Archiv


Eskalation im Mittelmeer

Eine Spezialausgabe des Hintergrunds beleuchtet die israelische Militäraktion gegen Hilfslieferungen für den Gaza-Streifen. Mit Beiträgen von Wolfgang Labuhn, Bettina Marx und Clemens Verenkotte. Studiogast: Muriel Asseburg, Stiftung Wissenschaft und Politik.

Moderation: Thilo Kößler |
    Thilo Kößler: Eine Solidaritätsaktion für die Palästinenser im Gaza-Streifen endete in einem Blutbad auf offener See – doch das Kommandounternehmen der israelischen Armee gegen die sogenannte Gaza-Solidaritätsflotte hat nicht nur mindestens neun Menschen das Leben gekostet.

    Es fordert jetzt auch seinen politischen Preis: Israel sieht sich mit weltweiter Kritik konfrontiert – aus dem Weltsicherheitsrat, den USA, der EU und ihren Mitgliedsstaaten und aus der Türkei: Die Beziehungen zum einstmals engsten Freund Israels in der Region sind völlig zerrüttet: Ein Kommandounternehmen und die Folgen für Israel und die Region – das ist unser Thema heute Abend. Am Mikrofon begrüßt Sie Thilo Kößler.

    Noch sind gar nicht alle Details bekannt: Die meisten der 700 Friedensaktivisten, die Hilfsgüter nach Gaza bringen wollten, sind noch in Israel, sie konnten noch gar keinen Kontakt zur Öffentlichkeit aufnehmen. Als erste kamen heute die beiden Abgeordneten der Links-Partei nach Berlin zurück, gemeinsam mit drei weiteren Deutschen. Von dort Wolfgang Labuhn.


    Zu den deutschen Teilnehmern des Hilfskonvois gehörten zwei Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag, Inge Höger und Annette Groth, ferner ihr früherer Fraktionskollege Norman Paech. Gemeinsam mit zwei weiteren Aktivisten aus Deutschland trafen sie heute Vormittag an Bord einer israelischen Linienmaschine in Berlin ein, nachdem sie mit ihrem Einverständnis aus Israel ausgewiesen worden waren. Die israelische Militäraktion hatten sie an Bord des türkischen Schiffes "Mavi Marmara" erlebt. Norman Paech:

    "Kurz vor halb fünf gestern Morgen haben wir zum ersten Mal gesehen, wie Schlauchboote – Zodiacs – um unser Schiff kurvten. Das dauerte keine zehn Minuten. Dann hörten wir schwere Detonationen. Das waren offensichtlich Splittergranaten und auch Gasgranaten, Tränengas. Ob anderes Gas dabei war, war nicht ganz klar. Dann sind mit Hubschraubern – oben haben sich Soldaten abgeseilt."

    Die Erstürmung der "Mavi Marmara" dauerte eine gute halbe Stunde. Inge Höger bekam wenig davon mit, da sie sich - wie alle Frauen an Bord - unter Deck aufhalten musste:

    "Irgendwann hieß es, das Schiff ist jetzt besetzt, die Israelis haben es übernommen. Erst danach wurden wir nach und nach rausgegriffen, rausgeführt von den Soldaten, eine nach der anderen. Und wir wurden gefilzt, uns wurden unsere persönlichen Dinge abgenommen, und wir wurden dann mit Kabelbindern gefesselt, aufs Oberdeck gebracht."

    Im israelischen Hafen Ashdod wurden alle Passagiere an Land gebracht und vor die Wahl gestellt, entweder ihrer Ausweisung zuzustimmen oder in ein Gefängnis gebracht zu werden. Erst zu diesem Zeitpunkt war auch ein Kontakt zu Vertretern der Deutschen Botschaft möglich.
    Die Empörung im politischen Berlin war einhellig. Vertreter aller Parteien forderten die Freilassung aller Inhaftierten und die vollständige Aufklärung des israelischen Militäreinsatzes gegen den Gaza-Schiffskonvoi durch eine unabhängige internationale Kommission. Israel wurde aufgefordert, die Blockade des Gaza-Streifens aufzuheben und eine normale Versorgung der Bevölkerung zuzulassen. Die Bundesregierung steht vor einer schwierigen Situation. Nach dem Holocaust zählt es zur deutschen Staatsräson, das Existenzrecht Israels innerhalb gesicherter Grenzen anzuerkennen. Dazu gehört nach den Worten von Regierungssprecher Ulrich Wilhelm, ...

    " ... dass jede Bundesregierung immer vorbehaltlos das Recht Israels auf Selbstverteidigung anerkannt und unterstützt hat ... "

    Zum Recht Israels auf Selbstverteidigung gehört aber nach den Worten des Regierungssprechers, ...

    " ... dass aber dieses Recht natürlich im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auszuüben ist ... "

    ... und ob das israelische Vorgehen tatsächlich verhältnismäßig gewesen sei, müsse die Untersuchung der Militäraktion zeigen:

    "Der erste Anschein spricht nicht dafür, dass dieser Grundsatz eingehalten wurde, aber man soll nicht nach dem ersten Anschein allein urteilen, sondern es kommt darauf an, jetzt die Umstände und den genauen Hergang der Aktion und des weiteren Verlaufs kennenzulernen."

    Dennoch: Deutlicher als gestern hat kaum eine Bundesregierung das Verhalten einer Regierung in Jerusalem kritisiert. Im Übrigen hat Deutschland wegen seiner historisch bedingten Sonderbeziehungen zum Staat Israel kaum Möglichkeiten, Druck auf die Regierung Netanyahu auszuüben, sich wieder konstruktiv am Nahost-Friedensprozess zu beteiligen. Stattdessen wirbt man – wie Außenminister Westerwelle auf seiner jüngsten Nahost-Reise - verstärkt bei den arabischen Nachbarn Israels um Unterstützung für die laufenden amerikanischen Friedensbemühungen in Gestalt indirekter Gespräche zwischen der israelischen und der palästinensischen Führung – und unterstützt die Palästinenser aktiv beim Aufbau staatlicher Strukturen.

    Thilo Kößler: Wolfgang Labuhn war das über die Rückkehr von fünf Deutschen nach Berlin. Und dort begrüße ich in unserem Studio Muriel Asseburg, sie ist Nahost-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, einem politischen Think-Tank, einer sogenannten Denkfabrik. Guten Abend Frau Asseburg.

    Muriel Asseburg:
    "Ja, guten Abend Herr Kößler".

    Thilo Kößler:
    An Bord der Schiffe waren Zivilisten: Henning Mankell, zum Beispiel, der schwedische Schriftsteller, der mittlerweile auf dem Weg nach Hause ist, es waren auf den Schiffen Journalisten, Friedensaktivisten aus vielen Ländern, viele Türken, viele Palästinenser – wie gefährlich waren diese Leute für Israel?

    Asseburg:
    Also, diese Leute, die an Bord der Schiffe waren, sind natürlich für Israel, für Israels Sicherheit überhaupt nicht gefährlich. Sie sind für Israel insofern sehr unangenehm, weil sie einen Scheinwerfer richten auf das, was Israel in den letzten vier Jahren im Gaza-Streifen angerichtet hat durch die Blockade, die als Kollektivstrafe gegen 1,5 Millionen letztlich dafür sorgt, dass diese Menschen in völliger Isolation von der Außenwelt gehalten werden, dass es keinen wirtschaftlichen Aufbau, keinen Wiederaufbau nach dem Krieg 2008/ 2009 geben konnte, und dass letztlich all die Ziele, die man vorgegeben hat, erreichen zu wollen, nämlich Hamas in die Knie zu zwingen, den Waffenschmuggel in den Gaza-Streifen zu verhindern und den israelischen Soldaten Gilad Schalit zu befreien, dass man all diese Ziele nicht durchgesetzt hat."

    Thilo Kößler:
    Berlin ist "bestürzt", Frau Asseburg - wir haben es gehört -, fordert wie der Sicherheitsrat eine ausführliche Untersuchung der Vorkommnisse: Machen die Reaktionen, glauben Sie, Eindruck auf Israel?

    Asseburg:
    Ja, in der Tat. Wir haben in den letzten zwei Tagen eine sehr, sehr intensive Diskussion in der israelischen Presse und in der israelischen politischen Landschaft gesehen. Während die offiziellen Stellen sehr stark verteidigen, was geschehen ist, und sich die politische Führung ganz klar hinter die Soldaten gestellt hat und hinter die Entscheidung gestellt hat, kommt sehr viel Kritik. Und es kommt nicht zuletzt Kritik zum Beispiel aus dem Mossad, von der Spitze des Mossads.

    Thilo Kößler:
    Wie also werden die Ereignisse in Israel gesehen – wie sind die Ereignisse dort wahrgenommen worden, wie werden die politischen Folgen beurteilt. Bettina Marx mit Hintergründen.

    Wer gestern die israelischen Medien verfolgt hat, der konnte beobachten, wie sich im Lauf des Tages der Tenor der Berichterstattung änderte. Am frühen Morgen, als die ersten Nachrichten eintrafen, waren Moderatoren und Berichterstatter noch entsetzt über den hohen Blutzoll. Schockiert über eine Militäraktion, die offenbar nicht so ablief, wie geplant. Was wird die Welt nun von uns denken, so die bange Frage einer Radiomoderatorin.
    Doch im Laufe des Tages änderte sich der Ton. Journalisten, politische Beobachter und Kommentatoren, hatten ihr Selbstbewusstsein wiedergefunden. Es komme gar nicht infrage, dass Israel sich für die Militäraktion entschuldige, sagte der Politikberater und Ex-General Uzi Dayan.
    "Sagen wir es so: Wir sollten unser Bedauern ausdrücken, denn das ist nicht das, was wir wollten. Aber uns entschuldigen? Nein und noch mals nein. Nicht wir haben hier provoziert. Wenn die Türken Hilfsgüter nach Gaza hätten bringen wollen, hätten sie sich an Ägypten wenden können."

    Als dann die ersten Bilder gezeigt wurden, die die israelische Armee während der Enterung des Schiffes gemacht hatte, kam Empörung hinzu. Empörung über die Aktivisten an Bord des gestürmten Schiffes, die sich nicht widerstandslos den israelischen Soldaten ergeben hatten. Yoav Limor, Militärkorrespondent des israelischen Fernsehens:

    "Es wurden Molotowcocktails gegen die Soldaten geworfen. Einige Soldaten wurden vom Deck geschubst. Ein Kämpfer wurde von 40 Leuten umringt, die auf ihn einschlugen. Es wurden zwei Pistolen gestohlen und damit wurde geschossen. Die Soldaten hatten keine andere Wahl, als ihre Waffen zu benutzen und so kam es, dass es 19 Tote gab und 35 Verletzte."

    Israel, so die Schlussfolgerung, stehe mal wieder allein da, im Kampf gegen den Terror, umgeben von Feinden und verlassen von den Freunden. In der Tat gerät Israel immer mehr in die Isolation. Das Verhältnis zu den USA hat sich ausgerechnet unter dem in den USA aufgewachsenen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu dramatisch verschlechtert. Präsident Barack Obama ist zwar inzwischen von seiner ultimativen Forderung nach einem Baustopp in den Siedlungen abgewichen, aber von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit kann keine Rede sein. Hinzu kommt, dass auch die Unterstützung der amerikanischen Juden für die israelische Politik nicht mehr unangefochten ist.
    Ähnliche Entwicklungen gibt es auch in Europa. Zu allem Überfluss droht nun auch noch ein Zerwürfnis mit der Türkei, dem wichtigsten Waffenbruder Israels im Mittelmeerraum.
    Das Schicksal der Menschen im Gaza-Streifen, die seit drei Jahren von der Welt abgeschnitten sind, wird immer mehr zum Sprengstoff für die eigentlich guten Beziehungen Israels zu Europa. Inzwischen fordert auch die Bundesregierung die Aufhebung der Blockade. Doch Israel will davon nichts wissen. Noch einmal Exgeneral Uzi Dayan:

    "Man sollte den Europäern sagen: Ihr wollt nicht gegen den Terror kämpfen? Okay, aber stört uns nicht dabei."

    Thilo Kößler:
    Bettina Marx war das über die israelische Sicht der Dinge. Die arabische Sicht sieht anders aus, dort gab es Proteste bereits auf den Straßen und eine politische Reaktion. Ägyptens Präsident Husni Mubarak fand heute, es sei Zeit, die Blockade aufzuheben. Er hat die Grenze nach Rafah geöffnet, zumindest zeitweise. Sind Sie mit ihm einer Meinung, Frau Asseburg?

    Asseburg:
    In der Tat denke ich, dass es an der Zeit ist, die Blockade aufzuheben. Das muss aber deutlich darüber hinausgehen über das, was die ägyptische Regierung immer wieder getan hat, nämlich für kurze Zeit und zu bestimmten Anlässen die Blockade kurzfristig aufzuheben. Was notwendig ist, ist tatsächlich eine dauerhafte Aufhebung und nicht nur von der ägyptischen Seite.

    Thilo Kößler:
    Die Diskussion um die Lage im Gaza-Streifen ist wieder voll entbrannt: Israel sagt: Die Lage ist dort gar nicht so schlimm, die Not ist nicht so groß, die Versorgung funktioniert: Clemens Verenkotte war dieser Tage dort.

    Rafah, im Süden des Gaza-Streifens: Einige Kinder spielen in den Ruinen des elterlichen Hauses. Die Habseligkeiten, die noch zu retten waren, sind provisorisch an einer Stelle aufgestapelt. Das Haus wurde – ein Novum in der leidvollen Geschichte des Gaza-Streifens – nicht von israelischen Kampfflugzeugen zerstört, sondern von Bulldozern der herrschenden Hamas, die das Grundstück für sogenannte öffentliche Bauten beansprucht. An einen Wiederaufbau kann diese Familie ebenso wenig denken, wie die Zehntausende von Palästinensern, die im Verlaufe des Gaza-Krieges vor anderthalb Jahren durch israelischen Beschuss obdachlos geworden sind. Der Sprecher der UN-Hilfsorganisation UNWRA in Gaza-Stadt, Adnan Abu Hasna:

    "Wir sprechen hier von 60.000 Familien, die durch den Krieg in Gaza betroffen worden sind. Wir sprechen von knapp 22.000 Unterkünften, die komplett, teilweise oder leicht beschädigt worden sind. Aber vom Reparieren der Häuser und vom Wiederaufbau kann man gegenwärtig hier im Gaza-Streifen nicht sprechen."

    Nach Angaben internationaler Hilfsorganisationen, wie etwa Oxfam, lassen die israelischen Streitkräfte rund ein Drittel derjenigen Warenlieferungen in den Gaza-Streifen ausliefern, die vor dem Wahlsieg der Hamas Ende Januar 2006 den Küstenstreifen erreichten. Dabei handelt es sich überwiegend um Lieferungen des UN-Hilfswerks UNWRA, des Welternährungsprogramms sowie anderer Organisationen. 80 Prozent der Bevölkerung im Gaza-Streifen ist UN-Angaben zufolge auf beständige Lebensmittel-Abgaben angewiesen. Die Blockadepolitik, mit der Israel die herrschende Hamas treffen wolle, sei kontraproduktiv, so die Bilanz des scheidenden stellvertretenden UN-Generalsekretärs für humanitäre Angelegenheiten John Holmes:

    "Diese Politik der Blockade ist ineffektiv. Sie bewirkt Elend für die Palästinenser, die hier leben. Sie leben hier in einer Art Gefängnis unter freiem Himmel, einer Kollektivstrafe, unter der sie jetzt schon seit drei Jahren leiden und es ist kontraproduktiv, auch für Israel, weil es nicht nur Verzweiflung nähert. Es fördert nicht deren Ziele, welche immer das auch in Gaza sein mögen."

    Beständig laufen vor nahezu allen Geschäftsläden Gazas Generatoren, mit denen die Stromausfälle von acht bis zwölf Stunden pro Tag überbrückt werden müssen. Den Diesel zum Betrieb der Generatoren erhalten die Menschen im Gaza-Streifen ausschließlich über die Tunnel zu Ägypten. Israel liefert mit Ausnahme des Treibstoffs für das einzige Elektrizitätswerk, der indirekt von der Europäischen Union bezahlt wird, keinen einzigen Dieseltreibstoff.
    Die Hamas hat seit ihrer gewaltsamen Machtübernahme vor drei Jahren ihre Herrschaftsausübung auf nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens ausgedehnt: Die Lehrer an den von der Autonomiebehörde finanzierten Schulen wurden zum Großteil entlassen und mit eigenen, überwiegend unerfahrenen Kräften ersetzt. Vergleichbares gilt auch für Krankenhäuser, für Ämter und Behörden. Oppositionelle Stimmen werden, so geringfügig sie auch sein mögen, sehr rasch zum Verstummen gebracht.

    Thilo Kößler:
    Clemens Verenkotte über die Situation im Gaza-Streifen und im Studio in Berlin sitzt Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Frau Asseburg, verbindet sich mit den Ereignissen im Mittelmeer die Erkenntnis, die Gaza-Politik ist gescheitert, man hätte längst auf eine Aufhebung der Blockade drängen müssen und auch der Boykott der radikal-islamischen Hamas-Bewegung bringt überhaupt nichts, die Lage wird immer schlimmer?

    Asseburg:
    Das ist in der Tat der Fall. Ich denke, dass die Europäer das schon länger wissen. Sie haben das in ihrem Statement zum Beispiel vom Dezember deutlich gemacht, Frau Ashton hat das immer wieder in Statements deutlich gemacht. Aber ich denke, jetzt ist ein Punkt erreicht worden, wo das internationale Scheinwerferlicht so stark auf der Situation ist, dass sich diese Wahrheit, die längst bekannt ist, nicht mehr vermeiden lässt, oder die Einsicht darin nicht mehr vermeiden lässt und das deutlich macht, dass politisches Handeln unumgänglich ist.

    Thilo Kößler:
    Heißt das aber auch, das Israel tatsächlich bereit sein wird, einzulenken und die Blockade zumindest zu lockern?

    Asseburg: :
    Ich kann mir vorstellen, dass Israel jetzt Schritte ergreifen wird, um die Blockade zu lockern, sicher nicht um sie völlig einzustellen. Denn das würde nicht den Interessen entsprechen, die hinter dem israelischen Handeln stehen. Da werden sich auch die Internationalen sehr viele Gedanken machen müssen, wie es denn tatsächlich möglich ist, die Blockade abzumildern, wenn man – und das ist nach wie vor der Fall – eben nicht mit Hamas-Vertretern sprechen möchte, wenn man nicht mit ihnen in Kontakt sein möchte.

    Thilo Kößler:
    Auf der anderen Seite könnte es sein, dass sich die Fronten weiter verhärten. Welche Folgen haben die Ereignisse im Mittelmeer für den "Friedensprozess", den man in Anführungszeichen setzen muss?

    Asseburg:
    Also ich denke, es ist sehr klar geworden, dass die Annäherungsgespräche, die derzeit von den Amerikanern vermittelt werden, sowieso sehr wenig Aussicht auf Erfolg haben, dass sie nur unter großem Druck überhaupt zustande gekommen sind, aber das beide Seiten, die Palästinenser und die Israelis entweder kein Interesse daran haben, dass diese zum Erfolg führen oder überhaupt keine Hoffnung haben, dass hierdurch Fortschritte erzielt werden können.

    Thilo Kößler:
    Bedeuten die jüngsten Ereignisse denn einen Auftrieb für Hardliner und kann das im Interesse Israels sein?

    Asseburg:
    Es ist ganz klar, im Interesse derjenigen in Israel, die kein Interesse daran haben, dass es zu einem echten Friedensprozess kommt, dass in absehbarer Zeit ein Frieden zwischen Israel und Palästinensern geschlossen wird, der eben dann einen lebensfähigen palästinensischen Staat beinhalten würde.
    Die Programmpunkte, die vorgelegt worden sind, von der jetzigen israelischen Regierung, nämlich dass sie sagt, dass sie zwar eine Zwei-Staaten-Lösung möchte, dass sie gleichzeitig die völlige Kontrolle über Ostjerusalem haben möchte, über den Jordan-Graben und auch die Golanhöhen nicht bereit ist zurückzugeben, entspricht nicht einer solchen tragfähigen Lösung.

    Thilo Kößler:
    Die Beziehungen zu den USA, Frau Asseburg, sind nachhaltig gestört. Kann Israel sich das leisten?

    Asseburg:
    Ich denke, Israel hat aus der Vergangenheit gelernt, dass es sehr weit gehen kann. Dass es immer wieder internationales Recht verletzen kann, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Und es hat gelernt, dass die USA, wenn es darauf ankommt, im Konfliktfall dann auf ihrer Seite stehen werden und ich nehme an, dass die israelische Regierung auch in der jetzigen Zeit davon ausgeht, dass es wieder so sein wird, wenn es hart auf hart kommt.

    Thilo Kößler:
    Der alles überlagernde Konflikt, das wird immer wieder gesagt, ist der Konflikt mit Iran. Welche Rückschlüsse sind für einen möglichen Konflikt mit Iran aus den Ereignissen im Mittelmeer zu ziehen?

    Asseburg:
    Ein Rückschluss, der daraus zu ziehen ist, das ist, dass die israelische Regierung auf Abschreckung setzt, auf sehr deutliche Maßnahmen, die signalisieren sollen, wir lassen nicht mit uns spaßen und wir sind bereit, auch geringe Provokationen mit militärischen Mitteln zu beantworten.

    Thilo Kößler:
    Heißt das, dass Israel auf Dauer zu einem Risikofaktor für die Vereinigten Staaten werden könnte, möglicherweise?

    Asseburg:
    So ähnlich hat der Chef des Mossads es heute ausgedrückt. Er hat gesagt, dass er die Einschätzung hat, dass die USA Israel immer stärker als Bürde, als Last empfinden.

    Thilo Kößler:
    Ein Tag nach dem israelischen Kommandounternehmen im Mittelmeer sind noch viele Fragen offen. Wir bräuchten noch viel Zeit, sie miteinander zu diskutieren, Frau Asseburg. Wenn die Beteiligten, die Augenzeugen berichten können, werden viele Einzelheiten ans Licht kommen, - andere möglicherweise nicht. Nur soviel lässt sich mit Sicherheit sagen: Die Lage im Nahen Osten ist – wieder einmal - nicht einfacher geworden.

    Ich bedanke mich bei Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Und ich bedanke mich bei Ihnen für Ihr Interesse. Schönen guten Abend.