Gerd Breker: Das Thema Altersarmut ist auf der politischen Agenda angekommen. Die rührige Sozialministerin Ursula von der Leyen hat es nach vorne gezogen und der Vorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, wollte sich dieses Thema nicht nehmen lassen und legte nach – und das in einer Art und Weise, dass die Ähnlichkeiten gewollt erscheinen. Dies wiederum irritierte die Freien Demokraten, die den Schatten einer Großen Koalition an der Regierungswand sahen, irritierte aber auch so manch einen Sozialdemokraten, der das Trauma der Hartz-IV-Reform von Altkanzler Gerhard Schröder noch nicht abgeschüttelt hat. Es muss etwas geschehen, wenn nicht bald schon die Rente nicht mehr der Abschluss eines Arbeitslebens in materiell gesicherter Lage sein soll.
Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem SPD-Sozialpolitiker Rudolf Dreßler. Guten Tag, Herr Dreßler.
Rudolf Dreßler: Ich grüße Sie.
Breker: Immerhin kann man sagen, das Problem der Altersarmut ist erkannt. Fragt sich nur: helfen die bislang vorliegenden Rezepte?
Dreßler: Dass es mit zehnjähriger Verspätung endlich erkannt wurde, ist sicherlich zu begrüßen. Dennoch muss ich sagen, es geht hier nicht um irgendeine Rentenformel, es geht um die Systemfrage. Wenn wir ein Rentensystem haben, in das man 40 Jahre lang für 40-jährige Arbeit Zwangsbeiträge einzahlt und nach diesen 40 Jahren weniger Rente erhält als derjenige, der nicht gearbeitet hat, also keine Beiträge bezahlt hat, dann hat dieses System seine Daseinsberechtigung verloren. Und der Schlüssel darin ist, ob das die SPD, die CDU, wer auch immer wahr haben will oder nicht, die Senkung von 51 auf 43 Prozent des Durchschnittslohnes bis 2030. Wer das aufrecht erhält, der katapultiert uns aus diesem Rentensystem heraus.
Breker: Das heißt, aus der Sicht des Sozialpolitikers Rudolf Dreßler sind 43 Prozent einfach nicht akzeptabel?
Dreßler: Wer sie halten will, hat gleichzeitig das Rentensystem deutscher Prägung verlassen. Das ist so und da kann man reden und wenden es wie man will: Diese Zahl kann nicht stehen bleiben. Wenn sie stehen bleibt, dann kann man das machen, natürlich, aber dann ist das Rentensystem weg. Dann werden wir auf eine Privatisierung der ganzen Rentensystematik zulaufen.
Breker: Wäre denn, wie der Kollege Beck es vorgeschlagen hat, ein Kompromiss bei 45 Prozent, wäre das akzeptabel?
Dreßler: Das ist ja, wenn man so will, von Beck vielleicht verständlich, aber auch keine wirkliche Hilfe. Wenn ich das auf 45 Prozent senke, habe ich das Problem ja nicht gelöst. Mit dieser Senkung, also Absenkung von 51 auf 43 Prozent des Durchschnittslohnes, kommen ja andere Dinge hinzu. Wer die Klientelpolitik mit Namen Riester-Rente nicht bereit ist zu korrigieren, wer nicht bereit ist, millionenfache unstete befristete Arbeit zu reduzieren, wer nicht bereit ist, Leiharbeit zu begrenzen, der beerdigt das deutsche Rentensystem in Gänze. Das hängt alles damit zusammen, und das ist die Konsequenz der Schröderschen Politik Anfang der Jahre des Jahres 2000. Da kann man drüber weggehen, aber damit löst man das Problem nicht.
Breker: Das unverdächtige Statistische Bundesamt hat gestern mitgeteilt, 20 Prozent der Menschen, jeder fünfte arbeitet im Niedriglohnsektor. Wenn Sie von der Privatisierung der Altersversorgung reden, wie soll denn da irgendwas vorgesorgt werden?
Dreßler: Es wird das eintreten, was ich vor zehn Jahren bei Einführung der Riester-Rente gesagt habe, nämlich dass wir auf eine Situation zusteuern, in der millionenfach die Menschen vor den Rathäusern Deutschlands stehen und Sozialhilfe reklamieren. Das heißt, eine Bombe kommt auf uns zu, von der, für mich völlig unverständlich, die Politiker der heutigen Generation nichts wissen wollen, die das einfach verdrängen. Ich sage noch einmal: Wer drei Prozentpunkte Rentenbeitrag – das macht die SPD ja seit gestern auch -, also 1,5 Prozent für Arbeitnehmer und 1,5 Prozent für Unternehmen, zum Untergang des Abendlandes erklärt, der verabschiedet sich vom deutschen Rentenmodell und geht in eine bittere Armutsdiskussion der nächsten Jahre.
Breker: Ein Rentenniveau von 43 Prozent, bringt das nicht auch die Mittelschicht in Gefahr und was bedeutet das für unsere Gesellschaft?
Dreßler: Aber selbstverständlich bringt sie das in Gefahr. Man muss ja nur die völlig unverdächtige Ministerin für Arbeit und Soziales, Frau von der Leyen, zitieren. Sie hat in einem Brief an ihre eigenen Parteifreunde erklärt, dass die Situation so sei, dass derjenige, der heute 2500 Euro brutto im Monat verdienen würde und 35 Jahre Vollzeit gearbeitet hat, nur eine gesetzliche Rente in Höhe der Grundsicherung von 688 Euro bezieht. Wer dieses in Zweifel zieht, der muss sich mit Frau von der Leyen als amtliches Regierungsmitglied auseinandersetzen. Das kann ich überhaupt nicht, weil ich glaube, dass diese Zahlen, die sie veröffentlicht hat, stimmen. Wenn die aber stimmen, dann ist das System gefährdet. Ich muss die Systemfrage an den Anfang der Debatte stellen und dann erst über Rentenformeln reden.
Breker: Das Thema Altersarmut, das Thema Rentenreform, die ja notwendig wäre, wenn man es denn über die Rente richten will, ausgleichen will, das droht, in den Wahlkampf zu kommen, Herr Dreßler. Was bedeutet das für diese Gesellschaft?
Dreßler: Wenn es so ist, dass es in den Wahlkampf kommt, dann wird zumindest wieder in der Gesellschaft sensibler diskutiert über das, was wir Sozialpolitik nennen, Generationenvertrag nennen oder gesellschaftlicher Konsens in bestimmten sozialpolitischen Fragen nennen. Wenn das aber ausgeklammert wird – und einiges deutet ja darauf hin, dass sich die beiden großen Parteien, ohne die Systemfrage zu beantworten, auf irgendeinen Kompromiss verständigen, um über die Runden zu kommen -, dann ist das für unsere Gesellschaft schädlich. eine große Debatte in Deutschland um dieses Thema hielte ich für wesentlich konstruktiver als das Verschweigen dieser Sachverhalte.
Breker: Ist die jetzige Führung, Herr Dreßler, der Sozialdemokratie dabei, eine Chance zu vertun, sich mit den Gewerkschaften wieder zu versöhnen?
Dreßler: Wenn das so bleibt wie es ist, wird sie diese Chance vertun und wird sich damit selber schaden. Das ist ganz zweifelsfrei.
Breker: Wenn wir auf unseren Arbeitsmarkt schauen, da gibt es die Leiharbeit, Sie haben es selbst schon angesprochen, die Zeitverträge, die Praktika. Das heißt, der Arbeitsmarkt ist durcheinander – schon jetzt. Das wird doch auch mittelfristig Auswirkungen haben auf das, was dann an Rente am Ende des Arbeitslebens übrig ist.
Dreßler: Ganz zweifelsfrei. Die Debatte ist viel globaler, als nur die Debatte um irgendeinen Akzent der Rentenformel. Befristete Beschäftigung muss wieder auf das Vorliegen eines sachlichen Grundes beschränkt werden. Das ist ein einfaches Gesetz. Die Leiharbeit und Werkverträge müssen auf sachgerechtes Maß begrenzt werden. Das ist auch einfach ein Gesetz. Und eine Explosion bei den Minijobs auf inzwischen über 7,4 Millionen Betroffene, das heißt Zweidrittel davon sind Frauen, ist doch eine Katastrophe, die auf uns zurollt. Da muss der Gesetzgeber anpacken, und wer das nicht tut, der versündigt sich an dieser Altersvorsorge, wie wir sie seit Jahrzehnten in Deutschland kennen.
Breker: Und die aktuelle SPD-Führung versündigt sich?
Dreßler: Wenn die dabei bleibt, was sie jetzt beschlossen hat, dann ist das eine Schuld, die sie schwer abzutragen in der Lage ist.
Breker: Im Deutschlandfunk war das der SPD-Sozialpolitiker Rudolf Dreßler. Herr Dreßler, ich danke Ihnen für Ihre klaren Worte.
Dreßler: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem SPD-Sozialpolitiker Rudolf Dreßler. Guten Tag, Herr Dreßler.
Rudolf Dreßler: Ich grüße Sie.
Breker: Immerhin kann man sagen, das Problem der Altersarmut ist erkannt. Fragt sich nur: helfen die bislang vorliegenden Rezepte?
Dreßler: Dass es mit zehnjähriger Verspätung endlich erkannt wurde, ist sicherlich zu begrüßen. Dennoch muss ich sagen, es geht hier nicht um irgendeine Rentenformel, es geht um die Systemfrage. Wenn wir ein Rentensystem haben, in das man 40 Jahre lang für 40-jährige Arbeit Zwangsbeiträge einzahlt und nach diesen 40 Jahren weniger Rente erhält als derjenige, der nicht gearbeitet hat, also keine Beiträge bezahlt hat, dann hat dieses System seine Daseinsberechtigung verloren. Und der Schlüssel darin ist, ob das die SPD, die CDU, wer auch immer wahr haben will oder nicht, die Senkung von 51 auf 43 Prozent des Durchschnittslohnes bis 2030. Wer das aufrecht erhält, der katapultiert uns aus diesem Rentensystem heraus.
Breker: Das heißt, aus der Sicht des Sozialpolitikers Rudolf Dreßler sind 43 Prozent einfach nicht akzeptabel?
Dreßler: Wer sie halten will, hat gleichzeitig das Rentensystem deutscher Prägung verlassen. Das ist so und da kann man reden und wenden es wie man will: Diese Zahl kann nicht stehen bleiben. Wenn sie stehen bleibt, dann kann man das machen, natürlich, aber dann ist das Rentensystem weg. Dann werden wir auf eine Privatisierung der ganzen Rentensystematik zulaufen.
Breker: Wäre denn, wie der Kollege Beck es vorgeschlagen hat, ein Kompromiss bei 45 Prozent, wäre das akzeptabel?
Dreßler: Das ist ja, wenn man so will, von Beck vielleicht verständlich, aber auch keine wirkliche Hilfe. Wenn ich das auf 45 Prozent senke, habe ich das Problem ja nicht gelöst. Mit dieser Senkung, also Absenkung von 51 auf 43 Prozent des Durchschnittslohnes, kommen ja andere Dinge hinzu. Wer die Klientelpolitik mit Namen Riester-Rente nicht bereit ist zu korrigieren, wer nicht bereit ist, millionenfache unstete befristete Arbeit zu reduzieren, wer nicht bereit ist, Leiharbeit zu begrenzen, der beerdigt das deutsche Rentensystem in Gänze. Das hängt alles damit zusammen, und das ist die Konsequenz der Schröderschen Politik Anfang der Jahre des Jahres 2000. Da kann man drüber weggehen, aber damit löst man das Problem nicht.
Breker: Das unverdächtige Statistische Bundesamt hat gestern mitgeteilt, 20 Prozent der Menschen, jeder fünfte arbeitet im Niedriglohnsektor. Wenn Sie von der Privatisierung der Altersversorgung reden, wie soll denn da irgendwas vorgesorgt werden?
Dreßler: Es wird das eintreten, was ich vor zehn Jahren bei Einführung der Riester-Rente gesagt habe, nämlich dass wir auf eine Situation zusteuern, in der millionenfach die Menschen vor den Rathäusern Deutschlands stehen und Sozialhilfe reklamieren. Das heißt, eine Bombe kommt auf uns zu, von der, für mich völlig unverständlich, die Politiker der heutigen Generation nichts wissen wollen, die das einfach verdrängen. Ich sage noch einmal: Wer drei Prozentpunkte Rentenbeitrag – das macht die SPD ja seit gestern auch -, also 1,5 Prozent für Arbeitnehmer und 1,5 Prozent für Unternehmen, zum Untergang des Abendlandes erklärt, der verabschiedet sich vom deutschen Rentenmodell und geht in eine bittere Armutsdiskussion der nächsten Jahre.
Breker: Ein Rentenniveau von 43 Prozent, bringt das nicht auch die Mittelschicht in Gefahr und was bedeutet das für unsere Gesellschaft?
Dreßler: Aber selbstverständlich bringt sie das in Gefahr. Man muss ja nur die völlig unverdächtige Ministerin für Arbeit und Soziales, Frau von der Leyen, zitieren. Sie hat in einem Brief an ihre eigenen Parteifreunde erklärt, dass die Situation so sei, dass derjenige, der heute 2500 Euro brutto im Monat verdienen würde und 35 Jahre Vollzeit gearbeitet hat, nur eine gesetzliche Rente in Höhe der Grundsicherung von 688 Euro bezieht. Wer dieses in Zweifel zieht, der muss sich mit Frau von der Leyen als amtliches Regierungsmitglied auseinandersetzen. Das kann ich überhaupt nicht, weil ich glaube, dass diese Zahlen, die sie veröffentlicht hat, stimmen. Wenn die aber stimmen, dann ist das System gefährdet. Ich muss die Systemfrage an den Anfang der Debatte stellen und dann erst über Rentenformeln reden.
Breker: Das Thema Altersarmut, das Thema Rentenreform, die ja notwendig wäre, wenn man es denn über die Rente richten will, ausgleichen will, das droht, in den Wahlkampf zu kommen, Herr Dreßler. Was bedeutet das für diese Gesellschaft?
Dreßler: Wenn es so ist, dass es in den Wahlkampf kommt, dann wird zumindest wieder in der Gesellschaft sensibler diskutiert über das, was wir Sozialpolitik nennen, Generationenvertrag nennen oder gesellschaftlicher Konsens in bestimmten sozialpolitischen Fragen nennen. Wenn das aber ausgeklammert wird – und einiges deutet ja darauf hin, dass sich die beiden großen Parteien, ohne die Systemfrage zu beantworten, auf irgendeinen Kompromiss verständigen, um über die Runden zu kommen -, dann ist das für unsere Gesellschaft schädlich. eine große Debatte in Deutschland um dieses Thema hielte ich für wesentlich konstruktiver als das Verschweigen dieser Sachverhalte.
Breker: Ist die jetzige Führung, Herr Dreßler, der Sozialdemokratie dabei, eine Chance zu vertun, sich mit den Gewerkschaften wieder zu versöhnen?
Dreßler: Wenn das so bleibt wie es ist, wird sie diese Chance vertun und wird sich damit selber schaden. Das ist ganz zweifelsfrei.
Breker: Wenn wir auf unseren Arbeitsmarkt schauen, da gibt es die Leiharbeit, Sie haben es selbst schon angesprochen, die Zeitverträge, die Praktika. Das heißt, der Arbeitsmarkt ist durcheinander – schon jetzt. Das wird doch auch mittelfristig Auswirkungen haben auf das, was dann an Rente am Ende des Arbeitslebens übrig ist.
Dreßler: Ganz zweifelsfrei. Die Debatte ist viel globaler, als nur die Debatte um irgendeinen Akzent der Rentenformel. Befristete Beschäftigung muss wieder auf das Vorliegen eines sachlichen Grundes beschränkt werden. Das ist ein einfaches Gesetz. Die Leiharbeit und Werkverträge müssen auf sachgerechtes Maß begrenzt werden. Das ist auch einfach ein Gesetz. Und eine Explosion bei den Minijobs auf inzwischen über 7,4 Millionen Betroffene, das heißt Zweidrittel davon sind Frauen, ist doch eine Katastrophe, die auf uns zurollt. Da muss der Gesetzgeber anpacken, und wer das nicht tut, der versündigt sich an dieser Altersvorsorge, wie wir sie seit Jahrzehnten in Deutschland kennen.
Breker: Und die aktuelle SPD-Führung versündigt sich?
Dreßler: Wenn die dabei bleibt, was sie jetzt beschlossen hat, dann ist das eine Schuld, die sie schwer abzutragen in der Lage ist.
Breker: Im Deutschlandfunk war das der SPD-Sozialpolitiker Rudolf Dreßler. Herr Dreßler, ich danke Ihnen für Ihre klaren Worte.
Dreßler: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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