Jasper Barenberg: Wenn die USA und Russland morgen in Prag vereinbaren, die Zahl ihrer Atomwaffen zu verringern, dann soll das nur der Auftakt sein zu einer von der amerikanischen Regierung sorgfältig koreographierten Abfolge von Initiativen. Für kommende Woche schon hat US-Präsident Obama zu einem Gipfel über Nuklearsicherheit nach Washington eingeladen, im Mai soll in New York der Atomwaffensperrvertrag auf den Prüfstand. Welche Rolle will Deutschland in der Debatte um Abrüstung spielen? Das wollen wir gleich Außenminister Guido Westerwelle fragen und mit ihm auch über die neue Nuklearstrategie der amerikanischen Regierung sprechen. Atomwaffen sollen demnach bei der Verteidigung des Landes eine weitaus geringere Rolle spielen als bisher. Am Telefon begrüße ich jetzt den FDP-Politiker und Außenminister Guido Westerwelle. Einen schönen guten Morgen.
Guido Westerwelle: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Herr Westerwelle, lassen Sie uns am Anfang kurz über diese neue Nuklearstrategie sprechen, offensichtlich ja ein Kompromiss, ein Mittelweg zwischen der Hoffnung auf eine grundsätzliche Veränderung und die Forderung vor allem des Militärs in den USA, den Status quo zu erhalten. Aus Ihrer Sicht nur eine Akzentverschiebung also, oder eine Zeitenwende in der amerikanischen Militärdoktrin?
Westerwelle: Ich glaube, dass diese neue Nuklearstrategie der Vereinigten Staaten von Amerika die Chance für eine Zeitenwende beinhaltet. Es ist noch keine, aber es ist in jedem Fall ein außerordentlich begrüßenswerter Schritt in die richtige Richtung, nämlich in Richtung Abrüstung und Rüstungskontrolle und nuklearer Nichtverbreitung.
Barenberg: Hätten Sie sich, wie manche ja, mehr gewünscht, zum Beispiel den vollständigen Verzicht auf den atomaren Erstschlag?
Westerwelle: Gemessen an dem, was bisher ja auch Doktrin gewesen ist, ist das ein wirklich ganz bemerkenswerter Fortschritt und man muss auch anerkennen, was hier Präsident Obama gelungen ist, übrigens auch nach innen gelungen ist. Das muss alles ja auch noch innenpolitisch durchgefochten werden. Die Tatsache, dass beispielsweise die Vereinigten Staaten von Amerika ausdrücklich künftig verzichten auf die Entwicklung neuer nuklearer Sprengköpfe und damit ja auch auf Atomtests verzichten wollen, das ist schon eine außerordentlich wichtige Entscheidung und das zeigt, dass wir eine wirkliche Chance haben, dass dieses Jahrzehnt ein Jahrzehnt der Abrüstung wird. Wenn jetzt in dieser Woche, nämlich morgen in Prag, ja auch das gemeinsame START-Nachfolgeabkommen unterschrieben wird, also die Reduzierung der strategischen Nuklearwaffen, so muss man eben die verschiedenen Maßnahmen in einem Zusammenhang sehen. Die Gefahr ist groß, wenn wir jetzt nicht richtig handeln, dass dieses nächste Jahrzehnt ein Jahrzehnt der Aufrüstung wird, und Präsident Obama zeigt einen entschiedenen Willen, dass es ein Jahrzehnt der Abrüstung wird, und dabei unterstützt ihn die Bundesregierung.
Barenberg: Sie betonen die Hoffnung auf ein Jahrzehnt der Abrüstung. Nun haben wir uns ja lange an das Paradox gewöhnt, dass Atomwaffen gerade die Welt sicherer machen. Warum ist das nicht mehr so, sondern das Gegenteil inzwischen der Fall?
Westerwelle: Weil wir zwei große neue Gefahren haben, nämlich die erste große neue Gefahr ist, dass mittlerweile Staaten nach Atomwaffen drängen, bei denen wir auch davon ausgehen müssen, dass sie in irrationalen Händen sind, und zum zweiten ist die Gefahr sehr groß, dass auch Terroristen oder terroristische Gruppierungen, je mehr Atomwaffenstaaten es gibt, in die Hände von solchen nuklearen Waffen geraten können. Das heißt, das was früher einmal richtig gewesen ist zur Zeit des Kalten Krieges, auch das Abschreckungsprinzip, das wird jetzt eben zu ergänzen sein durch ein klares Bekenntnis zur Abrüstung und zur Rüstungskontrolle. Wenn wir beispielsweise gegenüber dem Iran darauf drängen, dass er sich nicht atomar bewaffnet, dann hat das viel mit der regionalen Stabilität zu tun, aber es hat auch etwas mit der nuklearen Nichtverbreitung zu tun. Wenn wir nicht aufpassen, dann kann es passieren, dass wir in den nächsten zehn Jahren die Zahl der Atomwaffenstaaten verdoppeln, und das würde wiederum auch das Risiko verdoppeln, dass terroristische Gruppen entsprechende Atomwaffen in die Hände bekommen oder nukleares Material in die Hände bekommen.
Barenberg: Gerade mit Blick auf Staaten wie den Iran, Herr Westerwelle, heißt das auch, dass die USA ihre Vorbildrolle in dieser Hinsicht, in Fragen der Abrüstung, der Rüstungskontrolle stärken müssen, dass sie ein Glaubwürdigkeitsdefizit bisher hatten und das nun ausgleichen wollen?
Westerwelle: Ich möchte jedenfalls anerkennen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika hier einen ganz wichtigen Schritt gehen, und ich möchte auch anerkennen, dass Russland auf der anderen Seite dabei ist. Man darf ja nicht vergessen, dass ungefähr 90 Prozent der Nuklearwaffen in den Händen dieser beiden Staaten sind und dass ein Jahr nach der berühmten Prager Rede von Präsident Obama, also dem Bekenntnis zur nuklearen Null-Lösung, zu Nuclear zero, dass ein Jahr später dieser START-Nachfolgevertrag in Prag unterschrieben wird. Das ist schon ein historisches Datum und wir Deutsche haben ja auch unsere eigenen Interessen noch dabei über die abstrakte Abrüstung hinaus. Wenn die Vereinigten Staaten von Amerika jetzt einen Einstieg in weitere Abrüstungsgespräche mit Russland wollen, die dann auch substrategische, also taktische Nuklearwaffen bedeuten, und dass es auch um die gelagerten Bestände in den USA geht, dann ist das auch für Europa sehr wichtig, denn das Ziel der Bundesregierung ist es ja, gemeinsam mit unseren Verbündeten zu erreichen, dass diese letzten in Deutschland stationierten nuklearen Waffen abgezogen werden, und auch dafür ist das, was als nationale Nuklearstrategie von den Vereinigten Staaten von Amerika soeben beschlossen worden ist, von herausragender Bedeutung.
Barenberg: Was die verbliebenen taktischen Atomwaffen auch auf dem Gebiet Deutschlands angeht, so haben Sie einen Verzicht darauf, einen Abzug dieser Waffen ja schon verschiedentlich ins Spiel gebracht und ernten aber wenig Gehör in Washington. Warum ist das so?
Westerwelle: Im Gegenteil! Die nukleare Strategie der Vereinigten Staaten von Amerika ist genau ein Weg in diese Richtung. Dass das noch lange Verhandlungen braucht und dass vor allen Dingen jeder unserer NATO-Bündnispartner sicher sein muss, dass das nicht auf Kosten seiner eigenen Sicherheitsgarantien geht, ist selbstverständlich. Deswegen haben ja auch mehrere Außenminister mit uns und mit mir gemeinsam für den NATO-Gipfel in Tallinn angeregt, dass das Thema Abrüstung dort auch im Rahmen der NATO-Strategie beraten wird. Die NATO soll ja wieder sehr viel stärker auch ein politisches Forum werden und Abrüstung gehört auch in die NATO-Diskussion hinein, und im April, am 22./23. April, werde ich ja dann mit meinen NATO-Kollegen in Tallinn auch über diese Frage reden. Norwegen, die Benelux-Staaten, Deutschland, wir haben dafür gesorgt, dass das Thema Abrüstung und Rüstungskontrolle in Tallinn auf der Agenda steht, und ich freue mich sehr, dass uns das gelungen ist.
Barenberg: Und Sie haben die Antwort von Außenministerin Hillary Clinton erhalten, die da nämlich lautete, wir hoffen, dass es keine voreiligen Schritte gibt, die unsere Abschreckungsfähigkeit unterminieren würden. Stoßen Sie also auf Granit bei Ihrem unmittelbaren Ziel, diese taktischen Atomwaffen abzuschaffen?
Westerwelle: Nein, im Gegenteil, denn das was gestern ja veröffentlicht worden ist, belegt ja, dass die Skeptiker der Abrüstung doch etwas optimistischer ans Werk gehen müssen. Dass Abrüstung ein dickes Brett ist, das man bohren will, das wissen wir doch, aber auch ein 1.000-Meter-Lauf beginnt mit dem ersten Schritt und es geht nicht um deutsche Alleingänge, sondern es geht darum, dass wir uns im Bündnis auf konkrete Abrüstungsschritte verständigen. Wir Deutsche haben ein Ziel, nämlich dass auch die nuklearen letzten Waffen, die in Deutschland stationiert werden, abgezogen werden. Dass das nicht von heute auf morgen geht, sondern dass das nur in Verhandlungen geht, dass das im Rahmen des Bündnisses nur gehen kann, das ist eine Selbstverständlichkeit, aber dafür hat die gestrige Nuklearstrategie der USA einen wichtigen Beitrag geleistet. Ich begrüße das sehr und bin sehr ermutigt, dass wir als Bundesregierung bei diesem Weg der Abrüstungspolitik jetzt mit neuem Rückenwind fortsetzen können.
Barenberg: Vor allem in Osteuropa, Herr Westerwelle, Sie haben es selber angeschnitten, gibt es die Sorge, dass die NATO ihre nukleare Abschreckung schwächen könnte. Welche Sicherheitsgarantien können und wollen Sie denn den kleinen osteuropäischen Verbündeten geben?
Westerwelle: Erst mal bringen Sie es genau auf den Punkt. Genau darum geht es, dass nämlich kein Bündnispartner das Gefühl hat, es geht etwas zu Lasten seiner eigenen Sicherheit. Man darf nie vergessen: diese Staaten, auch die Sie gerade angesprochen haben, haben ja historische Erfahrungen, die geradezu traumatisch sind, und das muss man kennen und das muss man auch berücksichtigen. Dementsprechend wird das jetzt gemeinsam im Bündnis bei der NATO zu besprechen sein, denn die NATO ist ja nicht nur ein militärtechnisches Bündnis, sondern es ist ja eine Wertegemeinschaft, es ist ja ein politisches Bündnis, und dort gehören auch politische Diskussionen wieder hin.
Barenberg: Werden Sie denn auch Russland beispielsweise darauf drängen, seine noch verbliebenen, geschätzte etwa 3.000 taktischen Atomwaffen zu reduzieren?
Westerwelle: Absolut! Das gehört in einen Zusammenhang und das ist auch ein richtiger und notwendiger Hinweis. Deswegen geht es ja jetzt darum, dass neue Verhandlungen aufgemacht werden, denn dass Abrüstung immer nur dann funktioniert, wenn auch natürlich alle Beteiligten sich zur Abrüstung verpflichten, das ist klar. Es ist also eine gegenseitige Verpflichtung in der Abrüstungspolitik auch mit der nuklearen Nichtverbreitung getroffen worden. Einerseits verpflichten sich die Atomstaaten abzurüsten, und wohl gemerkt 90 Prozent der Atomwaffen sind USA oder russische Atomwaffen, und andererseits verpflichten sich aber die anderen Staaten, die keine Atomwaffen haben, sich auch nicht atomar zu bewaffnen. Dass sie die Kernenergie zivil nutzen können, das ist völlig selbstverständlich. Dass sie aber für Transparenz sorgen müssen, dass es keine nukleare Bewaffnung der jeweiligen Regierung geben kann, das gehört auch zur rechtlichen Verpflichtung dazu.
Barenberg: Heute Morgen im Deutschlandfunk der Bundesaußenminister und FDP-Politiker Guido Westerwelle. Danke schön, Herr Westerwelle, für dieses Gespräch.
Westerwelle: Auf Wiederhören!
Guido Westerwelle: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Herr Westerwelle, lassen Sie uns am Anfang kurz über diese neue Nuklearstrategie sprechen, offensichtlich ja ein Kompromiss, ein Mittelweg zwischen der Hoffnung auf eine grundsätzliche Veränderung und die Forderung vor allem des Militärs in den USA, den Status quo zu erhalten. Aus Ihrer Sicht nur eine Akzentverschiebung also, oder eine Zeitenwende in der amerikanischen Militärdoktrin?
Westerwelle: Ich glaube, dass diese neue Nuklearstrategie der Vereinigten Staaten von Amerika die Chance für eine Zeitenwende beinhaltet. Es ist noch keine, aber es ist in jedem Fall ein außerordentlich begrüßenswerter Schritt in die richtige Richtung, nämlich in Richtung Abrüstung und Rüstungskontrolle und nuklearer Nichtverbreitung.
Barenberg: Hätten Sie sich, wie manche ja, mehr gewünscht, zum Beispiel den vollständigen Verzicht auf den atomaren Erstschlag?
Westerwelle: Gemessen an dem, was bisher ja auch Doktrin gewesen ist, ist das ein wirklich ganz bemerkenswerter Fortschritt und man muss auch anerkennen, was hier Präsident Obama gelungen ist, übrigens auch nach innen gelungen ist. Das muss alles ja auch noch innenpolitisch durchgefochten werden. Die Tatsache, dass beispielsweise die Vereinigten Staaten von Amerika ausdrücklich künftig verzichten auf die Entwicklung neuer nuklearer Sprengköpfe und damit ja auch auf Atomtests verzichten wollen, das ist schon eine außerordentlich wichtige Entscheidung und das zeigt, dass wir eine wirkliche Chance haben, dass dieses Jahrzehnt ein Jahrzehnt der Abrüstung wird. Wenn jetzt in dieser Woche, nämlich morgen in Prag, ja auch das gemeinsame START-Nachfolgeabkommen unterschrieben wird, also die Reduzierung der strategischen Nuklearwaffen, so muss man eben die verschiedenen Maßnahmen in einem Zusammenhang sehen. Die Gefahr ist groß, wenn wir jetzt nicht richtig handeln, dass dieses nächste Jahrzehnt ein Jahrzehnt der Aufrüstung wird, und Präsident Obama zeigt einen entschiedenen Willen, dass es ein Jahrzehnt der Abrüstung wird, und dabei unterstützt ihn die Bundesregierung.
Barenberg: Sie betonen die Hoffnung auf ein Jahrzehnt der Abrüstung. Nun haben wir uns ja lange an das Paradox gewöhnt, dass Atomwaffen gerade die Welt sicherer machen. Warum ist das nicht mehr so, sondern das Gegenteil inzwischen der Fall?
Westerwelle: Weil wir zwei große neue Gefahren haben, nämlich die erste große neue Gefahr ist, dass mittlerweile Staaten nach Atomwaffen drängen, bei denen wir auch davon ausgehen müssen, dass sie in irrationalen Händen sind, und zum zweiten ist die Gefahr sehr groß, dass auch Terroristen oder terroristische Gruppierungen, je mehr Atomwaffenstaaten es gibt, in die Hände von solchen nuklearen Waffen geraten können. Das heißt, das was früher einmal richtig gewesen ist zur Zeit des Kalten Krieges, auch das Abschreckungsprinzip, das wird jetzt eben zu ergänzen sein durch ein klares Bekenntnis zur Abrüstung und zur Rüstungskontrolle. Wenn wir beispielsweise gegenüber dem Iran darauf drängen, dass er sich nicht atomar bewaffnet, dann hat das viel mit der regionalen Stabilität zu tun, aber es hat auch etwas mit der nuklearen Nichtverbreitung zu tun. Wenn wir nicht aufpassen, dann kann es passieren, dass wir in den nächsten zehn Jahren die Zahl der Atomwaffenstaaten verdoppeln, und das würde wiederum auch das Risiko verdoppeln, dass terroristische Gruppen entsprechende Atomwaffen in die Hände bekommen oder nukleares Material in die Hände bekommen.
Barenberg: Gerade mit Blick auf Staaten wie den Iran, Herr Westerwelle, heißt das auch, dass die USA ihre Vorbildrolle in dieser Hinsicht, in Fragen der Abrüstung, der Rüstungskontrolle stärken müssen, dass sie ein Glaubwürdigkeitsdefizit bisher hatten und das nun ausgleichen wollen?
Westerwelle: Ich möchte jedenfalls anerkennen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika hier einen ganz wichtigen Schritt gehen, und ich möchte auch anerkennen, dass Russland auf der anderen Seite dabei ist. Man darf ja nicht vergessen, dass ungefähr 90 Prozent der Nuklearwaffen in den Händen dieser beiden Staaten sind und dass ein Jahr nach der berühmten Prager Rede von Präsident Obama, also dem Bekenntnis zur nuklearen Null-Lösung, zu Nuclear zero, dass ein Jahr später dieser START-Nachfolgevertrag in Prag unterschrieben wird. Das ist schon ein historisches Datum und wir Deutsche haben ja auch unsere eigenen Interessen noch dabei über die abstrakte Abrüstung hinaus. Wenn die Vereinigten Staaten von Amerika jetzt einen Einstieg in weitere Abrüstungsgespräche mit Russland wollen, die dann auch substrategische, also taktische Nuklearwaffen bedeuten, und dass es auch um die gelagerten Bestände in den USA geht, dann ist das auch für Europa sehr wichtig, denn das Ziel der Bundesregierung ist es ja, gemeinsam mit unseren Verbündeten zu erreichen, dass diese letzten in Deutschland stationierten nuklearen Waffen abgezogen werden, und auch dafür ist das, was als nationale Nuklearstrategie von den Vereinigten Staaten von Amerika soeben beschlossen worden ist, von herausragender Bedeutung.
Barenberg: Was die verbliebenen taktischen Atomwaffen auch auf dem Gebiet Deutschlands angeht, so haben Sie einen Verzicht darauf, einen Abzug dieser Waffen ja schon verschiedentlich ins Spiel gebracht und ernten aber wenig Gehör in Washington. Warum ist das so?
Westerwelle: Im Gegenteil! Die nukleare Strategie der Vereinigten Staaten von Amerika ist genau ein Weg in diese Richtung. Dass das noch lange Verhandlungen braucht und dass vor allen Dingen jeder unserer NATO-Bündnispartner sicher sein muss, dass das nicht auf Kosten seiner eigenen Sicherheitsgarantien geht, ist selbstverständlich. Deswegen haben ja auch mehrere Außenminister mit uns und mit mir gemeinsam für den NATO-Gipfel in Tallinn angeregt, dass das Thema Abrüstung dort auch im Rahmen der NATO-Strategie beraten wird. Die NATO soll ja wieder sehr viel stärker auch ein politisches Forum werden und Abrüstung gehört auch in die NATO-Diskussion hinein, und im April, am 22./23. April, werde ich ja dann mit meinen NATO-Kollegen in Tallinn auch über diese Frage reden. Norwegen, die Benelux-Staaten, Deutschland, wir haben dafür gesorgt, dass das Thema Abrüstung und Rüstungskontrolle in Tallinn auf der Agenda steht, und ich freue mich sehr, dass uns das gelungen ist.
Barenberg: Und Sie haben die Antwort von Außenministerin Hillary Clinton erhalten, die da nämlich lautete, wir hoffen, dass es keine voreiligen Schritte gibt, die unsere Abschreckungsfähigkeit unterminieren würden. Stoßen Sie also auf Granit bei Ihrem unmittelbaren Ziel, diese taktischen Atomwaffen abzuschaffen?
Westerwelle: Nein, im Gegenteil, denn das was gestern ja veröffentlicht worden ist, belegt ja, dass die Skeptiker der Abrüstung doch etwas optimistischer ans Werk gehen müssen. Dass Abrüstung ein dickes Brett ist, das man bohren will, das wissen wir doch, aber auch ein 1.000-Meter-Lauf beginnt mit dem ersten Schritt und es geht nicht um deutsche Alleingänge, sondern es geht darum, dass wir uns im Bündnis auf konkrete Abrüstungsschritte verständigen. Wir Deutsche haben ein Ziel, nämlich dass auch die nuklearen letzten Waffen, die in Deutschland stationiert werden, abgezogen werden. Dass das nicht von heute auf morgen geht, sondern dass das nur in Verhandlungen geht, dass das im Rahmen des Bündnisses nur gehen kann, das ist eine Selbstverständlichkeit, aber dafür hat die gestrige Nuklearstrategie der USA einen wichtigen Beitrag geleistet. Ich begrüße das sehr und bin sehr ermutigt, dass wir als Bundesregierung bei diesem Weg der Abrüstungspolitik jetzt mit neuem Rückenwind fortsetzen können.
Barenberg: Vor allem in Osteuropa, Herr Westerwelle, Sie haben es selber angeschnitten, gibt es die Sorge, dass die NATO ihre nukleare Abschreckung schwächen könnte. Welche Sicherheitsgarantien können und wollen Sie denn den kleinen osteuropäischen Verbündeten geben?
Westerwelle: Erst mal bringen Sie es genau auf den Punkt. Genau darum geht es, dass nämlich kein Bündnispartner das Gefühl hat, es geht etwas zu Lasten seiner eigenen Sicherheit. Man darf nie vergessen: diese Staaten, auch die Sie gerade angesprochen haben, haben ja historische Erfahrungen, die geradezu traumatisch sind, und das muss man kennen und das muss man auch berücksichtigen. Dementsprechend wird das jetzt gemeinsam im Bündnis bei der NATO zu besprechen sein, denn die NATO ist ja nicht nur ein militärtechnisches Bündnis, sondern es ist ja eine Wertegemeinschaft, es ist ja ein politisches Bündnis, und dort gehören auch politische Diskussionen wieder hin.
Barenberg: Werden Sie denn auch Russland beispielsweise darauf drängen, seine noch verbliebenen, geschätzte etwa 3.000 taktischen Atomwaffen zu reduzieren?
Westerwelle: Absolut! Das gehört in einen Zusammenhang und das ist auch ein richtiger und notwendiger Hinweis. Deswegen geht es ja jetzt darum, dass neue Verhandlungen aufgemacht werden, denn dass Abrüstung immer nur dann funktioniert, wenn auch natürlich alle Beteiligten sich zur Abrüstung verpflichten, das ist klar. Es ist also eine gegenseitige Verpflichtung in der Abrüstungspolitik auch mit der nuklearen Nichtverbreitung getroffen worden. Einerseits verpflichten sich die Atomstaaten abzurüsten, und wohl gemerkt 90 Prozent der Atomwaffen sind USA oder russische Atomwaffen, und andererseits verpflichten sich aber die anderen Staaten, die keine Atomwaffen haben, sich auch nicht atomar zu bewaffnen. Dass sie die Kernenergie zivil nutzen können, das ist völlig selbstverständlich. Dass sie aber für Transparenz sorgen müssen, dass es keine nukleare Bewaffnung der jeweiligen Regierung geben kann, das gehört auch zur rechtlichen Verpflichtung dazu.
Barenberg: Heute Morgen im Deutschlandfunk der Bundesaußenminister und FDP-Politiker Guido Westerwelle. Danke schön, Herr Westerwelle, für dieses Gespräch.
Westerwelle: Auf Wiederhören!