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"Es mangelt in Brasilien eigentlich nicht an Geld"

Die Massendemonstrationen gegen soziale Ungerechtigkeit in Brasilien werden weitergehen, sagt der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rio de Janeiro, Felix Dane. Ausreichend Geld gebe es - davon sei bisher zu wenig in die Infrastruktur sowie in die freie Entwicklung der Menschen geflossen.

Felix Dane im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Brasilianer – es gibt kaum ein Volk, das stärker im Ruf steht, entspannt und tolerant zu sein. In kaum einem anderen Land ist die Begeisterung für Fußball größer als hier. Und dennoch haben viele Brasilianerinnen und Brasilianer derzeit völlig anderes im Sinn als Fußball, und was den Kurs der Regierung angeht, da geben sie sich alles andere als entspannt. Denn ihnen reicht es, dass Milliarden in sportliche Großveranstaltungen gepumpt werden, während in Schulen und Krankenhäusern, im Bildungssystem oft das Notwendigste fehlt. Derzeit finden die größten Proteste seit 20 Jahren statt, begleitet von gewaltsamen Zusammenstößen, auch heute Nacht wieder. Da wurde zum Marsch der Millionen aufgerufen.

    Wir möchten die Entwicklung jetzt einordnen mit dem Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rio de Janeiro, mit Felix Dane. Schönen guten Tag, Herr Dane.

    Felix Dane: Schönen guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Dane, die Proteste und die Bekämpfung der Proteste durch die Sicherheitsbehörden scheinen, außer Kontrolle zu geraten. Wie bewerten Sie die derzeitige Entwicklung?

    Dane: Ja das ist ganz richtig. Brasilien ist eigentlich kein Land der großen Proteste, und dementsprechend ist die Polizei auch gar nicht gewohnt, mit derartigen Dingen umzugehen. Die Proteste haben sich sehr, sehr schnell ausgeweitet, es ist in über 100 Städten demonstriert worden, mit über 700.000 Teilnehmern insgesamt wohl. Das sind Ausmaße, die kennt Brasilien einfach nicht, und die Polizei hat sehr nervös reagiert, mit allen möglichen Gummigeschossen und Gasgranaten ist da um sich gefeuert worden. Das hat natürlich nicht gerade dafür gesorgt, dass die Stimmung entspannt war. Dies steht sehr im Kontrast zu den Protesten, wie sie eigentlich begonnen haben, am Montag, wo alles doch mehr oder weniger sehr friedlich vonstattenging, und auch die Proteste heute haben eigentlich sehr friedlich angefangen und die Masse der Demonstranten hat eigentlich auch immer wieder betont und gerufen, dass sie gegen Gewalt sind, dass sie hier friedlich demonstrieren wollen, und haben selbst Randalierer versucht, daran zu hindern, Gewalt auszuüben. Aber am Ende ist dann leider doch alles eskaliert.

    Heckmann: Wer ist verantwortlich für diese Eskalation aus Ihrer Sicht?

    Dane: Aus meiner Sicht ist es so, dass die Proteste zu Beginn, vor allem am Montag, als das so groß wurde, eine sehr homogene Masse waren. Es waren hauptsächlich Studenten, es war das Bildungsbürgertum, eine sehr frustrierte Mittelschicht, sage ich mal, der gehobenen Mittelschicht, die da auf die Straße gegangen sind. Und jetzt kamen Aufrufe doch wirklich von allen weiteren Bevölkerungsschichten, auch aus den ärmeren Stadtvierteln und anderen Regionen, die gesagt haben, wir müssen uns alle daran beteiligen, und sind alle auf die Straße gegangen. Dann haben wir natürlich auch eine Bevölkerungsschicht dabei, die der Polizei natürlich immer nur aus Konfliktsituationen gegenüberstand. Wenn die Polizei in irgendwelche Favelas, in die Armenviertel reingeht, dann hat das kriegsähnliche Zustände, und dann sind diese Leute jetzt plötzlich der Polizei ebenso konfrontiert gegenüber und da wird dann natürlich auch die Polizei gewalttätig beziehungsweise sehr nervös. Das heißt, ich will das jetzt nicht auf nur die Protestierenden schieben, aber es ist auf jeden Fall so, dass es einfach keine so homogene Masse mehr war, die eine oder mehrere Sachen verfolgte, sondern es waren ganz viele Leute, die teilweise auch einfach nur auf Krawall aus waren und gar nicht mehr an der Sache selbst interessiert waren.

    Heckmann: Herr Dane, Brasilien gilt ja als aufstrebendes Land, ökonomisch betrachtet. Jetzt treten diese Defizite zutage. Was ist da schief gelaufen?

    Dane: Brasilien wird aus meiner Sicht wirtschaftlich eindeutig überschätzt. Es hat auch im letzten Jahr eigentlich ein Wirtschaftswachstum von nur 0,9 Prozent gegeben. Brasilien hat gleichzeitig eine sehr hohe Steuereinnahmequote. Das heißt, die Brasilianer zahlen eigentlich sehr viele Steuern. Gleichzeitig hat es sehr viel wirtschaftlichen Aufschwung gegeben und es hat ja auch sehr viele Menschen gegeben, die jetzt aus der Armut gehoben wurden und jetzt Teil des Konsums geworden sind und dadurch natürlich anderes Verhalten an den Tag legen, und da wird natürlich auch der Ruf nach weiteren Verbesserungen im Bildungs- und im Gesundheitswesen vor allem, aber natürlich auch nach besseren Transportmöglichkeiten und so weiter sehr laut. Da werden die Defizite von mangelnden Investitionen in diese Bereiche eigentlich sehr deutlich und dem gegenüber stehen einfach die Investitionen in die Mega-Events, und das entlädt sich jetzt gerade alles anhand von dem Confed Cup, der ja gerade stattfindet, weil da den Brasilianern einfach noch mal offensichtlich wird, wie viel Geld in diese Spiele gesteckt wurde und wie wenig eigentlich in sie selbst, also die Bevölkerung oder die Dienstleistungen für die Bevölkerung rein investiert wurde, und das entlädt sich nun gerade anhand dieser Spiele.

    Heckmann: Wie groß sind denn die Defizite im Bildungssystem, im Gesundheitssystem, im Sozialsystem?

    Dane: Die Defizite sind massiv. Sie haben einfach einen Mangel an der Infrastruktur, der lässt sich kaum beziffern. Die Regierung versucht, dem jetzt nachzukommen und teilprivatisiert Flughäfen und Häfen, aber es mangelt an allem, an Straßen, das Schienennetz ist kaum noch existent, alles läuft nur über Busse, die Straßen sind derart schlecht, dass auch der ganze Soja teilweise einfach schon vom Laster fällt, bevor er überhaupt im Hafen ankommen kann. Das sind gigantische Tonnen, die da im Jahr zusammenkommen. Das ist unglaublich, wie marode diese Infrastruktur ist.
    Ich will das auch nicht zu schlecht machen. Brasilien steht natürlich doch deutlich besser da als viele andere Länder in Lateinamerika und so kann Brasilien natürlich auch mit dem Potenzial, was es als riesiger Markt mit 200 Millionen Menschen auch bietet, nach wie vor auch internationale Investitionen anlocken, ist ein toller Industriestandort. Aber man muss hier schon einen langen Atem haben, vor allem, weil es eine Bürokratie gibt, die einfach grenzenlos ist. Das sind Ausmaße, die können wir uns schwer vorstellen in Europa.

    Heckmann: Und ein ungeheueres Ausmaß an Korruption. Präsidentin Dilma Rousseff, die hat ja Verständnis gezeigt für die Demonstrationen. Ist das eine ehrliche, oder eine taktische Reaktion aus Ihrer Sicht?

    Dane: Ich denke, es ist eine taktische Reaktion. Zwar hat die Präsidentin immer wieder auch Korruption bekämpft. Dennoch ist es so, dass Brasilien einfach eine Geschichte der Korruption hat, die sehr groß ist. Es gibt gerade eine Kommission im Parlament, die das untersucht hat und rausgefunden hat laut dieser Kommission, dass 85 Milliarden Reals - das sind 30 bis 35 Milliarden Euro- jährlich durch Korruption verloren gehen. Das sind natürlich gigantische Hausnummern. Und wenn Sie das dann angucken, da sind Beteuerungen der Präsidentin natürlich im Moment auch erst mal nur taktisch, damit sie nicht ins Kreuzfeuer gerät und sie vor allem als Studentin selbst sehr viel auf der Straße während der Militärdiktatur war und darunter auch gelitten hat, eingesperrt und gefoltert wurde. Insofern fällt es ihr natürlich schwer, keine Sympathien zu bekunden. Das muss sie irgendwo machen, alles andere wäre unglaubwürdig. Gleichzeitig kann sie aber den Forderungen der Straße nicht von heute auf morgen nachkommen, weil das Projekte sind und Dinge sind und Misswirtschaft und Korruption, die da über Jahrzehnte brachgelegen haben oder entstanden sind. Das kann man natürlich nicht von heute auf morgen verbessern.

    Heckmann: Wie kann es ihr denn gelingen, die Wut einzudämmen?

    Dane: Na ja, sie hat jetzt erste Gespräche geführt. Viele Bürgermeister der Städte haben die Buspreise wieder gesenkt. Das ist natürlich ein erster Schritt, wo hingegen die Protestierenden aber sagen, es geht uns gar nicht um diese 20 Cent, es geht um viel mehr. Sie hat aber Gespräche geführt auch auf föderaler Ebene, wie man zum Beispiel den Kommunen helfen kann, diese Preissenkungen, die jetzt eigentlich wieder stattfinden, wie man das abfedern kann, weil das Geld natürlich über die steigende Inflation den Kommunen schon irgendwo auch fehlt. Das heißt, sie haben das ja nicht einfach so gemacht, sondern das war halt notwendig.

    Das heißt, man guckt, wie man von föderaler Ebene vielleicht den Kommunen mehr unter die Arme greifen kann, damit man dort vielleicht auch etwas dezentraler direkt in die Schwachstellen rein investieren können, oder durch Steuererleichterungen für Busunternehmen oder Benzinpreise oder, sagen wir mal, Dieselpreise für Busse Abhilfe schaffen kann, um da zumindest sehr schnell kleine Maßnahmen einzuleiten, die vielleicht zu einer Verbesserung führen. Aber das wird die Studenten vor allem, sage ich mal, nicht unbedingt beruhigen. Das wird meiner Meinung nach noch eine Weile weitergehen, bis diese Proteste oder diese Protestierenden einfach müde werden, oder irgendwelchen Forderungen wirklich grundlegend nachgekommen werden kann. Das sind Proteste, die da in Gang getreten oder losgetreten werden, die lassen sich nicht so leicht lösen.

    Heckmann: Zum Schluss, Herr Dane, die Frage: War es eine gute Idee, die Fußball-Weltmeisterschaft und die Olympischen Spiele ausgerechnet in Brasilien zu veranstalten?

    Dane: Ich denke, irgendwo schon, denn Brasilien ist natürlich ein wachsender Gigant und Brasilien kann durchaus solche Spiele ausrichten und Brasilien hat auch das nötige Geld dazu. Es mangelt in Brasilien eigentlich nicht an Geld. Sie haben hier auch ganz fantastische Firmen und auch durchaus das Potenzial, das noch mehr kommt: sie haben Ölfunde, sie haben sehr große Landwirtschaft, die sie in die Welt exportieren, sie bauen Flugzeuge. Also es ist schon ein Land, was einiges auf die Beine stellen kann.

    Was vernachlässigt wurde, ist praktisch die Entwicklung der eigenen Bevölkerung, und da muss es mehr rein investieren. Es werden direkte Zahlungen an die Bevölkerung gemacht über verschiedene Hilfszahlungen, um den ärmeren Bevölkerungsschichten zu helfen. Das bedeutet aber insgesamt, dass heutzutage rund 50 Millionen Brasilianer schon Direktzahlungen erhalten, und das ist ein Viertel der Bevölkerung, und das kann natürlich auf lange Sicht kein Rezept sein, um hier einer Bevölkerung zu helfen. Da müssen Strukturen geschaffen werden, dass diese Bevölkerung sich frei entfalten kann und dann dadurch auch bessere Teilhabe an der Entwicklung Brasiliens haben kann, und das ist auch etwas, was einige der Protestierenden gefordert haben.

    Heckmann: Der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Brasilien, Felix Dane, war das live zugeschaltet aus Rio de Janeiro. Herr Dane, besten Dank für Ihre Einschätzungen.

    Dane: Danke schön, Herr Heckmann.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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