Dirk-Oliver Heckmann: Wir haben es ja gerade eben gehört: Moody's, die amerikanische Ratingagentur, hat den Ausblick für Deutschlands Bonität gesenkt – ein Thema, das sicherlich die Agenda des Tages nicht nur an der Börse bestimmen wird. Wir möchten darüber sprechen jetzt mit Jörg Krämer, er ist Chefvolkswirt der Commerzbank. Schönen guten Morgen!
Jörg Krämer: Guten Morgen.
Heckmann: Herr Krämer, der Schritt der Ratingagentur Moody's, den Ausblick für Deutschlands Bonität zu senken, für Sie nachvollziehbar?
Krämer: Ich habe jetzt die Details noch nicht gesehen, aber ich meine, grundsätzlich ist klar: Deutschland hat natürlich sehr hohe Verpflichtungen übernommen, Eventualverpflichtungen im Rahmen der Euro-Rettung, und das ist natürlich der Grund, warum die Ratingagentur den Ausblick für Deutschland gesenkt hat, mit negativ versehen hat. Wir müssen sowieso sehen, dass bei allen großen Industrieländern im Grunde genommen Dreifach-A, also die Bestnote, langsam eine aussterbende Spezies ist.
Heckmann: Sie sprechen von hohen Verpflichtungen, und in der Tat, das kann man teilen, Verpflichtungen, die jetzt im Feuer stehen.
Krämer: Ja, sicherlich. Die stehen im Feuer und das ist der Hauptgrund, warum Deutschland jetzt einen negativen Ausblick bekommen hat – von dieser Ratingagentur, nicht von allen.
Heckmann: Das heißt, die Schuldenkrise in Europa, die droht, Deutschland jetzt auch nach unten zu ziehen? Der bisherige sichere Hafen, der Anker in der Krise, der droht, verloren zu gehen?
Krämer: Das halte ich für überspitzt. Es ist grundsätzlich keine Neuigkeit, was Moody's hier sagt. Die Eventualverbindlichkeiten sind bekannt, die sind durch den Bundestag gegangen, das ist alles bekannt. Und dass Deutschlands wirtschaftliche Kraft, die momentan nicht ausgeprägt ist, irgendwo seine Grenzen hat, ist auch keine Neuigkeit. Aber Sie haben recht: Das wird natürlich heute ein großes Thema sein, auch wenn es grundsätzlich nicht überrascht.
Heckmann: Wie wird sich das am Aktienmarkt auswirken aus Ihrer Sicht? Gestern gab es ja schon ein kräftiges Minus von drei Prozent.
Krämer: Ja gestern gab es ein Minus, am Freitag gab es ein Minus. Ich denke, die Hauptsorge ist nicht so sehr Deutschland, denn die wahrgenommene Kraft Deutschlands an den Finanzmärkten ist immer noch sehr hoch, vielleicht sogar zu hoch, weil viele an den Finanzmärkten meinen, Deutschland könnte den Rest Europas retten. Aber die Hauptsorge, denke ich, bestimmt momentan Griechenland, denn es mehren sich ja die Anzeichen, dass die Staatengemeinschaft Griechenland den Hahn zudreht, und die Märkte haben natürlich Angst, zu welchen Turbolenzen und Ansteckungseffekten das führen könnte, wobei ich seit Langem nicht glaube, dass Griechenland noch das Potenzial hat, den Rest des Euroraums in den Abgrund zu ziehen.
Heckmann: Dann bleiben wir mal bei Griechenland. Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit aus Ihrer Sicht, dass dieser Staat im Herbst bankrott ist?
Krämer: Ja gut, formal hatten wir ja schon eine Staatspleite dort gesehen. Ein default rating ist ja während der Umschuldung schon ausgesprochen worden. Jetzt geht es um einen offenen Zahlungsausfall, dazu würde es kommen, und die Wahrscheinlichkeit, denke ich, ist relativ hoch, dass die Staatengemeinschaft in den kommenden Monaten frustriert den Geldhahn zudreht. Sie müssen sehen, dass zum Beispiel der Internationale Währungsfonds ja auch nur Geld leihen darf an Länder, wenn er der Meinung ist, er bekommt das Geld zurück. Aber das ist in Griechenland natürlich nicht mehr sicher. Also die Wahrscheinlichkeit ist wirklich beträchtlich, ziemlich hoch, dass die Staatengemeinschaft den Geldhahn zudreht. Dann würde Griechenland offen zahlungsunfähig werden, auch in der griechischen Privatwirtschaft würde dann die Zahlungsmoral zusammenbrechen, es würde ein ökonomisches Chaos ausbrechen in Griechenland, an dessen Ende dann vermutlich Griechenland den Euro verlassen würde.
Heckmann: Und dieser Euro-Austritt hat seinen Schrecken verloren aus Sicht von Philipp Rösler, dem FDP-Chef und Vizekanzler. Auch aus Ihrer Sicht?
Krämer: Ja ich bin schon seit Langem nicht mehr der Meinung vieler anderer Ökonomen, dass das den Rest des Euroraums in den Abgrund ziehen kann. Das ist sicherlich ein Risiko, das ist völlig klar, aber die privaten Investoren haben ja schon fast alles Geld dort verloren. Außerdem wird seit Monaten über einen möglichen Austritt oder einen Zahlungsausfall Griechenlands gesprochen, das kann ja nun wirklich niemanden mehr überraschen, und von daher, glaube ich sicherlich, führt das kurzfristig zu Turbulenzen an den Märkten, das ist klar, das sehen wir ja schon. Aber wenn man da mal durchguckt, denke ich, dass Griechenland nicht mehr das Potenzial hat, den Euroraum als Ganzes ins Wanken zu bringen.
Heckmann: Blicken wir nach Spanien, Herr Krämer. Das Land gerät immer tiefer in die Rezession. Die Zinsen für Staatsanleihen steigen auf ein Rekordhoch. Gehen Sie davon aus, dass sich Spanien unter den Euro-Rettungsschirm stellt, jetzt als Land, und wäre dieser Rettungsschirm groß genug dafür?
Krämer: Spanien war ja schon nicht mehr stark genug, seinen eigenen Banken beziehungsweise Großsparkassen zu helfen. Es musste sich ja schon an die Staatengemeinschaft wenden. Und halb unter den Rettungsschirm, das habe ich mir nie so ganz vorstellen können. Von daher ist auch da natürlich das Risiko beträchtlich, dass Spanien am Ende auch für den Staat um Hilfe nachfragen wird, auch wenn die Zinsen von 7,5 Prozent gar nicht historisch so hoch sind. Ich kann mich noch erinnern: Vor 20 Jahren hat auch Deutschland über sieben Prozent Zinsen bezahlen müssen.
Heckmann: Und das könnte Europa schultern? – Spanien?
Krämer: Das Geld, was noch vorhanden ist im Übergangsrettungsfonds EFSF, würde wohl noch reichen dafür.
Heckmann: Aber?
Krämer: Aber natürlich nicht mehr Italien. Italien natürlich nicht. Aber der Dauer-Rettungsfonds ESM steht ja bereit und das Bundesverfassungsgericht wird ja dann bis September ein Urteil gefällt haben. Aber Spanien an sich wäre ein riesiger Brocken, das ist klar, aber es würde wohl gerade noch nach unseren Berechnungen reichen, die verbliebenen Mittel im Rettungsfonds EFSF.
Heckmann: Wir werden sehen, wie es weitergeht. Einschätzungen waren das von Jörg Krämer, dem Chefvolkswirt der Commerzbank. Herr Krämer, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.
Krämer: Bitte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Jörg Krämer: Guten Morgen.
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Krämer: Ich habe jetzt die Details noch nicht gesehen, aber ich meine, grundsätzlich ist klar: Deutschland hat natürlich sehr hohe Verpflichtungen übernommen, Eventualverpflichtungen im Rahmen der Euro-Rettung, und das ist natürlich der Grund, warum die Ratingagentur den Ausblick für Deutschland gesenkt hat, mit negativ versehen hat. Wir müssen sowieso sehen, dass bei allen großen Industrieländern im Grunde genommen Dreifach-A, also die Bestnote, langsam eine aussterbende Spezies ist.
Heckmann: Sie sprechen von hohen Verpflichtungen, und in der Tat, das kann man teilen, Verpflichtungen, die jetzt im Feuer stehen.
Krämer: Ja, sicherlich. Die stehen im Feuer und das ist der Hauptgrund, warum Deutschland jetzt einen negativen Ausblick bekommen hat – von dieser Ratingagentur, nicht von allen.
Heckmann: Das heißt, die Schuldenkrise in Europa, die droht, Deutschland jetzt auch nach unten zu ziehen? Der bisherige sichere Hafen, der Anker in der Krise, der droht, verloren zu gehen?
Krämer: Das halte ich für überspitzt. Es ist grundsätzlich keine Neuigkeit, was Moody's hier sagt. Die Eventualverbindlichkeiten sind bekannt, die sind durch den Bundestag gegangen, das ist alles bekannt. Und dass Deutschlands wirtschaftliche Kraft, die momentan nicht ausgeprägt ist, irgendwo seine Grenzen hat, ist auch keine Neuigkeit. Aber Sie haben recht: Das wird natürlich heute ein großes Thema sein, auch wenn es grundsätzlich nicht überrascht.
Heckmann: Wie wird sich das am Aktienmarkt auswirken aus Ihrer Sicht? Gestern gab es ja schon ein kräftiges Minus von drei Prozent.
Krämer: Ja gestern gab es ein Minus, am Freitag gab es ein Minus. Ich denke, die Hauptsorge ist nicht so sehr Deutschland, denn die wahrgenommene Kraft Deutschlands an den Finanzmärkten ist immer noch sehr hoch, vielleicht sogar zu hoch, weil viele an den Finanzmärkten meinen, Deutschland könnte den Rest Europas retten. Aber die Hauptsorge, denke ich, bestimmt momentan Griechenland, denn es mehren sich ja die Anzeichen, dass die Staatengemeinschaft Griechenland den Hahn zudreht, und die Märkte haben natürlich Angst, zu welchen Turbolenzen und Ansteckungseffekten das führen könnte, wobei ich seit Langem nicht glaube, dass Griechenland noch das Potenzial hat, den Rest des Euroraums in den Abgrund zu ziehen.
Heckmann: Dann bleiben wir mal bei Griechenland. Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit aus Ihrer Sicht, dass dieser Staat im Herbst bankrott ist?
Krämer: Ja gut, formal hatten wir ja schon eine Staatspleite dort gesehen. Ein default rating ist ja während der Umschuldung schon ausgesprochen worden. Jetzt geht es um einen offenen Zahlungsausfall, dazu würde es kommen, und die Wahrscheinlichkeit, denke ich, ist relativ hoch, dass die Staatengemeinschaft in den kommenden Monaten frustriert den Geldhahn zudreht. Sie müssen sehen, dass zum Beispiel der Internationale Währungsfonds ja auch nur Geld leihen darf an Länder, wenn er der Meinung ist, er bekommt das Geld zurück. Aber das ist in Griechenland natürlich nicht mehr sicher. Also die Wahrscheinlichkeit ist wirklich beträchtlich, ziemlich hoch, dass die Staatengemeinschaft den Geldhahn zudreht. Dann würde Griechenland offen zahlungsunfähig werden, auch in der griechischen Privatwirtschaft würde dann die Zahlungsmoral zusammenbrechen, es würde ein ökonomisches Chaos ausbrechen in Griechenland, an dessen Ende dann vermutlich Griechenland den Euro verlassen würde.
Heckmann: Und dieser Euro-Austritt hat seinen Schrecken verloren aus Sicht von Philipp Rösler, dem FDP-Chef und Vizekanzler. Auch aus Ihrer Sicht?
Krämer: Ja ich bin schon seit Langem nicht mehr der Meinung vieler anderer Ökonomen, dass das den Rest des Euroraums in den Abgrund ziehen kann. Das ist sicherlich ein Risiko, das ist völlig klar, aber die privaten Investoren haben ja schon fast alles Geld dort verloren. Außerdem wird seit Monaten über einen möglichen Austritt oder einen Zahlungsausfall Griechenlands gesprochen, das kann ja nun wirklich niemanden mehr überraschen, und von daher, glaube ich sicherlich, führt das kurzfristig zu Turbulenzen an den Märkten, das ist klar, das sehen wir ja schon. Aber wenn man da mal durchguckt, denke ich, dass Griechenland nicht mehr das Potenzial hat, den Euroraum als Ganzes ins Wanken zu bringen.
Heckmann: Blicken wir nach Spanien, Herr Krämer. Das Land gerät immer tiefer in die Rezession. Die Zinsen für Staatsanleihen steigen auf ein Rekordhoch. Gehen Sie davon aus, dass sich Spanien unter den Euro-Rettungsschirm stellt, jetzt als Land, und wäre dieser Rettungsschirm groß genug dafür?
Krämer: Spanien war ja schon nicht mehr stark genug, seinen eigenen Banken beziehungsweise Großsparkassen zu helfen. Es musste sich ja schon an die Staatengemeinschaft wenden. Und halb unter den Rettungsschirm, das habe ich mir nie so ganz vorstellen können. Von daher ist auch da natürlich das Risiko beträchtlich, dass Spanien am Ende auch für den Staat um Hilfe nachfragen wird, auch wenn die Zinsen von 7,5 Prozent gar nicht historisch so hoch sind. Ich kann mich noch erinnern: Vor 20 Jahren hat auch Deutschland über sieben Prozent Zinsen bezahlen müssen.
Heckmann: Und das könnte Europa schultern? – Spanien?
Krämer: Das Geld, was noch vorhanden ist im Übergangsrettungsfonds EFSF, würde wohl noch reichen dafür.
Heckmann: Aber?
Krämer: Aber natürlich nicht mehr Italien. Italien natürlich nicht. Aber der Dauer-Rettungsfonds ESM steht ja bereit und das Bundesverfassungsgericht wird ja dann bis September ein Urteil gefällt haben. Aber Spanien an sich wäre ein riesiger Brocken, das ist klar, aber es würde wohl gerade noch nach unseren Berechnungen reichen, die verbliebenen Mittel im Rettungsfonds EFSF.
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Krämer: Bitte.
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