Dirk-Oliver Heckmann: Nach dem Rücktritt Horst Köhlers heißt die meist gestellte Frage nun: Wie geht es weiter? Innerhalb von 30 Tagen muss die Bundesversammlung zusammengerufen werden, die einen neuen Präsidenten wählen wird. Das ist ein sportlicher Zeitrahmen, der da eingehalten werden muss, muss doch ein Teil der sogenannten Wahlmänner und Wahlfrauen erst noch benannt werden. Telefonisch zugeschaltet ist uns jetzt der Publizist Hugo Müller-Vogg. Er hat unter anderem ein Buch mit Gesprächen mit Horst Köhler herausgegeben. Guten Morgen, Herr Müller-Vogg.
Hugo Müller-Vogg: Guten Morgen!
Heckmann: Herr Müller-Vogg, wie würden Sie Horst Köhler beschreiben, einen Tag nach seinem Rücktritt: als Opfer parteitaktischer Spielchen, oder als tragische Figur?
Müller-Vogg: Es umweht ihn schon ein Hauch von Tragik. Da kommt ein Mann, der in Washington als "General Manager" des Währungsfonds eine sehr einflussreiche, sehr prestigeträchtige, sehr gut dotierte Position hat, gibt diese auf, um Bundespräsident zu werden, in dem durchaus idealistischen Ansatz auch, diesem Land etwas zurückzugeben, wie er es formuliert hat, weil dieses Land ihm ja den Aufstieg ermöglicht hat aus kleinsten Verhältnissen nach ganz oben. Dann glaubt er, mit der Kraft des Argumentes, mit der Kraft des Wortes Politik beeinflussen zu können, und muss dann feststellen, dass im politischen Berlin das, was er sagt, bei den Akteuren sozusagen zum einen Ohr reingeht und zum anderen rausgeht. Das hat er irgendwie jetzt auf Dauer nicht mehr ertragen und insofern ist es schon etwas tragisch.
Heckmann: Wie kam das, dass die Reden von Horst Köhler so einen Niederschlag gefunden haben, wie Sie es gerade eben beschrieben haben?
Müller-Vogg: Nun gut, er war ja gewählt worden oder aufs Schild gehoben worden von Angela Merkel und Guido Westerwelle, sozusagen als der rhetorische Begleiter, als derjenige, der schwarz-gelbe Politik rhetorisch veredeln soll. Nun klappte es ja nicht mit Schwarz-Gelb 2005, wie wir wissen, und er war dann Bundespräsident bei einer Großen Koalition und hat dort permanent auch Reformen angemahnt und hat sich auch sehr kräftig eingemischt in das Tagesgeschäft – man kann darüber streiten, ob er die Grenze überschritten hat -, zumindest bis ganz scharf an die Grenze dessen, was dem Präsidenten zusteht, wenn er beispielsweise mehr Reformen angemahnt hat, wenn er den Parteien Sandkastenspiele vorgehalten hat, wenn er den Innenminister Schäuble sehr direkt angegriffen hat, er solle mit seiner Stakkato-Politik Schluss machen. Das hat dazu geführt, dass er im Volk immer beliebter wurde, weil die Leute sagten, da haut einer endlich mal diesen Parteipolitikern auf die Finger, während die Betroffenen natürlich sagten, der profiliert sich auf unsere Kosten.
Heckmann: Das heißt, Horst Köhler wurde von der Politik im Prinzip aus dem Amt gemobbt?
Müller-Vogg: Aus dem Amt gemobbt, das würde ich sagen, das geht zu weit. Mobbing jetzt ja ein aktives Tun voraus. Er wurde eher durch Nichtbeachtung so gestraft, dass er dann sich gedemütigt fühlte.
Heckmann: Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle, die ihn ja – Sie sagten es gerade eben – auf den Schild gehoben hatten, wurden ja völlig überrascht von dem Schritt Horst Köhlers. Das ganze sieht auch ein bisschen nach einer Racheaktion aus. Sehen Sie das so?
Müller-Vogg: Was jetzt da passiert, ist ein Disaster für Schwarz-Gelb. Da gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder Horst Köhler wusste es ganz bewusst und hat das deshalb so gemacht, oder er hat es nicht vorausgesehen, was das für ein parteipolitisches Disaster ist. Man stellt sich die Frage, was wäre schlimmer. Aber eines zeigt der ganze Vorgang schon: Die Tatsache, dass er nicht versucht hat, mit der Kanzlerin und dem Außenminister beziehungsweise der CDU-Vorsitzenden und dem FDP-Vorsitzenden noch ein Gespräch zu führen und zu sagen, so kann ich das auf die Dauer nicht weitermachen, wie können wir irgendwie einen Modus vivendi finden, sondern einfach die Pressekonferenz angesetzt hat und dann den beiden, die ihn zum Präsidenten gemacht hatten, mitgeteilt hat, er trete zurück und das sei unumstößlich, das zeigt, dass das Verhältnis zu beiden völlig zerrüttet war.
Heckmann: Im Bundespräsidialamt – wir haben es schon mehrfach angesprochen – hatte es kräftig rumort. Wichtige Mitarbeiter waren gegangen, auch sein langjähriger Sprecher Martin Kothé. Woran lag das?
Müller-Vogg: Ich weiß, dass schon zu Bonner Zeiten, als Horst Köhler Staatssekretär war, ihm nachgesagt wurde, dass er ein schwieriger Chef sei, jemand, der viel arbeitet, der von anderen auch viel erwartet, der auch ein pingeliger Chef sei, der also einen Redeentwurf notfalls 20 Mal zurückgehen lässt, um irgendeinen Halbsatz zu ändern. Auf der anderen Seite muss man auch sagen, dass manche Abgänge im Haus ganz natürlich waren. Das waren Leute, die aus Ministerien abgeordnet waren ins Bundespräsidialamt und jetzt bei der Regierungsbildung Chancen hatten, in ihrem ursprünglichen Ministerium aufzusteigen, und dann diese Chance wahrgenommen haben. Nicht jeder, der in den letzten Wochen das Präsidialamt verlassen hat, hat dies getan aus Ärger über Horst Köhler, sondern viele sind auch gegangen, weil sie andere Karrierechancen in ihren ursprünglichen Ministerien hatten.
Heckmann: Sie haben gerade eben von einem Disaster für Schwarz-Gelb gesprochen. Manch einer sieht schon den Anfang vom Ende der Koalition im Bund. Die Koalition selbst sagt, na ja, es hat sich ja eigentlich nicht viel verändert, die Mehrheit im Bundestag ist weiterhin da.
Müller-Vogg: Das ist richtig. Auch die Tatsache, dass diese Koalition im Bundesrat keine Mehrheit hat, ist nicht so schlimm, denn die meisten Kanzler in der Geschichte der Republik mussten gegen eine Bundesratmehrheit arbeiten, oder mit einem andersfarbig zusammengesetzten Bundesrat zusammenarbeiten. Trotzdem ist es psychologisch natürlich ganz schwierig. Horst Köhler war der Vorbote von Schwarz-Gelb, er sollte der Reformpräsident für eine Reformkoalition sein. Nun haben wir eine solche Koalition, die allerdings bisher keine Reformen auf den Weg gebracht hat, sondern nur auf der Stelle getreten ist in ängstlicher Erwartung des Wahlergebnisses von NRW, und da macht es jetzt die Sache nicht besser, dass man jetzt einen neuen Präsidenten braucht, einen Kandidaten suchen muss, und ich bin mir eigentlich gar nicht so sicher, dass die FDP sagt, wir wählen da jeden mit, der von der CDU präsentiert wird. Theoretisch könnte die FDP ja auch sagen, wir haben Horst Köhler mitgewählt, wir haben Roman Herzog mitgewählt und jetzt sind wir mal wieder dran, wir stellen jemanden, und dann könnte das die Koalition noch zusätzlich belasten.
Heckmann: Das dürften spannende Wochen sein, die jetzt auf uns zukommen. Einschätzungen waren das dazu von Hugo Müller-Vogg, dem Publizisten. Herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Müller-Vogg: Danke Ihnen! Auf Wiederhören.
Hugo Müller-Vogg: Guten Morgen!
Heckmann: Herr Müller-Vogg, wie würden Sie Horst Köhler beschreiben, einen Tag nach seinem Rücktritt: als Opfer parteitaktischer Spielchen, oder als tragische Figur?
Müller-Vogg: Es umweht ihn schon ein Hauch von Tragik. Da kommt ein Mann, der in Washington als "General Manager" des Währungsfonds eine sehr einflussreiche, sehr prestigeträchtige, sehr gut dotierte Position hat, gibt diese auf, um Bundespräsident zu werden, in dem durchaus idealistischen Ansatz auch, diesem Land etwas zurückzugeben, wie er es formuliert hat, weil dieses Land ihm ja den Aufstieg ermöglicht hat aus kleinsten Verhältnissen nach ganz oben. Dann glaubt er, mit der Kraft des Argumentes, mit der Kraft des Wortes Politik beeinflussen zu können, und muss dann feststellen, dass im politischen Berlin das, was er sagt, bei den Akteuren sozusagen zum einen Ohr reingeht und zum anderen rausgeht. Das hat er irgendwie jetzt auf Dauer nicht mehr ertragen und insofern ist es schon etwas tragisch.
Heckmann: Wie kam das, dass die Reden von Horst Köhler so einen Niederschlag gefunden haben, wie Sie es gerade eben beschrieben haben?
Müller-Vogg: Nun gut, er war ja gewählt worden oder aufs Schild gehoben worden von Angela Merkel und Guido Westerwelle, sozusagen als der rhetorische Begleiter, als derjenige, der schwarz-gelbe Politik rhetorisch veredeln soll. Nun klappte es ja nicht mit Schwarz-Gelb 2005, wie wir wissen, und er war dann Bundespräsident bei einer Großen Koalition und hat dort permanent auch Reformen angemahnt und hat sich auch sehr kräftig eingemischt in das Tagesgeschäft – man kann darüber streiten, ob er die Grenze überschritten hat -, zumindest bis ganz scharf an die Grenze dessen, was dem Präsidenten zusteht, wenn er beispielsweise mehr Reformen angemahnt hat, wenn er den Parteien Sandkastenspiele vorgehalten hat, wenn er den Innenminister Schäuble sehr direkt angegriffen hat, er solle mit seiner Stakkato-Politik Schluss machen. Das hat dazu geführt, dass er im Volk immer beliebter wurde, weil die Leute sagten, da haut einer endlich mal diesen Parteipolitikern auf die Finger, während die Betroffenen natürlich sagten, der profiliert sich auf unsere Kosten.
Heckmann: Das heißt, Horst Köhler wurde von der Politik im Prinzip aus dem Amt gemobbt?
Müller-Vogg: Aus dem Amt gemobbt, das würde ich sagen, das geht zu weit. Mobbing jetzt ja ein aktives Tun voraus. Er wurde eher durch Nichtbeachtung so gestraft, dass er dann sich gedemütigt fühlte.
Heckmann: Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle, die ihn ja – Sie sagten es gerade eben – auf den Schild gehoben hatten, wurden ja völlig überrascht von dem Schritt Horst Köhlers. Das ganze sieht auch ein bisschen nach einer Racheaktion aus. Sehen Sie das so?
Müller-Vogg: Was jetzt da passiert, ist ein Disaster für Schwarz-Gelb. Da gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder Horst Köhler wusste es ganz bewusst und hat das deshalb so gemacht, oder er hat es nicht vorausgesehen, was das für ein parteipolitisches Disaster ist. Man stellt sich die Frage, was wäre schlimmer. Aber eines zeigt der ganze Vorgang schon: Die Tatsache, dass er nicht versucht hat, mit der Kanzlerin und dem Außenminister beziehungsweise der CDU-Vorsitzenden und dem FDP-Vorsitzenden noch ein Gespräch zu führen und zu sagen, so kann ich das auf die Dauer nicht weitermachen, wie können wir irgendwie einen Modus vivendi finden, sondern einfach die Pressekonferenz angesetzt hat und dann den beiden, die ihn zum Präsidenten gemacht hatten, mitgeteilt hat, er trete zurück und das sei unumstößlich, das zeigt, dass das Verhältnis zu beiden völlig zerrüttet war.
Heckmann: Im Bundespräsidialamt – wir haben es schon mehrfach angesprochen – hatte es kräftig rumort. Wichtige Mitarbeiter waren gegangen, auch sein langjähriger Sprecher Martin Kothé. Woran lag das?
Müller-Vogg: Ich weiß, dass schon zu Bonner Zeiten, als Horst Köhler Staatssekretär war, ihm nachgesagt wurde, dass er ein schwieriger Chef sei, jemand, der viel arbeitet, der von anderen auch viel erwartet, der auch ein pingeliger Chef sei, der also einen Redeentwurf notfalls 20 Mal zurückgehen lässt, um irgendeinen Halbsatz zu ändern. Auf der anderen Seite muss man auch sagen, dass manche Abgänge im Haus ganz natürlich waren. Das waren Leute, die aus Ministerien abgeordnet waren ins Bundespräsidialamt und jetzt bei der Regierungsbildung Chancen hatten, in ihrem ursprünglichen Ministerium aufzusteigen, und dann diese Chance wahrgenommen haben. Nicht jeder, der in den letzten Wochen das Präsidialamt verlassen hat, hat dies getan aus Ärger über Horst Köhler, sondern viele sind auch gegangen, weil sie andere Karrierechancen in ihren ursprünglichen Ministerien hatten.
Heckmann: Sie haben gerade eben von einem Disaster für Schwarz-Gelb gesprochen. Manch einer sieht schon den Anfang vom Ende der Koalition im Bund. Die Koalition selbst sagt, na ja, es hat sich ja eigentlich nicht viel verändert, die Mehrheit im Bundestag ist weiterhin da.
Müller-Vogg: Das ist richtig. Auch die Tatsache, dass diese Koalition im Bundesrat keine Mehrheit hat, ist nicht so schlimm, denn die meisten Kanzler in der Geschichte der Republik mussten gegen eine Bundesratmehrheit arbeiten, oder mit einem andersfarbig zusammengesetzten Bundesrat zusammenarbeiten. Trotzdem ist es psychologisch natürlich ganz schwierig. Horst Köhler war der Vorbote von Schwarz-Gelb, er sollte der Reformpräsident für eine Reformkoalition sein. Nun haben wir eine solche Koalition, die allerdings bisher keine Reformen auf den Weg gebracht hat, sondern nur auf der Stelle getreten ist in ängstlicher Erwartung des Wahlergebnisses von NRW, und da macht es jetzt die Sache nicht besser, dass man jetzt einen neuen Präsidenten braucht, einen Kandidaten suchen muss, und ich bin mir eigentlich gar nicht so sicher, dass die FDP sagt, wir wählen da jeden mit, der von der CDU präsentiert wird. Theoretisch könnte die FDP ja auch sagen, wir haben Horst Köhler mitgewählt, wir haben Roman Herzog mitgewählt und jetzt sind wir mal wieder dran, wir stellen jemanden, und dann könnte das die Koalition noch zusätzlich belasten.
Heckmann: Das dürften spannende Wochen sein, die jetzt auf uns zukommen. Einschätzungen waren das dazu von Hugo Müller-Vogg, dem Publizisten. Herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Müller-Vogg: Danke Ihnen! Auf Wiederhören.