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"Es wird nach wie vor zur punktuellen Gewaltanwendung kommen"

Eine "friedvolle strikte Ausbildungsmission" werde es nach dem Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan 2014 nicht geben, sagt Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Der Einsatz gegen terroristische Gruppierungen werde weiterhin eine Aufgabe der Einheiten vor Ort sein.

Markus Kaim im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: So sehr viel Zeit bleibt nicht, bis die USA und die anderen in Afghanistan präsenten Länder ihre Kampftruppen aus dem Land abgezogen haben werden. Ende 2014 soll das der Fall sein. Eigentlich sollten die Planungen für die Zeit danach längst weiter vorangeschritten sein, denn klar ist: Zur Ausbildung der afghanischen Armee sollen weiterhin Militärs aus dem Ausland am Hindukusch stationiert bleiben. Beim heutigen Treffen der Verteidigungsminister in Brüssel wollte man da weiterkommen, aber die Gespräche verlaufen schleppend.
    Telefonisch sind wir jetzt verbunden mit Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Schönen guten Tag!

    Markus Kaim: Schönen guten Tag nach Köln.

    Heckmann: Herr Kaim, weshalb kommen die Planungen für die Zeit nach dem Abzug nicht voran? Liegt das nur an der noch ausstehenden Bestätigung für den neuen US-Verteidigungsminister Chuck Hagel?

    Kaim: Die Gründe liegen in den USA, sind aber etwas vielfältiger. Der erste Grund ist, dass die USA bis zum Beginn der vergangenen Woche nicht haben verlauten lassen, wie ihre Truppenreduktionsplanungen für Afghanistan aussehen. Erst bei seiner State of the Union Adress hat ja der amerikanische Präsident hier Klarheit geschafft und angekündigt, dass die USA ihre Truppen bis zum Beginn des kommenden Jahres auf 34.000 Mann etwa halbieren werden. Da hat es lange Wochen Spekulationen gegeben, da war Unklarheit geblieben.

    Die zweite Unklarheit betrifft die Größe der amerikanischen Mission nach 2015, der sogenannten ITAAM, der International Training, Assistance and Advisory Mission der NATO, die also der ISAF folgen wird. Da gibt es im Moment auch noch Spekulationen. Man liest von Zahlen, bis zu 9000 Mann würden die USA stellen, aber das ist nicht bestätigt.

    Und die dritte Gruppe, die dritte Unbekannte ist: Der Rechtsrahmen ist nicht klar. Das Truppenstationierungsabkommen der USA mit der afghanischen Regierung wird zurzeit verhandelt. Das heißt, die rechtlichen Rahmenbedingungen einer zukünftigen Präsenz sind auch noch nicht klar. Und wenn man das alles zusammenzieht, daraus resultiert diese Unklarheit, die wir hier haben.

    Heckmann: Die Amerikaner haben durchblicken lassen, Sie haben es gerade gesagt, für die Zeit nach 2015 neun bis zehntausend US-Soldaten sollen stationiert bleiben, wovon die Hälfte offenbar zur Ausbildung der afghanischen Armee verwendet werden sollen. Was würde das für Europa heißen?

    Kaim: Das ist konkret schwer abzuschätzen. Man könnte Spekulationen oder Modellrechnungen anstellen und sagen, vom heutigen Tag aus gerechnet reduzieren die USA um 66.000 auf 9000, und vergleichbare Reduktionsprozesse könnte man eben auch auf die europäischen Truppenkontingente in Afghanistan anlegen. Nur das ist, glaube ich, eine Modellrechnung, die politischen Erwägungen nicht Stand halten wird. Ich gehe davon aus, dass die deutsche Bundeswehr mit einem Kontingent von etwa 1000 bis 1500 nach 2015 oder 2014 – Entschuldigung! – in Afghanistan präsent sein wird, und die Aufgaben sind zweigestaltig: zum einen mit dem überwiegenden Schwerpunkt Ausbildung, Ausrüstung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte und zu einem geringeren Umfang und den Augen der Öffentlichkeit etwas weiter entzogen Einsätze gegen terroristische Gruppierungen, von deren Präsenz wir auch nach 2014 weiter ausgehen müssen.

    Heckmann: Ein Berater von US-Präsident Obama soll angekündigt haben, dass die USA Deutschland und auch die anderen Länder, die in Afghanistan Truppen haben, nach 2014 nicht mehr mit Sanitätshelikoptern unterstützen werden. Welches Signal geht davon aus?

    Kaim: Das Signal ist, glaube ich, noch mal abzuwarten, ob das sich wirklich so manifestieren wird. Auch in dem Beitrag ist ja deutlich geworden, viele letzte Worte sind hier in den Planungen noch nicht gesprochen. Dies wäre, glaube ich, insofern aber ein schwerwiegendes Signal, weil gerade im Norden des Landes die Bundeswehr auf die medizinische Versorgung der Amerikaner angewiesen ist, und es illustriert, dass aus amerikanischer Sicht sozusagen der Lauf zur Tür in Afghanistan begonnen hat, also konkret formuliert, dass die Obama-Administration in der Frage, wie sie den Abzug regeln will, jetzt sich entschieden hat, das zügiger zu machen, als das bisher der Fall gewesen ist, und gleichzeitig – das wird ja gerade auch bei dem NATO-Verteidigungsministertreffen geplant – die NATO gegenwärtig erwägt, die afghanischen Sicherheitskräfte auch bis 2018 noch weiter zu finanzieren und auf dem angestrebten Niveau von 352.000 Mann zu erhalten. Auch das illustriert entgegen früheren Planungen, dass die NATO und die USA allen voran ihren Abzug beschleunigen wollen und das zu kompensieren suchen.

    Heckmann: Nach 2014 also soll die Trainingsmission der afghanischen Armee beginnen. Wie groß aber ist die Gefahr, dass aus dieser Ausbildungsmission faktisch doch eine dauerhafte Kampfmission wird?

    Kaim: Also von ihrer politischen Ausrichtung ist das erst einmal so nicht vorgesehen. Auch von ihrem Mandat, das diese Mission vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen noch bekommen wird, ist das so erst mal nicht angelegt. Aber es gibt eben zwei offene Fragezeichen: zum einen die Frage der Terrorismusbekämpfung, die ich eben angesprochen habe. Das ist natürlich keine Kampfmission, die sich gegen Aufständische richtet, wie das die ISAF getan hat, die die afghanischen Sicherheitskräfte dabei unterstützt hat, gegen ihre Aufständischen vorzugehen. Aber was ich sagen will: Es wird nach wie vor zur punktuellen Gewaltanwendung kommen. Wenn man so möchte, bleibt das die Kampfmission-Komponente.

    Und zum zweiten ist die unbekannte Frage, in welchem Maße die Truppen dieser Nachfolgemission dann im Kontext der Eigensicherung, also des Eigenschutzes in Afghanistan, in Gefechte verwickelt werden, und da haben wir zumindest Beispiele dafür. Die Kanadier haben eben diese Transformation des Einsatzes bereits vollzogen, sie sind nur noch in der Ausbildung und Ausrüstung der afghanischen Sicherheitskräfte gebunden. Und wir stellen aber fest, dass die kanadischen Sicherheitskräfte in Kämpfe verwickelt worden sind und auch Verluste zu beklagen hatten in den letzten Monaten. Das heißt, der Eindruck, dass es dann eine ganz friedvolle strikte Ausbildungsmission geben würde, ich glaube, der geht fehl.

    Heckmann: Live hier im Deutschlandfunk war das Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik zu den Aussichten für Afghanistan. Herr Kaim, danke Ihnen für dieses Interview.

    Kaim: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.