Archiv


Es geht "vor allen Dingen um die Anerkennung von Schuld"

Erben von vier in der NS-Zeit verfolgten jüdischen Kunsthändlern haben die Rückgabe des Welfenschatzes gefordert, der im Besitz des Berliner Kunstgewerbemuseums ist. Nach Ansicht von Raubkunstexperte Stefan Koldehoff geht aus einer 120-seitigen Dokumentation hervor, dass bei den Händlern nie Geld angekommen sei. Jetzt müssten sich die Berliner Museen endlich mal bewegen und Stellung beziehen.

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Karin Fischer |
    Karin Fischer: Restitution ist kein heißes Eisen mehr in Deutschland. Über zehn Jahre nach der Washingtoner Konferenz lässt etwa Kulturstaatsminister Bernd Neumann keinen Zweifel daran, dass er sich auch aktiv um die Restitution der Kunstschätze aus jüdischem Besitz bemühen will. Unter anderem, damit aus den oft spektakulären und im Feuilleton kontrovers diskutierten Fällen ein Handel in gegenseitigem Einvernehmen werden kann. Jetzt kommt auf ihn und vor allem auf die Berliner Museen ein Fall zu, der zur Nagelprobe werden kann, denn, Frage an meinen Kollegen Stefan Koldehoff: Da geht es ja sogar um mehr als um das sogenannte Tafelsilber?

    Stefan Koldehoff: Es geht um einen der wahrscheinlich bedeutendsten kultur- und kirchengeschichtlichen Schätze, die wir überhaupt in Deutschland noch haben, den sogenannten Welfenschatz eben. 42 Arbeiten, die zwischen dem 14. und 15. Jahrhundert entstanden sind. Goldschmiedearbeiten, Kreuze, Monstranzen, Reliquiare. Zu den Hauptstücken zählt ein perlenbesetztes Kreuz, das Welfenkreuz aus der Mitte des 11. Jahrhunderts, ein Kuppelreliquiar, das einst die heute verlorene Schädelreliquie des heiligen Georg geborgen hat. Es geht um einen blaugoldenen Tragalter aus kostbarsten Materialien, den ein Kölner Goldschmied um 1150 gefertigt hat. Also Kulturgegenstände von unschätzbarem Wert und von unschätzbarem kulturellen Wert vor allen Dingen auch.

    Fischer: Dann lassen Sie uns den Fall mal aufdröseln: Wie geht die Restitutionsgeschichte?

    Koldehoff: Dieser Schatz ist zustande gekommen als Stiftungen des Fürstengeschlechts der Welfen und der Brunonen vor allen Dingen an die Stadt Braunschweig. Und dort ist dieser Schatz auch Jahrzehnte, Jahrhunderte lang im Dom aufbewahrt worden. Irgendwann gab man ihn dann zurück an die Welfenfamilie als Folge von Religionskriegen, Auseinandersetzungen, Eroberungen und dem Verlust der Selbstständigkeit der Stadt. Die Welfen haben ihn dann nach Österreich bringen lassen, und dort hat sich 1929/1930 Ernst August von Braunschweig-Lüneburg entschieden, die damals 82 Stücke für acht Millionen Reichsmark an ein Konsortium von Kunsthändlern zu verkaufen. Es war Weltwirtschaftskrise, er brauchte Geld, hatte den Schatz zunächst verschiedenen deutschen Städten angeboten.

    Dort hat man das Geld aber nicht zusammenbekommen. Diese vier Kunsthändler - Zacharias Max Hackenbroch, Isaak Rosenbaum, Saemy Rosenberg und Julius Falk Goldschmidt - haben dann Verkaufsausstellungen organisiert, in Berlin zum Beispiel, in Frankfurt, aber auch in Städten in Amerika. Es ist ihnen dort auch gelungen, einen Teil der Werke zu verkaufen. So finden sich heute Stücke aus dem Welfenschatz zum Beispiel im Museum von Cleveland/Ohio. Aber der Kernbestand, das Wichtigste, ist zusammengeblieben.

    1933 kamen die Nationalsozialisten an die Macht, jüdische Kunsthändler wurden sofort mit Berufsverbot belegt. Sie hatten keine Möglichkeit mehr, die Kredite abzuzahlen, die sie damals aufgenommen hatten, um den Schatz zu erwerben. Sie wollten aber auf der anderen Seite, weil sie merkten, was los sein würde in Deutschland, dringend fliehen, mussten dafür die sogenannte Reichsfluchtsteuer berappen. Das wusste der preußische Staat damals. Göring selbst war in die Verhandlungen involviert und hat es dann geschafft, den damals noch auf sieben Millionen geschätzten Rest des Welfenschatzes für vier Millionen zu erwerben, also zu dem, was man heute einen Dumpingpreis nennen würde. Und es ist überhaupt nicht gesichert, ob die Kunsthändler dieses Geld jemals gesehen haben, ob sie jemals frei darüber verfügen konnten, denn ein Teil wurde auf ein Sperrkonto eingezahlt. Und als es denen dann endlich gelungen ist, diesen Händlern, Deutschland zu verlassen, da mussten auch sie Zwangsabgaben zahlen. Die sind belegt, und die sind so niedrig, dass man davon ausgehen muss, dass sie den Erlös, die vier Millionen, nie gesehen haben.

    Fischer: Nun gibt es also Restitutionsforderungen, gibt es auch schon Reaktionen aus Berlin?

    Koldehoff: Die gibt es. Es gibt eine erste Reaktion, denn die Bitte um Auskunft ist nicht neu, die ist den Berliner Museen schon im Januar 2008, also vor 15 Monaten zugegangen. Da hat man mal erst behauptet, wir haben - so wörtlich - keinen denkbaren Gesichtspunkt für die Aufnahme, dass der Ankauf des Welfenschatzes 1935 NS-verfolgungsbedingter Entzug gewesen sei. Dann hat man aber versprochen zu recherchieren, und dabei ist es seit 15 Monaten geblieben. Die Erben haben über ihren Anwalt immer wieder nachfragen lassen und immer nur die Antwort bekommen, wir arbeiten, wir arbeiten, wir arbeiten dran - wie gesagt, inzwischen seit 15 Monaten. Betroffen ist unter anderem eine sehr kranke 97-jährige jüdische Frau in London, die nun gerne auch mal ein Ergebnis erfahren würde. Und heute, als die ersten Meldungen über diese Forderungen über die Agenturen gingen, haben die Berliner Museen noch einmal bestätigt, wir sind bislang zu keinem Ergebnis gekommen.

    Fischer: Sie sind Raubkunstexperte, Stefan Koldehoff, Sie haben diesen Fall recherchiert, wie schätzen Sie ihn ein?

    Koldehoff: Ich habe die 120-seitige Dokumentation gelesen, in der ganz viele historische Dokumente auch drin sind. Und aus denen geht nach meiner Einschätzung ganz klar hervor: Der Staat hat die wirtschaftliche Notlage dieser vier jüdischen Kunsthändler ausgenutzt, hat den Preis gedrückt. Ich habe keinerlei Dokument gesehen, dass tatsächlich Geld geflossen und bei diesen Händlern angekommen ist. Im Gegenteil, die Belege über die Reichsfluchtsteuer sprechen eher dafür, dass kein Geld angekommen ist, denn das hätten die Händler zu dem Zeitpunkt nicht verstecken können. Sie waren ja dem Staat sozusagen verpflichtet, dem sie verkauft hatten. Also ich glaube, dass die Washingtoner Kriterien erfüllt sind und dass sich die Berliner Museen ernsthaft die Frage stellen müssen, müssen wir nicht restituieren oder neu ankaufen.

    Fischer: Ganz kurz zum Schluss: Diese kostbaren Reliquien, das sind ja Dinge, die man tatsächlich lieber beleuchtet hinter Panzerglas im Museum sehen würde als auf privaten Schreibtischen zu sehen. Deshalb die Frage: Cui bono - wem nutzt es? Geht es wirklich um die Rückgabe oder geht es auch um Geld, in diesem Fall viel Geld?

    Koldehoff: Ich hab bei vielen Recherchen zum Thema Raubkunst immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es vor allen Dingen um die Anerkennung von Schuld und um eine Art von Wiedergutmachung, die es natürlich nie geben kann, geht. Also ich glaube, dass die Erben Interesse haben werden, eine vernünftige Lösung zu finden. Aber dafür müssen sich die Berliner Museen dann endlich auch mal bewegen.

    Fischer: Stefan Koldehoff, vielen Dank für das Gespräch.