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"Es ist definitiv dreckiger, rauer und heftiger"

Sigur Rós sind die großen Unbekannten: Die Band aus Island feiert gigantische Erfolge, füllt die größten Hallen der Welt - aber gibt kaum Interviews und präsentiert sich völlig gesichtslos. Und das ist auch gut so, findet Sänger Jon Thor Birgisson: "Wir können uns immer noch völlig frei bewegen."

Das Gespräch führte Marcel Anders |
    Marcel Anders: Herr Birgisson, Ihr neues Album "Kveikur" ist eine abenteuerliche Mischung aus Industrial-Rock und Orchester-Bombast, die Sie selbst als "Heavy Metal" bezeichnen.

    Jon Thor Birgisson: Warum nicht? Es ist definitiv dreckiger, rauer und heftiger als unsere früheren Alben. Im Sinne von aggressiver. Wobei der Fokus ganz klar auf dem Schlagzeug und dem Bass liegt, was ich persönlich sehr mag. Sie stehen mehr im Vordergrund als in der Vergangenheit.

    Anders: Warum die Kurskorrektur?

    Birgisson: Weil uns das an diesem Punkt unserer Karriere sehr wichtig erschien. Denn unsere bisherigen Platten waren alle sehr ähnlich und insofern vielleicht auch auf Sicherheit bedacht. Als dann Kjartan, unser Keyboarder, ausgestiegen ist, war das die perfekte Gelegenheit, um ein bisschen auszuscheren und das exakte Gegenteil von dieser Ambient-Seite anzupeilen.

    Anders: Das heißt: Es sind personelle Veränderungen, die so gravierende Auswirkung haben?

    Birgisson: Ich denke schon. Wobei es merkwürdig ist, dass er uns überhaupt verlassen hat. Schließlich war er viele Jahre bei uns. Und Sigur Rós gibt es ja schon seit 1994. Im nächsten Januar sind es 20 Jahre. Was verrückt ist.

    Anders: Wie begehen Sie dieses Jubiläum?

    Birgisson: Wir feiern unseren Geburtstag immer am 4. Januar. Wir ziehen unsere besten Klamotten an und gehen schick essen. Wobei es diesmal noch etwas größer werden könnte. Vielleicht engagieren wir ja Coldplay, um an dem Abend für uns zu spielen. Das wäre nett.

    Anders: Wobei Sie - trotz aller Veränderungen - an einem Markenzeichen festhalten: eine Fantasiesprache namens Hopelandic. Was hat es damit auf sich?

    Birgisson: Zunächst einmal ist es reine Faulheit. Aber es fühlt sich auch sehr natürlich an, weil es dabei einzig und allein um den Sound geht. Und dieser Ansatz entspricht dem Moment, da du einen Song schreibst und ihn zum ersten Mal singst - also quasi nach einer Gesangsmelodie suchst. Es ist das Erste, was dir dabei in den Sinn kommt.

    Nur: Auf Dauer kann sich das durchaus monoton anfühlen, weil es halt immer dasselbe ist. Insofern ist es ein zweischneidiges Schwert: Es ist leicht, so zu singen, es fühlt sich natürlich und gut an, aber vielleicht wäre es manchmal doch interessanter, echte Texte zu verwenden.

    Anders: Seltsamerweise scheint das dem Publikum egal zu sein. Selbst in den USA knacken Sie regelmäßig die Top 10 und füllen sogar den New Yorker Madison Square Garden. Kommt Ihnen das nicht seltsam vor?
    Birgisson: Es ist interessant. Und wenn man darüber nachdenkt, auch ein bisschen lustig. Aber vielleicht liegt es ja daran, dass unsere Musik fließender und verträumter ist als normaler Pop und Rock. Und das erleichtert es uns wiederum, Texte in jeder beliebigen Sprache zu verwenden.

    Denn die Zuhörer warten einfach mit ihrer eigenen Bedeutung und Übersetzung auf. Sie lassen da Teile ihres Lebens und ihrer Erfahrung einfließen. Wobei ich nicht viel anders bin: Ich achte auch nicht so sehr auf den Gesang, sondern nur darauf, welches Gefühl die Musik in mir auslöst.

    Anders: Wie erklären Sie sich demnach Ihren Erfolg der letzten 20 Jahre, der Sie zu Islands erfolgreichstem Exportartikel macht?

    Birgisson: Wir reden eigentlich nie groß darüber. Also warum wir akzeptiert, berühmt oder was auch immer sind. Und ich lese auch keine Kritiken oder Kommentare, die im Internet, in Zeitungen oder Magazinen über uns veröffentlicht werden. Ich denke, es ist gesünder, sich davon fernzuhalten.

    Ich erinnere mich zum Beispiel an unsere allererste Show in London. Da habe ich anschließend eine Besprechung gelesen, in der es hieß, das Konzert sei viel zu lang gewesen, und wir wären eine dröge Version von Pink Floyd. Danach habe ich nie wieder etwas über uns lesen wollen. Und es ist gut, das nicht zu tun.

    Denn wer weiß, vielleicht haben wir ja nur deshalb so lange durchgehalten - und leben immer noch auf Island. Ein toller Ort, an dem es kaum Menschen gibt. Nämlich gerade Mal 300.000. Und wir haben hier keine Plattenfirma und kein Management, die uns nerven. Von daher ist es perfekt, um seine innere Batterie aufzuladen und zwischen Alben und Tourneen auszuspannen.

    Anders: Werden Sie nicht erkannt und angesprochen?

    Birgisson: Vielleicht ein bisschen mehr als früher, aber wir können uns immer noch völlig frei bewegen, was cool ist. Und wenn ich mal so etwas wie einen Popstar-Moment hatte, dann als ich die Musik für "We Bought A Zoo", einen Film von Cameron Crowe, geschrieben habe. Da war ich mit meinem Partner Alex auf einer Party, zu der auch Scarlett Johansson erschien. Sie kam tatsächlich auf mich zu und meinte: "Ich kann nicht glauben, dich hier zu treffen. Das macht mich ganz verlegen." Denn wie sich herausstellte, ist sie ein großer Fan unserer Musik. Und es war lustig, einen Superstar zu treffen, der plötzlich ganz schüchtern wird.

    Anders: Kein Wunder: Sigur Rós sind mittlerweile eine feste Größe in Hollywood - weil Ihre Musik in unzähligen TV-Serien und Spielfilmen auftaucht. Und Sie - laut Cameron Crowe - der Traum eines jeden Regisseurs sind.

    Birgisson: Wir sind der feuchte Traum eines jeden Regisseurs. Was an der cineastischen Qualität unserer Musik liegt. Wir mögen Filme und das Kino an sich. Und wir haben zum Beispiel mit Guillermo del Toro gesprochen - dem Regisseur von "Pans Labyrinth". Wir sind große Fans von ihm, und es wäre nett, eines Tages mit ihm zu arbeiten. Wir haben sogar schon mal über ein gemeinsames Projekt gesprochen, das aber leider nicht geklappt hat. Und was typisch Hollywood ist: Da werden Filme genauso schnell verworfen, wie sie erdacht werden. Auch, wenn es da ein paar wirklich interessante Leute gibt. Darren Aronofsky zum Beispiel. Und noch ein paar andere Regisseure, mit denen das Arbeiten großen Spaß machen würde.

    Anders: Demnach könnte es passieren, dass Sie demnächst nach Hollywood ziehen und sich auf das Vertonen von Filmen verlegen?

    Birgisson: Ich ziehe nach LA, Baby! Im Ernst: Ich hätte wirklich nichts dagegen, mal für ein Jahr in Amerika zu leben. Schließlich bin ich schon, so lange ich denken kann, hier in Reykjavik. Und mal etwas anderes zu probieren - vielleicht Los Angeles - wäre für mich definitiv sehr gesund.

    Anders: Nebenbei gelten Sie als Experte für gesunde Ernährung - mit Ihrem eigenen Kochbuch, dem "Good Heart Recipe Book". Sind Sie ein sogenannter Foodist?

    Birgisson: Wenn ich mal zu Hause bin, verbringe ich viel Zeit in der Küche. Heute habe ich zum Beispiel rohen Kakao gekauft, der wie Butter ist. Dazu Nüsse, Kokosnuss-Palmzucker und Vanillepuder. Daraus mache ich rohe Schokolade, die nicht über eine bestimmte Temperatur erhitzt wird. Was gut für den Körper ist. Und gestern Abend habe ich Hunderte von Mandeln gepellt und in einer richtig guten Soße aus Chili, Cheyennepfeffer und Tomatenmark eingelegt. Die verarbeite ich im Entfeuchter zu Chilinüssen. Was jetzt vielleicht ein bisschen nerdig klingt, aber es ist ein großer Spaß.

    Anders: Also streng vegetarisch oder sogar vegan?

    Birgisson: Ich bin eher eine Art milder Vegetarier. Zumindest auf Tour. Früher habe ich zwei Jahre lang nur von Rohkost gelebt. Was noch extremer ist als eine rein vegane Ernährung. Aber ich habe damit aufgehört, weil es auf Dauer zu viel Arbeit war - und nicht gut für mein soziales Leben. Ich habe mit meinem Mixer im Hotelzimmer gesessen, eine grüne Suppe gemacht und mich völlig isoliert. Von daher bin ich jetzt eher ein entspannter Vegetarier. Was nichts anderes bedeutet, als eine Menge Mist essen zu können. Also viel Kaffee und richtig schlechtes Essen.

    Anders: Zum Ende noch eine Frage zu Ihrer Bühnenshow, mit der Sie im November auch wieder nach Deutschland kommen. Wie wichtig ist die visuelle Komponente, die inzwischen Ausmaße wie bei Pink Floyd annimmt?

    Birgisson: Sie wird wirklich immer anspruchsvoller. Aber schließlich ist es ja auch nett, die Menschen auf unterschiedliche Weise zu stimulieren. Also Ohren und Augen gleichzeitig. So haben wir es von Anfang an gehalten, und eine Art Traumwelt kreiert. Mal abgesehen davon, ist es als Musiker auch angenehmer, wenn dich die Leute nicht permanent anstarren, sondern noch etwas anderes haben, das sie beobachten können."

    Anders: Wobei Sie wie in Trance wirken. Wo sind Sie, wenn Sie auf der Bühne stehen?

    Birgisson: An unterschiedlichen Orten. Manchmal spiele ich mit der Band, habe eine gute Zeit und bin mir vollkommen bewusst, dass ich gerade auf einer Bühne stehe. Manchmal bin ich aber auch komplett weggetreten und ganz woanders. Oder ich habe eine schlimme Zeit, weil der Sound schrecklich ist und ich mir wünschte, ich könnte woanders sein. Aber es kommt auch vor, dass ich einfach an die Pizza nach der Show denke.

    Anders: Vielen Dank für das Gespräch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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