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"Es wird eine Illusion verkauft"

Investitionen und Wachstum über Schulden zu finanzieren, werde Griechenland nur tiefer in die Spirale rein führen, sagt der Europapolitiker Alexander Alvaro. Zudem hält er für gefährlich, was das Linksbündnis SYRIZA macht.

Alexander Alvaro im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: In Griechenland ist es gekommen, wie viele befürchtet haben: Alle Gespräche der letzten Tage über die Bildung einer stabilen, einer neuen Regierung sind endgültig gescheitert, auch eine Regierung von Fachleuten wird es in Athen nicht geben. Staatspräsident Papoulias will deshalb heute entscheiden, wann genau Neuwahlen stattfinden sollen und welche Interimsregierung das Land bis dahin führen soll. Weitere Einzelheiten dazu von Thomas Bormann.

    Übergangsregierung für Griechenland soll Neuwahlen vorbereiten (MP3-Audio)

    Als zweitstärkste Kraft spielt das Linksbündnis unter Führung von Alexis Tsipras schon jetzt eine große Rolle, und der Einfluss dieses Bündnisses könnte nach den Wahlen weiter wachsen. Tsipras kann sich Hoffnung darauf machen, als stärkste Fraktion im nächsten Parlament von Athen zu sitzen. Theodoros Paraskevolopoulos ist Wirtschaftswissenschaftler und er ist Berater für das Linksbündnis SYRIZA. Welchen Kurs will dieses Bündnis denn fahren? Dazu sagte er heute Morgen hier im Deutschlandfunk:

    Theodoros Paraskevolopoulos: Unser programmatisches Ziel ist, mit unseren europäischen Partnern zu verhandeln, um zwei Sachen zu erreichen. Erstens ein Moratorium, ein Zahlungsmoratorium, das heißt, eine Aussetzung der Zahlungen für eine bestimmte Zeit. Und danach, wenn die Wirtschaft wieder angekurbelt worden ist, Verhandlungen über die Bedingungen der Schulden zu führen.

    Barenberg: Und am Telefon begrüße ich jetzt Alexander Alvaro von der FDP, Vizepräsident des Europäischen Parlaments. Schönen guten Tag Ihnen!

    Alexander Alvaro: Guten Tag, Herr Barenberg!

    Jasper: Herr Alvaro, Sie haben gerade gehört, was der Wirtschaftswissenschaftler Paraskevolopoulos im Namen dieses Linksbündnisses fordert. Was halten Sie davon, ein Moratorium?

    Alvaro: Ich halte das, was SYRIZA in Griechenland macht, für gefährlich. Es wird eine Illusion verkauft, dass die Stabilität des Euros und gleichzeitig die Aufgabe von Sparmaßnahmen zu Erfolg führen kann. Ich sehe nicht, wie das funktionieren kann. Auch eine Aussetzung der Zahlungen und dann eine auf wundersame Weise entstehende Wirtschaftsankurbelung, wonach dann wieder die Rückführung aufgenommen werden soll, halte ich für eine Illusion.

    Jasper: Warum kann dieser Plan nicht funktionieren, für eine Weile der Wirtschaft, dem Land insgesamt, Luft verschaffen, dafür sorgen, dass die Wirtschaft wieder in Schwung kommt und dann die Schulden begleichen?

    Alvaro: Es kann unzweifelhaft funktionieren, dass die Wirtschaft wieder in Schwung kommt, dafür müssen nur intelligente Wachstumsimpulse gesetzt werden. Das, was wir bisher gesehen haben, fortzuführen, nämlich Investitionen und Wachstum über Schulden zu finanzieren, wird Griechenland nur tiefer in die Spirale rein führen, in der sie sich schon befinden. Das heißt, eine Kombination der Rückführung von Schulden, der Durchsetzung von Sparmaßnahmen bei gleichzeitiger Ankurbelung einer Wirtschaft ist der geeignetere Erfolgsweg.

    Jasper: Was genau würde passieren, sollte es ein solches Moratorium geben – nur dass wir uns jetzt davon mal eine Vorstellung machen können?

    Alvaro: Also wenn wir uns in einem hypothetischen Bereich bewegen, kann man zumindest konkret sagen, dass die Europäische Union und auch die Troika deutlich gemacht hat, dass die Vertragserfüllung nicht einseitig erfolgen kann. Das heißt, wenn wir mit Griechenland eine Schuldenrückführung vereinbart haben und die Durchsetzung von Sparmaßnahmen, kann eine neue Regierung diese nicht einseitig aufkündigen. Das würde die Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit des Handelns in der Europäischen Union deutlich erschweren.

    Jasper: Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble hat heute Morgen hier in unserem Programm neue Verhandlungen über das europäische Hilfspaket ausgeschlossen, und er hat sich auch dagegen gewandt, über so etwas wie eine zeitliche Streckung zu sprechen. Sehen Sie das auch so?

    Alvaro: Also ich denke, da hat der Bundesfinanzminister zu Recht so reagiert. Ich finde es auch begrüßenswert, dass er sehr besonnen kommuniziert. Es ist sehr wichtig, dass wir Griechenland jetzt den Eindruck nicht nur vermitteln, sondern auch unterstreichen, dass wir zu Hilfen bereit sind, wir aber da auch die Anstrengung Griechenlands erwarten. Und die Minimalanstrengung ist, sich an das zu halten, was wir vereinbart haben. Ich glaube, es wird auch deutlich, dass in Europa die Bereitschaft besteht, auch in Wachstum in Griechenland zu investieren. Dies sollte man nicht durch überzogene Forderungen seitens der Linksradikalen in Griechenland jetzt torpedieren.

    Jasper: Wir stehen ja ein wenig vor der paradoxen Situation, dass die Griechen auf der einen Seite im Euro bleiben wollen, dass sie auf der anderen Seite aber, den Parteien, die Hilfe vereinbart haben und das Hilfspaket mit Europäischer Union und IWF, dass die das ablehnen. Und es schaut ja so aus, als wenn es bei Neuwahlen so kommen könnte, dass die Kräfte am linken Rand noch mal dazugewinnen. Bei uns ist schon von Unregierbarkeit die Rede. Wie kann man Griechenland entgegenkommen, was kann man anbieten?

    Alvaro: Ich glaube, was wir anbieten können, ist vor allen Dingen über den Mehrwert, den die Europäische Union im Wege ihres Haushalts liefern kann, verstärkt uns einzubringen. Wir haben gut gefüllte Kassen im Bereich der Struktur- und Kohäsionsfonds, die wir zielgenauer in Griechenland einsetzen können, und das sicherlich auch mit verstärkter Hilfe der Kommission, damit auch keine Luftprojekte finanziert werden, was bisher ja auch dann eher diese Politik in Zweifel gezogen hat. Wir können also über die Mittel, die wir hier in unseren Kassen haben, einen wesentlichen Beitrag zu Investitionsanreizen in Griechenland leisten, ohne dass die Mitgliedsstaaten noch mal individuell belastet werden müssen oder das griechische Volk über die Maßen in Anspruch genommen werden müsste.

    Jasper: Die Kassen sind gut gefüllt, sagen Sie, was ist denn da schon konkret auf dem Weg?

    Alvaro: Also wir haben im Rahmen der Struktur- und Kohäsionsfonds jährlich Mittel in Höhe von plus, minus 50 Milliarden Euro, die dort einsetzbar wären. Das ist nicht das, was alleine Griechenland zugutekommt, andere Länder profitieren auch von den Struktur- und Kohäsionsfonds. Was aber bis dato nicht richtig gemacht worden ist, ist die Effizienz dieser Mittelverwendung zu prüfen. Wenn uns die Krise etwas gelehrt hat, dann sicherlich, dass die Gelder, die wir hier in die Hand nehmen, auch dann vor Ort wirksam eingesetzt werden müssen, und da muss mehr Kontrolle seitens der europäischen Ebene erfolgen. Das ist einer der wenigsten Erkenntnisse, die wir hier schon mal in dieser Krise haben.

    Jasper: Und da gibt es auch schon Vereinbarungen, dass das so geschehen soll?

    Alvaro: Bis dato – wir sind in den Vorbereitungen des Haushalts für das kommende Jahr, es finden regelmäßig natürlich Gespräche mit Griechenland statt, wir müssen aber auch sehen, in welche Bereiche können wir Impulse liefern. Griechenland hat eine sehr große Erfahrung im maritimen Bereich, haben ein gut funktionierendes Reedereiwesen gehabt in den vergangenen Jahrzehnten. Da kann man sich überlegen, ob man zum Beispiel analog wie in Rotterdam einen vernünftigen Containerhafen aufbaut und dort versucht, schon mal in dem Ansatz Impulse zu setzen. Ansonsten können wir den Griechen nur dabei helfen, sich am eigenen Schopf aus der Misere zu ziehen.

    Jasper: Das sind ja alles Projekte, von denen Sie sprechen, die man eher in Jahren kalkulieren muss, denn in Monaten – also bis Juni, bis zu den voraussichtlichen Neuwahlen – wird sich jedenfalls für die Menschen dort nichts verändern. Für wie gefährlich halten Sie die politische Ausgangslage jetzt vor den absehbaren Neuwahlen?

    Alvaro: Natürlich mache ich mir Sorgen, wenn ich mir die politische Situation in Griechenland ansehe. Ich mache mir vor allen Dingen Sorgen bei der Tendenz, verstärkt sich Extremisten zuzuwenden, die zwar einfache Antworten bieten werden, aber keine Lösungen. Ich glaube, wenn wir unseren Beitrag zu einer Besonnenheit in Griechenland leisten, auch ihnen deutlich sagen, wir werden sie nicht im Stich lassen, wenn wir sehen, dass man sich an Vereinbarungen hält, dass wir zumindest beruhigend dazu beitragen können. Was wir auf keinen Fall machen dürfen, sowohl als Deutsche nicht, aber auch kein anderes europäisches Land, ist jetzt mit dem Lehrmeisterzeigefinger auf Griechenland zu weisen und zu sagen, wir haben euch gesagt, ihr müsst das so machen, ihr müsst diese bestimmte Maßnahme umsetzen. Wir müssen anerkennen, dass dort ein Leidensdruck herrscht, der mit besonderer Sensibilität zu behandeln ist derzeit, ohne gleichzeitig zu vernachlässigen, dass wir einen Kurs eingeschlagen haben, dem wir nicht nur verpflichtet sind, sondern den wir auch durchsetzen wollen.

    Jasper: Aber Herr Alvaro, geschieht nicht genau das? Diktiert man nicht Griechenland die Bedingungen, komme, was da wolle, und wählen die Leute noch, was auch immer sie wählen möchten, aber an den Bedingungen, an dem Diktat ändert sich nichts?

    Alvaro: Wir können den Menschen die Konsequenzen aufzeigen, die es mit sich bringt, wenn man sich nicht an Vereinbarungen hält. Aber es ist immer auch eine Frage der Tonlage. Wir müssen nach wie vor im Sinn haben, es handelt sich um ein souveränes Land, um ein stolzes Volk, und da ist der Ton ganz entscheidend, mit dem man mit diesen Menschen umgeht. Das heißt, wir können sicherlich bestimmt und auch mit Nachdruck darauf hinweisen, was vereinbart worden ist, wir dürfen nur nicht im Sinne einer Protektoratsverwaltung versuchen, mit Griechenland umzugehen.

    Jasper: Alexander Alvaro, Vizepräsident des Europäischen Parlaments, er gehört der FDP an. Vielen Dank für das Gespräch heute Mittag!

    Alvaro: Herzlichen Dank, Herr Barenberg!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.