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"Es sollte jetzt um Möglichkeiten der Kooperation gehen"

Er könne die skeptische Haltung der Bundesregierung zur Versöhnung von Fatah und Hamas nicht verstehen, sagt Joachim Paul, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah. Die neue Situation verlange jetzt, Möglichkeiten zur konstruktiven Zusammenarbeit zu suchen.

Joachim Paul im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Christoph Heinemann: Während Palästinenserpräsident Mahmud Abbas mit der Bundeskanzlerin gestern sprach, war im Élysée Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu Gast. Umgekehrt wäre es für die Gesprächspartner vielleicht angenehmer gewesen, denn die Besucher bekamen zu hören, was Sie eigentlich nicht hören wollten. Die Bundeskanzlerin ist gegen eine einseitige Ausrufung eines Palästinenserstaates, während Frankreichs Präsident Nicholas Sarkozy laut über eine Anerkennung eines solchen nachdenkt, auch ohne Verhandlungslösung des Nahostkonfliktes. Erschwert wird das Ganze durch die überraschende Wiederverbrüderung der gemäßigten palästinensischen Fatah-Organisation mit der radikalislamischen Hamas, die im Gazastreifen noch das Sagen hat. Die Bundesregierung ist skeptisch. Gestern Abend sprach mein Kollege Tobias Armbrüster mit Joachim Paul, dem Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah, und hat ihn gefragt, ob er diese Skepsis verstehen könne.

    Joachim Paul: Ich frage mich auch, warum die Reaktion so ist. Wir wissen ja, dass es seit Langem die sogenannten Kriterien des Nahostquartetts gibt, aber jetzt hat es Bewegung gegeben auf der palästinensischen Seite, die Palästinenser – beide, Fatah und Hamas – haben das sogenannte ägyptische Papier unterzeichnet. Hamas hat sich in einem gewissen Rahmen zu einem Gewaltverzicht bereit erklärt. Das heißt, sie haben gesagt, sie werden den unilateralen Waffenstillstand in Gaza einhalten, von ihrer Seite. Deswegen halte ich es doch für sehr sinnvoll, eine konstruktive Haltung gegenüber diesem Abkommen einzunehmen, und vor allem auch der zu bildenden Regierung, der palästinensischen Einheitsregierung.

    Tobias Armbrüster: Sollte die Bundesregierung also eine Regierung akzeptieren, die zumindest zu Teilen das Existenzrecht Israels nicht anerkennt?

    Paul: Erst mal kennen wir das politische Programm der Regierung, die jetzt gebildet wird, noch nicht. Wir kennen nur die Grundlage, auf der es gebildet wird ...

    Armbrüster: Aber die Haltung der Hamas ist ja klar.

    Paul: ... die Haltung der Hamas ist so: Hamas hat sich auch mehrfach geäußert, dass sie die Grenzen von 1967 als die Grenzen eines zukünftigen palästinensischen Staates sehen, was ja einer faktischen zumindest Anerkennung der Existenz Israels gleichkommt. Ich denke auch, dass jetzt es nicht um Ausschlusskriterien gehen sollte, sondern es sollte jetzt um Möglichkeiten der Kooperation gehen, um den Ausweg aus der Krise zu finden. Und wir sollten auch nicht vergessen, dass die plötzliche Einigung zustande gekommen ist aufgrund des Wechsels in Ägypten. Die Ägypter haben eine neue Außenpolitik relativ schnell nach dem Sturz Mubaraks entwickelt. Die palästinensische Einigung ist das erste große Projekt der neuen ägyptischen Regierung, der Übergangsregierung, und insgesamt in der Region ist eine neue Situation geschaffen worden. Diese neue Situation würde jetzt verlangen, dass nicht alte Kriterien neu wieder aufgelegt werden, sondern dass Möglichkeiten der konstruktiven Zusammenarbeit gesucht werden. Und ich denke, dass die Erklärung, die Hamas abgegeben hat – Hamas wird ja selbst nicht in der Regierung vertreten sein –, zumindest die Möglichkeit geben abzuwarten, ob sie wirklich weiterhin den Waffenstillstand einhalten.

    Armbrüster: Aber wenn ich Sie jetzt da richtig verstanden habe, Herr Paul, dann sagen Sie – obwohl alle Welt sagt: Die Hamas will Israel nicht anerkennen – sagen Sie: De facto erkennen sie Israel an.

    Paul: Das haben die Hamas-Verantwortlichen mehrfach gesagt, dass sie einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 sich vorstellen können ...

    Armbrüster: ... aber ohne das Wort Israel dabei zu erwähnen!

    Paul: Ich meine, die Grenzen von 1967 sind ja die Trennungslinien zwischen dem Staat Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten, nämlich in der Westbank und im Gazastreifen. Und das ägyptische Papier – das Einigungspapier, das ja unterschrieben wurde von beiden – bezieht sich ja auf diese Grenzen, und in dem Papier sind ja auch Wahlen vorgesehen, Wahlen für den palästinensischen Legislativrat, das ist das Parlament der Palästinensischen Autonomiebehörde, der Präsidentschaft der Palästinensischen Autonomiebehörde und auch der PLO. Die Autonomiebehörde beruht auf dem Oslo-Abkommen, und das Oslo-Abkommen legt ja genau die Trennung fest zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten, und das heißt, alles bewegt sich in diesem Rahmen.

    Armbrüster: Herr Paul, ich möchte noch mal zurückkommen auf die Haltung der Bundesregierung, die ja deutliche Skepsis zeigt. Wie kommt das bei den Palästinensern an?

    Paul: Das kommt nicht so gut bei den Palästinensern an. Ich habe gerade heute mit einem Polizisten auf der Straße gesprochen. Ich habe ihn gefragt: Was hältst du von der Einigung? Und er sagte, ja, das sei erst mal schlecht, wenn wir kein Geld mehr bekommen. Und damit spielte er an auf die Entscheidung des Nahostquartetts, zu dem ja auch die EU gehört, eine nach den Wahlen 2006, als die Zusammenarbeit mit der Autonomiebehörde auf Eis gelegt wurde, und Zahlungen eingestellt werden. Und das halte ich für wirklich ein sehr schlechtes Signal, wenn das passieren würde – ich hoffe nicht –, und das ist die große Befürchtung der Palästinenser auch.

    Sprecher: Joachim Paul, der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah im Gespräch mit meinem Kollegen Tobias Armbrüster, das Sie nachhören können, wie überhaupt auch Berichte, Reportagen dieser Sendung unter www.dradio.de.