Christoph Heinemann: Dass die Gemengelage einfach wäre, wird niemand behaupten, der auch nur die Presseberichte über Euro Hawk, Global Hawk und AGS – das ist das englische Kürzel für ein luftgestütztes Bodenüberwachungssystem der NATO – gelesen hat. Am Telefon ist Gregor Gysi, der Fraktionschef der Partei Die Linke im Deutschen Bundestag. Guten Morgen.
Gregor Gysi: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Gysi, Thomas de Maizière sagt, bei der Aufklärung jetzt Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Macht er das richtig?
Gysi: Nein. Ich glaube, er begeht einen schwerwiegenden Fehler. Er hätte über seinen Wissensstand so schnell wie möglich die Öffentlichkeit informieren müssen. Es geht ja nicht darum, dass er immer sagt, er wird den Verteidigungsausschuss informieren, das ist auch wichtig. Aber die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Information, denn es sind 600 Millionen Euro in den Sand gesetzt worden. Das müssen Sie den Leuten erklären, denen im Ort gesagt wird, für die Schwimmhalle kein Geld, für die Kindertagesstätte kein Geld. So können wir einfach nicht mit den Steuergeldern umgehen.
Heinemann: Sie fordern Schnelligkeit vor Gründlichkeit?
Gysi: Nein, das natürlich auch nicht. Es muss einfach beides zusammenpassen. Ich muss die Informationen geben, ich kann ja sagen, ich muss noch die Frage aufklären, ich muss noch jene Frage aufklären, das kann ich ja machen. Ich kann ja durchaus zur Unvollständigkeit stehen, wenn ich sie betone. Gleichzeitig muss es natürlich sehr gründlich aufgeklärt werden, das ist klar.
Heinemann: Das Projekt hat eine Laufzeit von über zehn Jahren. Wissen Sie, wie viel Papier da zusammenkommt?
Gysi: Das ist mir klar, dass das dauern kann. Auf der anderen Seite wird es dort Fachleute geben im Bundesministerium, die sich mit fast nichts anderem beschäftigt haben und die durchaus eine Übersicht besitzen. Ich weiß: Diese ganze Drohnenanschaffung ist beschlossen worden von SPD und Grünen, die jetzt immer so tun, als ob sie dazu ständig in Opposition gestanden hätten. Das ist ja nicht so. Selbst die Drohne der NATO ist abgestimmt worden im Bundestag 2012, und zwar positiv von Union, FDP und SPD. Die Grünen haben sich tapfer der Stimme enthalten, nur wir haben dagegen gestimmt, weil wir von der ganzen Struktur, von dem ganzen System nichts halten.
Heinemann: Thomas de Maizière hat gehandelt, er hat das Projekt gestoppt, er sorgt jetzt für Aufklärung, lässt einen ausführlichen Bericht erarbeiten. Was werfen Sie ihm eigentlich noch vor?
Gysi: Was ich ihm vorwerfe, ist, dass er Anfang Mai noch gesagt hat, das ist eines der wichtigsten Projekte, obwohl es ja schon viele Informationen gab, wonach er dann Ende Mai selbst die Reißleine gezogen hat. Ich hatte ja mal einen Pilotenschein, auch wenn nur für kleine Flugzeuge.
Heinemann: Donnerwetter! Wussten wir gar nicht!
Gysi: Wenn Sie so eine Drohne in die Luft schicken und es gibt keine Antikollision, höchstens, dass sie selber ausweichen kann, kann es zu Zusammenstößen kommen. Das wird die zivile Luftfahrt nie genehmigen, und die müssen ja von hieraus starten. Und dann gibt es auch noch ein völkerrechtliches Problem. Wenn die Drohne aufklären soll, dann dürfen Sie ja die Staaten, über die Sie fliegen und wo überhaupt die Drohne hinfliegt, nicht informieren. Das ist aber nach dem Luftfahrtrecht gar nicht gestattet. Das heißt, diese ganze Idee, ich spioniere weltweit aus, erfahre alles und keiner weiß etwas davon, dafür gibt es noch gar kein Völkerrecht. Das gibt ja auch die USA zu, dass das ein riesiges Problem ist gerade bei den Aufklärungsdrohnen.
Heinemann: Da kommen wir gleich noch mal zu. – Bleiben wir noch mal kurz bei dem eigentlichen Fall. Sie haben Thomas de Maizières Stellungnahme vom Mai 2012 angesprochen. Hat der Minister das Parlament getäuscht Ihrer Meinung nach?
Gysi: Das weiß ich nicht. Da bin ich jetzt wieder vorsichtig. Ich bin ja auch Anwalt. Bevor ich jemand verurteile …
Heinemann: Pilot, Anwalt, Donnerwetter!
Gysi: Alles Mögliche! …, will ich schon eine gewisse Klarheit diesbezüglich haben. Wissen Sie, es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder er hat getäuscht, oder er wurde getäuscht. Und dann kennen Sie ja die Spielregeln in der Politik. Wenn man getäuscht hat, ist man erledigt, und wenn man getäuscht wurde und sein Haus nicht im Griff hat, ist man zumindest halb erledigt.
Heinemann: Fordern Sie seinen Rücktritt?
Gysi: Nein, noch nicht. Dazu muss ich die Dinge genauer wissen. Aber personelle Konsequenzen wird es geben. Ich sage Ihnen noch einmal: Der Eindruck in der Bevölkerung, dass wir in der Bundespolitik die Millionen so verschleudern und unten das Geld fehlt, der muss endlich korrigiert werden. Sonst wird das Misstrauen in die Politik und damit auch in die Politikerinnen und Politiker immer weiter zunehmen.
Heinemann: Herr Gysi, Thomas de Maizière verweist darauf, dass es bei allen Beschaffungsprojekten immer Schwierigkeiten gibt, es ist nun mal Spitzentechnologie. Wenn man jetzt bei jedem Rüstungsproblem gleich die Reißleine zöge, dann kämpfte die Bundeswehr bald mit Pfeil und Bogen.
Gysi: Das ist eine ganz generelle Frage, wo ich sage, eine Politikerin oder ein Politiker muss auch Risikobereitschaft zeigen. Ich habe mal mit der Staatsanwaltschaft bei einem Ermittlungsverfahren gegen einen Politiker diskutiert. Da sage ich, wenn sie das alles unter Strafe stellen, entscheiden die gar nichts mehr. Das kenne ich, das Problem. Auf der anderen Seite sage ich wiederum, der Umgang mit Steuergeldern muss auch ausgesprochen vorsichtig erfolgen und so transparent wie möglich erfolgen. Es geht ja nicht, dass man über Jahre nichts erfährt, und plötzlich sagt er, das geht alles gar nicht, alles Quatsch. Dann erfährt man, die Schwierigkeiten sind schon seit 2004 bekannt. Was ist denn zwischen 2004 und 2013 passiert? Welche sozusagen elementaren Nachforschungen hat es gegeben? Wenn ich als Minister höre, es gibt Schwierigkeiten.
Heinemann: Da kann Herr de Maizière ja nichts dafür!
Gysi: Ja, sage ich gleich. Ich kenne seine Vorgänger. Deshalb bin ich ja auch bei ihm erst mal noch vorsichtig. Ich sage, es muss personelle Konsequenzen geben. Da gibt es ja Leute im Ministerium, die arbeiten die ganze Zeit daran. Aber verstehen Sie, dann muss ich doch ungeheuer genau werden. Dann muss ich den Verteidigungsausschuss informieren, dann muss ich sagen, Leute, wir haben jetzt schon so und so viel Geld ausgegeben, es besteht die und die Gefahr. Mal abgesehen davon, dass er ja nie erklärt hat, wozu wir eigentlich weltweit aufklären müssen. Das ist doch Spionage, was wir da betreiben wollen. Wozu eigentlich? Wo wollen wir denn noch überall Kriege führen? Die Logik verstehe ich schon nicht. Aber wenn die Logik, dann bitte ungeheuere Vorsicht.
Heinemann: Wollen Sie Terroristen mit Panzern bekämpfen?
Gysi: Nein. Ich will Terroristen dadurch bekämpfen, dass ich ihnen die Grundlage entziehe, indem ich eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung schaffe, Ernährungsprobleme löse, den ganzen Hass abbaue, einen neuen Dialog zwischen Religionen und Kulturen führe. Das scheint mir das Wichtigste zu sein. Glauben Sie im Ernst, dass wir die Probleme der Menschheit mittels Krieg lösen? Was haben wir denn in Afghanistan verbessert? Schauen Sie sich doch mal die Situation in Afghanistan an. Wir haben über zehn Milliarden ausgegeben und es ist für die Bevölkerung so gut wie nichts herausgekommen. Da, glaube ich, müssen wir einfach mal über eine neue Logik unserer Politik sprechen.
Heinemann: Der Friede muss bewaffnet sein. Herr Gysi, den Spruch kennen Sie doch noch von früher.
Gysi: Ja, der war damals schon falsch. Aber da gab es noch so ein klares Gegenüber von Ost und West und das war ein Kalter Krieg, wo ja ein Heißer verhindert wurde. Aber seit 1990 werden täglich Kriege üblicher. Verstehen Sie? Man sagt, na ja, wenn es nicht anders geht, ob Libyen oder so, marschieren wir eben ein – zum Glück nicht immer Deutschland, aber andere. Oder auch Deutschland und Irak: Was haben wir im Irak erreicht? Gut: Der eine Diktator ist weg und jetzt sterben täglich durch Terroranschläge zig Leute.
Heinemann: Das gab es aber auch schon früher, Herr Gysi.
Gysi: Weiß ich!
Heinemann: Als Sie noch in dem durchmilitarisierten Staat DDR lebten, sind ähnliche Einwände von Ihnen und anderen SED-lastigen Linkspolitikern ja nicht aktenkundig geworden, um es mal vorsichtig auszudrücken. Wie glaubwürdig ist Ihre Rüstungskritik heute?
Gysi: Zumindest war ich nicht bei der Armee zum Beispiel, schon weil ich davon nichts hielt, und das war kein leichter Akt.
Heinemann: Ja Sie konnten es sich vielleicht erlauben, im Gegensatz zu anderen.
Gysi: Nein, umgekehrt! Weil ich einen eher prominenten Vater hatte, sollte ich unbedingt drei Jahre gehen. Das war ein bisschen anders gestrickt. Aber es macht nichts, dass Sie das nicht wissen.
Heinemann: Aber Sie konnten trotzdem studieren?
Gysi: Ja. Das hatte wiederum andere Gründe. Es spielten gesundheitliche Dinge und sonst was alles eine Rolle.
Heinemann: Das wirft Ihnen keiner vor. Es geht jetzt um die Frage, wie glaubwürdig ist da Ihre Rüstungskritik heute.
Gysi: Passen Sie auf: Es ist doch ein Unterschied, eine Rüstung, die letztlich dazu diente im Kalten Krieg, obwohl man das heute auch alles bezweifeln muss, dass gegenseitig letztlich keine Angriffsfähigkeit vorlag, weil der Gegenschlag so stark gewesen wäre, dass die beiden Supermächte, sage ich mal, damals USA und Sowjetunion, das verhindert haben. Das war doch so eine Art Status, wo Kriege verhindert wurden, mit Ausnahme Vietnam, mit Ausnahme Afghanistan durch die Sowjetunion und so. Da gab es diese Einzugssphären, wo man sagte, da dürft ihr, aber sonst dürft ihr nicht etc. In Europa etc. war damals ein Krieg glücklicherweise kaum möglich. Und jetzt haben wir doch eine völlig neue Situation. Es geht ja nicht mal in erster Linie um Rüstungsfragen, sondern es geht inzwischen um Kriege, und die Bundesrepublik Deutschland nimmt erst seit 1990 an Kriegen teil. Vor der Vereinigung war das undenkbar, sowohl durch die DDR als auch durch die Bundesrepublik. Da hat sich die Einstellung geändert und mit dieser Änderung der Einstellung ist verbunden, dass man ernsthaft glaubt, mittels Kriegen die Probleme der Menschheit lösen zu können, und daran glaube ich nicht. Daran habe ich übrigens auch vor 1990 niemals geglaubt.
Heinemann: Gregor Gysi, der Vorsitzende der Bundestagsfraktion Die Linke. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Gysi: Auf Wiederhören, Herr Heinemann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Gregor Gysi: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Gysi, Thomas de Maizière sagt, bei der Aufklärung jetzt Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Macht er das richtig?
Gysi: Nein. Ich glaube, er begeht einen schwerwiegenden Fehler. Er hätte über seinen Wissensstand so schnell wie möglich die Öffentlichkeit informieren müssen. Es geht ja nicht darum, dass er immer sagt, er wird den Verteidigungsausschuss informieren, das ist auch wichtig. Aber die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Information, denn es sind 600 Millionen Euro in den Sand gesetzt worden. Das müssen Sie den Leuten erklären, denen im Ort gesagt wird, für die Schwimmhalle kein Geld, für die Kindertagesstätte kein Geld. So können wir einfach nicht mit den Steuergeldern umgehen.
Heinemann: Sie fordern Schnelligkeit vor Gründlichkeit?
Gysi: Nein, das natürlich auch nicht. Es muss einfach beides zusammenpassen. Ich muss die Informationen geben, ich kann ja sagen, ich muss noch die Frage aufklären, ich muss noch jene Frage aufklären, das kann ich ja machen. Ich kann ja durchaus zur Unvollständigkeit stehen, wenn ich sie betone. Gleichzeitig muss es natürlich sehr gründlich aufgeklärt werden, das ist klar.
Heinemann: Das Projekt hat eine Laufzeit von über zehn Jahren. Wissen Sie, wie viel Papier da zusammenkommt?
Gysi: Das ist mir klar, dass das dauern kann. Auf der anderen Seite wird es dort Fachleute geben im Bundesministerium, die sich mit fast nichts anderem beschäftigt haben und die durchaus eine Übersicht besitzen. Ich weiß: Diese ganze Drohnenanschaffung ist beschlossen worden von SPD und Grünen, die jetzt immer so tun, als ob sie dazu ständig in Opposition gestanden hätten. Das ist ja nicht so. Selbst die Drohne der NATO ist abgestimmt worden im Bundestag 2012, und zwar positiv von Union, FDP und SPD. Die Grünen haben sich tapfer der Stimme enthalten, nur wir haben dagegen gestimmt, weil wir von der ganzen Struktur, von dem ganzen System nichts halten.
Heinemann: Thomas de Maizière hat gehandelt, er hat das Projekt gestoppt, er sorgt jetzt für Aufklärung, lässt einen ausführlichen Bericht erarbeiten. Was werfen Sie ihm eigentlich noch vor?
Gysi: Was ich ihm vorwerfe, ist, dass er Anfang Mai noch gesagt hat, das ist eines der wichtigsten Projekte, obwohl es ja schon viele Informationen gab, wonach er dann Ende Mai selbst die Reißleine gezogen hat. Ich hatte ja mal einen Pilotenschein, auch wenn nur für kleine Flugzeuge.
Heinemann: Donnerwetter! Wussten wir gar nicht!
Gysi: Wenn Sie so eine Drohne in die Luft schicken und es gibt keine Antikollision, höchstens, dass sie selber ausweichen kann, kann es zu Zusammenstößen kommen. Das wird die zivile Luftfahrt nie genehmigen, und die müssen ja von hieraus starten. Und dann gibt es auch noch ein völkerrechtliches Problem. Wenn die Drohne aufklären soll, dann dürfen Sie ja die Staaten, über die Sie fliegen und wo überhaupt die Drohne hinfliegt, nicht informieren. Das ist aber nach dem Luftfahrtrecht gar nicht gestattet. Das heißt, diese ganze Idee, ich spioniere weltweit aus, erfahre alles und keiner weiß etwas davon, dafür gibt es noch gar kein Völkerrecht. Das gibt ja auch die USA zu, dass das ein riesiges Problem ist gerade bei den Aufklärungsdrohnen.
Heinemann: Da kommen wir gleich noch mal zu. – Bleiben wir noch mal kurz bei dem eigentlichen Fall. Sie haben Thomas de Maizières Stellungnahme vom Mai 2012 angesprochen. Hat der Minister das Parlament getäuscht Ihrer Meinung nach?
Gysi: Das weiß ich nicht. Da bin ich jetzt wieder vorsichtig. Ich bin ja auch Anwalt. Bevor ich jemand verurteile …
Heinemann: Pilot, Anwalt, Donnerwetter!
Gysi: Alles Mögliche! …, will ich schon eine gewisse Klarheit diesbezüglich haben. Wissen Sie, es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder er hat getäuscht, oder er wurde getäuscht. Und dann kennen Sie ja die Spielregeln in der Politik. Wenn man getäuscht hat, ist man erledigt, und wenn man getäuscht wurde und sein Haus nicht im Griff hat, ist man zumindest halb erledigt.
Heinemann: Fordern Sie seinen Rücktritt?
Gysi: Nein, noch nicht. Dazu muss ich die Dinge genauer wissen. Aber personelle Konsequenzen wird es geben. Ich sage Ihnen noch einmal: Der Eindruck in der Bevölkerung, dass wir in der Bundespolitik die Millionen so verschleudern und unten das Geld fehlt, der muss endlich korrigiert werden. Sonst wird das Misstrauen in die Politik und damit auch in die Politikerinnen und Politiker immer weiter zunehmen.
Heinemann: Herr Gysi, Thomas de Maizière verweist darauf, dass es bei allen Beschaffungsprojekten immer Schwierigkeiten gibt, es ist nun mal Spitzentechnologie. Wenn man jetzt bei jedem Rüstungsproblem gleich die Reißleine zöge, dann kämpfte die Bundeswehr bald mit Pfeil und Bogen.
Gysi: Das ist eine ganz generelle Frage, wo ich sage, eine Politikerin oder ein Politiker muss auch Risikobereitschaft zeigen. Ich habe mal mit der Staatsanwaltschaft bei einem Ermittlungsverfahren gegen einen Politiker diskutiert. Da sage ich, wenn sie das alles unter Strafe stellen, entscheiden die gar nichts mehr. Das kenne ich, das Problem. Auf der anderen Seite sage ich wiederum, der Umgang mit Steuergeldern muss auch ausgesprochen vorsichtig erfolgen und so transparent wie möglich erfolgen. Es geht ja nicht, dass man über Jahre nichts erfährt, und plötzlich sagt er, das geht alles gar nicht, alles Quatsch. Dann erfährt man, die Schwierigkeiten sind schon seit 2004 bekannt. Was ist denn zwischen 2004 und 2013 passiert? Welche sozusagen elementaren Nachforschungen hat es gegeben? Wenn ich als Minister höre, es gibt Schwierigkeiten.
Heinemann: Da kann Herr de Maizière ja nichts dafür!
Gysi: Ja, sage ich gleich. Ich kenne seine Vorgänger. Deshalb bin ich ja auch bei ihm erst mal noch vorsichtig. Ich sage, es muss personelle Konsequenzen geben. Da gibt es ja Leute im Ministerium, die arbeiten die ganze Zeit daran. Aber verstehen Sie, dann muss ich doch ungeheuer genau werden. Dann muss ich den Verteidigungsausschuss informieren, dann muss ich sagen, Leute, wir haben jetzt schon so und so viel Geld ausgegeben, es besteht die und die Gefahr. Mal abgesehen davon, dass er ja nie erklärt hat, wozu wir eigentlich weltweit aufklären müssen. Das ist doch Spionage, was wir da betreiben wollen. Wozu eigentlich? Wo wollen wir denn noch überall Kriege führen? Die Logik verstehe ich schon nicht. Aber wenn die Logik, dann bitte ungeheuere Vorsicht.
Heinemann: Wollen Sie Terroristen mit Panzern bekämpfen?
Gysi: Nein. Ich will Terroristen dadurch bekämpfen, dass ich ihnen die Grundlage entziehe, indem ich eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung schaffe, Ernährungsprobleme löse, den ganzen Hass abbaue, einen neuen Dialog zwischen Religionen und Kulturen führe. Das scheint mir das Wichtigste zu sein. Glauben Sie im Ernst, dass wir die Probleme der Menschheit mittels Krieg lösen? Was haben wir denn in Afghanistan verbessert? Schauen Sie sich doch mal die Situation in Afghanistan an. Wir haben über zehn Milliarden ausgegeben und es ist für die Bevölkerung so gut wie nichts herausgekommen. Da, glaube ich, müssen wir einfach mal über eine neue Logik unserer Politik sprechen.
Heinemann: Der Friede muss bewaffnet sein. Herr Gysi, den Spruch kennen Sie doch noch von früher.
Gysi: Ja, der war damals schon falsch. Aber da gab es noch so ein klares Gegenüber von Ost und West und das war ein Kalter Krieg, wo ja ein Heißer verhindert wurde. Aber seit 1990 werden täglich Kriege üblicher. Verstehen Sie? Man sagt, na ja, wenn es nicht anders geht, ob Libyen oder so, marschieren wir eben ein – zum Glück nicht immer Deutschland, aber andere. Oder auch Deutschland und Irak: Was haben wir im Irak erreicht? Gut: Der eine Diktator ist weg und jetzt sterben täglich durch Terroranschläge zig Leute.
Heinemann: Das gab es aber auch schon früher, Herr Gysi.
Gysi: Weiß ich!
Heinemann: Als Sie noch in dem durchmilitarisierten Staat DDR lebten, sind ähnliche Einwände von Ihnen und anderen SED-lastigen Linkspolitikern ja nicht aktenkundig geworden, um es mal vorsichtig auszudrücken. Wie glaubwürdig ist Ihre Rüstungskritik heute?
Gysi: Zumindest war ich nicht bei der Armee zum Beispiel, schon weil ich davon nichts hielt, und das war kein leichter Akt.
Heinemann: Ja Sie konnten es sich vielleicht erlauben, im Gegensatz zu anderen.
Gysi: Nein, umgekehrt! Weil ich einen eher prominenten Vater hatte, sollte ich unbedingt drei Jahre gehen. Das war ein bisschen anders gestrickt. Aber es macht nichts, dass Sie das nicht wissen.
Heinemann: Aber Sie konnten trotzdem studieren?
Gysi: Ja. Das hatte wiederum andere Gründe. Es spielten gesundheitliche Dinge und sonst was alles eine Rolle.
Heinemann: Das wirft Ihnen keiner vor. Es geht jetzt um die Frage, wie glaubwürdig ist da Ihre Rüstungskritik heute.
Gysi: Passen Sie auf: Es ist doch ein Unterschied, eine Rüstung, die letztlich dazu diente im Kalten Krieg, obwohl man das heute auch alles bezweifeln muss, dass gegenseitig letztlich keine Angriffsfähigkeit vorlag, weil der Gegenschlag so stark gewesen wäre, dass die beiden Supermächte, sage ich mal, damals USA und Sowjetunion, das verhindert haben. Das war doch so eine Art Status, wo Kriege verhindert wurden, mit Ausnahme Vietnam, mit Ausnahme Afghanistan durch die Sowjetunion und so. Da gab es diese Einzugssphären, wo man sagte, da dürft ihr, aber sonst dürft ihr nicht etc. In Europa etc. war damals ein Krieg glücklicherweise kaum möglich. Und jetzt haben wir doch eine völlig neue Situation. Es geht ja nicht mal in erster Linie um Rüstungsfragen, sondern es geht inzwischen um Kriege, und die Bundesrepublik Deutschland nimmt erst seit 1990 an Kriegen teil. Vor der Vereinigung war das undenkbar, sowohl durch die DDR als auch durch die Bundesrepublik. Da hat sich die Einstellung geändert und mit dieser Änderung der Einstellung ist verbunden, dass man ernsthaft glaubt, mittels Kriegen die Probleme der Menschheit lösen zu können, und daran glaube ich nicht. Daran habe ich übrigens auch vor 1990 niemals geglaubt.
Heinemann: Gregor Gysi, der Vorsitzende der Bundestagsfraktion Die Linke. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Gysi: Auf Wiederhören, Herr Heinemann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.