"Es roch nach Tod, nach Blut, obwohl bereits geputzt worden war."
Der forensische Psychiater Mariano Castex besuchte als Berichterstatter für Amnesty International das Carandiru-Gefängnis in São Paulo. Drei Tage zuvor, am 2. Oktober 1992, waren 102 Insassen der stark überbelegten brasilianischen Haftanstalt – der größten Südamerikas – von Polizisten erschossen worden. Neun weitere starben an Stichwunden. Die Militärpolizei des Bundesstaats São Paulo hatte die Kontrolle über Carandiru übernommen, nachdem dort nach einem Streit zwischen Gefangenen eine Revolte ausgebrochen war.
"Es waren noch Spuren von der Niederschlagung der Rebellion vorhanden, darunter eine Menge Kugeln und Patronenhülsen. Wir konnten feststellen, dass ein großer Teil der Häftlinge Schüsse ins Genick oder in die Stirn erhalten hatte. Die Polizei hatte auf schlafende oder essende Gefangene geschossen, das heißt, auf wehrlose Menschen."
Der von dem Argentinier Castex mitverfasste Untersuchungsbericht von Amnesty International stellte fest, dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten die Häftlinge regelrecht hingerichtet hatten. Dagegen starb kein einziger Militärpolizist bei der Niederwerfung des Aufstands, die als Massaker von Carandiru bekannt geworden ist. Fotos der 111 aufgetürmten Leichen im Gefängnishof schockierten die brasilianische und internationale Öffentlichkeit. Repression war in den völlig überfüllten Haftanstalten des südamerikanischen Landes an der Tagesordnung, aber niemals waren die Sicherheitskräfte so brutal vorgegangen wie im Oktober 1992 in Carandiru. Thomas Faltheuer, langjähriger Leiter der Böll-Stiftung in Brasilien:
"Der damalige Gouverneur, Fleury Filho, Gouverneur von São Paulo, der galt als ernsthafter Anwärter auf den Präsidentschaftsposten. Dessen politische Karriere ist im Grunde genommen ruiniert worden durch Carandiru. Das nur Mal als kleiner Indikator dafür, dass es doch ein Ereignis war, das weitreichende Konsequenzen hatte auch im politischen System Brasiliens."
Doch keiner der Todesschützen von Carandiru wurde bestraft. Seit 20 Jahren fordern die Angehörigen der Opfer und Menschenrechtsgruppen vergeblich Gerechtigkeit. Zwar klagte die Militärjustiz nach dem Massaker mehr als 100 Angehörige der Militärpolizei wegen Mordes und schwerer Körperverletzung an. Aber verurteilt wurde nur der Chef des Einsatzkommandos, Oberst Ubiratan Guimaraes. 2001 erhielt er eine Haftstrafe von 632 Jahren. Doch die Strafe trat er nie an. Und fünf Jahre später wurde er, inzwischen Parlamentsabgeordneter, in zweiter Instanz freigesprochen, allerdings im selben Jahr vermutlich von seiner Geliebten umgebracht.
"Der Freispruch war eben auch ein Signal dann, 2006, dass wahrscheinlich nichts mehr von Strafverfolgung zu erwarten ist."
Dass die Ermordung von mehr als 100 Insassen des Carandiru-Gefängnisses ungesühnt blieb, erklärt der brasilianische Jurist und Menschenrechtler Hélio Bicudo so:
"Das ist ein Problem der Mängel des brasilianischen Justizsystems. Die Militärjustiz stellt die Straffreiheit der Militärpolizisten sicher, und in dieser Straffreiheit liegt die Polizeigewalt begründet."
Carandiru, einst ein Vorzeigegefängnis, das sogar der emigrierte österreichische Schriftsteller Stefan Zweig besuchte und lobte, wurde 2002 gesprengt. An seiner Stelle befindet sich heute ein Park, in dem Jugendliche Sport treiben, an Kursen und Kulturveranstaltungen teilnehmen können.
Auch wenn das Gebäude verschwunden ist – an das Verbrechen, das hier stattfand, erinnern ein Film und mehrere Songs, darunter "Manifest" von der brasilianischen Thrash Metal-Band "Sepultura". Der erfolgreiche Spielfilm "Carandiru" von Hector Babenco aus dem Jahr 2003 basiert auf dem Bestseller des Arztes Drauzio Varella, der die Haftanstalt wie kaum ein anderer von innen kannte. Varella hatte sich jahrelang bemüht, die mehr als 7.000 Gefangenen über Aids aufzuklären. Buch und Film haben dazu beigetragen, in Brasilien mehr Verständnis für die Menschen in den überfüllten Gefängnissen zu wecken. Doch an den unwürdigen Haftbedingungen hat sich bis heute wenig geändert.
Der forensische Psychiater Mariano Castex besuchte als Berichterstatter für Amnesty International das Carandiru-Gefängnis in São Paulo. Drei Tage zuvor, am 2. Oktober 1992, waren 102 Insassen der stark überbelegten brasilianischen Haftanstalt – der größten Südamerikas – von Polizisten erschossen worden. Neun weitere starben an Stichwunden. Die Militärpolizei des Bundesstaats São Paulo hatte die Kontrolle über Carandiru übernommen, nachdem dort nach einem Streit zwischen Gefangenen eine Revolte ausgebrochen war.
"Es waren noch Spuren von der Niederschlagung der Rebellion vorhanden, darunter eine Menge Kugeln und Patronenhülsen. Wir konnten feststellen, dass ein großer Teil der Häftlinge Schüsse ins Genick oder in die Stirn erhalten hatte. Die Polizei hatte auf schlafende oder essende Gefangene geschossen, das heißt, auf wehrlose Menschen."
Der von dem Argentinier Castex mitverfasste Untersuchungsbericht von Amnesty International stellte fest, dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten die Häftlinge regelrecht hingerichtet hatten. Dagegen starb kein einziger Militärpolizist bei der Niederwerfung des Aufstands, die als Massaker von Carandiru bekannt geworden ist. Fotos der 111 aufgetürmten Leichen im Gefängnishof schockierten die brasilianische und internationale Öffentlichkeit. Repression war in den völlig überfüllten Haftanstalten des südamerikanischen Landes an der Tagesordnung, aber niemals waren die Sicherheitskräfte so brutal vorgegangen wie im Oktober 1992 in Carandiru. Thomas Faltheuer, langjähriger Leiter der Böll-Stiftung in Brasilien:
"Der damalige Gouverneur, Fleury Filho, Gouverneur von São Paulo, der galt als ernsthafter Anwärter auf den Präsidentschaftsposten. Dessen politische Karriere ist im Grunde genommen ruiniert worden durch Carandiru. Das nur Mal als kleiner Indikator dafür, dass es doch ein Ereignis war, das weitreichende Konsequenzen hatte auch im politischen System Brasiliens."
Doch keiner der Todesschützen von Carandiru wurde bestraft. Seit 20 Jahren fordern die Angehörigen der Opfer und Menschenrechtsgruppen vergeblich Gerechtigkeit. Zwar klagte die Militärjustiz nach dem Massaker mehr als 100 Angehörige der Militärpolizei wegen Mordes und schwerer Körperverletzung an. Aber verurteilt wurde nur der Chef des Einsatzkommandos, Oberst Ubiratan Guimaraes. 2001 erhielt er eine Haftstrafe von 632 Jahren. Doch die Strafe trat er nie an. Und fünf Jahre später wurde er, inzwischen Parlamentsabgeordneter, in zweiter Instanz freigesprochen, allerdings im selben Jahr vermutlich von seiner Geliebten umgebracht.
"Der Freispruch war eben auch ein Signal dann, 2006, dass wahrscheinlich nichts mehr von Strafverfolgung zu erwarten ist."
Dass die Ermordung von mehr als 100 Insassen des Carandiru-Gefängnisses ungesühnt blieb, erklärt der brasilianische Jurist und Menschenrechtler Hélio Bicudo so:
"Das ist ein Problem der Mängel des brasilianischen Justizsystems. Die Militärjustiz stellt die Straffreiheit der Militärpolizisten sicher, und in dieser Straffreiheit liegt die Polizeigewalt begründet."
Carandiru, einst ein Vorzeigegefängnis, das sogar der emigrierte österreichische Schriftsteller Stefan Zweig besuchte und lobte, wurde 2002 gesprengt. An seiner Stelle befindet sich heute ein Park, in dem Jugendliche Sport treiben, an Kursen und Kulturveranstaltungen teilnehmen können.
Auch wenn das Gebäude verschwunden ist – an das Verbrechen, das hier stattfand, erinnern ein Film und mehrere Songs, darunter "Manifest" von der brasilianischen Thrash Metal-Band "Sepultura". Der erfolgreiche Spielfilm "Carandiru" von Hector Babenco aus dem Jahr 2003 basiert auf dem Bestseller des Arztes Drauzio Varella, der die Haftanstalt wie kaum ein anderer von innen kannte. Varella hatte sich jahrelang bemüht, die mehr als 7.000 Gefangenen über Aids aufzuklären. Buch und Film haben dazu beigetragen, in Brasilien mehr Verständnis für die Menschen in den überfüllten Gefängnissen zu wecken. Doch an den unwürdigen Haftbedingungen hat sich bis heute wenig geändert.