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"Es muss ein Schlussstrich gefunden werden"

Ohne einen Rücktritt von Christian Wulff sei zu befürchten, dass das Amt weiteren Schaden nimmt, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann. Der Bundespräsident könne aufgrund der Diskussionen um seine Person und seine Amtsführung nicht mehr unbefangen agieren.

Karl-Georg Wellmann im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Bundespräsident Christian Wulff hat verdiente Bürger und Vertreter von gesellschaftlichen Gruppen zum traditionellen Neujahrstreffen empfangen. An der Seite von Wulff begrüßte seine Ehefrau Bettina die Gäste im Schloss Bellevue. Gleich empfängt der Bundespräsident Kanzlerin Angela Merkel und ihr Kabinett – darüber berichten wir in einer Stunde. Hatte Christian Wulff gehofft, der Pulverdampf rund um seinen Kredit und das Zwiegespräch, das der Präsident mit einem Anrufbeantworter führte, werde sich schon verziehen, sieht sich Wulff inzwischen einer neuen Gefechtslage gegenüber. Seine eigene Partei, die CDU, rückt hörbar von ihm ab.
    Und Christel Blanke hat den CDU-Bundestagsabgeordneten Karl-Georg Wellmann gerade eben schon erwähnt. Guten Tag!

    Karl-Georg Wellmann: Guten Tag.

    Heinemann: Herr Wellmann, Sie raten Wulff zum Rücktritt. Was gab für Sie den Ausschlag?

    Wellmann: Ich habe ihm nicht zum Rücktritt geraten. Ich habe gesagt, wenn ich an seiner Position wäre, würde ich mir überlegen, ob ich mir, meiner Familie und dem Amt das weiter zumute.

    Heinemann: Mit welchen Folgen?

    Wellmann: Mit den Folgen des Rücktritts. Der Bundespräsident ist der höchste Repräsentant der Bundesrepublik und er soll nach unserer Verfassung ein Integrationsfaktor sein und soll die Gemeinsamkeiten unseres Volkes über tagespolitische Differenzen hinweg artikulieren und vertreten. Und allein die Diskussion, die jetzt seit Wochen um seine Person, um seine Amtsführung und um seine Vergangenheit läuft, ist so, dass ich sage, das kann man sich nicht länger zumuten.

    Heinemann: Und er hat also diese integrative Kraft nicht mehr?

    Wellmann: Ich befürchte, dass er befangen ist, und die integrative Kraft bedeutet doch, dass die Mehrheit der Bevölkerung, die immer hinter unserem Bundespräsidenten stand – gucken Sie sich die Zustimmungswerte an, die ein Bundespräsident hatte in den vergangenen Jahren über Parteigrenzen hinweg. Die großen Bundespräsidenten, Richard von Weizsäcker, Herzog, aber auch die anderen, hatten immer Riesenzustimmungswerte, und das setzt voraus, dass man als Persönlichkeit auch unbefangen in diesem Amt agieren kann. Und die Diskussion, die geführt wird in den großen Leitmedien, in der "FAZ", in der "Süddeutschen", bei Ihnen, in den Fernsehanstalten, führt mich zu dem Schluss, dass das nicht länger zu tragen ist.

    Heinemann: Herr Wellmann, stehen Sie mit dieser Forderung allein in der Unions-Bundestagsfraktion?

    Wellmann: Nein. Ich kriege zustimmende Anrufe von Kollegen, die mir sagen, endlich sagt es einer. Aber ich muss auch sagen, es kommt mir jetzt darauf nicht so sehr an. Es kommt mir darauf an, dass wir in ruhiges Fahrwasser kommen, dass das Amt nicht weiter beschädigt wird, und ich glaube auch nicht oder ich fürchte, dass es nicht dazu kommt, dass das in einem Jahr vergessen ist.

    Heinemann: Das heißt, ohne dass Christian Wulff von diesem Amt zurücktritt, würde dieses Amt weiter Schaden nehmen?

    Wellmann: Das ist zu befürchten, ja.

    Heinemann: Herr Wellmann, wie viele denken in der Fraktion so wie Sie und wie viele halten Christian Wulff noch die Stange?

    Wellmann: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich will jetzt auch andere gar nicht vereinnahmen für meine Position. Viele Gespräche, die man führt, zeigen, dass andere Kollegen ähnlich denken, aber ich kann das nicht quantifizieren. Wir haben ja jetzt auch eine lange Weihnachtspause hinter uns. Kommende Woche geht es erst wieder los mit einer Sitzungswoche, und da ist Fraktionssitzung, erstmalig seit Mitte Dezember, und dann schauen wir mal. Aber ich kann da keinen in Anspruch nehmen für meine Position.

    Heinemann: Nimmt die Zahl derjenigen, die einen Rücktritt fordern, zu?

    Wellmann: Na ja, es gab ja in den letzten Tagen auch schon von wichtigeren Leuten, als ich es bin, in der Fraktion sehr kritische Anmerkungen, und ich denke, wir müssen jetzt allmählich zu einer Lösung dieser ganzen Sache kommen. Ich sehe nicht, dass die Lösung dadurch eintritt, dass die Diskussion aufhört. Ich befürchte eher, dass weitere Details oder weitere Vorwürfe aufkommen, dass es also nicht zu Ende ist damit.

    Heinemann: Was erwarten Sie von Bundeskanzlerin Merkel?

    Wellmann: Es ist nicht Aufgabe der Bundeskanzlerin, sich öffentlich zu äußern, ...

    Heinemann: Hat sie aber schon getan.

    Wellmann: Ja. Aber ich möchte jetzt an dieser Stelle der Bundeskanzlerin keine Ratschläge geben. Mein einziger Wunsch wäre, wenn sich die Sachlage ändert, dass wir zukünftig eine Persönlichkeit finden, die über Parteigrenzen hinweg anerkannt ist, aber so weit ist es nicht. Wir haben einen Bundespräsidenten, er kann nicht abgewählt werden, und es ist allein an ihm zu entscheiden, wie es weitergeht.

    Heinemann: Über mindestens zwei mögliche Nachfolger wird bereits nachgedacht: Thomas de Maizière (CDU), Bundesverteidigungsminister, Frank-Walter Steinmeier, SPD-Fraktionschef im Bundestag. Welcher wäre Ihr Kandidat?

    Wellmann: Ich beteilige mich an solchen Diskussionen nicht und finde, solange wir einen Bundespräsidenten haben, sollten wir jedenfalls nicht darüber spekulieren, wer es machen könnte.

    Heinemann: Aber Sie wollen ja gerade, dass wir diesen Bundespräsidenten nicht mehr lange haben. Also muss man sich ja über die Nachfolge auch schon mal Gedanken machen.

    Wellmann: Ja, aber das ist jetzt nicht meines Amtes und schon gar nicht öffentlich.

    Heinemann: Herr Wellmann, Volker Kauder hat Karl-Theodor zu Guttenberg bis zum bitteren Ende die Stange gehalten. Er unterstützt bislang auch noch Christian Wulff. Wünschten Sie sich einen etwas mutigeren Fraktionsvorsitzenden?

    Wellmann: Unser Fraktionsvorsitzender Kauder ist ziemlich mutig und ich sehe da keine Defizite. Es hat sich ja Peter Altmaier jetzt mehrfach öffentlich geäußert und ich sehe da nicht, dass Volker Kauder jetzt zusätzlich Öl ins Feuer gießen müsste. Ich denke, es werden auch von ihm die erforderlichen Gespräche auch intern mit Fraktionskollegen geführt werden.

    Heinemann: Aber Peter Altmaier hat sich da durchaus mutiger doch schon geäußert, auch schon gesagt, dass diese Diskussion sicherlich noch lange weitergehen wird, während von Herrn Kauder eigentlich eher Nebelkerzen wahrzunehmen sind.

    Wellmann: Ja das müssten Sie dann mit Volker Kauder besprechen. Ich sehe jedenfalls keine Defizite bei unserem Fraktionsvorsitzenden.

    Heinemann: Herr Wellmann, ist Ihre Haltung eine Folge der Berichterstattung? Oder anders gefragt: Hätten Sie dem Präsidenten ohne die vielen Berichte und Kommentare über die Causa Wulff auch zum Rücktritt geraten in der Sache?

    Wellmann: Ich habe gesagt, dass ich mich über die Vorwürfe im Einzelnen nicht einlasse und darüber nicht spekuliere und sie nicht bewerte. Meine Position ist zu sagen, wir haben jetzt seit vier Wochen eine anhaltende Diskussion, die dem Amt schadet, eine Diskussion, unter der viele leiden, dass es kaum noch geht, körperlich leiden, dass ein Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland sich ins Fernsehen setzen muss und sich entschuldigt und sagt, wie viele Fehler er gemacht hat, und dass er es besser machen will und Dinge ankündigt, die dann nicht eingehalten werden. Insofern geht es mir um das Amt, um die Tatsache der Diskussion, und ich glaube nicht, dass wir die Diskussion aus der Welt schaffen können, die öffentliche, dass die Medien morgen früh aufhören mit dieser Diskussion. Die wird weitergehen und deshalb sage ich, es muss ein Schlussstrich gefunden werden.

    Heinemann: Spaltet Christian Wulff die CDU?

    Wellmann: Nein, das glaube ich nicht.

    Heinemann: Aber es gibt nach wie vor ...

    Wellmann: Nein, es ist keine parteipolitische Fragestellung. Es ist eine Fragestellung, die alle Demokraten im Lande angeht, und es ist kein Problem der CDU, denn auch die Sozialdemokraten haben erklärt, sie wollten keinen Rücktritt, und sind auch sehr zurückhaltend insoweit. Das hat mit CDU und nicht-CDU nichts zu tun.

    Heinemann: Aber wenn Sie sich die Großwetterlage anschauen, immer weniger Arbeitslose, ein erstaunliches Wachstum – verhagelt Christian Wulff der CDU da nicht die Ernte?

    Wellmann: Nein! Die Bundeskanzlerin macht einen hervorragenden Job, Deutschland steht so gut da wie seit Jahrzehnten nicht.

    Heinemann: Und berichtet wird über den Bundespräsidenten.

    Wellmann: Ja, das ist immer so. "Bad News are good News!" Wir haben die Diskussion über den Bundespräsidenten, wir hatten sie um den Berliner Justizsenator. Aber wichtig sind andere Sachen, wichtig ist die Finanzkrise zum Beispiel, wichtig ist die Integration in Europa. Insofern glaube ich das nicht und es wird auch gelöst werden, diese Frage.

    Heinemann: Herr Wellmann, wie lange geben Sie Christian Wulff noch?

    Wellmann: Dazu gebe ich keinen Kommentar. Ich habe gesagt, meine Position wäre, die ich Ihnen erläutert habe. Ich würde in der und der Weise reagieren. Alles andere liegt jetzt nicht in meiner Macht, sondern liegt im Verantwortungsbereich des Bundespräsidenten.

    Heinemann: Bodo Hombach, ein affärenerfahrener ehemaliger SPD-Politiker, heute Geschäftsführer der "WAZ"-Mediengruppe, hat am vergangenen Wochenende während eines Kongresses hier im Deutschlandfunk gesprochen von der heilsamen Wirkung der Angst von Politikern und anderen Führungskräften davor, dass etwas herauskommt. Vor dem Hintergrund – wie bewerten Sie die aktuelle Berichterstattung über Christian Wulffs Kredit und den Telefonanruf?

    Wellmann: Die Öffentlichkeit hat Anspruch, über viele Dinge aufgeklärt zu werden, und die Journalisten haben Anspruch, Informationen zu bekommen. Wir müssen aber aufpassen, dass wir hier nicht den gläsernen Menschen schaffen. Sonst müssen wir nachher nach einer Figur suchen, die einem Heiligen gleichkommt. Ich fürchte mich um ein Land, die einen Heiligen braucht, um die Position des Bundespräsidenten zu besetzen. Wir müssen einen haben, der auch mal Ecken und Kannten hat, und dürfen nun nicht ausleuchten, wie er sich in der Buddelkiste verhalten hat, ob er einen Spielkameraden mal mit Sand beworfen hat und deshalb vielleicht charakterlich ungeeignet ist. Also ich plädiere sehr dafür: Augenmaß und Kirche im Dorf lassen.

    Heinemann: In der gegenwärtigen Affäre geht es nicht um Sand, sondern im übertragenen Sinne eher um Moos. – Wann glauben Sie wird denn der nächste CDU-Bundestagsabgeordnete öffentlich den Rücktritt von Christian Wulff fordern?

    Wellmann: Ja das müssen Sie die Kollegen fragen. Ich habe von einigen heute telefonisch volle Zustimmung erhalten und auf meine Frage hat der eine oder andere auch gesagt, er ist auch gern bereit, das öffentlich kundzutun. Aber wie gesagt, das ist nicht mein Ansatz. Ich suche jetzt hier keine Mehrheiten. Ich leide unter der gegenwärtigen Situation wie sehr, sehr viele Menschen in meinem Wahlkreis, die mich ununterbrochen kontaktieren, und deshalb habe ich das gesagt, gestern im Zweiten Deutschen Fernsehen.

    Heinemann: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Wellmann: Danke! Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.