Archiv

Eskalation im Nahen Osten
"Negativ für Wiederbelebung der irakischen Demokratie"

Die Tötung Ghassem Soleimanis im Irak könnte sich für die USA als Eigentor erweisen, sagte der Nahost-Experte Wilfried Buchta im Dlf. Die politische Stimmung drohe auch im Irak in Richtung Ablehnung der Amerikaner umzuschwingen.

Wilfried Buchta im Gespräch mit Kathrin Hondl |
Eine Irakerin auf einer anti-amerikanischen Demonstration am 4. Januar in Bagdad
Eine Irakerin auf einer anti-amerikanischen Demonstration am 4. Januar in Bagdad (AFP / Ahmad al-Rubaye)
Der Iran sieht nach der neuerlichen Eskalation 35 mögliche US-Ziele. Die USA hätten 52 Ziele im Visier, lautet nun die Gegendrohung von US-Präsident Donald Trump - ein Hinweis auf die 52 Geiseln im Jahre 1979 in der US-Botschaft in Teheran. Das politische Trauma der USA von damals sei offenbar weder vergessen noch bewältigt, sagt Wilfried Buchta, Islamwissenschaftler und viele Jahre politischer Analyst für die UN im Irak. "Wie man sehen kann, sind viele alte Rechnungen noch offen."
Innenpolitisch nicht klug
Für klug hält Buchta die Eskalation nicht - weder innenpolitisch noch gegenüber Irak und Iran.
"Die Amerikaner unter Trump haben gerade jetzt kein besonderes Interesse an einem großen konventionellen Krieg gegen den Iran, vor allem nicht jetzt im Wahljahr." Trump müsse für eine Wiederwahl um jede Stimme bangen, und er sei ja 2016 nicht zuletzt deswegen gewählt worden, weil er zerstörerische und teure Kriege im Nahen Osten nicht mehr führen wollte.
Schlecht für die Demokratie im Irak
Auch dem ohnehin prekären Zustand der Demokratie im Irak sei die US-Eskalation abträglich, meint Buchta.
Im Irak gehen seit Oktober Hundertausende junge Menschen auf die Straße und fordern eine grundlegende Erneuerung "dieser doch defizitären irakischen Demokratie", die geprägt sei von Korruption und der arroganten Herrschaft ethnokonfessioneller Parteien, so Buchta. Die Proteste wurden blutig niedergeschlagen, es gab Hunderte Tote, Regierungschef Adil Abd al-Mahdi sei darüber zurückgetreten und nunmehr lediglich kommissarisch im Amt.
Die Stimmung schwinge jetzt um in Richtung Antiamerikanismus. Soleimani und die weiteren Getöteten gälten jetzt als Märtyrer. Die irakische Regierung habe sich schon gezwungen gesehen, den US-Angriff als Terrorakt zu bezeichnen. Es werde ein Gesetzesvorschlag ins irakische Parlament kommen über den Abzug der Amerikaner. Käme es dazu, wäre der Angriff wohl ein machtpolitisches Eigentor für die USA gewesen, sagt Buchta: Die Amerikaner verlören durch einen Abzug jeglichen Einfluss, und der Iran wäre der Sieger.
Iran und Irak "religiös-kulturell" verbunden
Der Irak ist bereits seit der Absetzung Saddam Husseins einer der Hauptschauplätze der US-iranischen Rivalität im Nahen Osten, sagt Islamwissenschaftler Buchta. Die Amerikaner hätten dort eine Demokratie geschaffen, die Höhen und Tiefen erlebt habe. Doch im selben Maße, wie die USA sich dort seit 2011 zurückzögen, gewinne der Iran an Einfluss.
Die Nachbarländer im Nahen Osten sind als mehrheitlich schiitisch "religiös-kulturell" verbunden, sagt Buchta, und auch durch viele Politiker-Biografien: Viele, die heute die irakische Regierung dominieren, hätten früher als Oppositionelle gegen Saddam Hussein Zuflucht im Iran gefunden.
"Deutschland ist ohnmächtiger Zuschauer "
Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) hat angekündigt, bei der UNO und in der EU alle Hebel gegen eine weitere Eskalation in Bewegung zu setzen. Deutschland fehlten aber alle Möglichkeiten, im Nahen Osten positiv und mäßigend einzugreifen, meint Buchta:
"Deutschland schwimmt mit im großen militärischen Verbund der Nato und muss sich eng mit den Amerikanern abstimmen. Sie haben kaum Einflussmöglichkeiten auf die irakische Regierung, ganz wenig Gesprächskontakte zu irakischen Parteien. Der Dialog mit Iran verläuft schleppend, ist eher eingefroren. Deutschland ist sozusagen ohnmächtiger Zuschauer bei dieser Konflikteskalation im Nahen Osten." In dieser Situation sei Maas' Ankündigung "eher leeres Gerede und politischer Aktionismus."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.