Auf der anderen Seite müssen wir aber anerkennen, dass ein Bündnispartner die Chance zur Selbstverteidigung haben muss, und insofern, wenn er diese Fähigkeit nicht hat, dann selbstverständlich die Bündnispartner gefragt werden, ob sie eine solche Fähigkeit bereitstellen können. Wir sind nun mal Teil des Bündnisses in allen Bereichen seiner Zuständigkeit, und das betrifft eben auch die Türkei, und die Türkei hat sich nach meiner Meinung bisher ja auch besonnen verhalten in den Eskalationspotenzialen vor Ort, und ich glaube, dass wir gut daran tun, unseren Bündnispartner an dieser Stelle nicht alleine zu lassen.

    Müller: Sie sagen, besonnen verhalten. Das bestreiten ja andere Partner wiederum. Aber vielleicht wollen wir das nicht weiter diskutieren. Ich muss Sie doch noch einmal fragen: Wie kann ein Bündnispartner, ohne dass bislang "viel" passiert ist, wie kann ein Bündnispartner jetzt auf die Idee kommen, diese Waffensysteme zu gebrauchen und brauchte sie in den vergangenen Jahrzehnten nicht, und der Syrien-Türkei-Konflikt, diese Auseinandersetzung, ist auch schon ein paar Monate alt?

    Hoff: Sicherheitspolitik ist vorausschauende Politik und wir haben ja nun erlebt, dass das Territorium unseres Bündnispartners auch beschossen worden ist, und wir haben auch innerhalb des Bündnisses Staaten, die nicht über jede Fähigkeit verfügen. Das ist ja auch der Sinn eines Bündnisses, dass man dann, wenn es zu einem Konfliktfall kommt, sich gegenseitig mit Fähigkeiten aushelfen kann. Das ist der Sinn der Diskussion über Smart Defence, das ist der Sinn der Diskussion über Pooling und Sharing. Das heißt: In dem Moment, wo bestimmte militärische Systeme gefordert sind, aber nicht jeder Partner, weil er aufgrund seiner Größe und seiner Fähigkeiten nicht darüber verfügt, die Notwendigkeit hat, ist es eine Frage, die innerhalb eines Bündnisses geklärt werden muss.

    Müller: Die Türkei hat demnach, Frau Hoff, keine fähigen Flugabwehrsysteme?

    Hoff: Nein, sie hat keine Patriot-Abwehrsysteme.

    Müller: Keine Patriot?

    Hoff: Ja. Im NATO-Gebiet verfügen Amerika, Deutschland und die Niederlande über einsatzfähige Systeme. Die Spanier haben, glaube ich, auch noch das eine oder andere System. Aber über das Patriot-Abwehrsystem verfügen nur diese drei Staaten.

    Müller: Aber es gibt ja auch Nike- und Hawk-Systeme. Das heißt, warum ist das jahrzehntelang keinem aufgefallen, dass wir jetzt ausgerechnet Patriot liefern müssen?

    Hoff: In der Vergangenheit gab es keine Szenarien, die von ähnlicher Brisanz waren, wie wir es jetzt haben, und wir müssen eben jetzt mit der Situation fertig werden. Sie können nicht immer in die Zukunft hinein alle denkbaren Szenarien abbilden, weil das erst mal militärisch nicht abbildbar ist und auch finanziell nicht abbildbar ist. Also müssen wir uns jetzt mit der aktuellen Lage auseinandersetzen, so wie sie ist, und dann innerhalb des Bündnisses auch eine kluge Entscheidung treffen.

    Müller: Wie groß ist die Gefahr, dass die Türkei, dass Ankara will, dass sich erstens die Lasten auf mehrere Schultern verteilen, aber vor allem, dass andere mit ins Boot gezogen werden?

    Hoff: Auch das ist Sinn einer Gemeinschaft und eines gemeinsamen Verteidigungsbündnisses, dass Lasten geteilt werden und dass Lasten auch miteinander getragen werden. Sonst muss man sich ein Bündnis an der Stelle auch nicht leisten. Wir werden jetzt genau prüfen müssen, wie die Anforderung denn aussieht, wie die exakten Rahmenbedingungen sind, wo stationiert werden müsste, wie das Bedrohungspotenzial aussieht, wie das Eskalationspotenzial aussehen könnte. Aber diese Fragen können wir natürlich erst dann nur beantworten, wenn es eine offizielle Anfrage unseres Bündnispartners an der Stelle gibt.

    Müller: Und ein deutscher Soldat, ein deutsches Kontingent der Bundeswehr könnte dann unter dem Oberbefehl eines türkischen Kommandeurs stehen?

    Hoff: Nein. Es wäre dann ein NATO-Einsatz. Deswegen plädiere ich ja auch dafür, dass weitere NATO-Bündnispartner daran teilnehmen. Und dann wird man über die genauen Kommandostrukturen, über die Aufteilung, über die Entscheidungskette, sich dann verständigen müssen, wenn es zu einem Einsatz kommt und das Konzept, also das Operationskonzept dann erarbeitet werden muss. Das sind alles Fragen, die sich jetzt noch nicht stellen, sondern erst dann, wenn die konkrete Anfrage vorliegt, und wenn dann Entscheidungen getroffen worden sind, dann wird auch die militärische Planung einschließlich der Kommandostrukturen auf den Weg gebracht werden müssen.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Elke Hoff. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben.

    Hoff: Ja gerne!

    Müller: Ich weiß, Sie stehen sehr stark unter Termindruck, und drücke Ihnen die Daumen, dass das jetzt noch klappt.

    Hoff: Ganz herzlichen Dank.

    Müller: Auf Wiederhören.

    Hoff: Auf Wiederhören!

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