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Es gibt "mehr Professionalismus im Skandal"

Die Fokussierung der Medien auf Katastrophen und Skandale sei dem Kampf um die Quoten geschuldet, sagt der Medienwissenschaftler Norbert Bolz. Bundespräsident Wulff mache es den Journalisten durch sein "tollpatschiges" Verhalten allerdings auch einfach, Jagd auf ihn zu machen.

Norbert Bolz im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Aus der amerikanischen Informationswissenschaft stammt ein Begriff, der hierzulande zwar auch praktiziert, aber weniger erforscht ist: der "pack journalism". Gemeint ist eine Art Meutenjournalismus, die Fokussierung auf ein Thema, auf das sich alle stürzen. Das kann natürlich seine Berechtigung haben, aber wenn der Meutenjournalismus übertrieben wird, dann verstößt die Zunft gegen Kriterien, die der Medienmanager Bodo Hombach dieser Tage hier im Deutschlandfunk als "Grundpfeiler eines politischen Qualitätsjournalismus" nannte, nämlich Relevanz und Glaubwürdigkeit.
    Haben wir es in der Affäre Wulff mittlerweile mit dem Phänomen des pack journalism zu tun, oder tun die Kollegen hier nur ihre Arbeit? Nach welchen Gesetzen und Mechanismen läuft die Affäre Wulff ab? – Diese und andere Fragen stellen wir jetzt dem Berliner Kultur- und Medienwissenschaftler Professor Norbert Bolz. Zunächst mal guten Morgen, Herr Bolz.

    Norbert Bolz: Guten Morgen!

    Liminski: Herr Bolz, wie beurteilen Sie die Rolle der Medien in der Causa Wulff? Machen die Kollegen nur ihre Arbeit, oder unterliegen sie bestimmten Mechanismen, eben dem pack journalism?

    Bolz: Nun, beides schließt sich nicht aus. Sie machen ihre Arbeit und das heißt natürlich, sie folgen der Logik der Massenmedien selbst, und dazu gehört die Fokussierung auf Sensation, auf Skandal, die Möglichkeit der Skandalierung bestimmter Fälle. Dafür haben Journalisten alle eine sehr genaue Witterung, das lernen sie, und wenn jemand sich so schutzlos diesen Mechanismen ausliefert wie unser Bundespräsident, dann macht auch der letzte Journalist dabei mit und dann kann es da tatsächlich zu solchen Meutebildungen kommen, so wie wir das im Moment tatsächlich beobachten.

    Liminski: Aber gibt es auch sozusagen Marktmechanismen, die hier eine Rolle spielen?

    Bolz: In der Tat! Ich denke, diese Fokussierung auf Katastrophe, Skandal, Sensation ist ja ein Marktmechanismus, denn alle kämpfen um Einschaltquoten, alle kämpfen um Leser. Das heißt, man muss sich auf dem Markt durchsetzen, und das kann man eigentlich nur, indem man die Schlagzeilen der anderen toppt. Mittlerweile ist es ja sogar so, dass die "Bild"-Zeitung und der "Spiegel" miteinander konkurrieren um ein und dieselbe Form von Öffentlichkeit. Das hätte man sich früher wohl nicht träumen lassen.

    Liminski: Wird heute denn eher skandalisiert als früher? Lässt sich die Causa Wulff mit anderen politischen Skandalen vergleichen?

    Bolz: Es wird sicher eher skandaliert. Es wird auch professioneller skandaliert, als das früher der Fall ist, einfach deshalb, weil die Medien in unserer Wirklichkeit, in unserer Welt eine sehr viel größere Rolle spielen als noch vor 20, 30 Jahren. Also hier gibt es auch mehr Professionalismus im Skandal, könnte man sagen, und darauf müssen sich alle Menschen, die sich in der Öffentlichkeit bewegen, einstellen. Das ist vielleicht das größte Problem von Wulff. Er wollte Celebrity sein, ohne den Preis der Celebritys zahlen zu wollen.

    Liminski: Woran liegt denn die gesteigerte Skandalanfälligkeit? Warum werden irrationale Momente in der Mediengesellschaft wichtiger, oder warum wird mehr gefühlt und weniger gedacht? Ist das eine Folge des übersteigerten Medienkonsums?

    Bolz: So würde ich es nicht sehen. Ich glaube, die Emotionalisierung und Personalisierung vor allem auch der Politik hängt ganz einfach daran, dass das wohl die einzige Möglichkeit ist, in sehr kurzer Zeit hoch komplexe Themen überhaupt irgendwie abzuarbeiten. Statt zu analysieren, statt zu differenzieren, setzt man auf Gefühle, man zeigt Gesichter, man zeigt, wenn man so will, auch die Verzweiflung in den Gesichtern, und das tritt an die Stelle der Argumente und Informationen. Das hat also etwas mit Komplexität und mit geringer Zeit und geringer Aufmerksamkeit der Menschen zu tun und auch das ist mehr oder minder ein Mechanismus. Niemandem wäre das persönlich anzulasten. Also ich neige nicht zur Journalistenschelte.

    Liminski: Wird denn dadurch die Berichterstattung, durch diese Mechanismen, auch verzerrt?

    Bolz: Natürlich wird sie verzerrt. Ein berühmter Kollege, Niklas Luhmann, hat einmal gesagt, ich spreche nicht von Manipulation in den Massenmedien, denn es wird immer manipuliert. Und so sehe ich das offen gestanden auch. Es geht gar nicht anders, als die Wirklichkeit verzerrt darzustellen. Man hat immer nur wenige Sekunden Zeit, so wie wir in unserem Interview, und es soll doch ein Bild von der Welt gegeben werden. Das geht nur durch holzschnittartige Verkürzungen, durch Dramatisierungen, und der Skandal ist die Spitzenform dieser Technik.

    Liminski: Kann man in einer ethikarmen Welt von Journalisten überhaupt erwarten, dass sie nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit suchen, oder spielen heute auch andere Interessen eine Rolle, etwa Parteinähe oder schlicht eigene Weltanschauungen?

    Bolz: All das spielt natürlich eine Rolle. Ich will das jetzt nicht bewerten, was Parteinähe einzelner Journalisten betrifft, oder gar ihre Weltanschauung, aber eines kann man in jedem Fall sagen: Journalisten geht es schon um die Wahrheit, aber wichtiger als die Wahrheit ist der Informationswert. Das unterscheidet den Journalismus von der Wissenschaft. Es geht natürlich darum, wie war es wirklich, aber vor allen Dingen darum, was interessiert, was fasziniert die Leser, die Hörer, die Fernsehzuschauer.

    Liminski: Nun will eine Mehrheit im Volk dem Präsidenten eine zweite Chance geben. Die meisten Medien bleiben eher stur. Hier driftet die veröffentlichte Meinung mit der wirklichen öffentlichen Meinung auseinander. Leben Journalisten in einer eigenen Welt mit eigener Wahrnehmung, die sie dann als Wahrheit verkaufen?

    Bolz: Natürlich leben die Journalisten ähnlich wie übrigens auch die Politiker in ihrer eigenen Welt. Das heißt, Journalisten beobachten andere Journalisten, sie lesen die Zeitungen der anderen, sie schauen sich die Sendungen der anderen an, und das nennt man im Jargon der Wissenschaftler die Koorientierung der Journalisten. Das heißt, mehr als auf die Welt schauen sie in andere Zeitungen und in andere Fernsehsendungen. Das führt zu einer gewissen autistischen Verblendung in manchen Fällen. Aber bevor ich eben hier doch dann zur Journalistenschelte wieder übergehe, würde ich sagen, angesichts dieser Mechanismen funktioniert unsere Presse eigentlich doch noch erstaunlich gut. Hin und wieder gibt es Opfer spektakulärer Art, aber die sind dann meist selbst Schuld an ihrer Opferrolle.

    Liminski: Glauben Sie, dass die Presse in anderen Ländern fairer ist?

    Bolz: Nein, auf keinen Fall. Diese Mechanismen funktionieren überall, und wenn man etwa mal die gedruckten Nachrichten nimmt, wenn man die Printmedien nimmt, aber auch wenn man das Radio nimmt, da haben wir hier eine Vielfalt in Deutschland und auch eine Differenziertheit im Angebot, von der andere Länder nur träumen können.

    Liminski: Ich nannte eingangs den Bericht des Meutenjournalismus. Würden Sie von einer Kampagne oder Treibjagd gegen den Bundespräsidenten sprechen?

    Bolz: Nun, es sieht wirklich nach einer Meute aus. Allerdings bei genauerer Betrachtung dieses Falles Wulff scheint es mir doch eher so zu sein, dass Wulff sich so tollpatschig verhält, dass er auch noch den letzten journalistischen Jäger hinter dem Ofen hervorlockt und nun tatsächlich alle auf der Jagt sind. Wulff macht es den Leuten auch besonders leicht. Zu einer Kampagne würde eigentlich ein übergeordneter Plan gehören; den kann ich offen gestanden nicht erkennen.

    Liminski: Die Causa Wulff und die Medien. Das war hier im Deutschlandfunk der Kultur- und Medienwissenschaftler Professor Norbert Bolz von der Universität Berlin. Besten Dank für das Gespräch, Herr Bolz.

    Bolz: Sehr gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.