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"Es gibt natürlich immer Vollzugsdefizite"

Sachsen hat vorgeschlagen, Sexual- und Gewalttäter nach ihrer Entlassung in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken. Brandenburgs Justizminister Schöneburg steht dem Vorstoß "nicht ablehnend gegenüber". Er und seine Länderkollegen beraten heute in Halle.

Volkmar Schöneburg im Gespräch mit Silvia Engels | 18.05.2011
    Silvia Engels: In Halle in Sachsen-Anhalt kommen heute die Justizminister der Länder zu ihrer turnusmäßigen Sitzung zusammen. Seitdem das Bundesverfassungsgericht Anfang des Monats die Neuordnung der Sicherungsverwahrung für gefährliche Straftäter verlangt hat, haben die Minister ein Problem, denn die geforderten neuen Therapieangebote, die bessere räumliche Unterbringung, die Kontrolle, all das verlangt Organisation und viel Geld, auch von den Ländern. Ein zweites großes Thema des zweitägigen Treffens ist die Diskussion um eine gesetzliche Frauenquote. Dazu liegt den Ministern ein Bericht vor.

    Auf der Justizministerkonferenz der Länder wird also auch die Sicherungsverwahrung ein Thema sein. Experten erwarten ja, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts viele ehemals sicherungsverwahrte auf freien Fuß kommen könnten, und das wiederum könnte in der Bevölkerung wieder Ängste auslösen, ähnlich wie im nordrhein-westfälischen Heinsberg. Im Frühjahr 2009 waren damals Bürger wochenlang gegen einen zugezogenen entlassenen Sexualstraftäter auf die Straße gegangen, und sie hatten diese Ängste:

    "Ich habe eine Tochter, die wird elf, und davor habe ich Angst, dass ihr was passiert. Die darf nicht mehr alleine auf die Straße, ich bringe sie zum Schulbus, ich hole sie vom Schulbus ab, draußen spielen ist nicht mehr. Man weiß ja nicht, ob die Polizei wirklich 24 Stunden da steht und ihn bewacht." – "Klar ist eigentlich, dass jetzt erst mal so Tabuzonen eingeführt wurden, sprich nicht mehr alleine in den Reitstall, es wird schon geguckt, wo gehst du hin, mit wem gehst du, wer bringt dich dahin und wer holt euch wieder."

    Engels: Bürger aus Heinsberg im Jahr 2009. – Und dieses Umfeld, diese Sorgen waren es wohl, die möglicherweise den sächsischen Justizminister Martens von der FDP dazu veranlasst haben, heute auf der Justizministerkonferenz eine Initiative vorzuschlagen. Danach soll die Bewegungsfreiheit von Sexual- und Gewaltstraftätern nach deren Entlassung eingeschränkt werden. Täter sollen das Umfeld des Opfers verlassen müssen, zum Beispiel indem der Täter wegzieht. – Zugeschaltet ist uns Volkmar Schöneburg, er ist der Justizminister von Brandenburg und gehört der Linken an. Guten Morgen, Herr Schöneburg.

    Volkmar Schöneburg: Ja, guten Morgen.

    Engels: Was sagen Sie zu diesem Vorstoß aus Sachsen, den ich gerade skizziert habe?

    Schöneburg: Gut, wir stehen diesem Vorstoß nicht ablehnend gegenüber, aber er muss natürlich in seinen Auswirkungen und in seiner möglichen Umsetzbarkeit geprüft werden. Wir haben ja gewisse Voraussetzungen mit dem Gewaltschutzgesetz, auch eben Gewalttäter, Sexualtäter von ihren Opfern fern zu halten, von potenziellen Opfern auch fern zu halten. Da gibt es aber natürlich ein Vollzugsdefizit, so sind auch die Signale, die wir hier in Brandenburg aus unseren Frauenhäusern haben. Und zum anderen gibt es offensichtlich Regelungslücken. Gerade bei nicht vorbestraften Tätern, Einmaltätern, ist es eben möglich, dass die sich ansiedeln können, Wohnraum nehmen können in der Nähe ihrer Opfer, und da muss man sehen, dass man eine rechtliche Regelung schafft, um das zu verhindern, weil natürlich diese Traumatisierungen anhalten und dann verstärkt werden und möglicherweise sich andere Komplikationen ergeben.

    Engels: Einige Experten sehen auch eine Kollision mit dem grundgesetzlichen Recht auf freie Wohnungswahl für ehemalige Täter. Sehen Sie die auch?

    Schöneburg: Ja, das ist genau das Problem. Es gibt ja eine sehr restriktive Rechtsprechung dazu und man muss nun ausloten, deswegen ist der Antrag auch allgemein gehalten, was rechtlich möglich ist und wo möglicherweise auch neue Regelungen geschaffen werden. Deswegen soll ja dieser Antrag auch vom Strafrechtsausschuss der Justizministerkonferenz bearbeitet werden und dann muss man schauen, wie das Ergebnis aussieht.

    Engels: Herr Schöneburg, Sie haben gerade gesagt, bei Fällen in anderen Bereichen, wo man das versucht, eben die Täter auf Distanz von den Opfern zu halten, mangelt es auch einfach an dem Vollzug, man kann es also nicht kontrollieren. Wo bleibt denn da der Opferschutz?

    Schöneburg: Na gut, der Opferschutz, der bleibt nicht auf der Strecke. Gerade dieses Gewaltschutzgesetz, was seit 2002 in Kraft ist, stärkt natürlich die Opfer immens, und es ist natürlich immer zu optimieren.

    Engels: Aber wenn es nicht richtig durchgesetzt werden kann, dann stärkt es doch die Opfer nicht so immens?

    Schöneburg: Na ja, gut, es ist ja nicht so, dass es völlig fehl geht. Aber es gibt natürlich immer Vollzugsdefizite. Es gibt nie die optimale Ausführung. Aber es hängt natürlich auch davon ab, wie sensibel die Polizeikräfte arbeiten, wie viele Polizeikräfte man vor Ort hat, um dann auch entsprechend präventiv einzuschreiten.

    Engels: Erwarten Sie denn zu diesem Thema einen Beschluss der Justizminister?

    Schöneburg: Ja. Ich erwarte, dass dieser Vorstoß Sachsens Zustimmung erhält und dann zur Präzisierung der Strafrechtsausschuss der Justizministerkonferenz beauftragt wird, dort Vorschläge zu erarbeiten.

    Engels: Dann schauen wir auf das grundsätzliche Thema Sicherungsverwahrung, das ja ein großes Thema sein muss, schon aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Das hat ja vorgesehen, dass mehr Therapieplätze künftig für nach wie vor für gefährlich gehaltene Straftäter vorgehalten werden müssen, eine andere Unterbringung und die Perspektive auf Wiedererlangung der Freiheit beinhalten. Wie hat sich denn Ihr Land Brandenburg bereits darauf eingestellt?

    Schöneburg: Wir haben konzeptionell schon vorgearbeitet. Wir haben mit Berlin zusammen gesehen, dass man bei der Sicherungsverwahrung in Anbetracht auch des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Dezember 2009 einen völlig neuen Ansatz wählen muss. Wenn man an dieser Maßregel festhält – das ist ja eine Maßregel der Besserung und Sicherung -, dann muss sie anders ausgestaltet werden als eine Strafe, dann dürfen sie nicht einfach nur verwahrt werden, sondern dann muss freiheitsorientiert und therapieorientiert untergebracht werden, und dafür haben Berlin und Brandenburg ein konzeptionelles Papier vorgestellt im Januar diesen Jahres, wir wollen da auch kooperieren, und das ist im Wesentlichen übereinstimmend mit dem, was das Bundesverfassungsgericht auch da vorgegeben hat. Jetzt ist der nächste Schritt, das auch in rechtliche Rahmenbedingungen zu gießen. Es ist jetzt wichtig, dass man schnell auch im Bund die sogenannten Leitlinien zum Vollzug der Sicherungsverwahrung erarbeitet, damit wir uns dann rechtlich da anpassen können und vom Standard her nicht darunter bleiben. Und der dritte Schritt ist dann die Schaffung solcher Einrichtungen. Da müssen aber die Länder kooperieren, was natürlich ein immenser finanzieller Aufwand ist, weil die Sicherungsverwahrung qualitativ völlig neu ausgestaltet werden muss.

    Engels: Wie viel Kosten erwarten Sie denn zumindest für Brandenburg und haben Sie da schon Gelder zurückgelegt?

    Schöneburg: Nein, Gelder habe ich noch nicht zurückgelegt. Es wird jetzt auf die Haushaltsverhandlungen ankommen, dort auch eine gewisse Rücklage zu schaffen. Aber es ist jetzt schwer zu prognostizieren. Wir in Brandenburg haben gegenwärtig acht Sicherungsverwahrte, es werden bis zum Jahre 2020 etwa 20 sein. Das ist natürlich eine Zahl, wo man eine eigenständige Einrichtung gar nicht betreiben kann, sondern man muss jetzt sehen, dass sich mehrere Länder vielleicht auch in einer Art Nordverbund – aber das muss man jetzt auf der Justizministerkonferenz auch ausloten -, dass die sich zusammenschließen. Weil wir müssen auch davon ausgehen, dass die Sicherungsverwahrten keine homogene Gruppe sind, sondern wir gehen davon aus, dass es etwa so drei Primärgruppen gibt, die aber dann unterschiedliche Bedarfe haben, sowohl bezüglich der Sicherheitsvorkehrungen als auch der therapeutischen Angebote. Und wenn Sie sich dann vorstellen können, dass man jetzt die 20 durch drei teilt, dann müsste man ja in Brandenburg drei Einrichtungen schaffen. Das ist schlichtweg gar nicht möglich und deswegen sind wir alle gewissermaßen zur Kooperation da auch verdammt.

    Engels: Nun ist es ja so, dass viele Bürger wenig Verständnis dafür aufbringen, dass so stark auf die Täter, auf die Sicherungsverwahrten geschaut wird. Um dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung Rechnung zu tragen, ist dann als nächster Schritt auch eine elektronische Fußfessel schon beschlussreif?

    Schöneburg: Das ist schon beschlussreif und wird jetzt ja umgesetzt. Deswegen werden wir auf der Justizministerkonferenz ja auch den Vorschlag diskutieren, Sie haben es ja anmoderiert, da eine zentrale Kontrolleinrichtung zu installieren, wo sich alle Länder verbinden. Natürlich muss man aber auch sehen, dass die Fußfessel als Kontrollinstrument auch nicht überstrapaziert wird. Es hat für bestimmte Straftäter eine Bedeutung als eine weitere ergänzende Maßregel der Führungsaufsicht, Maßnahme der Führungsaufsicht, aber es ist natürlich nicht ein Allheilmittel. Aber wir müssen auch generell natürlich sehen, dass man bestimmte Dinge auch nicht dramatisiert. Bei der Anmoderation ist völlig richtig gesagt worden, dass die Sicherheitsempfindungen, Gefühle der Bevölkerung berücksichtigt werden müssen, aber wir müssen auch auf der anderen Seite sehen, dass gerade bei Sicherungsverwahrten die Rückfallquote bei unter zehn Prozent liegt. Also die ist bedeutend geringer als bei normalen Strafentlassenen, wo das zwischen 60 und 90 Prozent sich bewegt.

    Engels: Volkmar Schöneburg, der Justizminister von Brandenburg. Er gehört der Linken an. Vielen Dank für das Gespräch.

    Schöneburg: Bitte schön.