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"Es ist das erste Mal, dass so etwas für ein Kunstwerk gemacht wurde"

Christos neues Projekt heißt "Over the River". Diesmal soll ein Wildwasserfluss in Colorado verhüllt werden - erstmals wird ein solches Projekt auf Umweltverträglichkeit geprüft.

Von Martin Tschechne |
    Die Unterlagen zum Antrag umfassen 2029 Seiten. Ein Exemplar liegt in Christos Wohnung auf dem Fußboden neben dem Sofa. Wenn der Künstler sich zu ihm hinunterbeugt, muss er stöhnen: Anderthalb Millionen Dollar haben er und seine Frau in den dicken Papierstapel gesteckt - und weil es bei Christo und Jeanne Claude immer so war: alles aus ihrer eigenen Tasche. Denn nie wollte das Künstlerpaar jemandem verpflichtet sein, nie jemandem zur Last fallen. Am allerwenigsten der Umwelt.

    "Wir haben fast vier Jahre an dieser Umweltverträglichkeitsstudie gearbeitet. Es ist das erste Mal, dass so etwas für ein Kunstwerk gemacht wurde. Bisher gab es solche Studien in den USA nur beim Bau von großen Gebäuden, Autobahnen, Brücken. Oder wenn im Ozean nach Öl gebohrt werden sollte. Aber jetzt war dieser umfangreiche Antrag nötig, weil es um öffentliches Gebiet geht."

    "Over the River" heißt das Projekt, "Über den Fluss". Die Idee dazu kam Christo und Jeanne-Claude, als sie 1985 in Paris die Brücke Pont Neuf verhüllten. Da stand das Künstlerpaar auf einem Floß und sah zu, wie ihre Helfer die riesigen Stoffbahnen über die Brücke zogen. Die Spiegelungen im Wasser der Seine, die Sonne, die durch den Stoff schimmerte – es muss wunderschön gewesen sein. Nun also soll sich das Licht der Sonne auf knapp zehn Kilometern Länge zwischen schroffen Felswänden über dem Arkansas River im Bundesstaat Colorado spiegeln. Aber die zuständige Behörde, das "Bureau of Land Management", macht sich die Entscheidung nicht leicht.

    "Über den Antrag wird 45 Tage lang öffentlich beraten. Menschen aus der ganzen Welt und den USA können schreiben oder per E-Mail ihre Meinung zu dem Projekt äußern. Das werden viele tausend Kommentare sein. Die Behörde wird sie prüfen – welche Auswirkungen hat das Projekt auf Verkehr oder Wirtschaft, auf die Tiere der Region, welcher Abfall entsteht? Im Frühjahr dann kommt die Entscheidung."

    Die Frist läuft, Einsendeschluss für Argumente pro oder contra "Over the River" ist Ende August. Vorher aber werden auch die Anwohner noch gehört. In vier öffentlichen Anhörungen – eine in Denver, der Hauptstadt von Colorado, und drei in der Nähe des Flusstals 60 Kilometer südlich – können sie ihre Zustimmung oder Ablehnung begründen; jeder Bürger hat dafür zwei Minuten. Und dann, wenn alles gut geht, dann kann Christo zeigen, was er und Jeanne-Claude sich seit 25 Jahren gemeinsam ausgemalt haben: einen Fluss zwischen schroffen Felsen, der für ein paar Tage unter silbrig schimmerndem Gewebe verschwindet und dadurch – wie die früheren Projekte auch – überhaupt erst sichtbar wird: als ein Stück freie, unverfälschte und kostbare Natur.

    "'Over the River' ist ein Sommerprojekt. Wir wollen auf die Rafting-Freunde warten. 300.000 von ihnen kommen jeden Sommer zum Arkansas River. Es ist eine sanfte Fahrt den Fluss hinunter, nicht so wild wie auf dem Colorado River. Wer mag, kann sich auch fahren lassen. Wir haben um zwei Wochen im August gebeten. Wenn wir nächstes Jahr eine Genehmigung bekommen, dann brauchen wir anderthalb Jahre für die Umsetzung. Das heißt: 2013. 2012 wäre zu früh. Also: Wir warten auf den Sommer 2013."