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"Es geht um einen Richtungskampf"

Nach Ansicht des Sozialdemokraten Rudolf Dreßler steht die Partei vor einem Richtungskampf zwischen Sozialstaat und Neoliberalismus. Die gegeneinander arbeitenden Strömungen hätten zu einem "erdrutschartigen Verlust" geführt. Ein Teil der SPD-Führung habe identitätsstiftende Werte wie Solidarität und Ausgleich aufgegeben und der Linkspartei überlassen.

Moderation: Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Ich begrüße am Telefon den Sozialdemokraten Rudolf Dreßler. Guten Morgen, Herr Dreßler!

    Rudolf Dreßler: Guten Morgen!

    Zurheide: Herr Dreßler, zunächst einmal, auch wenn wir Umfragewerte jetzt vielleicht nicht überbewerten wollen, aber bei der Sonntagsfrage 25 Prozent gestern und bei den Stimmungen nur noch 21 Prozent, der schlechteste Wert seit Langem für Ihre Partei, die SPD. Ist das ein Misstrauensvotum gegen Kurt Beck oder gegen die Partei?

    Dreßler: Also ich halte das für ein Misstrauensvotum gegen das Erscheinungsbild der SPD. In Wahrheit geht es nach meinem Eindruck nicht um einen Vorsitzenden oder einen Stellvertretenden Vorsitzenden oder einen ehemaligen Vorsitzenden, sondern es geht um einen Richtungsstreit, um einen Richtungskampf. Man kann das auch in die Kurzform fassen, Neoliberalismus kontra Sozialstaat, also Neoliberalismus nach dem Motto: Jeder ist seines Glückes Schmied, vertreten von jenen, bei denen der Schmied schon war, kontra Sozialstaat, das Streben nach Chancengleichheit, nach mehr Gerechtigkeit. Darum geht es. Und diesen Kampf muss die SPD austragen. Solange er währt, solange wird sie in diesen Umfragen im Keller sein.

    Zurheide: Das heißt, bei Ihrer Analyse ist der Kampf eben nicht ausgetragen und damit stehen die Flügel nicht klar, beziehungsweise die Partei hat sich nicht entschieden. Wohin sie sich entscheiden muss aus Ihrer Sicht ist klar, Sie standen immer für die sozialstaatliche Verankerung. Und das macht ein Teil der Führung falsch, weil sie in die andere Richtung will?

    Dreßler: Genau so sehe ich das, denn wenn ich mir das Ergebnis der letzten zehn Jahre vergegenwärtige, dann bleibt mir auch der Strategieansatz derjenigen, die den Neoliberalismus ganz offen vertreten, verborgen. Die SPD hat in den letzten zehn Jahren 400.000 Mitglieder verloren, sie hat sechs Ministerpräsidenten verloren und hat nach den Umfragen 10 Millionen Wählerinnen und Wähler eingebüßt. Das heißt, diese neoliberalen Positionen, die finden wir bereits und zwar viel konsequenter in zwei bestehenden Parteien, in der CDU/CSU und in der FDP und wenn das so weitergeht, ist meine Prognose, werden die Sozialdemokraten nicht aus dem Keller kommen, sondern sie werden dort verharren. Ich habe das mal satirisch genannt, das Projekt Möllemann, vom anderen Ende her 18 Prozent.

    Zurheide: Da ist man ja bald angekommen. Jetzt halten Ihnen natürlich diejenigen, die Sie da als neoliberal bezeichnen in der SPD, entgegen, die Zeiten haben sich ein wenig geändert, wir brauchen in der Globalisierung andere Antworten. Sie kennen die Diskussion. Warum halten Sie das nicht für zielführend, dass auch eine SPD möglicherweise ihr Profil ein Stück ändern muss, Richtung möglicherweise größere Bildungschancen?

    Dreßler: Hier geht es nicht darum, seine Position in Richtung größerer Bildungschancen zu ändern. Dafür ist die SPD, soweit ich das beurteilen kann, immer eingetreten, sondern hier geht es darum, dass identitätsstiftende Werte innerhalb der Gesellschaft – Ausgleich, Solidarität – diskreditiert werden. Und wer solche Gesetze macht, über die sich dann Leute erregen, nicht nur jene, die davon betroffen sind, sondern auch jene, die mittelbar betroffen sind oder die es abstrakt nachempfinden, dann darf sich eine Partei nicht wundern, wenn sie Antworten dergestalt bekommt, wie wir sie jetzt registrieren, dann muss sie ihre Politik überprüfen und dazu ist sie offensichtlich bis zur Stunde nicht bereit. Sie vertritt es nach wie vor, wobei ich besonders abstoßend dabei empfinde, dass die Tatsache, dass jede Bemühung innerhalb der SPD die vorhandene Gerechtigkeitslücke in Deutschland zu verbessern, von diesen Sozialdemokraten mit dem Begriff Linksruck diffamiert wird, also links wird als Diffamierungsbegriff gebraucht und ist auch so gemeint und damit tritt man gegen jeden Versuch, mehr Gerechtigkeit in die Politik einzuführen, entgegen. Und dieses Dilemma merken mittlerweile die Leute. Anders lässt sich ja dieser Verlust, den die SPD erlitten hat, der ja erdrutschartig ist, nicht erklären.

    Zurheide: Das heißt, das was unter dem Stichwort Hartz IV und Rücknahme an Reformen gemacht worden ist, auch von der SPD auf dem Parteitag in Hamburg, das reicht Ihnen nicht aus?

    Dreßler: Nein, das waren ja nur ganz kleine Korrekturen. Und diese Korrekturen haben sich im Bewusstsein der Bevölkerung jedenfalls massenhaft, um etwas zu korrigieren, wieder in eine bessere Situation zu bringen, nicht durchgesetzt. Dazu muss die SPD andere Positionen vertreten. Im Übrigen geht der Streit darum ja bis heute. In der Öffentlichkeit streitet sich die SPD um diese leichten Korrekturen. Und auch hier sind es wieder die gleichen Persönlichkeiten, die das als Linksruck diffamieren. Wenn eine Partei wie die SPD durch diese Politik nach rechts gerückt ist und will dann etwas korrigieren, dann muss sie nach der menschlichen Logik nach links gehen. Dieses aber dann als Linksruck zu diffamieren im Sinne eines Tadels und eines In-die-Ecke-stellen, das macht den Leuten jedenfalls nicht identitätsstiftenden Mut.

    Zurheide: Jetzt könnte man Ihnen entgegenhalten und fragen, hat es nicht früher innerhalb von Parteien grundsätzlich größere Spannbreiten in der Diskussion gegeben, auch in der SPD zu Zeiten von Helmut Schmidt, der ja nun gewiss nicht im Links-Verdacht stand, hat er eine bestimmte pragmatische Politik gemacht und es hat Linke auf Parteitagen gegeben und diese Diskussion hat man nicht nur ausgehalten, sondern man hat sie geradezu lustvoll geführt. Sicherlich nicht immer zur Freude von Helmut Schmidt, aber sie sind geführt worden. Ist es nicht heute zu beklagen, dass Parteien prinzipiell zu sehr sich verengen auf eine einzige herrschende Linie?

    Dreßler: Also diesen Vorwurf kann man der SPD ja wohl im Augenblick nicht machen, wenn ich die Debatte verfolge, dass sie nicht bereit wäre, zu diskutieren. Der entscheidende Punkt ist, dass sie nicht die Kraft besitzt, die damals während der Zeit von Helmut Schmidt, von Willy Brandt von Herbert Wehner da war, dann einen Beschluss zu fassen, der die Partei in diese von mir bezifferte identitätsstiftende Lage gebracht hat. Wer sich heute diese Theater anschaut, der weiß nicht, woran er ist. Er hat kein festes Ziel vor Augen, sondern er sieht einen Haufen, der durcheinander wirbelt, der sich streitet und der immer wieder neue Beschlüsse fasst, unter welchem Druck auch immer, die ihm, wie ich das mal genannt habe, in eine Sackgassensituation bringt, aus der er dann nicht mehr herauskommt. Das ist wie bei einem Hemd, was man oben an einer falschen Stelle beginnt zuzuknöpfen, wenn man unten angekommen ist und merkt es, dann muss man dieses Hemd wieder neu schließen, also erst mal öffnen und wieder von vorne anfangen. Und genau so macht das die SPD und das jetzt schon seit langer Zeit.

    Zurheide: Was müsste die SPD machen konkret?

    Dreßler: Nach meiner Meinung müsste sie einen Parteitag einberufen, in dem sie diese inneren Positionen, die gesellschaftspolitischen Positionen diskutiert und beschließt und dann dafür auch antritt. Sie hat zurzeit, wenn Sie so wollen, zwei gegeneinander arbeitende Strömungen und diese Strömungen machen sich so bemerkbar, dass der Wähler und die Wählerin sich damit nicht mehr bereit ist zu identifizieren.

    Zurheide: Aber wenn ich das weiterdenke, was Sie wollen auch von Ihrem persönlichen, biografischen Hintergrund und von Ihrer politischen Sozialisation, wäre die SPD da nicht die Linke?

    Dreßler: Die Linke, wenn es um mehr Gerechtigkeit geht, kann sie ja dann auch sein. Sie war ja mit dieser Position sogar mehrheitsfähig in dieser Zeit. Also wenn Sie sich heute die Positionen von Brandt, von Wehner und von Helmut Schmidt vergegenwärtigen, die sie damals vertreten haben, dann sind das ja Positionen, die diese Neoliberalen in der SPD heute nicht mehr akzeptieren, sondern die sie sogar bekämpfen. Man kann auch einen Schritt weitergehen und sagen, so gesehen waren Helmut Kohl und Norbert Blüm aber nun ganz fest auf der linken Seite verankert. Und wenn sich innerhalb der Gesellschaft jetzt ein Ruck nach rechts ergeben hat, den die SPD mitmacht, den sie noch favorisiert, zum Teil unterstützt, dann hat das natürlich auch Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. Ich glaube allerdings, wenn ich die Analysen richtig werte, dass es innerhalb unserer Gesellschaft eine Mehrheit auch in der Bevölkerung gibt, die diesen Weg nicht gehen will, die eben jetzt zurückdrehen will und die SPD ist nicht die politische Führungskraft, die diesen Weg zurück wieder in Richtung mehr Gerechtigkeit in die Mitte der Gesellschaft bereit ist zu führen. Und das macht dieses Dilemma deutlich. Die Menschen gehen dann entweder in die innere Immigration, sie halten sich zurück, gehen gar nicht mehr wählen, die Zahlen sind ja verheerend, oder sie gehen direkt zu den Linken, weil die sofort die Positionen besetzen, die die SPD räumt.

    Zurheide: Ganz kurz, letzte Frage, mit der Bitte um kurze Antwort: Sie bleiben in der SPD?

    Dreßler: Bisher jedenfalls habe ich keine Absichten, da weiter zu machen. Ich habe letztlich auf dem Kongress der Arbeitsgemeinschaft der Arbeitnehmerfragen aufgerufen, diesen Kampf, diese Auseinandersetzung in der SPD aufzunehmen und zu führen.

    Zurheide: Das war Rudolf Dreßler, Sozialpolitiker und Sozialdemokrat, ich bedanke mich bei Ihnen für das Gespräch, danke schön!

    Dreßler: Wiederhören!