Dirk-Oliver Heckmann: Wir haben ja bereits über die Ergebnisse des EU-Gipfels berichtet. Der Euro-Rettungsschirm ESM ist auf den Weg gebracht, ebenso wie der sogenannte Fiskalpakt. Mein Kollege Martin Zagatta hat gestern Abend gesprochen mit Joachim Fritz-Vannahme, er ist Leiter der Europaprojekte der Bertelsmann-Stiftung. Seine erste Frage an ihn, ob diese Fiskalunion jetzt ein Wendepunkt sein kann, hin zu einer Lösung der Schuldenkrise?
Joachim Fritz-Vannahme: Ich glaube, einen Wendepunkt darin zu vermuten, ist noch ein bisschen früh. Da stehen ja noch ein paar Antworten aus, also die Antworten der ominösen Finanzmärkte etwa, aber auch durchaus der beteiligten internationalen Stellen – ich denke da etwa an Frau Lagarde vom Internationalen Währungsfonds, oder auch an Zoellick, den Präsidenten der Weltbank -, die ja im Vorfeld die Europäer und da ganz besonders die Kanzlerin Merkel sehr heftig dazu gedrängt haben, noch mehr zu tun als das, was bisher getan worden ist. Wenn wir vielleicht mal für einen Augenblick inne halten: Wenn Sie mich vor zwei Jahren gefragt hätten, ob ich mir so was vorstellen kann, was da jetzt am entstehen ist, dann hätte ich gesagt, eigentlich äußerst unwahrscheinlich, glaube ich wirklich nicht dran. Inzwischen hat man sich an einiges gewöhnt und das zeigt, in welchem rasanten Wandel hier diese Europäische Union und da ganz besonders natürlich die Länder des Euro sind. Aber ob das dann hinterher auch wirklich hält, ob das sauber verleimt ist, da sind doch durchaus Zweifel berechtigt.
Ich will es mal an einem Beispiel sagen. Die Beschlüsse, die hier gefällt worden sind unter dem Stichwort Wettbewerbsfähigkeit stärken, Wachstum ermöglichen, sind ja im Grunde genommen nur Spielereien zwischen verschiedenen Posten im EU-Budget, die sowieso schon eigentlich akkordiert waren und jetzt einfach nur besser eingesetzt werden sollen. Wenn wir auf Griechenland schauen: Allein die Entschuldung Griechenlands wird viele, viele Jahre in Anspruch nehmen. Bis Griechenland wieder eine wachstums- und wettbewerbsfähige Wirtschaft präsentieren kann, wird wahrscheinlich noch längere Zeit dauern. Also die Beschlüsse, die wir hier gerade präsentiert bekommen haben, im Falle Griechenlands etwa, werden erst in vielen, vielen Jahren wirklich greifen und den Beweis ihrer Richtigkeit antreten können.
Martin Zagatta: Gefeiert wird von deutscher Seite – so hat sich die Kanzlerin, so hat sich Frau Merkel am Abend auch ausgedrückt – vor allem diese sogenannte Fiskalunion. Da hatten wir aber mit den Maastricht-Kriterien doch schon ganz ähnliche Vereinbarungen oder Vorschriften, die nicht eingehalten wurden und dann auch nicht durchgesetzt wurden. Warum sollte das diesmal anders sein?
Fritz-Vannahme: Ja, Ihr Zweifel in der Frage ist vollkommen berechtigt, ich habe den auch. Es ist eine stärkere Verpflichtung zur Selbstdisziplin und dann natürlich auch in einem sehr deutschen Denken der Versuch, all das vor den Kadi, vor den Richter, in dem Fall vor den Europäischen Gerichtshof bringen zu können. Aber wer ohne Sünde ist unter euch, der werfe den ersten Stein, das ist doch jetzt das Bauprinzip. Es muss ein Mitgliedsstaat einen Mitgliedsstaat vor den europäischen Richter ziehen, um hinterher die Wirksamkeit hier dieses ganzen Verfahrens zu testen. Also da kann man doch berechtigte Zweifel haben.
Der große Unterschied gegenüber den Zeiten der Maastricht-Kriterien ist etwas, was ja nicht in diesem Teil der Beschlüsse heute drin ist, sondern in dem anderen Teil, der den europäischen Stabilitätsmechanismus betrifft. Da ist natürlich eine Kollektivhaftung inzwischen erreicht worden, die weit über das Denken von früher hinausgegangen ist. Aber da wie gesagt gilt meine Einschränkung von vorher: Da müssen wir erst mal warten, wie die ominösen Finanzmärkte darauf reagieren und ob das tatsächlich wenigstens bis zum nächsten Gipfel im März, der ja schon in vier Wochen ansteht, wie richtig gesagt wurde, hält.
Zagatta: Herr Fritz-Vannahme, mit den Beschlüssen jetzt von heute Abend haben wir neben der EU noch die Euro-Gruppe, dann jetzt auch noch die Gruppe der 25. Wird das jetzt ein Kuddelmuddel, oder wie fallen da künftige Entscheidungen aus?
Fritz-Vannahme: Ja, ein bisschen kompliziert wird es für den Anfang schon, aber ich sehe bei den 25 doch einen starken Willen zur Gemeinsamkeit. Und all das, was dann so an Klein-Klein da noch zu regeln ist, wer da wann wie dabeisitzen darf und zuhören und vielleicht auch am Ende abstimmt, das sollen die mal unter sich regeln. Ich glaube, was wir im Augenblick erleben, ist tatsächlich ein Evolutionsschub in der Geschichte der Europäischen Union, der sehr, sehr stark sein kann, der immerhin Gott sei Dank 25 betrifft. Also man muss nicht die Angst vor einer Spaltung der Union in eine Kernunion und eine Restunion mehr haben. Hier haben sich zwei an die Außenlinie gestellt, nämlich die Briten und die Tschechen, beide aus ihrer Sicht mit guten Gründen – wie lange diese Gründe haltbar sind, wollen wir dann auch mal sehen -, aber 25 sind zusammen geblieben und haben das ganze Konstrukt in all seinen Teilen unterschrieben und damit doch eigentlich sehr, sehr stark ihren Willen zur Gemeinsamkeit, auch zur Solidarität erst mal bekräftigt.
Zagatta: Wenn Sie jetzt das Wahlvolk ansprechen – Griechenland braucht ja noch mehr Geld, kommt mit seinen Sparanstrengungen offenbar nicht voran. Kann Kanzlerin Merkel der deutschen Bevölkerung da überhaupt noch verkaufen, dass die Griechenland-Rettung jetzt noch wesentlich teurer wird als bisher vorgesehen?
Fritz-Vannahme: Ich würde mal auch da erst mal die Tatsachen der letzten Tage noch mal zur Kenntnis nehmen. Zum ersten Mal sind ja nun auch die Banken wirklich mit dabei, unter wie viel Prozent, das wird sich herausstellen, aber es wird einen erheblichen Schnitt auch bei den Bankvermögen, die in Griechenland angelegt worden sind, geben müssen. Es ist ja nicht mehr nur der Steuerzahler, wie gesagt, es sind auch noch andere, die da jetzt in die Pflicht genommen werden. Und wie lange Frau Merkel das verkaufen kann mit dem reinen Argument, wir müssen da vielleicht doch noch ein paar Milliarden nachschießen, wage ich ehrlich gesagt nicht zu prognostizieren. Ich glaube, es wäre viel vernünftiger, sie würde die andere Seite immer mal wieder auch in Erinnerung rufen und ganz deutlich sagen, dass 60 Prozent der deutschen Exporte im Binnenmarkt erfolgen, also gar keine Exporte sind, und natürlich einer der großen Gewinner der Einführung des Euro und der Ausweitung des Binnenmarktes immer wieder Deutschland war – nicht der einzige, aber mit Sicherheit einer der großen Gewinner -, dass also Deutschland aus dem gesamten Konstrukt durchaus seinen Profit zieht. Und vieles von dem, was da im Augenblick entweder über Garantien, oder zufällig auch über Kredite nachgeschossen werden muss, ist vorher längst eingespielt worden. Ich glaube, da gehört einfach ein bisschen mehr Ehrlichkeit und Mut gegenüber den deutschen Wählern dazu, um das ganz deutlich auch immer wieder in Erinnerung zu rufen. Da gibt es durchaus zaghafte Worte, aber die sind mir ehrlich gesagt wie gesagt bisher zu zaghaft.
Heckmann: Joachim Fritz-Vannahme war das, der Leiter der Europaprojekte der Bertelsmann-Stiftung, im Gespräch mit meinem Kollegen Martin Zagatta.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Joachim Fritz-Vannahme: Ich glaube, einen Wendepunkt darin zu vermuten, ist noch ein bisschen früh. Da stehen ja noch ein paar Antworten aus, also die Antworten der ominösen Finanzmärkte etwa, aber auch durchaus der beteiligten internationalen Stellen – ich denke da etwa an Frau Lagarde vom Internationalen Währungsfonds, oder auch an Zoellick, den Präsidenten der Weltbank -, die ja im Vorfeld die Europäer und da ganz besonders die Kanzlerin Merkel sehr heftig dazu gedrängt haben, noch mehr zu tun als das, was bisher getan worden ist. Wenn wir vielleicht mal für einen Augenblick inne halten: Wenn Sie mich vor zwei Jahren gefragt hätten, ob ich mir so was vorstellen kann, was da jetzt am entstehen ist, dann hätte ich gesagt, eigentlich äußerst unwahrscheinlich, glaube ich wirklich nicht dran. Inzwischen hat man sich an einiges gewöhnt und das zeigt, in welchem rasanten Wandel hier diese Europäische Union und da ganz besonders natürlich die Länder des Euro sind. Aber ob das dann hinterher auch wirklich hält, ob das sauber verleimt ist, da sind doch durchaus Zweifel berechtigt.
Ich will es mal an einem Beispiel sagen. Die Beschlüsse, die hier gefällt worden sind unter dem Stichwort Wettbewerbsfähigkeit stärken, Wachstum ermöglichen, sind ja im Grunde genommen nur Spielereien zwischen verschiedenen Posten im EU-Budget, die sowieso schon eigentlich akkordiert waren und jetzt einfach nur besser eingesetzt werden sollen. Wenn wir auf Griechenland schauen: Allein die Entschuldung Griechenlands wird viele, viele Jahre in Anspruch nehmen. Bis Griechenland wieder eine wachstums- und wettbewerbsfähige Wirtschaft präsentieren kann, wird wahrscheinlich noch längere Zeit dauern. Also die Beschlüsse, die wir hier gerade präsentiert bekommen haben, im Falle Griechenlands etwa, werden erst in vielen, vielen Jahren wirklich greifen und den Beweis ihrer Richtigkeit antreten können.
Martin Zagatta: Gefeiert wird von deutscher Seite – so hat sich die Kanzlerin, so hat sich Frau Merkel am Abend auch ausgedrückt – vor allem diese sogenannte Fiskalunion. Da hatten wir aber mit den Maastricht-Kriterien doch schon ganz ähnliche Vereinbarungen oder Vorschriften, die nicht eingehalten wurden und dann auch nicht durchgesetzt wurden. Warum sollte das diesmal anders sein?
Fritz-Vannahme: Ja, Ihr Zweifel in der Frage ist vollkommen berechtigt, ich habe den auch. Es ist eine stärkere Verpflichtung zur Selbstdisziplin und dann natürlich auch in einem sehr deutschen Denken der Versuch, all das vor den Kadi, vor den Richter, in dem Fall vor den Europäischen Gerichtshof bringen zu können. Aber wer ohne Sünde ist unter euch, der werfe den ersten Stein, das ist doch jetzt das Bauprinzip. Es muss ein Mitgliedsstaat einen Mitgliedsstaat vor den europäischen Richter ziehen, um hinterher die Wirksamkeit hier dieses ganzen Verfahrens zu testen. Also da kann man doch berechtigte Zweifel haben.
Der große Unterschied gegenüber den Zeiten der Maastricht-Kriterien ist etwas, was ja nicht in diesem Teil der Beschlüsse heute drin ist, sondern in dem anderen Teil, der den europäischen Stabilitätsmechanismus betrifft. Da ist natürlich eine Kollektivhaftung inzwischen erreicht worden, die weit über das Denken von früher hinausgegangen ist. Aber da wie gesagt gilt meine Einschränkung von vorher: Da müssen wir erst mal warten, wie die ominösen Finanzmärkte darauf reagieren und ob das tatsächlich wenigstens bis zum nächsten Gipfel im März, der ja schon in vier Wochen ansteht, wie richtig gesagt wurde, hält.
Zagatta: Herr Fritz-Vannahme, mit den Beschlüssen jetzt von heute Abend haben wir neben der EU noch die Euro-Gruppe, dann jetzt auch noch die Gruppe der 25. Wird das jetzt ein Kuddelmuddel, oder wie fallen da künftige Entscheidungen aus?
Fritz-Vannahme: Ja, ein bisschen kompliziert wird es für den Anfang schon, aber ich sehe bei den 25 doch einen starken Willen zur Gemeinsamkeit. Und all das, was dann so an Klein-Klein da noch zu regeln ist, wer da wann wie dabeisitzen darf und zuhören und vielleicht auch am Ende abstimmt, das sollen die mal unter sich regeln. Ich glaube, was wir im Augenblick erleben, ist tatsächlich ein Evolutionsschub in der Geschichte der Europäischen Union, der sehr, sehr stark sein kann, der immerhin Gott sei Dank 25 betrifft. Also man muss nicht die Angst vor einer Spaltung der Union in eine Kernunion und eine Restunion mehr haben. Hier haben sich zwei an die Außenlinie gestellt, nämlich die Briten und die Tschechen, beide aus ihrer Sicht mit guten Gründen – wie lange diese Gründe haltbar sind, wollen wir dann auch mal sehen -, aber 25 sind zusammen geblieben und haben das ganze Konstrukt in all seinen Teilen unterschrieben und damit doch eigentlich sehr, sehr stark ihren Willen zur Gemeinsamkeit, auch zur Solidarität erst mal bekräftigt.
Zagatta: Wenn Sie jetzt das Wahlvolk ansprechen – Griechenland braucht ja noch mehr Geld, kommt mit seinen Sparanstrengungen offenbar nicht voran. Kann Kanzlerin Merkel der deutschen Bevölkerung da überhaupt noch verkaufen, dass die Griechenland-Rettung jetzt noch wesentlich teurer wird als bisher vorgesehen?
Fritz-Vannahme: Ich würde mal auch da erst mal die Tatsachen der letzten Tage noch mal zur Kenntnis nehmen. Zum ersten Mal sind ja nun auch die Banken wirklich mit dabei, unter wie viel Prozent, das wird sich herausstellen, aber es wird einen erheblichen Schnitt auch bei den Bankvermögen, die in Griechenland angelegt worden sind, geben müssen. Es ist ja nicht mehr nur der Steuerzahler, wie gesagt, es sind auch noch andere, die da jetzt in die Pflicht genommen werden. Und wie lange Frau Merkel das verkaufen kann mit dem reinen Argument, wir müssen da vielleicht doch noch ein paar Milliarden nachschießen, wage ich ehrlich gesagt nicht zu prognostizieren. Ich glaube, es wäre viel vernünftiger, sie würde die andere Seite immer mal wieder auch in Erinnerung rufen und ganz deutlich sagen, dass 60 Prozent der deutschen Exporte im Binnenmarkt erfolgen, also gar keine Exporte sind, und natürlich einer der großen Gewinner der Einführung des Euro und der Ausweitung des Binnenmarktes immer wieder Deutschland war – nicht der einzige, aber mit Sicherheit einer der großen Gewinner -, dass also Deutschland aus dem gesamten Konstrukt durchaus seinen Profit zieht. Und vieles von dem, was da im Augenblick entweder über Garantien, oder zufällig auch über Kredite nachgeschossen werden muss, ist vorher längst eingespielt worden. Ich glaube, da gehört einfach ein bisschen mehr Ehrlichkeit und Mut gegenüber den deutschen Wählern dazu, um das ganz deutlich auch immer wieder in Erinnerung zu rufen. Da gibt es durchaus zaghafte Worte, aber die sind mir ehrlich gesagt wie gesagt bisher zu zaghaft.
Heckmann: Joachim Fritz-Vannahme war das, der Leiter der Europaprojekte der Bertelsmann-Stiftung, im Gespräch mit meinem Kollegen Martin Zagatta.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.