Christian Schütte: Guten Morgen!
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Morgen, Herr Schütte!
Schütte: Sie haben es mitgehört, für Oberstaatsanwaltschaft Winkler steht fest: Demjanjuk ist schuldig. Ist für Sie der Fall auch klar?
Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist sehr viel über den Fall zu lesen, auch über die ganzen letzten Jahrzehnte und den Prozess, den es schon in Israel gegeben hat. Ich denke, dass es richtig ist - und die Staatsanwaltschaft hat ja die Ermittlungen jetzt geführt -, Herrn Demjanjuk anzuklagen, wenn man sagt: Es gibt ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass er sich hier mit verantwortlich gemacht hat bei dem, was im Lager Sobibor passiert ist.
Schütte: Sie haben den Prozess in Israel angesprochen, dort ist er in den 80er-Jahren schon einmal angeklagt worden und verurteilt worden wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 800.000 Juden in Treblinka. Doch dann brach die Beweisführung letztlich zusammen, das Todesurteil wurde aufgehoben. Besteht die Gefahr, dass sich das in München wiederholt?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich glaube nicht, dass sich das, was in Israel passiert ist, im Verfahren jetzt auch in München wiederholen kann, denn in Israel stellte sich ja nachher heraus, dass man Herrn Demjanjuk für einen anderen gehalten hatte, für diesen sogenannten "Iwan, den Schrecklichen", und das war nachher in der Beweisführung nicht zu halten und es bezog sich auf das Konzentrationslager Treblinka. Also jetzt, denke ich, ist das, was an Möglichkeiten da ist für die Beweisführung mit Sicherheit von der deutschen Staatsanwaltschaft sehr, sehr sorgfältig über lange, lange Jahre geprüft worden. Von daher liegt jetzt der Sachverhalt und die Anklageführung doch anders als damals in Israel.
Schütte: Welche Bedeutung hat denn der anstehende Prozess aus Ihrer Sicht?
Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist wohl doch der letzte Prozess gegen wohl einen, der in der Hierarchiekette unten war, aber doch ein Prozess von erheblicher öffentlicher Wahrnehmung und Interesse, vielleicht einer der letzten größeren Prozesse mit all dem, was mit dieser fürchterlichen NS-Unrechtzeit zu tun hat. Von daher kommt ihm ja auch besondere Aufmerksamkeit zu und das Ringen, Herrn Demjanjuk zur Verantwortung zu ziehen - über Jahrzehnte hinweg - verschafft natürlich dem Prozess noch mal doch eine besondere Bedeutung und besondere Aufmerksamkeit.
Schütte: Nun ist Herr Demjanjuk in seiner derzeitigen gesundheitlichen Verfassung eingeschränkt verhandlungsfähig, haben die Richter am Bundesverfassungsgericht entschieden. Aus Ihrer Erfahrung als Juristin heraus: Steht für Sie fest, dass der Prozess tatsächlich beginnen kann und dann auch zu Ende geführt wird?
Leutheusser-Schnarrenberger: Die Ärzte haben über den Gesundheitszustand von Demjanjuk ja eine Bewertung abgegeben und im Rahmen dessen ist er eingeschränkt verhandlungsfähig, aber eingeschränkt heißt nur immer zeitlich eingeschränkt. Es wird ihm attestiert, dass er sehr wohl voll in der Lage ist, dem Prozess zu folgen. Man muss sich an die Vorgaben halten und deshalb denke ich, aus heutiger Sicht ist es richtig, diesen Prozess auch anzustrengen. Wie sich das über die Länge der Zeit dann entwickeln kann, kann heute noch niemand sagen, aber es ist richtig, die Anklage zu erheben und dann wohl aller Voraussicht nach im Herbst dann auch die Hauptverhandlung gegen ihn zu eröffnen. Nach heutiger Sicht kann Herr Demjanjuk das durchstehen gesundheitlich.
Schütte: Könnte es sein, dass Herr Demjanjuk oder seine Verteidiger versuchen, Einfluss auf die Gutachten der Ärzte zu nehmen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Die Verteidigung muss die Anliegen des Angeklagten, des Beschuldigten wahrnehmen und natürlich bestimmt auch immer wieder auf den gesundheitlichen Zustand hinweisen, vielleicht auch immer wieder versuchen, eine neue Bewertung zu bekommen. Aber Einfluss nehmen auf die Gutachter, das sehe ich nicht, aber es wird bestimmt immer wieder im Laufe des Prozesses auch um diese Frage gehen und möglicherweise dann auch immer wieder noch mal eine ärztliche Bewertung erforderlich machen. Aber ich glaube nicht, dass daran die Eröffnung der Hauptverhandlung scheitern wird.
Schütte: Im Moment heißt es, Herr Demjanjuk darf zweimal 90 Minuten am Tag verhört, angehört werden. Inwiefern ändert sich dadurch konkret die Arbeitsweise der Staatsanwaltschaft und der Richter? Schränkt das die Wahrheitsfindung in irgendeiner Form ein?
Leutheusser-Schnarrenberger: Es schränkt die Wahrheitsfindung nicht ein, aber es kann den Prozess natürlich damit zeitlich verlängern, weil sonst ja doch länger verhandelt wird, mit natürlich immer auch einer Unterbrechung, aber jetzt muss man sich eben konzentrieren auf diese zweimal 90 Minuten an einem Tag. Aber sehr wohl kann damit auch ein solcher Prozess durchgeführt werden, das ist kein Hinderungsgrund, damit kennt man sich auch aus, das kommt immer wieder vor. Von daher denke ich, das ist jetzt ein Aspekt, aber der lässt keine Zweifel an einem ordnungsgemäßen Verfahren aufkommen.
Schütte: Sie haben es bereits gesagt, es ist vermutlich einer der letzten großen Prozesse über Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Die beteiligten Juristen stehen möglicherweise ein bisschen unter Druck, schließlich schaut die ganze Welt auf diese Verhandlungen. Inwiefern kann man da als Jurist unbefangen herangehen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Als Jurist - und das ist nun gerade der Beruf als Staatsanwalt und als Richter - muss man alle Aspekte in einem Verfahren sehen, entlastende und belastende, natürlich auch sehen, wie interessiert die Öffentlichkeit ist. Aber auch das ist ja etwas, mit dem Richter im Laufe ihrer beruflichen Tätigkeit über Jahre hinweg zu tun haben. Das ist natürlich auch ein Stück Belastung, aber ich habe überhaupt gar keinen Zweifel, dass hier trotz dieses großen öffentlichen internationalen Interesses und trotz der Erwartungen, die auch an diesen Prozess geknüpft werden, diese Richter ganz klar am Sachverhalt und an den Umständen orientiert, sehr ruhig und sachlich den Prozess führen. Ich sehe überhaupt nicht, dass dadurch eine Beeinflussung des Prozesses erfolgen könnte.
Schütte: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ehemals Bundesjustizministerin, heute Landesvorsitzende der FDP in Bayern, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Morgen, Herr Schütte!
Schütte: Sie haben es mitgehört, für Oberstaatsanwaltschaft Winkler steht fest: Demjanjuk ist schuldig. Ist für Sie der Fall auch klar?
Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist sehr viel über den Fall zu lesen, auch über die ganzen letzten Jahrzehnte und den Prozess, den es schon in Israel gegeben hat. Ich denke, dass es richtig ist - und die Staatsanwaltschaft hat ja die Ermittlungen jetzt geführt -, Herrn Demjanjuk anzuklagen, wenn man sagt: Es gibt ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass er sich hier mit verantwortlich gemacht hat bei dem, was im Lager Sobibor passiert ist.
Schütte: Sie haben den Prozess in Israel angesprochen, dort ist er in den 80er-Jahren schon einmal angeklagt worden und verurteilt worden wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 800.000 Juden in Treblinka. Doch dann brach die Beweisführung letztlich zusammen, das Todesurteil wurde aufgehoben. Besteht die Gefahr, dass sich das in München wiederholt?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich glaube nicht, dass sich das, was in Israel passiert ist, im Verfahren jetzt auch in München wiederholen kann, denn in Israel stellte sich ja nachher heraus, dass man Herrn Demjanjuk für einen anderen gehalten hatte, für diesen sogenannten "Iwan, den Schrecklichen", und das war nachher in der Beweisführung nicht zu halten und es bezog sich auf das Konzentrationslager Treblinka. Also jetzt, denke ich, ist das, was an Möglichkeiten da ist für die Beweisführung mit Sicherheit von der deutschen Staatsanwaltschaft sehr, sehr sorgfältig über lange, lange Jahre geprüft worden. Von daher liegt jetzt der Sachverhalt und die Anklageführung doch anders als damals in Israel.
Schütte: Welche Bedeutung hat denn der anstehende Prozess aus Ihrer Sicht?
Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist wohl doch der letzte Prozess gegen wohl einen, der in der Hierarchiekette unten war, aber doch ein Prozess von erheblicher öffentlicher Wahrnehmung und Interesse, vielleicht einer der letzten größeren Prozesse mit all dem, was mit dieser fürchterlichen NS-Unrechtzeit zu tun hat. Von daher kommt ihm ja auch besondere Aufmerksamkeit zu und das Ringen, Herrn Demjanjuk zur Verantwortung zu ziehen - über Jahrzehnte hinweg - verschafft natürlich dem Prozess noch mal doch eine besondere Bedeutung und besondere Aufmerksamkeit.
Schütte: Nun ist Herr Demjanjuk in seiner derzeitigen gesundheitlichen Verfassung eingeschränkt verhandlungsfähig, haben die Richter am Bundesverfassungsgericht entschieden. Aus Ihrer Erfahrung als Juristin heraus: Steht für Sie fest, dass der Prozess tatsächlich beginnen kann und dann auch zu Ende geführt wird?
Leutheusser-Schnarrenberger: Die Ärzte haben über den Gesundheitszustand von Demjanjuk ja eine Bewertung abgegeben und im Rahmen dessen ist er eingeschränkt verhandlungsfähig, aber eingeschränkt heißt nur immer zeitlich eingeschränkt. Es wird ihm attestiert, dass er sehr wohl voll in der Lage ist, dem Prozess zu folgen. Man muss sich an die Vorgaben halten und deshalb denke ich, aus heutiger Sicht ist es richtig, diesen Prozess auch anzustrengen. Wie sich das über die Länge der Zeit dann entwickeln kann, kann heute noch niemand sagen, aber es ist richtig, die Anklage zu erheben und dann wohl aller Voraussicht nach im Herbst dann auch die Hauptverhandlung gegen ihn zu eröffnen. Nach heutiger Sicht kann Herr Demjanjuk das durchstehen gesundheitlich.
Schütte: Könnte es sein, dass Herr Demjanjuk oder seine Verteidiger versuchen, Einfluss auf die Gutachten der Ärzte zu nehmen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Die Verteidigung muss die Anliegen des Angeklagten, des Beschuldigten wahrnehmen und natürlich bestimmt auch immer wieder auf den gesundheitlichen Zustand hinweisen, vielleicht auch immer wieder versuchen, eine neue Bewertung zu bekommen. Aber Einfluss nehmen auf die Gutachter, das sehe ich nicht, aber es wird bestimmt immer wieder im Laufe des Prozesses auch um diese Frage gehen und möglicherweise dann auch immer wieder noch mal eine ärztliche Bewertung erforderlich machen. Aber ich glaube nicht, dass daran die Eröffnung der Hauptverhandlung scheitern wird.
Schütte: Im Moment heißt es, Herr Demjanjuk darf zweimal 90 Minuten am Tag verhört, angehört werden. Inwiefern ändert sich dadurch konkret die Arbeitsweise der Staatsanwaltschaft und der Richter? Schränkt das die Wahrheitsfindung in irgendeiner Form ein?
Leutheusser-Schnarrenberger: Es schränkt die Wahrheitsfindung nicht ein, aber es kann den Prozess natürlich damit zeitlich verlängern, weil sonst ja doch länger verhandelt wird, mit natürlich immer auch einer Unterbrechung, aber jetzt muss man sich eben konzentrieren auf diese zweimal 90 Minuten an einem Tag. Aber sehr wohl kann damit auch ein solcher Prozess durchgeführt werden, das ist kein Hinderungsgrund, damit kennt man sich auch aus, das kommt immer wieder vor. Von daher denke ich, das ist jetzt ein Aspekt, aber der lässt keine Zweifel an einem ordnungsgemäßen Verfahren aufkommen.
Schütte: Sie haben es bereits gesagt, es ist vermutlich einer der letzten großen Prozesse über Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Die beteiligten Juristen stehen möglicherweise ein bisschen unter Druck, schließlich schaut die ganze Welt auf diese Verhandlungen. Inwiefern kann man da als Jurist unbefangen herangehen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Als Jurist - und das ist nun gerade der Beruf als Staatsanwalt und als Richter - muss man alle Aspekte in einem Verfahren sehen, entlastende und belastende, natürlich auch sehen, wie interessiert die Öffentlichkeit ist. Aber auch das ist ja etwas, mit dem Richter im Laufe ihrer beruflichen Tätigkeit über Jahre hinweg zu tun haben. Das ist natürlich auch ein Stück Belastung, aber ich habe überhaupt gar keinen Zweifel, dass hier trotz dieses großen öffentlichen internationalen Interesses und trotz der Erwartungen, die auch an diesen Prozess geknüpft werden, diese Richter ganz klar am Sachverhalt und an den Umständen orientiert, sehr ruhig und sachlich den Prozess führen. Ich sehe überhaupt nicht, dass dadurch eine Beeinflussung des Prozesses erfolgen könnte.
Schütte: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ehemals Bundesjustizministerin, heute Landesvorsitzende der FDP in Bayern, ich danke Ihnen für das Gespräch!