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"Es gibt in Russland keine freien Medien und keine freien Gerichte"

Klaus Remme: Die Präsidentschaftswahlen in Russland sind gelaufen und es ist so gekommen, wie es kommen musste: Nach einer Medienkampagne, die nur einen Favoriten kannte, und nach einem Wahlkampf, den es so nicht gab, Strukturen, die eine Chance mehrerer Kandidaten nicht wirklich zuließen, wurde Präsident Wladimir Putin im Amt bestätigt. Die Stimmen sind inzwischen fast alle ausgezählt, einzig und allein die Wahlbeteiligung war im Vorfeld nicht so einfach zu kalkulieren, doch ist klar, die Wahl ist gültig. Mehr als 50 Prozent der Wähler sind hingegangen. Also, auch in dieser Frage keine Probleme für Putin. Am Telefon in Moskau bin ich jetzt mit Galina Mihalova verbunden. Sie leitet das analytische Zentrum von Jabloko, einer liberalen Oppositionspartei. Guten Morgen, Frau Mihalova.

Moderation: Klaus Remme |
    Galina Mihalova: Guten Morgen.

    Remme: Worin liegt die politische Bedeutung dieser Wahl?

    Mihalova: Ja, wissen Sie, von ihrer politische Bedeutung kann man zur Zeit kaum sprechen. Putin hat seine Position bestätigt auf einer Art Referendum. Sie haben schon gesagt, das war keine Wahl. Alle wussten, dass er Präsident bleibt und ich glaube, er versucht im Laufe der nächsten vier Jahre seine Macht zu erweitern und seine Position weiter zu festigen, soweit wie möglich.

    Remme: Einige der Oppositionsparteien haben zu einem Wahlboykott aufgerufen, war diese Strategie richtig?

    Mihalova: Na ja, auch unsere Partei hat zu einem Boykott aufgerufen, weil das keine Wahl war. Es gibt zur Zeit in Russland keine freien Medien, keine freien Gerichte, eine unabhängige Finanzierung der Partei ist nicht möglich und außerdem, um sich an der Wahl zu beteiligen braucht man praktisch eine Erlaubnis aus der Administration des Präsidenten. Und wenn Sie sich ernstnehmen und Ihre Wähler ernstnehmen, dann kann man an solchen Prozeduren nicht teilnehmen.

    Remme: Es gab aber eine liberale Kandidatin, es gab Irina Chakamada. Sind Sie ihr nicht durch eine Nichtbeteiligung, durch eine Nichtunterstützung in den Rücken gefallen?

    Mihalova: Ach, wissen Sie, Irina Chakamada hatte nicht richtig im Sinn, diese Wahlen zu gewinnen. Sie wollte sich selbst profilieren und sie war auch eine Art Stimme der Oligarchen, die in Schwierigkeiten sind. Das waren persönliche Ziele, das waren keine politischen Ziele. Nicht nur wir, sondern auch ihre Partei, Union der rechten Kräfte, war gespalten in Bezug auf Chakamada. Nur einige von dieser Partei haben Irina Chakamada unterstützt.

    Remme: Frau Mihalova, gibt es in Russland nach den Parlamentswahlen und diesen Präsidentschaftswahlen noch eine funktionierende Opposition?

    Mihalova: Russland ist groß, in Russland gibt es 89 Bundesländer auf Deutsch gesagt. Überall laufen Wahlen, nicht nur Präsidentschaftswahlen, sondern auch Senatswahlen, Wahlen der Regionalparlamente, lokale Wahlen, und in vielen von diesen Regionen beteiligen sich an den Wahlen sowohl Jabloko als auch die Union der rechten Kräfte. In manchen Regionen machen sie das zusammen. Also, das Leben ist nicht zu Ende. Die Demokratie ist in Russland kaum zu finden, aber die Elemente existieren noch. Und soweit sie vorhanden sind, gibt es auch Möglichkeiten für die liberalen Parteien.

    Remme: Müssen Sie sich auch eigene Fehler vorwerfen, was die Geschlossenheit der Opposition angeht? Hätte man nicht zusammen ein größeres Gewicht auf die Waage stellen können?

    Mihalova: Bei der Präsidentschaftswahl oder bei der Duma-Wahl?

    Remme: Ich rede jetzt von der Präsidentschaftswahl.

    Mihalova: Ach was, nie. Das war schlicht nicht möglich unter diesen Umständen, wenn schon eine Vorgabe existierte. Es gab vorher in allen Regionen eine Vorgabe, wie viele Stimmen Putin bekommen sollte und wie groß die Wahlbeteiligung sein sollte. Das war einfach nicht möglich.

    Remme: Aber ist es dann nicht umso wichtiger als Opposition, geschlossen aufzutreten?

    Mihalova: Auf dieser Frage antworte ich immer, gibt es in Deutschland viele Koalitionen zwischen den Schwarzen und den Grünen?

    Remme: Das verstehe ich nicht.

    Mihalova: Gibt es in Deutschland viele Koalitionen zwischen christlichen Demokraten und den Grünen?

    Remme: Nein, ich habe Sie akustisch schon verstanden, ich verstehe nur nicht, welchen Punkt Sie machen wollen?

    Mihalova: Wenn die Parteien unterschiedliche Ziele haben und unterschiedliche Wähler haben, ist es gar nicht sicher, dass die Vereinigung mehr Stimmen bringt.

    Remme: Aber manchmal eint der politische Gegner, insbesondere wenn er so mächtig ist wie Wladimir Putin.

    Mihalova: Das ist nicht ausgeschlossen. Wenn es weiter in dieser Richtung geht, wird sogar eine Vereinigung mit den Kommunisten möglich. Wir machen schon jetzt etwas zusammen, nun zum Beispiel die Wahlkontrolle haben wir bei der Duma-Wahl gemacht und jetzt überprüfen wir, welche Gesetzesverletzungen im Laufe der Duma-Wahl vorhanden waren. Das machen wir zusammen, Union der rechten Kräfte, Jabloko und Kommunisten und viele gesellschaftliche Organisationen.

    Remme: Frau Mihalova, die Russen sind vermutlich als Menschen nicht anders als Deutsche, Amerikaner oder Franzosen, sie wollen ein Mindestmaß an Wohlstand und an Sicherheit. Hat Putin vor diesem Hintergrund nicht doch eine Wiederwahl verdient?

    Mihalova: In gewissen Maßen ja, aber man soll nicht vergessen, dass sie zum Teil nur scheint, die Stabilität. Putin hat Glück gehabt. Die Preise, Ölpreise, die waren sehr hoch. Das war günstig für das Land, erstens, und zweitens, die Wähler, die Bürger, die waren schon müde, einen Präsidenten zu haben, der krank ist, ich meine jetzt Jelzin, und in Putin haben sie eine Hoffnung gesehen. Aber wo das Problem liegt, dass für Putin die demokratischen Werte nicht von Bedeutung sind. Ihm ist die Wirtschaft das Wichtigste. Aber auf Dauer und ohne tiefe Reformen und ohne Demokratie kann man kaum Wirtschaftswachstum erreichen.

    Remme: Vielen Dank. Das war Galina Mihalova. Sie leitet das analytische Zentrum der Oppositionspartei Jabloko.