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"Es ist auch ärgerlich, dass wir da keine einheitliche Lösung gefunden haben"

In einige deutsche Städte dürfen ab Januar PKW und Nutzfahrzeuge nur mit grüner Umweltplakette einfahren. Schuld an der unterschiedlichen bundesweiten Handhabung sei der Föderalismus, klagt Verkehrspolitiker Winfried Hermann und fordert ein Förderprogramm für die Nachrüstung von Nutzfahrzeugen.

    Silvia Engels: In den nächsten Wochen müssen sich viele Autofahrer umstellen, wenn es in Richtung Hannover oder Berlin geht, denn ab dem kommenden Jahr dürfen nach einer kurzen Übergangsfrist Autos, die eine gelbe oder eine rote Umweltplakette tragen, nicht mehr in die Innenstädte von Hannover und Berlin fahren. Feinstaubminderung ist das Ziel. Nur noch Wagen, deren Schadstoffausstoß für eine grüne Umweltplakette reichen, haben freie Zufahrt.
    In Berlin dürfen also ab kommendem Jahr nur noch Autos mit grüner Umweltplakette in den Innenstadtbereich fahren. Auch in Hannover wird zum Jahreswechsel die Pflicht zur grünen Plakette eingeführt. Rot und gelb gekennzeichnete Wagen müssen am Stadtrand abgestellt werden, sonst drohen 40 Euro Bußgeld. – Am Telefon ist der Vorsitzende des Verkehrsausschusses des Bundestages, Winfried Hermann von Bündnis 90/Die Grünen. Guten Morgen, Herr Hermann.

    Winfried Hermann: Guten Morgen!

    Engels: Im Beitrag haben wir gehört, dass Berlin durch die Plakettenpflicht gemessen haben will, dass die Rußpartikelbelastung abgenommen hat. Heißt für Sie der Beweis, die Plakette wirkt?

    Hermann: Sicher ist, dass die Plaketten und überhaupt die gesamte Umweltzonenregelung etwas gebracht hat. Sicher ist auch, dass es nicht so viel gebracht hat, wie man sich versprochen hat, als man sich diese Umweltzonen damals ausgedacht hat. Damals hat man natürlich erstens gedacht, dass es nicht so viele Ausnahmen gibt und dass es bundesweit möglichst einheitliche Regelungen gibt, und bundesweit sind dann überall Ausnahmen gemacht worden und das liegt natürlich am deutschen Föderalismus. Es war übrigens damals so – ich war damals dabei, als die gesetzlichen Grundlagen geschaffen wurden -, es war einfach nicht möglich, eine scharfe einheitliche Regelung zu finden. Die Länder waren nicht bereit, so etwas mitzumachen.

    Engels: Sie sprechen es an: Es gibt eine Menge Ausnahmen und es wird ab kommendem Jahr einen richtigen Flickenteppich geben. So dürfen beispielsweise vorerst nach wie vor rote, gelbe und grüne Plaketten in der Großstadt Köln fahren, auch in der Innenstadt. Nur noch Autos mit grünen und gelben Plaketten sind ab dem 1. 1. in Innenstädten von Bremen und Münster zugelassen. Und in Berlin und Hannover – wir haben es gehört – muss unbedingt die grüne Plakette dran sein, um in die Innenstadt zu kommen. Wie soll denn der Bürger hier noch durchblicken?

    Hermann: Das ist natürlich auf den ersten Blick verwirrend und ich sage auch ganz offen, es ist auch ärgerlich, dass wir da keine einheitliche Lösung gefunden haben, denn wenn es eine einheitliche gäbe, dann wüsste jeder Bescheid, jetzt ist nur noch mit der grünen Plakette möglich einzufahren. So ist es halt unterschiedlich, aber es hat natürlich auch Gründe, denn dort, wo die Belastungen hoch sind, kann man auch schärfere Maßnahmen ergreifen als in Städten, wo die Belastungen nicht so hoch sind, das heißt nicht so oft die europäischen Grenzwerte gerissen werden.
    Aber lassen Sie mich mal noch etwas Grundsätzliches sagen. Was natürlich in der deutschen Diskussion auch ärgerlich ist, dass man den Eindruck hat, das Problem ist die Umweltzone oder die komplizierte Umweltzone und nicht das Feinstaubproblem, was dahinter steckt. Das ist ja das eigentliche Problem, dass wir vor allem über den Verkehr in den letzten Jahren viele, viele Feinstäube produziert haben, und man spricht sogar inzwischen von Feinststäuben. Das sind noch kleinere Partikelteile und diese sind nachweislich erheblich gesundheitsschädlich. Europaweit gibt es eine sehr umfängliche Gesundheitsstudie, die nachweist, dass es weit über 300.000 vorzeitige Todesfälle gibt aufgrund von Feinst- und Feinstaubbelastungen in Europa. Deutschland ist da ganz vorne weg und stellen Sie sich mal vor, wenn wir aufgrund eines technischen Fehlers Menschen konkret umbringen würden, was dann der Aufschrei wäre, wenn man nichts täte. Aber weil der Feinstaubtod sozusagen schleichend kommt und eher statistikbelegt ist, nimmt man den nicht wirklich ernst, und das ist eigentlich auch ärgerlich.

    Engels: Das ist auch ärgerlich, aber Feinstaub entsteht nicht nur im Verkehr. Auch im Haushalt, beispielsweise durch Drucker und ähnliche Geräte, entsteht er auch. Dort, hat man das Gefühl, wird nicht so scharf vorgegangen, sondern ausgerechnet im Verkehr. Wo sind wir da noch bei dem Punkt der Einheitlichkeit, sowohl was diese Maßnahmen angeht, aber auch mit Blick auf den Versuch, die Einheitlichkeit in den verschiedenen Kommunen doch noch herzustellen? Versuchen Sie da etwas?

    Hermann: Die neue Bundesregierung hat ja in ihrem Koalitionsvertrag sich vorgenommen, diese Uneinheitlichkeit etwas zu bekämpfen. Allerdings zielt sie eher auf einheitliche Ausnahmeregelungen. Besser wäre es, wenn wir einheitliche Regelungen insgesamt hätten, wo klar gesagt ist, dass Autos, die eine bestimmte Schadstoffklasse haben – in der Regel sind das ältere Fahrzeuge; um im Klartext zu reden: Wir reden ja oft über Autos, die 12 und mehr Jahre alt sind und die übrigens in aller Regel nachgerüstet werden können. Sie haben das zwar in Ihrem Bericht angesprochen, dass es manchmal kompliziert ist, aber in zwischen gibt es nahezu für jedes Auto, was nicht gerade uralt ist, eine Nachrüstmöglichkeit, einen Feinstaubfilter einzubauen, und viele tun einfach so, als wäre das total unmöglich. Wie gesagt, der Gesetzgeber hat ja dann auch an vielen Stellen die Möglichkeit eröffnet, Ausnahmen zu machen. Davon machen die Städte unterschiedlich Gebrauch.
    Es ist ein Grundproblem im deutschen Föderalismus. Wenn ich einer Kommune oder einem Land überlasse, wie man den Feinstaub bekämpft, kommen eben unterschiedliche Regelungen heraus.
    Lassen Sie mich noch ein Wort sagen zu den anderen Belastungen. Richtig ist, dass der Verkehr nicht die einzige Belastung ist. Natürlich gibt es Emissionen auch in der Industrie. Aber auch dort ist etwas getan worden. Auch dort hat es Verschärfungen gegeben, nur hat man die nicht so wahrgenommen, weil nicht jeder sozusagen eine Industrieanlage besitzt. Es gibt natürlich auch Verschärfungen im Bereich der Emissionen, wie wir sie etwa aus den Kaminöfen oder aus den Holzfeuerungsanlagen kennen. Auch da ist was unternommen worden. Also es ist nicht so, dass nur die Autofahrer eingeschränkt wurden, aber klar ist auch, dass in den Großstädten und Ballungsräumen die Schadstoffe vor allen Dingen aus dem Verkehr kommen.

    Engels: Gerade Gewerbetreibende klagen über eine Benachteiligung. Sie sehen auch die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt. Beispielsweise sind viele Kleinlaster, mit denen Gewerbetreibende unterwegs sind, mit Dieselbetrieb ausgerüstet, zum Teil auch noch nicht mal so alte Wagen, aber sie erfüllen die Normen nicht und müssen eine gelbe Plakette tragen. Müssen hier dann vielleicht noch mehr Ausnahmen her?

    Hermann: Nein, ich bin ganz und gar nicht der Meinung. Je mehr Ausnahmen wir machen, desto mehr zerschießen wir dieses Instrument der Umweltzone. Anschließend kommen dann dieselben Leute, die für Ausnahmen waren, und sagen, das bringt ja alles nichts. Ein Punkt, warum die Umweltzonen nicht wirklich so wirksam sind, wie man sich das vorgestellt hat, sind eben die zahllosen Ausnahmeregelungen. Es sind ja nicht nur die Fahrzeuge, sondern beispielsweise in meinem Wahlkreis Tübingen und dem Nachbarwahlkreis Reutlingen, da ist es so, dass die Hauptstraßen, die Hauptachsen ausgenommen sind aus der Umweltzone. Das heißt dort, wo am meisten Feinstaub produziert wird, das wird gar nicht reingenommen. Was Ähnliches hat die Stadt Stuttgart gemacht. Es sind zum Teil Straßen, die ausgenommen werden, es sind bestimmte Fahrzeuge, die ausgenommen werden. Nein: Was wichtig wäre, das wäre ein umfassenderes Förderprogramm zur Nachrüstung. Wir Grünen haben unter rot-grüner Regierungszeit versucht, da ein umfassendes Programm aufzulegen. Das ist damals aufgrund des Regierungswechsels nicht zustande gekommen und die Nachfolgeregierungen haben das allesamt bisher versäumt, ein wirklich üppiges und gut funktionierendes Nachrüstungsprogramm aufzulegen. Man hat für viele andere Bereiche, für die Abwrackprämie hat man Milliarden rausgehauen ohne jede Umweltauflage. Man hätte mit ein paar Hundert Millionen ein umfassenderes Förderprogramm für Nutzfahrzeuge wie für PKW machen können. Bei PKW gibt es eine Möglichkeit, die ist nicht schlecht, aber bei Nutzfahrzeugen hätte man eine deutlich bessere Regelung machen können.

    Engels: Wir werden demnächst 40 Umweltzonen haben mit verschiedenen Regelungen, je nach rot-gelb-grüner kommunalen Regelung. Schmälert das grundsätzlich die Akzeptanz der Plakette?

    Hermann: Ja. Für die Bürger ist es so: Sie leben oft großräumig und sehen nicht ein, dass es kleinräumig geregelt wird. Deswegen kann ich nur sagen, wir werden in diesem Jahr sicherlich im Umwelt- und im Verkehrsausschuss – da sind zwei Ausschüsse zuständig – uns des Problems noch mal annehmen müssen, also im kommenden Jahr 2010, damit vielleicht doch der Weg eröffnet wird, wenigstens eine grobe Vereinheitlichung zu schaffen, damit eben insgesamt die Akzeptanz steigt. Aber wir müssen auch deutlich mehr aufklären, wenn wirklich die Leute denken, da ärgert mich der Staat wegen der Plakette. Aber eigentlich ist der Staat nach europäischem Recht verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Menschen nicht geschädigt werden, und es gibt eben kein Grundrecht auf Schädigung mit einem alten Auto, sondern es gibt ein Grundrecht auf gesunde Luft und gesunde Lebensbedingungen. Das muss der Staat herstellen, das ist die Verpflichtung durch Gesetz und durch europäisches Recht.

    Engels: Winfried Hermann von Bündnis 90/Die Grünen, er ist der Vorsitzende des Verkehrsausschusses des Bundestages. Wir sprachen über die Ausweitung der Umweltzonen und das Plakettendurcheinander ab kommendem Jahr. Vielen Dank für das Gespräch.

    Hermann: Ich danke auch. Schönen Tag!

    Engels: Ihnen auch.