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"Es ist die letzte Chance, die Griechenland eingeräumt bekommen hat"

Auch wenn griechische Gewerkschaften fleißig gegen Sparpläne protestieren lassen: Die Mehrzahl der Hellenen habe verstanden, dass es so nicht mehr weitergehe, sagt Jens Bastian.

    Stefan Heinlein: "Griechenland unter Schock", so die ersten Meldungen zu Beginn der Woche. Sprachlos reagierten viele Griechen zunächst auf das harte Sparpaket der Regierung, doch nun scheint sich die Schockstarre zu lösen. Der Widerstand formiert sich, für heute haben die Gewerkschaften zu einem Generalstreik aufgerufen. Die Wut richtet sich nicht nur gegen die Pläne der Regierung Papandreou, auch die Euro-Länder und insbesondere Deutschland werden verantwortlich gemacht für das ganze Ausmaß der griechischen Misere.
    In der griechischen Hauptstadt begrüße ich jetzt den Wirtschaftswissenschaftler Jens Bastian vom Athener Forschungsinstitut Eliamep. Guten Morgen nach Athen!

    Jens Bastian: Guten Morgen!

    Heinlein: Herr Bastian, heute also Generalstreik in Griechenland. Unser Korrespondent hat es soeben berichtet. Haben die Griechen den Ernst der Lage überhaupt nicht verstanden?

    Bastian: Doch, den haben sie, glaube ich, sehr gut verstanden und die vergangenen Wochen und Monate zeigen auch innerhalb der griechischen Bevölkerung einen einsetzenden Mentalitätswandel, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Und wie sie selber eben in dem Beitrag auch angedeutet haben: Die Beteiligung an Streiks und Demonstrationen ist geringer als erwartet.

    Heinlein: Also es streikt nur eine Minderheit und die Mehrheit ist bereit, dauerhaft den Gürtel enger zu schnallen, so Ihre Meinung?

    Bastian: Das muss sie auf jeden Fall, und diese Mehrheit hat auch verstanden, so geht es nicht mehr weiter, und vor allen Dingen hat diese Mehrheit zum Ausdruck gebracht, dass sie darauf setzt, wenn ich meinen Beitrag dazu leiste, muss auch gewährleistet sein, dass der Nachbar, dass derjenige, der bisher Steuern hinterzogen hat, endlich auch seinen Beitrag leistet, und entsprechend es eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung ist, hier gemeinsam den Gürtel enger zu schnallen.

    Heinlein: Wird die griechische Regierung also die Kraft haben, den jetzt beschlossenen Sparkurs dauerhaft durchzuhalten, auch gegen den Widerstand der Gewerkschaften, der sich ja heute ganz massiv dann formiert?

    Bastian: Der wird heute massiv sein und es gibt eine große Frustration in der Bevölkerung, in der Tat, aber die Regierung kann das alleine aus eigener Kraft nicht mehr schaffen. Hier geht es darum, dass es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, und dazu gehört auch, dass die Gewerkschaften sich als Teil nicht des Problems, sondern der Lösung verstehen. Es ist auch wichtig festzustellen, dass die größte Oppositionspartei, die noch vor sechs Monaten in der Regierung war, dass auch sie sich ihrer Verantwortung stellt und die Regierung bei diesen Maßnahmen unterstützt.

    Heinlein: Wie groß sind denn die Aussichten, dass auch die Gewerkschaften lernen, es muss gespart werden?

    Bastian: Mein Eindruck ist, dass die Gewerkschaften feststellen, trotz Protest und Demonstrationen, dass ein großer Teil ihrer Basis sich eher nicht an diesen Protesten beteiligt und dass viele Menschen in der griechischen Öffentlichkeit ganz andere Probleme haben, Alltagsherausforderungen zu bewältigen, als sich darüber Gedanken zu machen, an welchem Streik werde ich mich jetzt wieder beteiligen, denn wir streiken bereits ja seit Anfang des Jahres wiederholt. Viele Menschen haben ganz andere handfeste Probleme: Wie gehe ich mit den Kürzungen um, was bleibt im Geldbeutel am Monatsende, wie kann ich die Hypothekenrate bezahlen oder das Schulgeld meiner Kinder.

    Heinlein: Wäre dennoch, Herr Bastian, eine Staatspleite nicht die bessere Alternative gewesen? Der Lerneffekt wäre unter dem Strich wahrscheinlich deutlich nachhaltiger gewesen.

    Bastian: Es gibt bereits heute sehr große Nachhaltigkeit am Lernen in der griechischen Gesellschaft. In vielerlei Hinsicht ist die griechische Gesellschaft in einer anderen Weise zwar nicht bankrott, aber dass sie gemerkt hat, so geht es nicht mehr weiter, wir müssen hier eine Wende einleiten. Das hat die Regierung in einer neuen Art von auch Transparenz gegenüber der Bevölkerung kommuniziert. Jetzt geht es darum, dass es in einer Kultur des Runden Tisches zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe gehört, gemeinsam zu Lösungen zu kommen.

    Heinlein: Sie leben und arbeiten, Herr Bastian, seit über zehn Jahren in Griechenland, wissen also, was die Griechen denken. Wie groß ist die Gefahr, dass man nun meint, es ist ja alles nicht so schlimm, wir gehen nicht Pleite, die Gelder kommen aus dem Ausland und wir können deshalb nach einer Weile so weitermachen wie bisher?

    Bastian: Das ist genau der Effekt, der nicht eintreten darf, und ich bin eher begrenzt optimistisch, dass es nicht so kommen wird, denn in der Tat fangen bereits jetzt die Griechen an, sich darauf vorzubereiten, wenn der IWF, oder die Europäische Zentralbank, die Kommission nicht mehr vor Ort sein werden, um zum Beispiel durch internationale Hilfsmaßnahmen Griechenland unter die Arme zu greifen. Es muss bereits über den Tag hinausgedacht werden, was ist in drei oder fünf Jahren. Das hier ist eine Generationenaufgabe. Es ist die letzte Chance, die Griechenland eingeräumt bekommen hat. Sie muss nach diesem Strohhalm greifen.

    Heinlein: Begrenzt optimistisch, so Ihre Einschätzung, aber die Griechen gelten ja als besonders talentiert, als besonders geschickt, bei Gesetzen, die von oben kommen, am Ende Schlupflöcher zu suchen, um doch noch ungeschoren davon zu kommen.

    Bastian: Damit ist es jetzt vorbei. Das erleben wir immer wieder in den vergangenen Monaten. Steuerhinterziehung, die oft ein Volkssport in Griechenland war. Die Griechen sind nicht nur Opfer von Steuerhinterziehung geworden, sondern oft auch Komplizen. Aber ich erlebe immer wieder jetzt, wie Steuerbehörden nun anders kontrollieren, Präsenz zeigen, wie der Apparat auch sichtbar auf der Straße kontrolliert: haben sie die Quittungen bekommen, ist es in der Tat bei ihrer Jahreseinkommenssteuererklärung mit rechten Dingen zugegangen. Ich erlebe hier einen einsetzenden Mentalitätswandel, und diese Gehversuche, die müssen Nachhaltigkeit gewinnen. Das kann man nur mit einem gesellschaftlichen Konzept.

    Heinlein: Nachhaltigkeit, sagen Sie. Dazu gehören wahrscheinlich auch notwendige Strukturreformen im öffentlichen Dienst und im gesamten Wirtschaftsgefüge des Landes?

    Bastian: Da haben Sie völlig Recht, und diese Strukturreformen sind für mich das eigentlich wichtige Standbein dieser Strukturmaßnahmen, die seit Sonntag angekündigt worden sind. Ein Beispiel: Liberalisierung, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Wir haben viel zu sehr in Griechenland kartellmäßige Bildung von einzelnen Arbeitsgruppen, Architekten oder auch Rechtsanwälten, Taxifahrern, wo die Zugangschancen für eine junge Generation sehr begrenzt sind, in diesen Sektoren Arbeit zu finden. Hier hat die Regierung angekündigt, diese Kartelle werden nun aufgespalten, damit endlich Eintritts- und Aufstiegschancen vorhanden sind.

    Heinlein: Also es müssen in Griechenland viele heilige Kühe geschlachtet werden?

    Bastian: In der Tat! Damit hat man angefangen und diese Zöpfe werden geschnitten, und mein Eindruck ist, diese Chance ergreift dieses Land. Diese Chance ist auch, dass dieses Land die Ressourcen sieht, die es hier in der Tat noch in der Hand hält, und mein Eindruck ist, mit Unterstützung der europäischen Partner, mit einer klaren Kontrolle und auch Transparenz ist es hier möglich. Wir müssen über die Finanzdiskussion hinausgehen zu Strukturreformen, Mentalitätswandel, dass Griechenland auch sich seiner Verantwortung für Europa bewusst sein muss, denn das, was wir jetzt erleben, ist ja schrittweise schon eine Ausdehnung dieser Krise auf andere Länder. Hier muss Griechenland auch zeigen, dass es mit gutem Beispiel vorangehen kann.

    Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk der Wirtschaftswissenschaftler Jens Bastian vom griechischen Forschungsinstitut Eliamep. Ich danke, Herr Bastian, für das Gespräch und auf Wiederhören nach Athen.

    Bastian: Auf Wiederhören! Danke.