Gerwald Herter: Und jetzt bin ich mit Ralf Fücks verbunden, Vorstand der ziemlich grünen Heinrich-Böll-Stiftung, Ende der 80er-Jahre war er Sprecher der grünen Bundespartei, später Senator in Bremen. Guten Morgen, Herr Fücks!
Ralf Fücks: Guten Morgen, Herr Herter!
Herter: Herr Fücks, jetzt will der designierte Ministerpräsident Kretschmann auch noch erkunden lassen, ob sich ein Atommüll-Endlager in Baden-Württemberg errichten lässt – ist Kretschmann aus Ihrer Sicht ein Oberrealo, der auf dem Weg zur Macht außer Kontrolle geraten ist?
Fücks: Kretschmann bleibt, was er schon immer war: Jemand, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und nicht nur aus einer engen parteipolitischen Sicht heraus zu handeln. Und für die Grünen war es immer eine Forderung, dass es eine standortunabhängige Suche nach einem geeigneten Atommüll-Endlager geben sollte, dass sich nicht alle Anstrengungen auf Gorleben reduzieren können, sondern dass man sehen muss, wo in der Bundesrepublik möglicherweise besser geeignete Standorte sind. Und dieser Verantwortung kann sich auch ein grüner Ministerpräsident nicht entziehen, sonst werden wir völlig unglaubwürdig.
Herter: Aber gibt es denn da überhaupt keine Schmerzgrenze mehr, einen Punkt, an dem auch die Grünen sagen, Nein, dann verzichten wir eben auf die Macht?
Fücks: Aber ich meine, es muss doch eine Lösung geben für den Atommüll, der über Jahrzehnte hinweg angehäuft worden ist, gegen unseren Protest. Wir können ja nicht eine Politik machen, die sagt, das ist uns egal, wo der Atommüll bleibt, eine Sankt-Nimmerleins-Politik. Entscheidend ist, dass die Standortsuche für ein Atommülllager verbunden wird mit einem definitiven Ausstieg in einer kürzestmöglichen Frist. Und diese Verknüpfung haben auch die Grünen in Baden-Württemberg hergestellt. Ohne Konsens über einen raschen Atomausstieg, und zwar einen unwiderruflichen, gibt es natürlich auch keine Bereitschaft, sich auf die Suche nach einem Atommüll-Endlager zu begeben, aber in dieser Verbindung muss dann eine Lösung gefunden werden.
Herter: Wenn ich richtig verstehe, ist es die grüne Einfärbung einer nicht so grünen Sache. Nehmen wir mal Stuttgart 21: Kretschmann wird dieses Mega-Bahnprojekt durchziehen müssen, wenn sich nicht eine massive Mehrheit in einem Volksentscheid dagegen wendet – die Hürde ist allerdings viel zu hoch, damit die Gegner eine Chance haben. Ist damit nicht schon der Rücktritt des künftigen Ministerpräsidenten vorprogrammiert?
Fücks: Das sehe ich überhaupt nicht. In dieser Frage haben die Grünen keinen Kurswechsel vollzogen. Sie haben schon vor der Wahl gesagt, dass ein Volksentscheid möglicherweise diesen Konflikt klären muss. Es gibt da in der Bevölkerung fast pari-pari, fast die Hälfte dafür und fast dagegen. Wir haben jetzt einen Koalitionspartner, der für Stuttgart 21 sich ausgesprochen hat, das heißt, man muss jetzt eine Entscheidungsform finden, die die Koalition nicht sprengt, und diese Entscheidung an die Bevölkerung zurückgeben. Die Grünen sind immer für mehr Demokratie eingetreten, für mehr direkte Demokratie, und dann muss man auch bereit sein, das Ergebnis eines Volksentscheids zu akzeptieren und möglicherweise über das eigene Programm zu stellen. Das ist der Preis, den direkte Demokratie hat. Aber es steht ja noch lange nicht fest, wie der Volksentscheid ausgeht. Die SPD hat zugesagt, dass sie das grüne Begehren unterstützen wird, das Quorum zu senken für einen Volksentscheid, das jetzt mit einem Drittel tatsächlich enorm hoch liegt. Man wird sehen, ob CDU und FDP sich dem anschließen, man braucht eine verfassungsändernde Mehrheit im baden-württembergischen Landtag.
Herter: Diese beiden Parteien zeigen sich nicht sehr offen, wie stellen Sie sich das vor– bei der Grundsteinlegung wird Kretschmann dann den schwarzen Anzug anlegen, das Projekt preisen und das Band durchschneiden?
Fücks: Keine Partei kann mehr als das, was in ihren Möglichkeiten und Kräften steht. Wir haben jetzt die optimale Situation, weil wir mit Regierungsverantwortung in Baden-Württemberg übernehmen. Es wird – das ist ja auch Teil des Koalitionsvertrags – einen Stresstest noch einmal geben für das Bahnhofsprojekt, und zwar sowohl unter finanziellen wie unter technischen Gesichtspunkten. Im Koalitionsvertrag wird stehen, dass das Land seine finanzielle Beteiligung strikt limitiert, und dann wird man sehen, ob dieses Projekt überhaupt noch durchführbar ist oder ob es nicht inzwischen finanziell aus dem Ruder gelaufen ist und die technischen Probleme nach wie vor so hoch sind, dass sie einer Machbarkeit sozusagen entgegenstehen. Und erst, wenn dieser Stresstest absolviert ist, wird es zum Volksentscheid kommen, und dann gibt es eine offene politische Auseinandersetzung. Für die Grünen wäre ja die Alternative, von vornherein auf Regierungsverantwortung zu verzichten und damit auch auf die politischen Gestaltungsmöglichkeiten, die darin liegen, sei es in der Bildungspolitik oder sei es in der ökologischen Modernisierung der Industrie in Baden-Württemberg oder sei es in der Energiewende, die in Baden-Württemberg noch vorangetrieben werden muss. Baden-Württemberg ist ja bisher mit ein Schlusslicht, etwa was Windenergie betrifft. Also die Grünen haben da große Gestaltungsmöglichkeiten, sie haben einen großen Vertrauensvorschuss von ihren Wählerinnen und Wählern, aber niemand kann von ihnen erwarten, dass sie Wunderdinge bewirken.
Herter: Die hören den Deutschlandfunk, 7:26 Uhr, der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, der Grüne Ralf Fücks über die Entwicklung seiner Partei. Herr Fücks, werden Machtkämpfe bei den Grünen anders ausgetragen als in anderen Parteien? Es gibt ja ein ziemliches Gerangel um das Kabinett in Stuttgart.
Fücks: Ich kenne die personellen Interna nicht und werde sie sicher auch nicht öffentlich kommentieren, aber ich finde es eine ganz reife Leistung, dass die Grünen bisher diese Koalitionsverhandlungen so professionell geführt haben, dass keine interne Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit ausgetragen worden sind. Das zeigt, dass sie doch in den letzten zehn, 20 Jahren enorm an Politikfähigkeit gewonnen haben. Und im Übrigen sind die Grünen tatsächlich heute politisch so einig wie selten zuvor. Ich meine, ich habe eine lange Geschichte bei den Grünen und kann mich an die bitteren Flügelkämpfe erinnern, als wir zwei oder sogar drei unterschiedliche Parteien in einer Partei hatten. Diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei. Es gibt Auseinandersetzungen in der Sache, es gibt natürlich auch personelle Konkurrenzen, aber die Grünen haben inzwischen ein hohes Maß an programmatischer und politischer Geschlossenheit.
Herter: Herr Fücks, noch ganz kurz: Wann müssen die Grünen sich dazu entscheiden, einen Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin, zumindest eine Kandidatin oder einen Kandidaten zu stellen?
Fücks: Man muss jetzt erst mal noch beobachten über die nächsten Landtagswahlen hinweg, ob der jetzige Höhenflug tatsächlich anhält. Ich denke, dass die Grünen wirklich in einem Sprung in eine neue politische Dimension sind. Wir bewegen uns inzwischen in vielen Ländern auf Augenhöhe mit SPD und CDU, und wir sind in vielen Städten inzwischen die Mehrheitspartei geworden. Wenn sich dieser Trend verfestigt, wird man sich tatsächlich vor der nächsten Bundestagswahl dieser Frage stellen müssen, aber heute ist das noch verfrüht.
Herter: Das war Ralf Fücks, Grüner seit Anfang der 80er-Jahre und derzeit Vorstand der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung. Herr Fücks, vielen Dank für das Gespräch!
Fücks: Bitte sehr!
Ralf Fücks: Guten Morgen, Herr Herter!
Herter: Herr Fücks, jetzt will der designierte Ministerpräsident Kretschmann auch noch erkunden lassen, ob sich ein Atommüll-Endlager in Baden-Württemberg errichten lässt – ist Kretschmann aus Ihrer Sicht ein Oberrealo, der auf dem Weg zur Macht außer Kontrolle geraten ist?
Fücks: Kretschmann bleibt, was er schon immer war: Jemand, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und nicht nur aus einer engen parteipolitischen Sicht heraus zu handeln. Und für die Grünen war es immer eine Forderung, dass es eine standortunabhängige Suche nach einem geeigneten Atommüll-Endlager geben sollte, dass sich nicht alle Anstrengungen auf Gorleben reduzieren können, sondern dass man sehen muss, wo in der Bundesrepublik möglicherweise besser geeignete Standorte sind. Und dieser Verantwortung kann sich auch ein grüner Ministerpräsident nicht entziehen, sonst werden wir völlig unglaubwürdig.
Herter: Aber gibt es denn da überhaupt keine Schmerzgrenze mehr, einen Punkt, an dem auch die Grünen sagen, Nein, dann verzichten wir eben auf die Macht?
Fücks: Aber ich meine, es muss doch eine Lösung geben für den Atommüll, der über Jahrzehnte hinweg angehäuft worden ist, gegen unseren Protest. Wir können ja nicht eine Politik machen, die sagt, das ist uns egal, wo der Atommüll bleibt, eine Sankt-Nimmerleins-Politik. Entscheidend ist, dass die Standortsuche für ein Atommülllager verbunden wird mit einem definitiven Ausstieg in einer kürzestmöglichen Frist. Und diese Verknüpfung haben auch die Grünen in Baden-Württemberg hergestellt. Ohne Konsens über einen raschen Atomausstieg, und zwar einen unwiderruflichen, gibt es natürlich auch keine Bereitschaft, sich auf die Suche nach einem Atommüll-Endlager zu begeben, aber in dieser Verbindung muss dann eine Lösung gefunden werden.
Herter: Wenn ich richtig verstehe, ist es die grüne Einfärbung einer nicht so grünen Sache. Nehmen wir mal Stuttgart 21: Kretschmann wird dieses Mega-Bahnprojekt durchziehen müssen, wenn sich nicht eine massive Mehrheit in einem Volksentscheid dagegen wendet – die Hürde ist allerdings viel zu hoch, damit die Gegner eine Chance haben. Ist damit nicht schon der Rücktritt des künftigen Ministerpräsidenten vorprogrammiert?
Fücks: Das sehe ich überhaupt nicht. In dieser Frage haben die Grünen keinen Kurswechsel vollzogen. Sie haben schon vor der Wahl gesagt, dass ein Volksentscheid möglicherweise diesen Konflikt klären muss. Es gibt da in der Bevölkerung fast pari-pari, fast die Hälfte dafür und fast dagegen. Wir haben jetzt einen Koalitionspartner, der für Stuttgart 21 sich ausgesprochen hat, das heißt, man muss jetzt eine Entscheidungsform finden, die die Koalition nicht sprengt, und diese Entscheidung an die Bevölkerung zurückgeben. Die Grünen sind immer für mehr Demokratie eingetreten, für mehr direkte Demokratie, und dann muss man auch bereit sein, das Ergebnis eines Volksentscheids zu akzeptieren und möglicherweise über das eigene Programm zu stellen. Das ist der Preis, den direkte Demokratie hat. Aber es steht ja noch lange nicht fest, wie der Volksentscheid ausgeht. Die SPD hat zugesagt, dass sie das grüne Begehren unterstützen wird, das Quorum zu senken für einen Volksentscheid, das jetzt mit einem Drittel tatsächlich enorm hoch liegt. Man wird sehen, ob CDU und FDP sich dem anschließen, man braucht eine verfassungsändernde Mehrheit im baden-württembergischen Landtag.
Herter: Diese beiden Parteien zeigen sich nicht sehr offen, wie stellen Sie sich das vor– bei der Grundsteinlegung wird Kretschmann dann den schwarzen Anzug anlegen, das Projekt preisen und das Band durchschneiden?
Fücks: Keine Partei kann mehr als das, was in ihren Möglichkeiten und Kräften steht. Wir haben jetzt die optimale Situation, weil wir mit Regierungsverantwortung in Baden-Württemberg übernehmen. Es wird – das ist ja auch Teil des Koalitionsvertrags – einen Stresstest noch einmal geben für das Bahnhofsprojekt, und zwar sowohl unter finanziellen wie unter technischen Gesichtspunkten. Im Koalitionsvertrag wird stehen, dass das Land seine finanzielle Beteiligung strikt limitiert, und dann wird man sehen, ob dieses Projekt überhaupt noch durchführbar ist oder ob es nicht inzwischen finanziell aus dem Ruder gelaufen ist und die technischen Probleme nach wie vor so hoch sind, dass sie einer Machbarkeit sozusagen entgegenstehen. Und erst, wenn dieser Stresstest absolviert ist, wird es zum Volksentscheid kommen, und dann gibt es eine offene politische Auseinandersetzung. Für die Grünen wäre ja die Alternative, von vornherein auf Regierungsverantwortung zu verzichten und damit auch auf die politischen Gestaltungsmöglichkeiten, die darin liegen, sei es in der Bildungspolitik oder sei es in der ökologischen Modernisierung der Industrie in Baden-Württemberg oder sei es in der Energiewende, die in Baden-Württemberg noch vorangetrieben werden muss. Baden-Württemberg ist ja bisher mit ein Schlusslicht, etwa was Windenergie betrifft. Also die Grünen haben da große Gestaltungsmöglichkeiten, sie haben einen großen Vertrauensvorschuss von ihren Wählerinnen und Wählern, aber niemand kann von ihnen erwarten, dass sie Wunderdinge bewirken.
Herter: Die hören den Deutschlandfunk, 7:26 Uhr, der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, der Grüne Ralf Fücks über die Entwicklung seiner Partei. Herr Fücks, werden Machtkämpfe bei den Grünen anders ausgetragen als in anderen Parteien? Es gibt ja ein ziemliches Gerangel um das Kabinett in Stuttgart.
Fücks: Ich kenne die personellen Interna nicht und werde sie sicher auch nicht öffentlich kommentieren, aber ich finde es eine ganz reife Leistung, dass die Grünen bisher diese Koalitionsverhandlungen so professionell geführt haben, dass keine interne Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit ausgetragen worden sind. Das zeigt, dass sie doch in den letzten zehn, 20 Jahren enorm an Politikfähigkeit gewonnen haben. Und im Übrigen sind die Grünen tatsächlich heute politisch so einig wie selten zuvor. Ich meine, ich habe eine lange Geschichte bei den Grünen und kann mich an die bitteren Flügelkämpfe erinnern, als wir zwei oder sogar drei unterschiedliche Parteien in einer Partei hatten. Diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei. Es gibt Auseinandersetzungen in der Sache, es gibt natürlich auch personelle Konkurrenzen, aber die Grünen haben inzwischen ein hohes Maß an programmatischer und politischer Geschlossenheit.
Herter: Herr Fücks, noch ganz kurz: Wann müssen die Grünen sich dazu entscheiden, einen Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin, zumindest eine Kandidatin oder einen Kandidaten zu stellen?
Fücks: Man muss jetzt erst mal noch beobachten über die nächsten Landtagswahlen hinweg, ob der jetzige Höhenflug tatsächlich anhält. Ich denke, dass die Grünen wirklich in einem Sprung in eine neue politische Dimension sind. Wir bewegen uns inzwischen in vielen Ländern auf Augenhöhe mit SPD und CDU, und wir sind in vielen Städten inzwischen die Mehrheitspartei geworden. Wenn sich dieser Trend verfestigt, wird man sich tatsächlich vor der nächsten Bundestagswahl dieser Frage stellen müssen, aber heute ist das noch verfrüht.
Herter: Das war Ralf Fücks, Grüner seit Anfang der 80er-Jahre und derzeit Vorstand der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung. Herr Fücks, vielen Dank für das Gespräch!
Fücks: Bitte sehr!