Wer in Italien etwas anderes hören will als RAI und Radioeinheitsbrei, schaltet Radio 24 aus Mailand ein. Da darf ein gewisser Oscar Giannino seine Ansichten verbreiten, und seit vielen Monaten beginnt er seine Sendung mit einem musikalischen Statement von "The Doors": "This is the end".
"Damit will ich sagen, dass ein Land wie Italien im Vergleich zu Ländern wie Deutschland seit 20 Jahren an Produktivität verliert, und seine Staatsschulden steigen weiter. Diese beiden Faktoren sollten im italienischen Desaster anzeigen, was die Stunde geschlagen hat, aber die Politik schaut nicht auf die Uhr."
Wenn Oscar Giannino einmal ansetzt zu sprechen, dann lässt er sich nicht mehr so leicht stoppen. Er hat einen gewaltigen Mitteilungsdrang, verschluckt Silben und verirrt sich in labyrinthartigen Satzgebilden. Dazu das äußere Erscheinungsbild: Ein echter Pfau. Den Bart trägt der 51 jährige im Stile des Preußen-Kaisers Friedrich, dazu Designerware, die im Ausverkauf besonders billig sein muss, weil: Wer zieht schon einen rot-weiß gestreiften Anzug an? Ein dunkelblaues Sakko mit hellblauen Tupfen? Schade, dass dieser Mann im Radio arbeitet – genauer: gearbeitet hat.
"Nun, ich bin hauptsächlich Wirtschaftsjournalist und Firmenberater und habe mich mit vielen Freunden zusammengeschlossen, die gleichaltrig sind und ins Ausland gegangen sind, weil sie hier in diesem Land keine Perspektive sahen. Wir haben vor einigen Monaten festgestellt, dass wir in den Programmen der italienischen Parteien nichts finden, was die Auflagen Europas erfüllt. Deshalb haben wir uns gesagt: Jetzt müssen wir ran. Wir sind normale Bürger, keine Politiker, viele Freiberufler, Manager, Universitätsprofessoren ..."
Giannino ist also vom Radio in die Politik gegangen. Bei den Parlamentswahlen tritt er mit einer kleinen Formation an, die sich einen (auch in italienischen Ohren) sehr umständlichen Namen ausgesucht hat: "Fare per fermare il declino". Etwas tun, um den Untergang aufzuhalten. Ob diese Partei dazu einen entscheidenden Beitrag leisten kann, darf bezweifelt werden. Die Vier-Prozent-Hürde wird Oscar Giannino wohl nicht schaffen, und das liegt vor allem daran, dass er mit keinem der großen Lager zusammengehen will: Nicht mit dem Populisten Silvio Berlusconi, nicht mit dem Professor Mario Monti und schon gar nicht mit dem Sozialdemokraten Pierluigi Bersani:
"Berlusconi kann Italien in Europa und auch weltweit nicht mehr vertreten. Das hat man ja auch am Holocaust-Gedenktag gesehen. Wir können uns auch nicht mit der Linken identifizieren, die noch mehr Steuern will. Monti hätte uns schon gefallen, doch sein Programm hat uns enttäuscht."
"This is the end": Aus Oscars apokalyptischer Perspektive lässt sich Italien nur noch mit einer superliberalen Rosskur retten. Der Staat muss seine Ausgaben massiv reduzieren, sich von allem trennen, was nicht niet- und nagelfest ist. Und Politiker und Staatsbedienstete müssen abspecken. In keinem anderen Land verdienen Volksvertreter mehr als in Italien.
"Im Wahlkampf erinnere ich immer daran, dass es für einen deutschen Bürger und Steuerzahler, mehr noch für einen deutschen Politiker schwer zu verdauen ist, dass sie Italien helfen sollen, wenn zum Beispiel der italienische Botschafter in Berlin doppelt so viel verdient wie die Bundeskanzlerin. Da habt ihr Deutschen Recht."
Oscar Giannino ist vermutlich der einzige Politiker in Italien, der für Deutschlands harten Eurokurs Sympathie zeigt. Damit kann man keine Wahlen gewinnen.
"Vor der Einführung des Euro konnte sich jeder Italiener eine Wohnung kaufen und in die Ferien gehen. Heute nicht mehr. Es driftet auseinander, es gibt immer mehr Arme und immer mehr Reiche, wie in Russland."
Marco Ramadori ist der Anwalt der Italiener. Präsident der überparteilichen Verbraucherschutzorganisation "Codacons". In seinem schlichten Büro in Rom stapeln sich die Akten bis unter die Decke. Fälle, in denen Menschen sich um ihr gutes Recht betrogen fühlen. Und seit Italien unter den Sparvorgaben der EU steht, nimmt deren Zahl zu. Überall wird gekürzt, gespart, gestrichen. In der Schule, an den Universitäten, bei der Rente und beim Gehalt. Gleichzeitig steigen die Steuern, die Lebenshaltungskosten und der Frust der Menschen.
"Das ist das wahre Problem Italiens: Das soziale Gewebe wird schwächer. Wer kann, versucht auszuwandern und fehlt uns dann in Italien. Aber natürlich, das ist sein gutes Recht."
Marco Ramadoris Organisation hat die "Lage der Nation" in einen Kalender gepackt. Doch dieser "Calendario" des Jahres 2013 ist kein normaler Kalender.
"Dieser Kalender hat nur drei Wochen, statt vier Wochen im Monat. Die Leute schaffen es sowieso nicht bis zur vierten Woche. Es ist also unsinnig sie aufzuführen. Ein Kalender mit nur drei Wochen. Das war natürlich eine Provokation, von der im Fernsehen und überall berichtet wurde. Doch sie spiegelt das Italien von heute wieder. Leider haben die Leute kein Geld mehr und woran sparen sie? An der Gesundheit, an der Präventio, und dadurch steigt die Zahl der Krankheiten und Todesfälle."
Patient Italien. Nirgendwo lassen sich die Folgen der Krise besser ablesen als im Gesundheitswesen dieses Landes. Hier paart sich jahre- und jahrzehntelange Misswirtschaft mit den radikalen Kürzungen der letzten Monate.
Der Besucher merkt schon vor der Tür, dass im Dermatologischen Institut IDI in Rom etwas nicht stimmt. Am Zaun hängt ein Leintuch mit der Aufschrift: "Ich habe kein Gehalt". Und über den Eingang haben sie geschrieben: "Ci dovete pagare!" Ihr müsst uns bezahlen. 1500 Mitarbeiter hatte dieses Krankenhaus einmal. Doch beim Träger, einem katholischen Orden, wurden Gelder veruntreut, und die Region Latium hat Zuschüsse gestrichen. Seitdem wurde massiv Personal abgebaut. Und diejenigen, die wie Dr. Claudio Barbieri noch eine Stelle haben, arbeiten für Gotteslohn.
"So eine Situation hat es noch nie gegeben. Ich habe nie einen Angestellten eines Krankenhauses oder einer ähnlichen Einrichtung kennen gelernt, der über so einen langen Zeitraum nicht bezahlt wurde. Wir bekommen mittlerweile schon seit fünf Monaten unsere Gehälter nicht mehr."
Der Patient Italien ist am Ende. Die Bürger brechen unter der hohen Steuerlast zusammen. Unternehmen schließen, und die Jungen wandern aus. Doch für all das hat dieser Mann eine Lösung.
"Es ist unverzichtbar, dass sich die ganze Ausrichtung unserer Politik ändert. Die Vorgaben, die aus Deutschland kamen, zur Haushaltsdisziplin, haben uns in die Rezession und Depression geführt, und das muss geändert werden."
"Damit will ich sagen, dass ein Land wie Italien im Vergleich zu Ländern wie Deutschland seit 20 Jahren an Produktivität verliert, und seine Staatsschulden steigen weiter. Diese beiden Faktoren sollten im italienischen Desaster anzeigen, was die Stunde geschlagen hat, aber die Politik schaut nicht auf die Uhr."
Wenn Oscar Giannino einmal ansetzt zu sprechen, dann lässt er sich nicht mehr so leicht stoppen. Er hat einen gewaltigen Mitteilungsdrang, verschluckt Silben und verirrt sich in labyrinthartigen Satzgebilden. Dazu das äußere Erscheinungsbild: Ein echter Pfau. Den Bart trägt der 51 jährige im Stile des Preußen-Kaisers Friedrich, dazu Designerware, die im Ausverkauf besonders billig sein muss, weil: Wer zieht schon einen rot-weiß gestreiften Anzug an? Ein dunkelblaues Sakko mit hellblauen Tupfen? Schade, dass dieser Mann im Radio arbeitet – genauer: gearbeitet hat.
"Nun, ich bin hauptsächlich Wirtschaftsjournalist und Firmenberater und habe mich mit vielen Freunden zusammengeschlossen, die gleichaltrig sind und ins Ausland gegangen sind, weil sie hier in diesem Land keine Perspektive sahen. Wir haben vor einigen Monaten festgestellt, dass wir in den Programmen der italienischen Parteien nichts finden, was die Auflagen Europas erfüllt. Deshalb haben wir uns gesagt: Jetzt müssen wir ran. Wir sind normale Bürger, keine Politiker, viele Freiberufler, Manager, Universitätsprofessoren ..."
Giannino ist also vom Radio in die Politik gegangen. Bei den Parlamentswahlen tritt er mit einer kleinen Formation an, die sich einen (auch in italienischen Ohren) sehr umständlichen Namen ausgesucht hat: "Fare per fermare il declino". Etwas tun, um den Untergang aufzuhalten. Ob diese Partei dazu einen entscheidenden Beitrag leisten kann, darf bezweifelt werden. Die Vier-Prozent-Hürde wird Oscar Giannino wohl nicht schaffen, und das liegt vor allem daran, dass er mit keinem der großen Lager zusammengehen will: Nicht mit dem Populisten Silvio Berlusconi, nicht mit dem Professor Mario Monti und schon gar nicht mit dem Sozialdemokraten Pierluigi Bersani:
"Berlusconi kann Italien in Europa und auch weltweit nicht mehr vertreten. Das hat man ja auch am Holocaust-Gedenktag gesehen. Wir können uns auch nicht mit der Linken identifizieren, die noch mehr Steuern will. Monti hätte uns schon gefallen, doch sein Programm hat uns enttäuscht."
"This is the end": Aus Oscars apokalyptischer Perspektive lässt sich Italien nur noch mit einer superliberalen Rosskur retten. Der Staat muss seine Ausgaben massiv reduzieren, sich von allem trennen, was nicht niet- und nagelfest ist. Und Politiker und Staatsbedienstete müssen abspecken. In keinem anderen Land verdienen Volksvertreter mehr als in Italien.
"Im Wahlkampf erinnere ich immer daran, dass es für einen deutschen Bürger und Steuerzahler, mehr noch für einen deutschen Politiker schwer zu verdauen ist, dass sie Italien helfen sollen, wenn zum Beispiel der italienische Botschafter in Berlin doppelt so viel verdient wie die Bundeskanzlerin. Da habt ihr Deutschen Recht."
Oscar Giannino ist vermutlich der einzige Politiker in Italien, der für Deutschlands harten Eurokurs Sympathie zeigt. Damit kann man keine Wahlen gewinnen.
"Vor der Einführung des Euro konnte sich jeder Italiener eine Wohnung kaufen und in die Ferien gehen. Heute nicht mehr. Es driftet auseinander, es gibt immer mehr Arme und immer mehr Reiche, wie in Russland."
Marco Ramadori ist der Anwalt der Italiener. Präsident der überparteilichen Verbraucherschutzorganisation "Codacons". In seinem schlichten Büro in Rom stapeln sich die Akten bis unter die Decke. Fälle, in denen Menschen sich um ihr gutes Recht betrogen fühlen. Und seit Italien unter den Sparvorgaben der EU steht, nimmt deren Zahl zu. Überall wird gekürzt, gespart, gestrichen. In der Schule, an den Universitäten, bei der Rente und beim Gehalt. Gleichzeitig steigen die Steuern, die Lebenshaltungskosten und der Frust der Menschen.
"Das ist das wahre Problem Italiens: Das soziale Gewebe wird schwächer. Wer kann, versucht auszuwandern und fehlt uns dann in Italien. Aber natürlich, das ist sein gutes Recht."
Marco Ramadoris Organisation hat die "Lage der Nation" in einen Kalender gepackt. Doch dieser "Calendario" des Jahres 2013 ist kein normaler Kalender.
"Dieser Kalender hat nur drei Wochen, statt vier Wochen im Monat. Die Leute schaffen es sowieso nicht bis zur vierten Woche. Es ist also unsinnig sie aufzuführen. Ein Kalender mit nur drei Wochen. Das war natürlich eine Provokation, von der im Fernsehen und überall berichtet wurde. Doch sie spiegelt das Italien von heute wieder. Leider haben die Leute kein Geld mehr und woran sparen sie? An der Gesundheit, an der Präventio, und dadurch steigt die Zahl der Krankheiten und Todesfälle."
Patient Italien. Nirgendwo lassen sich die Folgen der Krise besser ablesen als im Gesundheitswesen dieses Landes. Hier paart sich jahre- und jahrzehntelange Misswirtschaft mit den radikalen Kürzungen der letzten Monate.
Der Besucher merkt schon vor der Tür, dass im Dermatologischen Institut IDI in Rom etwas nicht stimmt. Am Zaun hängt ein Leintuch mit der Aufschrift: "Ich habe kein Gehalt". Und über den Eingang haben sie geschrieben: "Ci dovete pagare!" Ihr müsst uns bezahlen. 1500 Mitarbeiter hatte dieses Krankenhaus einmal. Doch beim Träger, einem katholischen Orden, wurden Gelder veruntreut, und die Region Latium hat Zuschüsse gestrichen. Seitdem wurde massiv Personal abgebaut. Und diejenigen, die wie Dr. Claudio Barbieri noch eine Stelle haben, arbeiten für Gotteslohn.
"So eine Situation hat es noch nie gegeben. Ich habe nie einen Angestellten eines Krankenhauses oder einer ähnlichen Einrichtung kennen gelernt, der über so einen langen Zeitraum nicht bezahlt wurde. Wir bekommen mittlerweile schon seit fünf Monaten unsere Gehälter nicht mehr."
Der Patient Italien ist am Ende. Die Bürger brechen unter der hohen Steuerlast zusammen. Unternehmen schließen, und die Jungen wandern aus. Doch für all das hat dieser Mann eine Lösung.
"Es ist unverzichtbar, dass sich die ganze Ausrichtung unserer Politik ändert. Die Vorgaben, die aus Deutschland kamen, zur Haushaltsdisziplin, haben uns in die Rezession und Depression geführt, und das muss geändert werden."
Die Rückkehr eines alten Bekannten
Silvio Berlusconi ist zurück auf der politischen Bühne und dominiert diesen Wahlkampf. Er gibt die Themen vor und seien sie auch noch so platt: Abschied vom Euro! Warum nicht? Oder: Diktator Mussolini als großer Politiker. Mit einer solchen Aussage am Holocaust-Gedenktag erzeugt man Schlagzeilen. Und besonders populär ist die Forderung nach Steuersenkungen.
"In unserer ersten Kabinettssitzung werden wir als Entschädigung für eine falsche und ungerechte Steuer beschließen, dass die Steuer auf Wohnimmobilien, die 2012 von den Bürgern bezahlt wurde, zurückerstattet wird."
Die Geld-Zurück-Garantie bei einem Berlusconi-Wahlsieg muss verführerisch klingen in den Ohren der Italiener, die unter einer extrem hohen Steuerlast leiden. Vor allem seit sich Mario Monti daran gemacht hat, den maroden Staatshaushalt zu sanieren.
"Es ist das erste Mal, dass jemand versucht, nach allen Regeln der Kunst die Stimmen der Italiener mit dem Geld der Italiener zu kaufen. Berlusconi will die Stimmen der Italiener mit den Geldern kaufen, die die Italiener bezahlen mussten, um die Haushaltslöcher zu schließen, die von dem hinterlassen wurden, der in acht der letzten zehn Jahre regiert hat, sprich: von ihm."
Die Gegner Berlusconis, so wie eben Monti, stecken in der Zwickmühle: Sollen sie auf die populären Vorschläge reagieren und damit dem Populisten noch mehr Aufmerksamkeit bescheren? Pierluigi Bersani von der Demokratischen Partei hatte sich vorgenommen, in diesem Wahlkampf nicht über Berlusconi zu sprechen. Doch er wird immer wieder dazu gezwungen.
"Ich würde gern daran erinnern, dass sich die 4,5 Milliarden, die für eine solche Maßnahme nötig wären, haargenau mit der Summe decken, die Berlusconi und die Lega uns bezahlen ließen, um sie dann über Milchquoten Steuerhinterziehern zu schenken."
Josefa Idem ist eine der interessantesten Figuren dieses Wahlkampfs: Bevor sie in die Politik wechselte, startete die Kanutin bei acht Olympischen Spielen – zuerst für die Bundesrepublik und dann für Italien. Mittlerweile ist sie so beliebt in ihrer zweiten Heimat, dass sie bei den Vorwahlen der sozialdemokratischen PD auf Listenplatz 1 gewählt wurde. Und deshalb kämpft die 48-Jährige nun nicht mehr um Hundertstel und Tausendstel, sondern gegen die Propagandamaschine Silvio Berlusconis.
"Ich sag das mal, wie Athleten so was sagen müssen: Wir gehen, um zu gewinnen! Das ist jetzt ein Moment, wo eine ganz starke Mehrheit rauskommen muss."
Dabei gilt die ehemalige Kanutin als Stimmenmagnet für die PD. Kaum eine Sportlerin ist in Italien so bekannt wie die gebürtige Deutsche. Das liegt vor allem an ihren Erfolgen: 38 Medaillen bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften.
"Und da habe ich dann auch so ein Image, das dann überspielt, dass ich ursprünglich aus Deutschland komme und vielleicht mit der Politik von Merkel was zu tun haben könnte."
Josefa Idem lebt seit 1988 in Ravenna. Der Liebe wegen ist sie dorthin gezogen. Für ihren Mann und Trainer Guglielmo hat sie die nordrhein-westfälische Heimat verlassen. London 2012 waren die letzten Olympischen Spiele der Josefa Idem. Schon davor war sie in der Kommunalpolitik in Ravenna aktiv. Da lag es nahe, dass sie mit ihrer Popularität den Sprung auf die große politische Bühne wagt. Den Sitz im Senat hat sie praktisch sicher, sie wird schon als Sportministerin gehandelt. Dabei geht es ihr in allererster Linie um die Zukunft ihrer beiden Söhne.
"Das ist natürlich ein zentrales Thema, dass die jungen Leute wieder eine Möglichkeit haben, Protagonisten vom eigenen Lebenslauf zu werden. Die können ja gar nichts planen. Und dann kommt noch irgendein arroganter Minister her und sagt: Das sind ja alles Mamasöhnchen, die bleiben zu Hause und lassen sich bedienen. Die haben oft keine andere Möglichkeit."
"In unserer ersten Kabinettssitzung werden wir als Entschädigung für eine falsche und ungerechte Steuer beschließen, dass die Steuer auf Wohnimmobilien, die 2012 von den Bürgern bezahlt wurde, zurückerstattet wird."
Die Geld-Zurück-Garantie bei einem Berlusconi-Wahlsieg muss verführerisch klingen in den Ohren der Italiener, die unter einer extrem hohen Steuerlast leiden. Vor allem seit sich Mario Monti daran gemacht hat, den maroden Staatshaushalt zu sanieren.
"Es ist das erste Mal, dass jemand versucht, nach allen Regeln der Kunst die Stimmen der Italiener mit dem Geld der Italiener zu kaufen. Berlusconi will die Stimmen der Italiener mit den Geldern kaufen, die die Italiener bezahlen mussten, um die Haushaltslöcher zu schließen, die von dem hinterlassen wurden, der in acht der letzten zehn Jahre regiert hat, sprich: von ihm."
Die Gegner Berlusconis, so wie eben Monti, stecken in der Zwickmühle: Sollen sie auf die populären Vorschläge reagieren und damit dem Populisten noch mehr Aufmerksamkeit bescheren? Pierluigi Bersani von der Demokratischen Partei hatte sich vorgenommen, in diesem Wahlkampf nicht über Berlusconi zu sprechen. Doch er wird immer wieder dazu gezwungen.
"Ich würde gern daran erinnern, dass sich die 4,5 Milliarden, die für eine solche Maßnahme nötig wären, haargenau mit der Summe decken, die Berlusconi und die Lega uns bezahlen ließen, um sie dann über Milchquoten Steuerhinterziehern zu schenken."
Josefa Idem ist eine der interessantesten Figuren dieses Wahlkampfs: Bevor sie in die Politik wechselte, startete die Kanutin bei acht Olympischen Spielen – zuerst für die Bundesrepublik und dann für Italien. Mittlerweile ist sie so beliebt in ihrer zweiten Heimat, dass sie bei den Vorwahlen der sozialdemokratischen PD auf Listenplatz 1 gewählt wurde. Und deshalb kämpft die 48-Jährige nun nicht mehr um Hundertstel und Tausendstel, sondern gegen die Propagandamaschine Silvio Berlusconis.
"Ich sag das mal, wie Athleten so was sagen müssen: Wir gehen, um zu gewinnen! Das ist jetzt ein Moment, wo eine ganz starke Mehrheit rauskommen muss."
Dabei gilt die ehemalige Kanutin als Stimmenmagnet für die PD. Kaum eine Sportlerin ist in Italien so bekannt wie die gebürtige Deutsche. Das liegt vor allem an ihren Erfolgen: 38 Medaillen bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften.
"Und da habe ich dann auch so ein Image, das dann überspielt, dass ich ursprünglich aus Deutschland komme und vielleicht mit der Politik von Merkel was zu tun haben könnte."
Josefa Idem lebt seit 1988 in Ravenna. Der Liebe wegen ist sie dorthin gezogen. Für ihren Mann und Trainer Guglielmo hat sie die nordrhein-westfälische Heimat verlassen. London 2012 waren die letzten Olympischen Spiele der Josefa Idem. Schon davor war sie in der Kommunalpolitik in Ravenna aktiv. Da lag es nahe, dass sie mit ihrer Popularität den Sprung auf die große politische Bühne wagt. Den Sitz im Senat hat sie praktisch sicher, sie wird schon als Sportministerin gehandelt. Dabei geht es ihr in allererster Linie um die Zukunft ihrer beiden Söhne.
"Das ist natürlich ein zentrales Thema, dass die jungen Leute wieder eine Möglichkeit haben, Protagonisten vom eigenen Lebenslauf zu werden. Die können ja gar nichts planen. Und dann kommt noch irgendein arroganter Minister her und sagt: Das sind ja alles Mamasöhnchen, die bleiben zu Hause und lassen sich bedienen. Die haben oft keine andere Möglichkeit."
Generation 37 Prozent – hohe Jugendarbeitslosigkeit
"Bamboccioni", Nesthocker - so taufte einst ein Minister Italiens Mamasöhne und -töchter. Das war noch in den goldenen Zeiten, als tatsächlich viele junge Leute bei ihren Eltern wohnten, aus freien Stücken, und vermutlich auch ein wenig aus Bequemlichkeit. Heute ist daraus Notwendigkeit geworden. Die Rede vom Hotel Mama stimmt schon lange nicht mehr, sagt Giuseppe Failla, der Sprecher des Nationalen Jugendforums:
"Ich beschäftige mich mit Jugendpolitik seit zehn Jahren, und ich hatte die Gelegenheit, Tausende junge Leute zu treffen, die in Schwierigkeiten waren. Sie tun alles dafür, ihren Unterhalt zusammenzubekommen - mit all den Schwierigkeiten, die sie in diesem Land vorfinden. Oft zwingt sie einfach die Not, sich an die eigene Familie zu wenden."
In Italien spricht man von der Generation 37 Prozent. Das ist die Arbeitslosenquote unter Jugendlichen. Elf Prozent beträgt der nationale Durchschnitt. Die Krise in Italien hat ein Gesicht, ein junges Gesicht. Die jungen Italiener sind die Verlierer der tiefen Rezession, in der das Land seit zwei Jahren steckt.
"Es handelt sich um zwei Millionen junge Leute, die weder arbeiten noch eine Ausbildung absolvieren. Das ist eine dramatische Zahl. Außerdem vergisst man, wenn man über Zahlen spricht, dass dahinter Gesichter und Schicksale stecken, dahinter stecken Familiengeschichten. Ich spreche immer von Leidensbiografien."
Patrizia ist 33 Jahre alt und arbeitslos.
"Ich habe bei einem Radio gearbeitet, im Fernsehen, ich habe in Privathäusern geputzt, ich habe sogar einige Monate in einem Krankenhaus gearbeitet als Helferin. Nach dem Uni-Abschluss in Literaturwissenschaften habe ich Arbeit in allen Bereichen, mit allen Mitteln gesucht, nicht nur, weil ich der Familie nicht mehr zur Last fallen wollte. Ich wollte meine Selbstständigkeit, wirtschaftlich und beruflich auf eigenen Beinen stehen."
Aktuell hält sich Patrizia mit Nachhilfestunden über Wasser. An guten Tagen verdient sie damit 50 Euro. Krank werden darf sie nicht, denn für Arbeitslose wie sie gibt es keinerlei Unterstützung. Ihre Mutter hat die Lebensversicherung aufgelöst, um der Tochter eine Wohnung zu finanzieren.
"Manchmal gibt mir auch die Oma Geld. Sie tarnt das als Geschenk. Sie können sich vorstellen, wie demütigend das ist. Will ich meine Eltern mal zum Essen einladen, muss ich eine Woche lang überlegen, was ich gearbeitet und verdient habe und wohin wir überhaupt gehen können."
An Zukunfts- oder gar Familienplanung ist unter diesen Vorzeichen gar nicht zu denken. Daniele, Patrizias Freund, hält sich mit befristeten Jobs über Wasser. Und es trifft eben nicht nur Daniele und Patrizia. Kaum einer in dieser Generation hat eine feste Stelle. Kaum einer hat den Mut eine Familie zu gründen, Kinder zu bekommen. Und das im so Kinder liebenden Italien. Ein Land stirbt aus. Patrizia und Daniele waren im vergangenen Sommer kurz davor auszuwandern. Dann hat er noch einmal eine Stelle bekommen, also wurden die Koffer wieder ausgepackt.
"Wir haben es satt, nur zu überleben, wir wollen beginnen zu leben, und wenn das bedeutet, bei Null anzufangen, ist es in Ordnung, auch bei Minus eins. Wichtig ist nur, dass man weiß, es geht aufwärts. Hier hingegen bleibt man festgenagelt am selben Punkt."
Vor 14 Monaten gab es einen kleinen Lichtblick für Patrizia. Als Mario Monti als neuer Ministerpräsident antrat, hat er versprochen, alles zu tun, damit Italiens Jugend wieder eine Zukunft hat, im eigenen Land. Doch irgendwie war auch diese Regierung weit weg von den Problemen der Jugend. Durchschnittsalter 64 Jahre!
"Ich beschäftige mich mit Jugendpolitik seit zehn Jahren, und ich hatte die Gelegenheit, Tausende junge Leute zu treffen, die in Schwierigkeiten waren. Sie tun alles dafür, ihren Unterhalt zusammenzubekommen - mit all den Schwierigkeiten, die sie in diesem Land vorfinden. Oft zwingt sie einfach die Not, sich an die eigene Familie zu wenden."
In Italien spricht man von der Generation 37 Prozent. Das ist die Arbeitslosenquote unter Jugendlichen. Elf Prozent beträgt der nationale Durchschnitt. Die Krise in Italien hat ein Gesicht, ein junges Gesicht. Die jungen Italiener sind die Verlierer der tiefen Rezession, in der das Land seit zwei Jahren steckt.
"Es handelt sich um zwei Millionen junge Leute, die weder arbeiten noch eine Ausbildung absolvieren. Das ist eine dramatische Zahl. Außerdem vergisst man, wenn man über Zahlen spricht, dass dahinter Gesichter und Schicksale stecken, dahinter stecken Familiengeschichten. Ich spreche immer von Leidensbiografien."
Patrizia ist 33 Jahre alt und arbeitslos.
"Ich habe bei einem Radio gearbeitet, im Fernsehen, ich habe in Privathäusern geputzt, ich habe sogar einige Monate in einem Krankenhaus gearbeitet als Helferin. Nach dem Uni-Abschluss in Literaturwissenschaften habe ich Arbeit in allen Bereichen, mit allen Mitteln gesucht, nicht nur, weil ich der Familie nicht mehr zur Last fallen wollte. Ich wollte meine Selbstständigkeit, wirtschaftlich und beruflich auf eigenen Beinen stehen."
Aktuell hält sich Patrizia mit Nachhilfestunden über Wasser. An guten Tagen verdient sie damit 50 Euro. Krank werden darf sie nicht, denn für Arbeitslose wie sie gibt es keinerlei Unterstützung. Ihre Mutter hat die Lebensversicherung aufgelöst, um der Tochter eine Wohnung zu finanzieren.
"Manchmal gibt mir auch die Oma Geld. Sie tarnt das als Geschenk. Sie können sich vorstellen, wie demütigend das ist. Will ich meine Eltern mal zum Essen einladen, muss ich eine Woche lang überlegen, was ich gearbeitet und verdient habe und wohin wir überhaupt gehen können."
An Zukunfts- oder gar Familienplanung ist unter diesen Vorzeichen gar nicht zu denken. Daniele, Patrizias Freund, hält sich mit befristeten Jobs über Wasser. Und es trifft eben nicht nur Daniele und Patrizia. Kaum einer in dieser Generation hat eine feste Stelle. Kaum einer hat den Mut eine Familie zu gründen, Kinder zu bekommen. Und das im so Kinder liebenden Italien. Ein Land stirbt aus. Patrizia und Daniele waren im vergangenen Sommer kurz davor auszuwandern. Dann hat er noch einmal eine Stelle bekommen, also wurden die Koffer wieder ausgepackt.
"Wir haben es satt, nur zu überleben, wir wollen beginnen zu leben, und wenn das bedeutet, bei Null anzufangen, ist es in Ordnung, auch bei Minus eins. Wichtig ist nur, dass man weiß, es geht aufwärts. Hier hingegen bleibt man festgenagelt am selben Punkt."
Vor 14 Monaten gab es einen kleinen Lichtblick für Patrizia. Als Mario Monti als neuer Ministerpräsident antrat, hat er versprochen, alles zu tun, damit Italiens Jugend wieder eine Zukunft hat, im eigenen Land. Doch irgendwie war auch diese Regierung weit weg von den Problemen der Jugend. Durchschnittsalter 64 Jahre!
Italien steckt in der Rezession – Erholung nicht in Sicht
Italien steckt bereits im siebten Quartal in Folge in der Rezession. Keine Erholung in Sicht. Die Industrieproduktion ist innerhalb von fünf Jahren um 25 Prozent zurückgegangen. Kein Wunder, dass da keine neuen Jobs entstehen. Im Gegenteil. Jede Woche werden Tausende Stellen abgebaut. Und mitten in der zweitschwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg wählt Italien ein neues Parlament, eine neue Regierung. An deren Spitze müsste Herkules stehen und nicht Bersani, Monti, und schon gar nicht Berlusconi.
"Zu allererst muss die Wirtschaft wieder zum Wachsen gebracht werden", sagt Guy Dinmore, Korrespondent der Financial Times in Rom. Das hoffen alle in Europa. Denn der hoch verschuldete Koloss Italien kann Europa an den Abgrund bringen. Da genügt allein schon der Name Berlusconi, um Anlegern und Finanzpolitikern schlaflose Nächte zu bereiten. Wenn die Eurozone mitwählen dürfte, wäre Mario Monti der große Favorit. Mit seinem Sparkurs hat er Vertrauen wiedergewonnen in der Welt der Finanzen und der Politik. Für die einheimische Wirtschaft sind die Steuererhöhungen natürlich Gift. Dennoch prognostizieren der Internationale Währungsfonds und die italienische Nationalbank einen leichten Aufschwung für die zweite Jahreshälfte. Doch dieser Optimismus speist sich allein aus der Einsicht, dass es nicht mehr weiter abwärts gehen kann.
"Ich glaube, die Wirtschaft braucht Unterstützung, Steuersenkungen, verantwortliche Steuersenkungen wie Mario Monti sagt. Dann muss man die Verschwendung von öffentlichen Geldern eindämmen, Beschäftigung fördern. Es gibt nicht die eine, einfache Lösung. Aber ich glaube, allein die Ankündigung von Steuererleichterungen wird wieder viel Vertrauen bringen."
"Es gibt nicht die eine, einfache Lösung". Und vermutlich wird es auch keine einfache Regierungsbildung. Auch wenn der ewige Silvio Berlusconi nicht gewinnen wird, so wird er doch den anderen Parteien das Leben schwer machen.
"Zu allererst muss die Wirtschaft wieder zum Wachsen gebracht werden", sagt Guy Dinmore, Korrespondent der Financial Times in Rom. Das hoffen alle in Europa. Denn der hoch verschuldete Koloss Italien kann Europa an den Abgrund bringen. Da genügt allein schon der Name Berlusconi, um Anlegern und Finanzpolitikern schlaflose Nächte zu bereiten. Wenn die Eurozone mitwählen dürfte, wäre Mario Monti der große Favorit. Mit seinem Sparkurs hat er Vertrauen wiedergewonnen in der Welt der Finanzen und der Politik. Für die einheimische Wirtschaft sind die Steuererhöhungen natürlich Gift. Dennoch prognostizieren der Internationale Währungsfonds und die italienische Nationalbank einen leichten Aufschwung für die zweite Jahreshälfte. Doch dieser Optimismus speist sich allein aus der Einsicht, dass es nicht mehr weiter abwärts gehen kann.
"Ich glaube, die Wirtschaft braucht Unterstützung, Steuersenkungen, verantwortliche Steuersenkungen wie Mario Monti sagt. Dann muss man die Verschwendung von öffentlichen Geldern eindämmen, Beschäftigung fördern. Es gibt nicht die eine, einfache Lösung. Aber ich glaube, allein die Ankündigung von Steuererleichterungen wird wieder viel Vertrauen bringen."
"Es gibt nicht die eine, einfache Lösung". Und vermutlich wird es auch keine einfache Regierungsbildung. Auch wenn der ewige Silvio Berlusconi nicht gewinnen wird, so wird er doch den anderen Parteien das Leben schwer machen.