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"Es müssen Prioritäten gesetzt werden"

Medizin. - In Wien ist die 18. Welt-Aids-Konferenz zu Ende gegangen. Rund 20.000 Teilnehmer aus fast allen Ländern dieser Welt hatten sich getroffen, um die jüngsten Ergebnisse zu der Immunschwächeerkrankung zu diskutieren. Der Wissenschaftsjournalist Martin Winkelheide zieht im Gespräch mit Monika Seynsche Bilanz.

    Seynsche: Herr Winkelheide, gibt es ein Signal, eine Botschaft, die von dieser Konferenz ausgeht?

    Winkelheide: Ein Signal ist sicherlich: Vieles ist machbar, es muss aber gemacht werden. Das andere ist, dass natürlich auch appelliert worden ist daran, dass man mehr Menschen behandeln sollte, die HIV-infiziert sind und die Medikamente brauchen. Und das dritte ist, dass ein großes Thema auch die Menschenrechte waren, wo man auch gesehen hat, man muss einen guten Umgang finden zum Beispiel mit Drogenabhängigen, weil der Drogenkonsum oft der Motor ist, der das..., der dafür sorgt, dass das Virus sich so schnell, so rasant sich in einigen Teilen der Welt ausbreitet.

    Seynsche: Über verunreinigte Spritzen, oder worüber?

    Winkelheide: Über verunreinigte Spritzen auch, ja.

    Seynsche: Die Themen, über die wir in dieser Woche auch in "Forschung aktuell" berichtet haben, sind seit vielen Jahren im Gespräch. Ein Gel, das Frauen schützt, Beschneidung für Männer. Gibt es denn auch wirklich etwas Neues, was auf dieser Konferenz vorgestellt wurde?

    Winkelheide: Ja, es sind wirklich die neuesten Ergebnisse auf dieser Konferenz vorgestellt worden, auch zum Beispiel über dieses Gel. Aber man muss sehen, das Konzept des chemischen Kondoms ist vor 20 Jahren erdacht worden und es ist immer ein langer Weg, bis man dann überhaupt weiß, kann ein Konzept funktionieren oder nicht. Und zwischendurch haben wir auch in "Forschung aktuell" berichtet über Studien, die gefloppt sind, also weil das Gel, oder das Produkt, was man damals ausprobiert hatte, mehr geschadet hat als genutzt.

    Seynsche: Aber kommt es mir nur so vor, oder dauert es in der Aids-Forschung immer besonders lange?

    Winkelheide: Nein. Ja, es ist zumindest länger als bei vielen Medikamentenentwicklungen zum Beispiel. Das liegt unter anderem auch daran, dass Präventionskonzepte einfach auch schwierig zu entwickeln sind, denn ein Kondom hilft oder schützt im Prinzip ja wunderbar gegen eine Infektion, aber man merkt dann: Kondome werden nicht genug genutzt, und dann ist die Frage, warum ist das so? Hat das kulturelle Gründe? Warum mögen manche Männer Kondome nicht?. Und dann geht es plötzlich um Intimes und Intimstes, und das ist auch für Forscher nicht so einfach, in die Schlafzimmer der Menschen zu gucken.

    Seynsche: Was muss denn jetzt in den nächsten Jahren passieren?

    Winkelheide: Eine großes Thema wird sicherlich sein: Wie kann man die vielen Ansätze, die entwickelt worden sind, in die Breite bringen. Und das ist eben die große Schwierigkeit, und da müssen auch Prioritäten gesetzt werden. Man hat für vieles gezeigt, dass es funktioniert. Also, man kann verhindern, dass im Leib von werdenden Müttern, die HIV-positiv sind, dass sich die Kinder, die werdenden Kinder eben nicht anstecken. Man weiß, wie es geht. Aber das Problem ist, das allen Schwangeren zur Verfügung zu stellen. Da gibt es große Hindernisse und es gibt viele Ursachen, auch finanzielle Ursachen, es hat auch etwas damit zu tun, dass die Gesundheitssysteme in vielen Ländern der Welt einfach schwach ausgeprägt sind und dass Frauen, die schwanger sind, gar nicht zum Arzt gehen.

    Seynsche: Gibt es denn Lösungsansätze, um das eben in die Breite zu tragen?

    Winkelheide: Was man sieht, ist eben diese große Schwierigkeit: Man braucht eigentlich funktionierende Gesundheitssysteme. Aber das kann man..., die kann man nur errichten in stabilen Staaten. Und leider sind viele Staaten auf dieser Welt eben politisch nicht stabil und das ist ein Riesenproblem. Das andere ist, dass man jetzt dazu kommen muss, dass man Prioritäten setzt und sagt, was ist denn wirklich wichtig. Also ist es sinnvoller zu verhindern, dass Kinder sich mit HIV im Mutterleib anstecken, oder sind Beschneidungsprogramme wichtiger. Oder sollte man doch darauf setzen, was sich bewährt hat, also Kondome, und da versuchen, die Barrieren abzureißen und die Kondome besser an den Mann zu bringen.

    Seynsche: Und was ist wirklich wichtig?

    Winkelheide: Ja, das Problem ist ein bisschen, dass es so eine Silo-Mentalität gibt. Also das heißt, dass auch innerhalb der Präventionsspezialisten die Leute sozusagen auf ihre Sache gucken, und dass sie sich eigentlich stärker an einen Tisch setzen müssten und gucken, wie kann man denn die Sachen gut kombinieren und wie bekommt man sie vor allen Dingen kosteneffizient kombiniert. Denn das große Problem ist ja: Alles wäre im Prinzip sinnvoll, aber es wird nicht alles bezahlbar sei. Und die große Herausforderung in den nächsten Jahren wird eben sein, Entscheidungen zu treffen. Und das wäre zum Beispiel auch eine Aufgabe für UNAids, also für das Aids-Programm der Vereinten Nationen.

    Seynsche: Ein Schwerpunkt auf dieser Konferenz war ja Osteuropa. Was bringt denn diese Konferenz den Ländern Osteuropas jetzt?

    Winkelheide: Ja, wenn man sich auf der Konferenz umgesehen und umgehört hat, dann hat man gesehen, es sind viele Vertreter aus Osteuropa da, und die haben geguckt, was funktioniert in anderen Ländern und konnten da sicherlich eine Menge lernen. Ein Hauptproblem war aber, die Politiker, die es angeht, die die Rahmenbedingungen setzen müssen, zum Beispiel für eine liberalere Drogenpolitik, für Nadelaustauschprogramme, Spritzenaustauschprogramme, Heroin-Ersatztherapien, die waren nicht da. Und das heißt, Prävention ist dann möglich, wenn auch die Verantwortlichkeit der Staaten sich engagieren und das Problem erkennen und nicht einfach wegreden.