Archiv


"Es war eine vollkommen transparente und korrekte Sache"

In Israel hält man anscheinend an der Forderung an das Deutsche Literaturarchiv fest, das Originalmanuskript von Kafkas Roman "Der Prozess" nach Jerusalem zurückzugeben. Damit würde eine andauernde historische Ungerechtigkeit korrigiert werden, argumentierte der Direktor der israelischen Nationalbibliothek, Schmuel Har Noy. In Deutschland sieht man das anders.

Ulrich Raulff im Gespräch mit Rainer B. Schossig | 19.10.2009
    Rainer B. Schossig: Anscheinend hält man in Israel an den Forderungen fest, das Deutsche Literaturarchiv zu bitten, das Originalmanuskript von Kafkas Roman "Der Prozess" nach Jerusalem zurückzugeben. Damit würde eine andauernde historische Ungerechtigkeit korrigiert werden, argumentierte der Direktor der israelischen Nationalbibliothek Schmuel Har Noy in der israelischen Tageszeitung "Haaretz". Frage an Ulrich Raulff, den Direktor des Deutschen Literaturarchivs: Die Forderung soll Ihnen in diesen Tagen offiziell übergeben werden. Die deutsche Seite hatte das Manuskript 1988 auf einer öffentlichen Auktion ja ersteigert. Haben Sie sich damals in irgendeiner Weise unkorrekt verhalten, gar gegen internationales Recht verstoßen?

    Ulrich Raulff: Nein, also nicht im Geringsten. Das war eine öffentliche, das heißt auch ausgeschriebene Auktion eines namhaften Auktionshauses. Die Versteigerung hat unter den Augen der Weltöffentlichkeit stattgefunden, ich glaube, es gab sieben Kamerateams, also es war eine vollkommen transparente und korrekte Sache. Wir hatten also nicht den geringsten Verdacht, brauchten den auch nicht zu haben, dass da irgendetwas nicht in Ordnung sei.

    Schossig: Nun erhebt Israel Rechtsanspruch, und der Anwalt der Nationalbibliothek Meir Heller sagt, das deutsche Archiv habe gewusst, dass es da ein Problem mit diesem Manuskript gebe. Um welches Problem könnte es sich dabei handeln?

    Raulff: Das wüsste ich auch gerne, also da bin ich sehr gespannt zu sehen, auf welchen Rechtsanspruch das gegründet werden soll, denn meines Wissens sind die Kafka-Manuskripte als Schenkung von Max Brod schon zu dessen Lebzeiten an seine Mitarbeiterin Esther Hoffe gegangen. Das ist auch in den 70er-Jahren - ich sage wiederum meines Wissens - in den 70er-Jahren von einem israelischen Gericht geprüft und bestätigt worden. Insofern wäre auch auf der Seite also nichts Unrechtes geschehen mit der Einlieferung bei Sotheby's. Und was unseren Teil in der Geschichte angeht, das habe ich Ihnen ja gesagt: Wir haben es vollkommen rechtmäßig da erworben. Also ich bin sehr gespannt zu sehen, wie die Damen und Herren, von denen Sie sprechen, ich wäre vorsichtig, von der israelischen Seite zu sprechen, denn bisher sehe ich das also im Wesentlichen als eine Pressekampagne.

    Schossig: Die Zeitung "Haaretz" hat sich ja in diesem Kafka-Streit stark exponiert, Herr Raulff. Bekanntlich erwarb der Großvater des Herausgebers, Schocken, Herausgeberrechte an Kafka-Texten, die können sich doch aber nicht auf die Rechte an den Manuskripten erstrecken?

    Raulff: Nein, mir ist auch gar nicht klar, also welche Rechte da jetzt gemeint sein sollen oder welche Rechte da etwa verletzt sein sollen. Jedenfalls falls Rechte verletzt worden sind, ist das nicht von unserer Seite geschehen.

    Schossig: Es gibt ja auch eine Rahmengeschichte: Die israelische Nationalbibliothek kämpft seit Längerem ja schon um die Rechte an weiteren, bisher zum Teil unbekannten Texten Kafkas, und damit soll nun wohl verhindert werden, dass die beiden Privaterbinnen, die Töchter von Esther Hoffe, der einstigen Sekretärin des Kafka-Verlegers, ins Ausland verkaufen. Sind davon auch Erwerbungen Marbachs irgendwie betroffen?

    Raulff: Dazu ist zweierlei zu sagen: Erstens sind diese Vermutungen oder Hoffnungen und Erwartungen auf etwa noch unbekannte Kafka-Manuskripte im Nachlass von Max Brod nun doch schon sehr, ja, sehr zurückgenommen und enttäuscht worden. Ich glaube nicht, dass da noch viel zu erwarten ist. Das ist das eine. Das andere ist: Wir bewerben uns um den Nachlass von Max Brod, und die Erbin von Max Brod, Esther Hoffe, hat also auch mehrfach gegenüber meinem Vorgänger schon zu verstehen gegeben, dass Marbach das Archiv ihrer Präferenz ist, ihre Töchter haben das ganz ähnlich gesehen. Weiter ist nichts passiert. Wir haben uns darum beworben, wir bewerben uns auch weiterhin darum, aber ob die Töchter von Esther Hoffe das jetzt tatsächlich an uns verkaufen werden und ob sie es an uns verkaufen können, das ist eine andere Frage.

    Schossig: Dieser Fall ist eine komplizierte, vielleicht sogar explosive Mischung aus Politik, Literatur und Moral. Wie weit darf sich das Literaturarchiv da aus dem Fenster lehnen?

    Raulff: Wir lehnen uns überhaupt nicht aus dem Fenster, wir verteidigen uns gegen Unterstellungen, vollkommen unrichtige und unberechtigte Unterstellungen, und im Übrigen bewerben wir uns, aber ganz manierlich und ganz den internationalen Usancen folgend.

    Schossig: Soweit Ulrich Raulff zum Streit um das Kafka-Manuskript zum "Prozess".