Professor Gert G. Wagner: Guten Morgen!
Spengler: Herr Wagner, macht es sich die Politik nicht ein wenig einfach, wenn sie einfach Missbrauch schreit, wo Gesetzeslücken ausgenutzt werden?
Wagner: Ja! Es ist durchaus ein Problem vorhanden, aber das sollte man nicht personalisieren und als Missbrauch bezeichnen, sondern das sind Mitnahmeeffekte, die es bei jedem neuen Gesetz gibt. Das kostet zwar Geld. Da muss man auch darüber nachdenken, wie man damit umgeht. Aber jetzt auf die Arbeitslosen zu zeigen und zu sagen, die missbrauchen hier ein Gesetz, ist wie Sie eben schon in Ihrer Anmoderation sagten meines Erachtens falsch.
Spengler: Das heißt, wenn clevere Geschäftsleute Steuerschlupflöcher nutzen, dann ist das etwa vergleichbar, wie wenn clevere Arbeitslose Gesetzeslücken ausnutzen?
Wagner: Ganz genau. Nur einmal sagt man, die sind clever, die versuchen, dem Staat nicht so viel zu geben, wie ihm zusteht, weil man ohnehin glaubt, man müsste keine Steuern zahlen. In dem anderen Fall wird von Missbrauch gesprochen.
Spengler: Einig ist man sich ja darin, dass die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen nicht so funktioniert, wie dies eigentlich mit Hartz IV erreicht werden sollte. Woran liegt das?
Wagner: A muss man natürlich noch üben. Dass die Arbeitsagentur das aus dem Stand kann, war ja eigentlich überhaupt nicht zu erwarten. Die Gesetze wurden sehr schnell gemacht und es wurde auch sehr schnell implementiert. Zum Zweiten muss es auch die Arbeitsplätze geben. Wir haben nicht einen derartigen Aufschwung, dass zu erwarten wäre, dass all diese Arbeitsplätze vorhanden sind. Zum Dritten muss man auch nüchtern feststellen, dass Arbeitgeber gegenüber Langzeitarbeitslosen sehr, sehr skeptisch sind, weil sie hier Probleme vermuten. Schließlich gibt es auch noch den einen oder anderen Langzeitarbeitslosen, der ein Motivationsproblem hat, um es mal so zu sagen.
Spengler: Man könnte auf Deutsch sagen ein Faulenzer?
Wagner: Nein, nicht ein Faulenzer, sondern der erwartet nicht mehr sehr viel von Erwerbstätigkeit. Der weiß auch, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass er wieder arbeitslos wird, selbst wenn er jetzt einen Job findet. Das würde ich eher etwas abstrakt als Motivationsproblem bezeichnen, aber nicht sagen, das ist per se ein Faulenzer. Faulenzer gibt es in allen Berufsschichten. Es gibt auch Faulenzer unter denen, die erwerbstätig sind, die das nur relativ gut tarnen können. Motivationsproblem trifft die Sache besser.
Spengler: Professor Wagner, Sie haben ja mehrere Punkte angeführt. Wenn wir die mal durchgehen. Sie sagten, es gibt nicht genügend Arbeitsplätze. Zumindest bei den Spargelbauern oder den Erdbeerbauern gibt es die?
Wagner: Ja, das ist so eine sehr beliebte populistische Geschichte. Hier muss man sehen: das ist sehr, sehr harte Arbeit. Die kann überhaupt nicht jeder machen. Diejenigen, die aus Osteuropa kommen, die verdienen für ihr Heimatland gesehen ja relativ viel Geld. Je nachdem wie weit die weg sind, also nicht in Polen, aber darüber hinaus, kann man in einer Spargel- und Erdbeersaison im Grunde ein Jahreseinkommen verdienen. Würden deutsche Langzeitarbeitslose den Sommer über ein ganzes Jahreseinkommen verdienen können und müssten dann auch nicht mehr in anderer Art und Weise erwerbstätig sein, würde das auch ganz anders aussehen.
Spengler: Das heißt die Motivation wäre dann höher?
Wagner: Die Motivation wäre höher und insbesondere sie hätten eine Perspektive. Jetzt ist es ja so: wer beim Spargelstechen tätig ist, der hat ja anschließend deswegen nicht automatisch einen Job, sondern er wird eher auch wieder in eine perspektivlose Situation geschickt. Das sollte berücksichtigt werden, wird aber in der Regel in der Öffentlichkeit nicht so gesehen.
Spengler: Hat denn die Gesellschaft nicht einen Anspruch darauf, dass diejenigen, die sie alimentiert, dann auch etwas dafür tun?
Wagner: Letztendlich muss man sagen, in einem humanen Sozialstaat muss es auch Leute geben, die alimentiert werden und die nichts dafür tun. Das sollten aber möglichst wenige sein. Genauso wie die Gesellschaft diesen Anspruch formulieren kann, kann der Langzeitarbeitslose natürlich auch formulieren, dass die Gesellschaft es so arrangieren muss, dass überhaupt ein Arbeitsplatz vorhanden ist, der auch von einem Arbeitgeber angeboten wird, und das ist offensichtlich eben nicht so einfach.
Spengler: Und dann haben Sie eben in einer der ersten Antworten angeführt, dass viele Arbeitgeber sich schwer tun, Jobs die es gibt mit Langzeitarbeitslosen zu besetzen. Warum?
Wagner: Das sollte man Arbeitgebern auch nicht vorwerfen, sondern man muss sich ja nur in die Situation hineinversetzen. Langzeitarbeitslosigkeit kann zwei Ursachen haben: zum einen die Ursache, dass jemand einfach Pech hatte, in einer Region lebt, wo es keine Jobs gibt. Das ist in Ostdeutschland eben sehr häufig der Fall. Zum Zweiten deutet aber Langzeitarbeitslosigkeit immer auch darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit höher ist als bei einem anderen, dass es persönliche Probleme gibt, beispielsweise ein schlechter Gesundheitszustand. Je länger jemand arbeitslos ist, umso weniger Erfahrung mit neuen Technologien, mit neuen Organisationsformen bringt er auch mit. Sein Humankapital ist entwertet, wie man etwas abstrakt sagt. Ein Arbeitgeber, der Vorsichtig ist, wird deswegen, weil einfach die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass ein Langzeitarbeitsloser persönliche Probleme mitbringt, versuchen, Langzeitarbeitslose nicht einzustellen, sondern beispielsweise Rentner, Schüler, Studenten oder Hausfrauen zu nehmen, mit denen diese Probleme nicht zu erwarten sind. Das nennt man statistische Diskriminierung. Die ist eben völlig rational aus Sicht eines Arbeitgebers. Deswegen ist es eben so wichtig, dass man versucht, Langzeitarbeitslosigkeit von vornherein zu verhindern, damit Leute gar nicht in diese Falle hineinlaufen, dass man aus statistischen Gründen vermutet, dass sie Probleme machen.
Spengler: Welche Perspektiven haben diejenigen, die jetzt langzeitarbeitslos sind?
Wagner: Keine guten. Die würden eigentlich nur in Lohn und Brot kommen, wenn wir wirklich einen ganz enormen Wirtschaftsaufschwung haben und gewissermaßen den Arbeitgebern gar nichts anderes übrig bleibt, als auch dann am Ende Langzeitarbeitslose einzustellen.
Spengler: Das war Professor Gert Wagner, der Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Herr Professor Wagner, herzlichen Dank für das Gespräch!
Wagner: Vielen Dank!