Archiv


„Es ist genug Spielraum da für gute Lohnerhöhungen“

Eine ausgezeichnete Konjunktur, gestiegene Produktivität, höhere Gewinne: Für IG-Metall-Vize Detlef Wetzel passt die Forderung nach 6,5 Prozent mehr Lohn „ausgezeichnet in die wirtschaftspolitische Landschaft“. Doch die Gewerkschaft hat noch zwei weitere Forderungen an die Arbeitgeber.

Das Gespräch führte Silvia Engels |
    Silvia Engels: In diesen Wochen beginnen in vielen Branchen die Tarifverhandlungen über Löhne und Gehälter. Eine führende Rolle nimmt traditionell die IG Metall ein. Sie verhandelt ab März mit den Arbeitgebern, doch ihre Forderungen sind schon klar: 6,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt, so viel soll es für die Beschäftigten schon sein. Am Telefon ist nun der stellvertretende Vorsitzende, Detlef Wetzel. Guten Morgen!

    Detlef Wetzel: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Die Euro-Schuldenkrise nicht ausgestanden, viele Experten warnen vor der lahmenden Weltkonjunktur, die auch Deutschland erfassen könnte – ist das der Zeitpunkt für üppige Lohnzuwächse?

    Wetzel: Ja, wir glauben schon. Wir haben ja zwar eine sehr problematische Weltkonjunktur, aber die Konjunktur in Deutschland ist ausgezeichnet. Die wirtschaftlichen Daten sind hervorragend und deswegen sagen wir, es wird Zeit, dass die Arbeitnehmer auch an dem Aufschwung, der in Deutschland stattfindet, beteiligt werden, das heißt, dass auch der Aufschwung in den Portemonnaies unserer Kolleginnen und Kollegen ankommt, und deswegen fordern wir 6,5 Prozent.

    Engels: Im Jahr 2009 war die IG Metall schon mal mit der Forderung von acht Prozent mehr Lohn aufgetreten, dann hat sich das Jahr damals als gewaltiges Krisenjahr entpuppt und Sie mussten später kräftig zurückstecken. Laufen Sie nun in die gleiche Gefahr?

    Wetzel: Nein, das glauben wir nicht. Das war ja eine sehr schwierige Situation – die Finanzmarktkrise, die Bankenkrise.

    Engels: Sie ist immer noch nicht ausgestanden.

    Wetzel: Sie ist noch nicht ausgestanden, aber damals fand ja auch gleichzeitig ein völliges abruptes Niedergehen jeglicher wirtschaftlichen Tätigkeit in Deutschland und in der Welt statt, und das ist ja jetzt ganz anders. Wir haben eine prosperierende Konjunktur, wir haben gute wirtschaftliche Kennzahlen, die Unternehmen werden im Frühjahr exorbitante Gewinne ausweisen, und deswegen passt das ausgezeichnet. Das kann ja auch nicht sein, dass die Konjunktur gut läuft, die deutsche Wirtschaft profitiert von dieser guten wirtschaftlichen Situation, und die Arbeitnehmer bekommen davon nichts mit. Wir haben es ja im ARD-Deutschlandtrend erfahren können vor einigen Tagen: 71 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sagen, vom Aufschwung ist bei uns nichts angekommen, und das müssen wir jetzt ganz dringend ändern.

    Engels: Aber auch speziell die Metall- und Elektroindustrie meldet schon partiell Auftragsrückgänge für das kommende Jahr. Kommen Sie da möglicherweise hinterher und verstärken Einbrüche mit einer Lohnforderung? Das werfen Ihnen die Arbeitgeber vor.

    Wetzel: Ja, wir müssen doch schauen, auf welchem Niveau gibt es vielleicht in der einen oder anderen Firma einen Rückgang der Aufträge. Wir sind auf einem ganz, ganz hohen Niveau und es kann natürlich nicht jedes Jahr mit fünfprozentigen Wachstumssteigerungen vor sich gehen, wenn wir dann Tarifforderungen stellen. Nein, wir sind auf einem ganz hohen Niveau, und wenn es in einzelnen Branchen, in einzelnen Firmen, Rückgänge gibt, dann gibt das Rückgänge auf ganz hohem Niveau, und deswegen machen wir uns wirklich keine Sorgen. Wir meinen, diese 6,5 Prozent passen ausgezeichnet in die wirtschaftspolitische Landschaft in Deutschland.

    Engels: Wichtig für die Arbeitnehmer ist ja letztlich die Reallohn-Entwicklung, also das, was nach Abzug der Inflation an Kaufkraft im Geldbeutel wirklich übrig bleibt. Mit wie viel Inflation rechnen Sie denn?

    Wetzel: Wir rechnen im nächsten Jahr mit 1,9 Prozent Inflation, und das ist natürlich auch in unsere Forderung schon eingepreist.

    Engels: Aber dann ist das wirklich ein ordentlicher Schluck, wenn man 6,5 minus 1,9 Prozent rechnet. Dann ist das schon ein gewaltiger Zuwachs, den Sie da fordern.

    Wetzel: Ja! Aber wir fordern ja nicht in Tarifrunden einen Ausgleich der Preissteigerungsrate, sondern wir fordern ja auch einen Anteil an der gestiegenen Produktivität. Die wird im nächsten Jahr auch ein Prozent sein. Wir hatten im Jahr 2011 auch außerordentlich hohe Produktivitätssteigerungen, und wir wollen natürlich auch einen Anteil an den zusätzlichen Gewinnen, die die Unternehmer erwirtschaftet haben. Und wenn man diese drei Faktoren zusammen sieht, dann kommt man eben in die Nähe von 6,5 Prozent.

    Engels: Die IG Metall hat gestern aber auch betont, neben der Lohnforderung stehe gleichberechtigt auch das eine oder andere inhaltliche Anliegen, und zwar eine unbefristete Weiterbeschäftigung der Ausgelernten und mehr Mitbestimmung beim Einsatz von Leiharbeitern. Was fordern Sie hier?

    Wetzel: Wir haben zwei sehr ungute Entwicklungen in Deutschland. Die erste Entwicklung ist, dass 75 Prozent aller derjenigen, die eine Ausbildung gemacht haben, nach Beendigung ihrer Ausbildung nicht in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen werden. Da fordern wir, dass alle, die eine gute Ausbildung absolviert haben, eine gute Prüfung gemacht haben, auch nach der Ausbildung in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen werden, weil wir dafür sorgen wollen, dass die junge Generation mehr Sicherheit hat für ihre Zukunft, und deswegen fordern wir die unbefristete Übernahme.
    Bei den Leiharbeitern ist es ja so: Wir haben ja einen deutlichen Anstieg von Leiharbeitsbeschäftigung in Deutschland. Leiharbeit ist überwiegend schlecht bezahlt und unsicher beschäftigt. Deswegen fordern wir, dass die Betriebsräte, wo die Leiharbeiter eingesetzt werden, mehr Mitbestimmungsrechte bekommen über Art und Umfang von Leiharbeitseinsatz, und parallel dazu fordern wir von den Zeitarbeitsverbänden eine deutliche Erhöhung der materiellen Anteile. Wir haben das ganz klare Ziel, dass gleiche Arbeit in Deutschland gleich bezahlt werden muss, und deswegen muss unbedingt was für die Leiharbeiter gemacht werden.
    Und vielleicht noch als Nebenbemerkung: Auch die Leiharbeiter haben dazu beigetragen, dass dieser wirtschaftliche Aufschwung stattgefunden hat, dass die Unternehmer hohe Gewinne gemacht haben, und deswegen müssen auch die Leiharbeiter angemessen an dieser Entwicklung beteiligt werden.

    Engels: Aber dann Butter bei die Fische. Verzichtet denn die IG Metall auf einen Teil ihrer Lohnforderung, wenn sich im Gegenzug etwas für die Leiharbeiter und die Ausgelernten bewegt?

    Wetzel: Da sollte keiner drauf spekulieren. Diese drei Forderungen sind für uns völlig gleichberechtigt und wir wollen in all diesen drei Forderungsfeldern gute Erfolge erzielen. Und wer darauf spekuliert, das eine Thema gegen das andere auszuspielen, wird zwangsläufig Schiffbruch erleiden. Für uns sind diese drei Forderungen gleichberechtigt und wir müssen in all diesen Bereichen gute Ergebnisse erzielen.

    Engels: Aber wäre das nicht viel solidarischer mit den prekär Beschäftigten, wo wir heute Zahlen hören, wonach jeder 12. Leiharbeiter zusätzliche staatliche Stütze braucht, um über die Runden zu kommen?

    Wetzel: Ja, das ist ja genau das Argument.

    Engels: Aber da könnten dann doch auch die Arrivierten, die gut bezahlten Arbeitnehmer, von ihrer Lohnforderung etwas zurücktreten, oder?

    Wetzel: Warum sollen sie das tun? Es ist doch genug Geld da. Die wirtschaftliche Situation ist gut, die Gewinne sind gut, wieso sollen die Arbeitnehmer oder eine Gruppe von Arbeitnehmern irgendwie zurücktreten. Nein, es ist genug Spielraum da für gute Lohnerhöhungen für die Stammbeschäftigten und es ist viel Spielraum da auch für die prekär Beschäftigten, hier Lohnerhöhungen vorzunehmen. Schauen Sie, es ist doch traurig, wenn Leiharbeiter ganz wesentlich dazu beigetragen haben an unserem wirtschaftlichen Erfolg und sie am Ende eines Monats feststellen müssen, dass noch 12 Prozent der Leiharbeiter sozusagen Hartz IV, Aufstockung in Anspruch nehmen müssen. Diese Ungerechtigkeit, die muss doch dringend beseitigt werden, das ist doch kein Bild unserer zivilisierten Gesellschaft, dass Menschen am Ende jedes Monats von dem Geld, was sie verdienen, nicht leben können, obwohl sie genauso produktiv sind und genauso viele Werte geschafft haben wie alle anderen. Nein, das werden wir beenden in Deutschland.

    Engels: Detlef Wetzel, der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall. Vielen Dank für das Gespräch.

    Wetzel: Ich danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.