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"Es geht um die Produkte"

Eine "abseitige Argumentation" nennt Oliver Zander, Geschäftsführer von Gesamtmetall, die Kritik aus den USA am aktuellen deutschen Wirtschaftsmodell. Das setzt sehr stark auf Exporte. Die Hautpkritik daran: Deutschland konkurriere seine Mitbewerber nieder und vernachlässige die eigene Infrastruktur.

Oliver Zander im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 02.11.2013
    Jürgen Zurheide: Das US-Finanzministerium hat nämlich heftige Kritik am deutschen Wirtschaftsmodell geübt, so heftig, dass man doch aufhorcht. Denn dass da immer schon mal Kritik war, ja, das hat man gehört, das ist nicht ganz neu, aber dass das jetzt in regierungsamtliche Papiere gedruckt wird, das ist dann doch etwas heftig. Zu exportlastig sei das deutsche Wirtschaftsmodell, und man konkurriere hier alles nieder. Darüber wollen wir reden mit Oliver Zander, dem Hauptgeschäftsführer bei Gesamtmetall. Erst mal guten Morgen, Herr Zander!

    Oliver Zander: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Zander, Sie sind also, wenn ich jetzt die Amerikaner sehe, so der Hauptvertreter einer Bad-Guy-Organisation – zu erfolgreich für die Welt, Sie konkurrieren alles nieder –, haben Sie sich eigentlich geschüttelt, als Sie diese Kritik aus dem Mutterland des Kapitalismus gehört haben?

    Zander: Ja, als Bad-Guy-Organisation werden wir ja häufig von anderer Seite betitelt, aber auch jetzt sehen wir uns da eigentlich nicht richtig beurteilt. Das ist überraschend, aber wir hatten die Kritik ja schon aus anderen europäischen Ländern, insofern muss man wieder die gleichen Argumente gegen diese etwas abseitige Argumentation bringen.

    Zurheide: Dann fangen wir mal an und versuchen wir mal, die Fakten zu sehen. Richtig ist, der Exportüberschuss der Bundesrepublik Deutschland, der ist natürlich bemerkenswert, 170 Milliarden sind es. Das natürlich - bei allem Erfolg der Deutschen - das produziert Ungleichgewichte. Da sagen Sie auch als ökonomischer Betrachter, das muss man im Blick haben, oder?

    Zander: Na ja, gehen wir’s mal durch. Die Exportstellung kommt ja nicht, weil man sich entscheidet, exportieren zu wollen, sondern die gute Exportstellung kommt, weil man die richtigen Produkte hat. Wir haben Investitionsgüter, insbesondere für die Schwellenländer – die bauen ihre Industrie auf, werden irgendwann auch eine Konkurrenz noch stärker für uns sein. Es hängt an den Produkten und nicht an einem Plan. 60 Prozent der deutschen Exporte kommen aus der M- und E-Industrie, wir sind also der Investitionsgüterlieferant Nummer eins.

    Zurheide: Also Metall und Elektro.

    Zander: Metall und Elektro. Und dieses hohe Defizit wird sozusagen noch etwas dadurch relativiert oder zurückgefahren, weil wir im Bereich zum Beispiel bei Energie, Erdöl, Erdgas und bei Nahrungsmitteln importieren.

    Zurheide: Das heißt, Sie sagen, eigentlich machen Ihnen die Ungleichgewichte nicht wirklich Sorgen, wobei unterm Strich bleiben Sie natürlich stehen, das können wir nicht wegdiskutieren.

    Zander: Nein, das können wir nicht wegdiskutieren, aber wie gesagt, es geht um die Produkte, die weltweit gefragt sind. Es geht auch darum, dass wir ja eine Hochlohnbranche sind. Also es ist nicht so, um auf die andere Seite zu schauen, sind wir sozusagen so günstig, dass wir die anderen niederkonkurrieren, wie sie gesagt haben. Wenn ich mir das Lohnniveau in der deutschen M- und E-Industrie angucke – 50.000 Euro im Schnitt pro Jahr pro Beschäftigen –, dann kann ich nicht erkennen, dass wir Niedrigstlohnbranche sind. Im Gegenteil, wir haben die höchsten Löhne auf der ganzen Welt.

    Zurheide: Das ist natürlich – jetzt kommen wir und handeln wir das damit auch mal eben kurz ab – das ist natürlich eine andere Kritik gewesen, dass die Lohnzuwächse in Deutschland in den zurückliegenden Jahren in der Regel, in den zurückliegenden zehn Jahren, deutlich unter denen der Konkurrenten gelegen haben. Das ist nicht ganz falsch, das Argument.

    Zander: Wir haben in der Tat eine Korrekturbewegung gehabt Anfang des letzten Jahrzehnts, da war im Bereich der Arbeitskosten etwas ins Kraut geschossen, was die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie massiv tangiert ist. Das ist aber dann in der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts zurückgefahren worden, und wir haben seit Ende der Krise, seit 2010, deutliche Steigerungen der Löhne, auch der Reallöhne. Insofern haben wir dort auch eine positive Entwicklung für die Beschäftigten und weiß Gott kein Lohndumping in Deutschland.

    Zurheide: Die Frage ist natürlich immer, in welchem Verhältnis steht das? Die Binnenkonjunktur, jetzt gerade ist sie angesprungen, und sie trägt auch ein Stück weit die wirtschaftliche Lage in Deutschland. Aber möglicherweise kann man auch sagen, eine ganze Zeit lang war das nicht ausgeglichen, oder?

    Zander: Ja, man muss es ja vom Hier und Heute beurteilen. Die Kritik der Amerikaner ist jetzt aufgekommen, und jetzt haben wir eine sehr positive Entgeltentwicklung für die Beschäftigten in Deutschland, die Reallöhne steigen, die Inflationsrate ist sehr niedrig, das ist für die Beschäftigten gut. Also wir können weiß Gott nicht erkennen, dass wir hier flächendeckend Lohndumping machen. Und noch mal: M und E, die Metall- und Elektro-Industrie, hat im Durchschnitt pro Beschäftigten 50.000 Euro. Wir haben pro Stunde Arbeitskosten in Deutschland fast 40 Euro, in Amerika sind es etwa 25 Euro im verarbeitenden Gewerbe. Daran sehen Sie schon, dass wir eigentlich angesichts der Arbeitskosten an sich keine bessere Stellung haben dürften als die Amerikaner im Wettbewerb.

    Zurheide: Das heißt aber, wenn so eine Kritik kommt, haben Sie möglicherweise auch in der Öffentlichkeitsarbeit irgendwas falsch gemacht, oder ziehen Sie sich den Schuh nicht an?

    Zander: Ja, was will man in der Öffentlichkeitsarbeit an dieser Stelle tun? Wir berichten über die Zahlen, wir berichten über die Entwicklung der Exporte, wir berichten über die Entwicklung der Arbeitskosten, wir sehen, dass da nichts aus dem Ruder gelaufen ist. Wir haben natürlich in Deutschland eine sehr robuste Entwicklung nach der Krise genommen, es sind in der Krise die richtigen Maßnahmen ergriffen worden, man hat Beschäftigung stabilisiert. Wir haben ja 800.000 Beschäftigte gehalten, die in Kurzarbeit waren, und das hat sich ausgezahlt. Und da wüsste ich jetzt nicht, was man mit Plakaten oder Radiowerbung hätte verbessern können.

    Zurheide: Kommen wir auf ein anderes Problem, das wird hier natürlich diskutiert. Der DIW-Chef Fratzscher hat es gestern noch mal angesichts der amerikanischen Kritik klargemacht. Er hat gesagt: Es sind nicht die Löhne und die Binnenkonjunktur, er sieht eher eine Investitionslücke in Deutschland, weil er sagt, die Dienstleistungen und auch manche Bereiche der öffentlichen Infrastruktur sind natürlich nicht so, dass wir dauerhaft mit diesem sehr exportlastigen Modell wirtschaftlich werden überleben können. Macht Sie das auch nachdenklich, und sagen Sie, ja, wir müssen aufpassen, dass die Infrastruktur hier nicht vor die Hunde geht, denn dann können Sie auch mit Ihrer sehr wettbewerbsfähigen Industrie auf Dauer nicht reüssieren?

    Zander: Wir haben in der Tat zu beobachten, dass die Investitionen auf einem sehr niedrigen Niveau sind. Es gibt Anzeichen, dass das im Jahre 2014 besser sein soll, man prognostiziert eine Steigerung der Anlageinvestitionen von über fünf Prozent, das ist eine positive Entwicklung. In der Tat müssen wir darauf achten, dass die Investitionen in Deutschland wieder anspringen, dass mehr passiert. Das heißt aber nicht, dass dadurch nun die Wettbewerbsposition der deutschen Industrie verschlechtert werden muss oder darf. Also wenn Sie fragen, sollen wir die Steuern erhöhen, damit die Infrastruktur steht, würde ich immer sagen, nein.

    Zurheide: Auf der anderen Seite, Sie stimmen mir zu, dass zum Beispiel bei Bildung und Ausbildung liegt vieles im Argen. Viele sagen, in den internationalen Vergleichen liegt Deutschland nicht so gut, wie wir das eigentlich liegen müssten in einem Land, wo wir auf Dauer eben wirklich – Sie haben es gesagt – die Wettbewerbsfähigkeit halten müssen.

    Zander: Das ist ein wichtiger Punkt. Bildung kostet natürlich Geld, das ist eine Grundvoraussetzung, die auch, glaube ich, erkannt worden ist in der Politik. Aber wir sind mit unserem dualen Ausbildungssystem weltweit anerkannt, alle Länder fragen reihum, wie man ein solches System mit gewissen Veränderungen jeweils selber implementieren kann. Im Bereich der beruflichen Ausbildung kann ich das nicht erkennen. Im Bereich der Hochschulen haben wir an sich auch eine positive Entwicklung. Die Frage ist, was die Schulen hinbekommen, was die Politik im Bereich der Schulen und der frühkindlichen Bildung hinbekommt, aber ich glaube nicht, dass wir so abgehängt sind. Und das zeigt ja eigentlich auch, wenn dann gleichzeitig diese Kritik kommt, dass die ja unsere Wettbewerbsfähigkeit langfristig stark tangieren würde, wenn das wirklich so wäre, dass wir da eigentlich nichts zu verteilen oder nichts zu vergeben haben. Wir müssen uns auch bei der Bildung anstrengen. Aber es ist eigentlich dafür genug Geld da, es ist nur die Frage, wo man es sinnvollerweise ausgibt.

    Zurheide: Also unterm Strich, wenn wir in einem Jahr miteinander reden, sagen Sie, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie ist nach wie vor gewahrt, oder gibt es nicht auch wichtige Herausforderungen?

    Zander: Es gibt wichtige Herausforderungen. Sie wissen, dass die Energiewende dringend reformiert werden muss. Wir müssen aufpassen, dass wir den Arbeitsmarkt nicht wieder zuregulieren im Rahmen der jetzt anstehenden Entscheidung. Da sind ein paar Punkte, aber insgesamt sind wir, wie uns ja jeder bestätigt, in einer guten Situation, und wir müssen uns tagtäglich anstrengen, dass das so bleibt. Denn nur so ist der Wohlstand in Deutschland zu sichern.

    Zurheide: Es gibt also am Ende wenig zu ändern, das meint zumindest der Hauptgeschäftsführer der Metall- und Elektro-Industrie Oliver Zander, dem ich für diese Antworten hier danke. Schönen guten Morgen, Herr Zander, danke schön!

    Zander: Bitte schön!


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