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"Es war sehr stark ein Rechtfertigungsgestus"

Es waren viele Nachlässe, Vorlässe und Stiftungen, die in der ersten Märzwoche mit dem Historischen Archiv der Stadt Köln in Kies, Schlamm und Grundwasser versanken. Nun hat die Stadt Köln ihre Leihgeber eingeladen. Eine Entschuldigung habe es nicht gegeben, sagte Andreas Rossmann, NRW-Kulturkorrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Damit wolle man wohl juristischen Forderungen vorbeugen.

Andreas Rossmann im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 12.05.2009
    Stefan Koldehoff: Zehn Wochen hat die Stadt Köln gebraucht, um endlich einmal all jene Menschen einzuladen, die ihr ihre Schätze anvertraut hatten. Jene Nachlässe und Vorlässe und Depositar und Stiftungen, die in der ersten Märzwoche mit dem Historischen Archiv der Stadt Köln in Kies und Schlamm und Grundwasser versanken. Ein früheres Treffen, so die Stadt, sei nicht möglich gewesen, weil man erst die Adressen habe rekonstruieren müssen. Tatsächlich lag eine unversehrte Leihgeberdatei allerdings auf dem zentralen Datenserver der Stadt, der auf der Katastrophe auf der anderen Rheinseite gar nicht betroffen war. Nun also das erste Treffen, an dem neben 250 Betroffenen auch Andreas Rossmann, NRW-Kulturkorrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" teilgenommen hat. An ihn die Frage: Gab es denn nun endlich die Entschuldigung durch den Oberbürgermeister, auf die so viele schon so lange warten?

    Andreas Rossmann: Nein, die gab's natürlich nicht. Ich denke, die hat die Stadt sich auch deswegen nicht geleistet, weil sie allen juristischen Ansprüchen sich entziehen wollte. Die Auskünfte, die da gestern gegeben wurden, waren eigentlich derart allgemein und pauschal, dass jeder Leihgeber, der sich vorab ausführlich in der Presse informiert hat, nichts Neues erfahren hat. Vielleicht bis auf die Ausführungen der Leiterin des Rechtsamtes, aber die waren dafür zum Teil gar nicht zur Sache.

    Koldehoff: Was ist gemacht worden? Ist einfach noch mal rekonstruiert worden, was sich ereignet hat?

    Rossmann: Es ist rekonstruiert worden, was sich ereignet hat. Es ist aber auch sehr stark der Gestus: Wir haben eigentlich alles getan, was man tun könnte, gemacht worden. Es war sehr stark ein Rechtfertigungsgestus, ein Abwehrgestus, und es war eigentlich nicht so sehr der Gestus gegenüber den Leihgebern, sich der eigenen Verantwortung, der Verantwortung der Stadt nachzukommen und deren Sorgen aufzunehmen.

    Koldehoff: Wenn Sie sagen, es ist ein Abwehrgestus, was gilt es abzuwehren: Welche Angst scheint die Stadt zu haben?

    Rossmann: Also die Stadt redet für meine Begriffe, wie sie gestern aufgetreten ist, diese Katastrophe auch in gewisser Weise schon klein, um nicht zu sagen schon schön. Es wurde gestern immer wieder betont, dass 80 Prozent der Bestände geborgen wurden. Nun fragt man sich, was heißt geborgen? Geborgen heißt nicht, dass sie gesichert sind, es heißt auch nicht, dass sie bereits wieder zugänglich wären, sondern es heißt nur, dass sie aus diesem riesigen Krater eben geborgen, herausgeholt wurden. Und die riesige Sisyphusarbeit, die sich jetzt, so der Oberbürgermeister, stellt, besteht eigentlich darin, dass diese Bestände, die ja meist vereinzelt in alle Himmelsrichtungen verschickt und in vielen verschiedenen Archiven zwischen Freiburg, Potsdam, Gelsenkirchen und Bonn verteilt wurden, dass die ja erst wieder restauriert und dann zurückgeführt werden müssen und dann auch noch zusammengesetzt, also die Inventare eigentlich erst wieder hergestellt werden müssen. Und diese Arbeit wird, auch das wurde gestern gesagt, Jahre, Jahrzehnte beanspruchen und wird natürlich das Haus, das Archiv über diese Jahre hinweg gar nicht richtig funktionsfähig wieder machen können.

    Koldehoff: Wird denn über diese 80 Prozent - es gibt ja auch Mitarbeiter an den Bergungsmaßnahmen, die von weniger sprechen, aber geht man mal von den 80 Prozent aus -, wird denn da qualitativ eine Aussage getroffen, was man geborgen hat, ob das im Wesentlichen Verwaltungsakten sind, ob das Inkunabeln sind, ob das wertvolle Nachlässe sind?

    Rossmann: Also dazu wurde gar nichts gesagt, und ich halte diese Quote von 80 Prozent, gerade vor dem Publikum der Leihgeber, auch insofern für etwas irreführend, um nicht zu sagen augenwischend, als es hier ja um die Nachlässe geht und es bekannt ist, dass die Nachlässe im vorderen Magazinteil, also in dem Gebäude, das eingestürzt ist, waren und dass von diesen Nachlässen viele zerstört, wenn nicht gar ganz vernichtet wurden. Man muss nur einmal in dem Erstversorgungszentrum in Köln-Porz gewesen sein, um zu sehen, wie dort Bücher, Bestände, Akten, Urkunden zerrissen, atomisiert, fragmentarisiert sind, um ermessen zu können, wie groß das Ausmaß auch dieser Beschädigung ist. Hinzu kommt, dass ein Teil - und wie groß dieser Teil ist, weiß man ja auch noch nicht - gerade dieser Nachlässe womöglich und wahrscheinlich im Grundwasser verschwunden sind und gar nicht abzusehen ist, wie stark sie beschädigt und ob sie überhaupt wieder gerettet werden können.

    Koldehoff: Gleichzeitig ist in Köln schon die Rede davon, dass man den Neubau plant eines Stadtarchivs. Er soll wieder innerstädtisch entstehen, möglicherweise am gleichen Ort wie das nun eingestürzte Gebäude. Wie realistisch sind solche Planungen zum jetzigen Zeitpunkt? Bräuchte man nicht mal erst Interimslösungen, um das zu leisten, was Sie gerade gesagt haben, nämlich wieder in Köln zu konzentrieren und wieder zugänglich zu machen?

    Rossmann: Ja, man braucht wahrscheinlich beides, weil auch dieser Neubau über Jahre hinaus der Planung, es muss einen Standort finden, wenn man es nicht wagt sozusagen, an den bisherigen Standort zurückzugehen, wo ja jetzt ein größeres Grundstück sozusagen frei geworden ist für einen Neubau, weil das Nachbarhaus, das hörte ich heute, von dem Eigentümer nicht wieder aufgebaut wird, sodass die Stadt eventuell die Möglichkeit hätte, dieses Grundstück dazuzuerwerben und ein größeres neueres Archiv, das auch dann die entsprechenden Kapazitäten vorhält, an diesem Standort zu errichten.

    Koldehoff: Andreas Rossmann, vielen Dank, über die Stadt Köln, ihr zerstörtes Archiv und eine bemerkenswerte Informationspolitik.