Dirk Müller: Der Sitzungsmarathon hat begonnen: erst der Samstag und der Sonntag, an diesem Mittwoch geht es dann in die nächste Runde. Die Staats- und Regierungschefs versuchen, die Euro-Krise in den Griff zu bekommen. "Wir sind auf einem sehr guten Weg", meinte gestern am späten Abend IWF-Chefin Christine Lagarde, obwohl so gut wie alle Fragen noch nicht beantwortet sind, obwohl Nicolas Sarkozy um seine Banken fürchtet, obwohl Silvio Berlusconi wieder einmal ins Gebet genommen wurde. Was ist also in Brüssel herausgekommen?
Bei uns am Telefon ist nun Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Guten Morgen!
Jürgen Trittin: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Herr Trittin, wird Ihnen da manchmal Angst und Bange, wenn fast alle nun mehr Europa fordern?
Trittin: Ich freue mich darüber, dass die Erkenntnis mit Monaten Verspätung, dass man diese Krise nur europäisch lösen kann, nun auch die Koalition ergreift. Aber ich mache mir Sorgen, dass die Dinge, die getan werden müssen, weniger wegen der Beteiligung des Deutschen Bundestages als wegen der Streitigkeiten insbesondere zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union immer wieder hinausgezögert werden. Die Diskussion über eine Rekapitalisierung der Banken, die jetzt als Absichtserklärung ja erst mal verabschiedet worden ist, ist fast drei Jahre alt. Andere Länder, beispielsweise die Schweiz, sind da schon viel, viel weiter, und sie haben dauerhafte Lösungen geschaffen, also nicht Lösungen, die sich darauf beziehen, dass man jetzt das vorschießt über beispielsweise die Stabilisierungs-Fazilität, sondern indem man sie zwingt, diese Banken dauerhaft ein höheres Kernkapital vorzuhalten, damit im Fall einer Krise nicht der Steuerzahler einspringen muss.
Müller: Aber es haben doch viele immer gedacht, Herr Trittin, wir hätten bereits ein Europa und ein mehr Europa als vor 10 oder 20 Jahren. Jetzt zeigt sich in dieser Krise ganz, ganz deutlich, dass die nationalen Egoismen frontal aufeinandertreffen.
Trittin: Ich glaube, dass der Kern heute offensichtlich ist, das, was von Anfang an viele gesagt haben: Es kann keine gemeinsame Währungsunion geben. Die muss es geben - das war ein riesiger Fortschritt, Deutschland hat davon gewaltig profitiert -, ohne eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik. Und diesen Schritt dahin, dass wir beispielsweise auch gemeinsame Bandbreiten haben, was Steuerpolitik angeht, dass wir begreifen, dass innerhalb der Währungsunion wirtschaftliche Ungleichgewichte nicht ins Unendliche wachsen dürfen, das ist der Kern dessen, was jetzt angegangen werden muss, und nur wenn man das angeht, wird man am Ende des Tages solche Krisen künftig vielleicht nicht verhindern, aber mindern können.
Müller: Das hört sich so an wie ein Vorwurf an die Deutschen, weil es denen so gut geht.
Trittin: Nein. Es geht schlicht und ergreifend um die Frage, dürfen sich innerhalb einer Währungsunion Volkswirtschaften so weit auseinanderentwickeln, wie das der Fall gewesen ist, und dazu gehört – und das ist ja mittlerweile auch in Richtlinien der Europäischen Union eingeflossen, gegen deutschen Widerstand -, dass beispielsweise, wenn ein Land eine gravierende Binnennachfrageschwäche hat wie Deutschland, dass sie diese Nachfrageschwäche auch beheben müssen. Dieses endlich anzugehen wie im Resteuropa, beispielsweise durch einen Mindestlohn Geringverdiener besserzustellen, das ist eine der Hausaufgaben, die Deutschland machen muss, und wir können nicht so tun, als wenn diese Krise ausschließlich etwas mit Ländern wie Portugal, Irland und Griechenland zu tun hat. Wir sind Bestandteil dieses Europas und wir sind damit auch Bestandteil der Krise.
Müller: Können die Europäer nicht froh sein, dass der Wirtschaftsmotor Deutschland funktioniert, so gut funktioniert?
Trittin: Ich bin da sehr froh drüber, ohne das wären die Schwierigkeiten noch sehr viel größer.
Müller: Aber wir sollen uns etwas zurücknehmen?
Trittin: Aber auch Deutschlands Tragfähigkeit wird natürlich überlastet, wenn an dieser Stelle es nicht langfristig auch zu anderen Formen der Finanzierung kommt. Ich kann mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen, dass man aus dem Gipfel am Mittwoch rausgeht, ohne endlich dafür gesorgt zu haben, dass für solche Krisenmechanismen diejenigen, die sie verursachen, dann auch mit in die Finanzierung genommen werden. Das heißt, es muss am Mittwoch eine Finanztransaktionssteuer mindestens in der Eurozone beschlossen werden.
Müller: Wenn Sie sagen, Jürgen Trittin, dass wir ein gemeinsames Europa brauchen, ein mehr an gemeinsamem Europa, wie passt das dann zusammen, dass auf der anderen Seite der Bundestag jetzt in der Lage ist, der Regierung Fesseln anzulegen?
Trittin: Der Bundestag nimmt seine europäische Verantwortung wahr. Der Bundestag hat die Hoheit über das Geld des deutschen Steuerzahlers, nicht die Regierung; das hat das Bundesverfassungsgericht unzweifelhaft so klargestellt. Deswegen ist es nicht der Deutsche Bundestag, der hier das Problem darstellt, sondern das ist der Umstand, dass die Regierung am letzten Freitag den Zwischenstand eines Verhandlungsergebnisses uns präsentiert hat, anstatt konkrete Vorschläge zu machen, auf denen der Bundestag hätte beschließen können, und das sieht heute Morgen ja nicht besser aus. Das, was bisher in der Diskussion war, ist in dieser Form nicht beratungsfähig, weil man sich in der Schlüsselfrage, wie will man aus 440 Milliarden ein bis zwei Billionen machen – das sind ja die Beträge, über die wir hier reden -, bis heute nicht geeinigt hat. Der Bundestag wäre sehr schnell in der Lage, noch vor dem Gipfel am Mittwoch über eine solche Frage auch zu entscheiden. Das setzt allerdings voraus, dass so etwas wie ein Verhandlungsergebnis vorliegt. Und wir erwarten von Frau Merkel, dass dieses im Laufe des Montages uns vorgelegt wird, und wir erwarten von der Mehrheit der Koalition, dass sie sich in dieser Frage nicht feige wegdrücken und versuchen, dieses erneut dann hinter verschlossenen Türen des Haushaltsausschusses zu beschließen.
Müller: Jetzt hat zu dieser Rolle des Bundestages Jean-Claude Juncker, immerhin Chef der Eurozone, gesagt, es gibt nicht nur das deutsche Parlament, es gibt nicht nur die deutschen Abgeordneten. Wenn jeder Staat so vorgehen würde, wenn jedes Parlament der 17 Euro-Staaten so vorgehen würde, dann kämen wir nie auf einen grünen Zweig. Nehmen Sie das ernst?
Trittin: Ich nehme das sehr ernst, aber ich würde mir es wünschen, dass alle europäischen Demokratien ihre Parlamente so einbeziehen, wie das nach unseren Vorstellungen auch richtig ist. Wir werden dieses Europa nur stärken und ausbauen können mit einer gemeinschaftlichen demokratischen, und das heißt einer parlamentarischen Kontrolle, und die Alternative – und das muss man in aller Deutlichkeit sagen – wäre, wer tatsächlich möchte, dass dieses vielleicht nur von einem Parlament entschieden wird, der muss sich dann eben für eine Stärkung und Einbeziehung des Europäischen Parlamentes einsetzen. Die Vorstellung, man könne Europa bauen auf der Basis von Verabredungen von Regierungen, diese Vorstellung ist abenteuerlich und einem Jean-Claude Juncker eigentlich nicht würdig.
Müller: Würden Sie, Herr Trittin, das denn unterschreiben, dass wenn noch mehr Parlamente beteiligt werden würden – darum geht es ja zunächst einmal -, dann dauern die Entscheidungen noch länger?
Trittin: Bisher sind alle Verzögerungen, die wir in dieser Woche erlebt haben, nicht dem Parlament, sondern ausschließlich nach Unfähigkeit der Regierung, sich zu einigen, geschuldet. Das deutsche Parlament hat bisher nicht eine Minute zur Verzögerung des Entscheidungsprozesses beigetragen. Nur was man wissen muss: Am Ende entscheidet über das Geld des deutschen Steuerzahlers der gewählte Souverän, das ist der Bundestag. Das ist die Realität, das war sie übrigens vorher schon.
Müller: Dann reden wir noch einmal über die Banken. Schuldenschnitt, das ist das Stichwort. Mindestens 50 Prozent, ist jetzt aus Brüssel zu hören. Die Banken haben bis jetzt 21 Prozent zugestanden. Würden Sie die Banken zwingen?
Trittin: Selbstverständlich müssen die Banken gezwungen werden. Sie müssen im Zweifelsfall auch dann rekapitalisiert werden. Aber noch mal: Das reicht nicht aus. Es muss zweitens dafür gesorgt werden, dass sich so etwas nicht wiederholt. Das setzt voraus, dass die Banken dauerhaft höhere Eigenkapitalquoten haben, wie es zum Beispiel in der Schweiz der Fall ist. Und es muss für eine dauerhafte Finanzierung solcher Krisenmechanismen gesorgt werden, und deswegen brauchen wir eine Finanztransaktionssteuer. Das sind die drei Dinge: Zwingen, dass sie sich jetzt rekapitalisieren, sicherstellen, dass es dauerhaft hohes Eigenkapital gibt, und dass es eine Finanztransaktionssteuer gibt. Das ist das, was jetzt auf der Tagesordnung des Rates in Brüssel liegt.
Müller: Herr Trittin, wir haben jetzt nicht mehr viel Zeit. Ich muss Sie das trotzdem noch mal fragen. Also die Banken sollen viel, viel mehr Schulden mittragen, also auf viel mehr Geld verzichten, um 50 Prozent ist jetzt die Rede, auf der anderen Seite sollen sie sich rekapitalisieren. Wer gibt den Banken das Geld?
Trittin: Das ist ja der Grundgedanke, weswegen wir über die Hebelung der europäischen Stabilisierungs-Fazilität sprechen. Aber eines muss man klar sagen: Geld gibt es immer nur gegen Mitbestimmung. Und wer wie die Deutsche Bank in diesem Jahr vier Milliarden Euro Gewinn macht, der muss gefälligst seine Rücklagen erhöhen.
Müller: Und die anderen?
Trittin: Und wenn er das nicht tut, dann muss man ihn entsprechend dazu zwingen.
Müller: Und die anderen, denen es nicht so gut geht?
Trittin: Es geht um andere Banken. Wir haben in Deutschland und in den USA ja Fälle, in denen es Banken nicht so gut ging. Die sind dann zum Teil anteilsmäßig zum Teil vollständig verstaatlicht worden, rekapitalisiert und dann wieder an die Börse gebracht worden. Das ist der richtige Weg, mit solchen Problemen umzugehen.
Müller: Der Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin heute Morgen bei uns im Interview. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.
Trittin: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Bei uns am Telefon ist nun Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Guten Morgen!
Jürgen Trittin: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Herr Trittin, wird Ihnen da manchmal Angst und Bange, wenn fast alle nun mehr Europa fordern?
Trittin: Ich freue mich darüber, dass die Erkenntnis mit Monaten Verspätung, dass man diese Krise nur europäisch lösen kann, nun auch die Koalition ergreift. Aber ich mache mir Sorgen, dass die Dinge, die getan werden müssen, weniger wegen der Beteiligung des Deutschen Bundestages als wegen der Streitigkeiten insbesondere zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union immer wieder hinausgezögert werden. Die Diskussion über eine Rekapitalisierung der Banken, die jetzt als Absichtserklärung ja erst mal verabschiedet worden ist, ist fast drei Jahre alt. Andere Länder, beispielsweise die Schweiz, sind da schon viel, viel weiter, und sie haben dauerhafte Lösungen geschaffen, also nicht Lösungen, die sich darauf beziehen, dass man jetzt das vorschießt über beispielsweise die Stabilisierungs-Fazilität, sondern indem man sie zwingt, diese Banken dauerhaft ein höheres Kernkapital vorzuhalten, damit im Fall einer Krise nicht der Steuerzahler einspringen muss.
Müller: Aber es haben doch viele immer gedacht, Herr Trittin, wir hätten bereits ein Europa und ein mehr Europa als vor 10 oder 20 Jahren. Jetzt zeigt sich in dieser Krise ganz, ganz deutlich, dass die nationalen Egoismen frontal aufeinandertreffen.
Trittin: Ich glaube, dass der Kern heute offensichtlich ist, das, was von Anfang an viele gesagt haben: Es kann keine gemeinsame Währungsunion geben. Die muss es geben - das war ein riesiger Fortschritt, Deutschland hat davon gewaltig profitiert -, ohne eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik. Und diesen Schritt dahin, dass wir beispielsweise auch gemeinsame Bandbreiten haben, was Steuerpolitik angeht, dass wir begreifen, dass innerhalb der Währungsunion wirtschaftliche Ungleichgewichte nicht ins Unendliche wachsen dürfen, das ist der Kern dessen, was jetzt angegangen werden muss, und nur wenn man das angeht, wird man am Ende des Tages solche Krisen künftig vielleicht nicht verhindern, aber mindern können.
Müller: Das hört sich so an wie ein Vorwurf an die Deutschen, weil es denen so gut geht.
Trittin: Nein. Es geht schlicht und ergreifend um die Frage, dürfen sich innerhalb einer Währungsunion Volkswirtschaften so weit auseinanderentwickeln, wie das der Fall gewesen ist, und dazu gehört – und das ist ja mittlerweile auch in Richtlinien der Europäischen Union eingeflossen, gegen deutschen Widerstand -, dass beispielsweise, wenn ein Land eine gravierende Binnennachfrageschwäche hat wie Deutschland, dass sie diese Nachfrageschwäche auch beheben müssen. Dieses endlich anzugehen wie im Resteuropa, beispielsweise durch einen Mindestlohn Geringverdiener besserzustellen, das ist eine der Hausaufgaben, die Deutschland machen muss, und wir können nicht so tun, als wenn diese Krise ausschließlich etwas mit Ländern wie Portugal, Irland und Griechenland zu tun hat. Wir sind Bestandteil dieses Europas und wir sind damit auch Bestandteil der Krise.
Müller: Können die Europäer nicht froh sein, dass der Wirtschaftsmotor Deutschland funktioniert, so gut funktioniert?
Trittin: Ich bin da sehr froh drüber, ohne das wären die Schwierigkeiten noch sehr viel größer.
Müller: Aber wir sollen uns etwas zurücknehmen?
Trittin: Aber auch Deutschlands Tragfähigkeit wird natürlich überlastet, wenn an dieser Stelle es nicht langfristig auch zu anderen Formen der Finanzierung kommt. Ich kann mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen, dass man aus dem Gipfel am Mittwoch rausgeht, ohne endlich dafür gesorgt zu haben, dass für solche Krisenmechanismen diejenigen, die sie verursachen, dann auch mit in die Finanzierung genommen werden. Das heißt, es muss am Mittwoch eine Finanztransaktionssteuer mindestens in der Eurozone beschlossen werden.
Müller: Wenn Sie sagen, Jürgen Trittin, dass wir ein gemeinsames Europa brauchen, ein mehr an gemeinsamem Europa, wie passt das dann zusammen, dass auf der anderen Seite der Bundestag jetzt in der Lage ist, der Regierung Fesseln anzulegen?
Trittin: Der Bundestag nimmt seine europäische Verantwortung wahr. Der Bundestag hat die Hoheit über das Geld des deutschen Steuerzahlers, nicht die Regierung; das hat das Bundesverfassungsgericht unzweifelhaft so klargestellt. Deswegen ist es nicht der Deutsche Bundestag, der hier das Problem darstellt, sondern das ist der Umstand, dass die Regierung am letzten Freitag den Zwischenstand eines Verhandlungsergebnisses uns präsentiert hat, anstatt konkrete Vorschläge zu machen, auf denen der Bundestag hätte beschließen können, und das sieht heute Morgen ja nicht besser aus. Das, was bisher in der Diskussion war, ist in dieser Form nicht beratungsfähig, weil man sich in der Schlüsselfrage, wie will man aus 440 Milliarden ein bis zwei Billionen machen – das sind ja die Beträge, über die wir hier reden -, bis heute nicht geeinigt hat. Der Bundestag wäre sehr schnell in der Lage, noch vor dem Gipfel am Mittwoch über eine solche Frage auch zu entscheiden. Das setzt allerdings voraus, dass so etwas wie ein Verhandlungsergebnis vorliegt. Und wir erwarten von Frau Merkel, dass dieses im Laufe des Montages uns vorgelegt wird, und wir erwarten von der Mehrheit der Koalition, dass sie sich in dieser Frage nicht feige wegdrücken und versuchen, dieses erneut dann hinter verschlossenen Türen des Haushaltsausschusses zu beschließen.
Müller: Jetzt hat zu dieser Rolle des Bundestages Jean-Claude Juncker, immerhin Chef der Eurozone, gesagt, es gibt nicht nur das deutsche Parlament, es gibt nicht nur die deutschen Abgeordneten. Wenn jeder Staat so vorgehen würde, wenn jedes Parlament der 17 Euro-Staaten so vorgehen würde, dann kämen wir nie auf einen grünen Zweig. Nehmen Sie das ernst?
Trittin: Ich nehme das sehr ernst, aber ich würde mir es wünschen, dass alle europäischen Demokratien ihre Parlamente so einbeziehen, wie das nach unseren Vorstellungen auch richtig ist. Wir werden dieses Europa nur stärken und ausbauen können mit einer gemeinschaftlichen demokratischen, und das heißt einer parlamentarischen Kontrolle, und die Alternative – und das muss man in aller Deutlichkeit sagen – wäre, wer tatsächlich möchte, dass dieses vielleicht nur von einem Parlament entschieden wird, der muss sich dann eben für eine Stärkung und Einbeziehung des Europäischen Parlamentes einsetzen. Die Vorstellung, man könne Europa bauen auf der Basis von Verabredungen von Regierungen, diese Vorstellung ist abenteuerlich und einem Jean-Claude Juncker eigentlich nicht würdig.
Müller: Würden Sie, Herr Trittin, das denn unterschreiben, dass wenn noch mehr Parlamente beteiligt werden würden – darum geht es ja zunächst einmal -, dann dauern die Entscheidungen noch länger?
Trittin: Bisher sind alle Verzögerungen, die wir in dieser Woche erlebt haben, nicht dem Parlament, sondern ausschließlich nach Unfähigkeit der Regierung, sich zu einigen, geschuldet. Das deutsche Parlament hat bisher nicht eine Minute zur Verzögerung des Entscheidungsprozesses beigetragen. Nur was man wissen muss: Am Ende entscheidet über das Geld des deutschen Steuerzahlers der gewählte Souverän, das ist der Bundestag. Das ist die Realität, das war sie übrigens vorher schon.
Müller: Dann reden wir noch einmal über die Banken. Schuldenschnitt, das ist das Stichwort. Mindestens 50 Prozent, ist jetzt aus Brüssel zu hören. Die Banken haben bis jetzt 21 Prozent zugestanden. Würden Sie die Banken zwingen?
Trittin: Selbstverständlich müssen die Banken gezwungen werden. Sie müssen im Zweifelsfall auch dann rekapitalisiert werden. Aber noch mal: Das reicht nicht aus. Es muss zweitens dafür gesorgt werden, dass sich so etwas nicht wiederholt. Das setzt voraus, dass die Banken dauerhaft höhere Eigenkapitalquoten haben, wie es zum Beispiel in der Schweiz der Fall ist. Und es muss für eine dauerhafte Finanzierung solcher Krisenmechanismen gesorgt werden, und deswegen brauchen wir eine Finanztransaktionssteuer. Das sind die drei Dinge: Zwingen, dass sie sich jetzt rekapitalisieren, sicherstellen, dass es dauerhaft hohes Eigenkapital gibt, und dass es eine Finanztransaktionssteuer gibt. Das ist das, was jetzt auf der Tagesordnung des Rates in Brüssel liegt.
Müller: Herr Trittin, wir haben jetzt nicht mehr viel Zeit. Ich muss Sie das trotzdem noch mal fragen. Also die Banken sollen viel, viel mehr Schulden mittragen, also auf viel mehr Geld verzichten, um 50 Prozent ist jetzt die Rede, auf der anderen Seite sollen sie sich rekapitalisieren. Wer gibt den Banken das Geld?
Trittin: Das ist ja der Grundgedanke, weswegen wir über die Hebelung der europäischen Stabilisierungs-Fazilität sprechen. Aber eines muss man klar sagen: Geld gibt es immer nur gegen Mitbestimmung. Und wer wie die Deutsche Bank in diesem Jahr vier Milliarden Euro Gewinn macht, der muss gefälligst seine Rücklagen erhöhen.
Müller: Und die anderen?
Trittin: Und wenn er das nicht tut, dann muss man ihn entsprechend dazu zwingen.
Müller: Und die anderen, denen es nicht so gut geht?
Trittin: Es geht um andere Banken. Wir haben in Deutschland und in den USA ja Fälle, in denen es Banken nicht so gut ging. Die sind dann zum Teil anteilsmäßig zum Teil vollständig verstaatlicht worden, rekapitalisiert und dann wieder an die Börse gebracht worden. Das ist der richtige Weg, mit solchen Problemen umzugehen.
Müller: Der Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin heute Morgen bei uns im Interview. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.
Trittin: Ich danke Ihnen!
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