Bettina Klein: Lange hat vor allem die Politik auf diesen 12. September hingefiebert, nun ist er da. DasUrteil in Karlsruhe wird ab zehn Uhr verlesen.
Am Telefon begrüße ich Jürgen Trittin, der Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Trittin.
Jürgen Trittin: Guten Morgen, Frau Klein!
Klein: Die Mehrheit der Deutschen, Herr Trittin, ist froh, dass Karlsruhe sich die Pläne noch einmal vornimmt und überprüft. Sie auch?
Trittin: Ja, ich freue mich darüber. Ich hätte mich sogar noch mehr gefreut, wenn das Bundesverfassungsgericht mehr Zeit gefunden hätte dafür zu prüfen, weil Schwarz-Gelb die Ratifizierung des Staatsvertrages oder des völkerrechtlichen Vertrages über den Europäischen Stabilisierungsmechanismus über ein Jahr herausgezögert hat. Deswegen kam jetzt die Verzögerung beim in Kraft treten, deswegen muss das Bundesverfassungsgericht in einem Eilverfahren diese hoch komplexe Materie entscheiden. Die Entscheidungsunfähigkeit von Schwarz-Gelb produziert sozusagen den Notstand beim höchsten deutschen Gericht.
Klein: Nicht wenige Deutsche hoffen offenbar auch auf ein klar erkennbares Stoppschild, das Karlsruhe zeigt mit Blick auf die gegenwärtige Euro-Politik. Können Sie das auch nachvollziehen?
Trittin: Das werden wir heute Morgen um zehn sehen. Ich halte, nachdem wir Grüne gerade in der Frage der Beteiligung des Deutschen Bundestages in der vorletzten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts uns komplett durchgesetzt haben und damit sichergestellt ist, dass über ein neues Programm, dass über entsprechende Zustimmung zu neuen Maßnahmen die Bundesrepublik Deutschland im ESM der Deutsche Bundestag entscheidet und nicht die Regierung und nicht anonyme Mächte, da halte ich es für verfassungskonform - das es auch der Grund, warum die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, ich glaube, mit einer Ausnahme dem Vertrag über den Europäischen Stabilisierungsmechanismus zugestimmt hat. Wir brauchen einen solchen Krisenmechanismus, wenn wir weiterhin in einer gemeinsamen Währung leben wollen, in der Abwertungen ja nicht mehr möglich sind. Wie sollen anders Ungleichgewichte in einer solchen Währungsunion ausgeglichen werden? Deswegen ist ein solcher Krisenmechanismus unabdingbar, der hätte schon mit der Gründung des Euro eingeführt werden müssen.
Klein: Aber nun geht es ja auch um die Ausgestaltung oder vor allen Dingen um die Ausgestaltung dieses Krisenmechanismus, und eine Frage dabei ist: gibt es eigentlich einen kalkulierbaren unwiderruflichen Deckel auf diesem ESM? Gibt es eine Deckelung für die Haftung, für die ja auch unter anderem der deutsche Steuerzahler dann geradestehen muss? Ist es aus Ihrer Sicht ebenfalls zwingend notwendig, das zu prüfen und dann möglicherweise eine Obergrenze, die definitiv feststeht, einzuziehen?
Trittin: Für diesen gibt es eine, und das sind die Verträge und das ist die Entscheidung des Deutschen Bundestages, der nämlich bestimmt, wie viel Geld am Ende dafür zur Verfügung gestellt wird. Es gibt für einen anderen Teil gemeinsamer europäischer Haftung keinen Deckel mehr, das ist der Teil der gemeinsamen Haftung innerhalb der Europäischen Zentralbank. Dort liegen heute schon 208 Milliarden Staatsanleihen aus Krisenstaaten. Das ist mit der Verweigerung eines Altschuldentilgungsfonds, den die Bundesregierung bis heute blockiert, der eine begrenzte Vergemeinschaftung von Staatsschulden gewesen wäre, provoziert worden. Nunmehr wird die Europäische Zentralbank im Krisenfall, um die gemeinsame Währung zu erhalten, Staatsanleihen unbegrenzt aufkaufen und dafür haften wir. Nur das hat mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus nichts zu tun, der ist dagegen ein wohl organisiertes und politisch gesteuertes Projekt.
Klein: Na ja, ohne diesen ESM wird es auch den EZB-Entscheidungen nicht kommen. Aber ich verstehe Sie richtig, dass Sie diese Entscheidung der EZB, unbegrenzt Staatsanleihen aufzukaufen, aufkaufen zu können, ebenfalls für bedenklich und für eine Entscheidung halten, die rückgängig gemacht werden sollte?
Trittin: Es gibt eine bessere Alternative, das ist der Altschuldentilgungsfonds, der eben den schrittweisen Schuldenabbau kombiniert mit einer begrenzten und eben nicht unlimitierten gemeinsamen Haftung. Schwarz-Gelb tut immer so, als gäbe es keine gemeinsame Haftungen; die gibt es, die gibt es schon lange, die wird es auch weiterhin geben. Es geht nicht um das ob, sondern es geht um das wie, und nach unserer Auffassung muss so etwas politisch gesteuert geschehen und sollte nicht zur Disposition der notgedrungen unabhängigen Europäischen Zentralbank stehen.
Klein: Aber noch mal die Nachfrage: Eine Klage in Karlsruhe, die jetzt noch mal von Peter Gauweiler eingereicht wurde, richtete sich ja auch gegen diese EZB-Entscheidung. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Sache noch nicht entschieden, es hat nur entschieden, dass es seine heutige Entscheidung nicht verschiebt. Die Frage ist natürlich auch, ob das der richtige Ort ist, oder ob es nicht vor den Europäischen Gerichtshof gehört. Sollten Klagen gegen diese Entscheidung da weiter verfolgt werden Ihrer Meinung nach?
Trittin: Das Bundesverfassungsgericht hat zur Europäischen Zentralbank bereits entschieden im Maastricht-Urteil und hat ausdrücklich seine Unabhängigkeit festgehalten. Das Bundesverfassungsgericht ist für Entscheidungen der EZB nicht das zuständige Gericht und deswegen war die Klage und ist die Klage von Herrn Gauweiler abwegig.
Klein: Aber Sie würden sich schon wünschen, dass er oder jemand anderes das noch mal weiterverfolgt auf europäischer Ebene?
Trittin: Nein. Ich halte es für richtig, dass die Bundesrepublik Deutschland das tut, was wir Grünen immer fordern, nämlich anstatt unbegrenzt durch Anleihenkauf in die Haftung zu gehen dieses zu tun durch einen Altschuldentilgungsfonds, der tatsächlich dafür sorgt, dass die Schulden in ganz Europa, die ja im wesentlichen verstaatlichte Bankschulden sind, dass wir das endlich runterbringen. Wir haben im Euro ein Verbot, die Schulden anderer Staaten aufzukaufen. Das ist vernünftig. Was wir brauchen und praktizieren müssen ist auch ein Verbot, dass wir Bankschulden aufkaufen. Genau das ist seit 2008 überall, übrigens auch in Deutschland, passiert.
Klein: Aber die EZB hat ja nun mal entschieden und sie konnte das, wie sie selbst sagt und wie auch viele Politiker sagen, weil sie unabhängig entscheiden darf. Der einzige, der im Gremium dagegen gestimmt hat, war Jens Weidmann, der Präsident der Bundesbank. Das heißt, es gab aus Deutschland direkt ein Veto. Nur machen kann ja niemand etwas dagegen.
Trittin: Nein, es gab kein Veto. Es gab die Haltung, ich stimme dagegen, weil die Annahme gesichert ist. Auch Herr Weidmann, auch die Bundesregierung wissen, dass man nicht tatenlos zusehen kann, wie die Zinsen in Spanien und Italien explodieren. Das macht alle Konsolidierungsbemühungen zunichte. Hier muss und hier musste etwas passieren, und da die sinnvollen Maßnahmen von Deutschland bis heute blockiert werden, weil die Koalition nicht handlungsfähig ist, musste die EZB handeln und sie hat dann zu dem Instrument gegriffen, was ihr zur Verfügung steht. Wenn es andere Instrumente gäbe, bräuchte sie solche Entscheidungen nicht zu treffen. Im übrigen gilt auch hier: eine Leistung und ein Aufkauf für solche Staatsanleihen wird es nur geben, wenn ein Land unter den Rettungsschirm des ESM kommt, und auch hier spielt am Ende der Deutsche Bundestag die entscheidende Rolle und nicht die Europäische Zentralbank.
Klein: Sie hören den Deutschlandfunk, ein Interview mit dem Fraktionschef der Grünen im Deutschen Bundestag, Jürgen Trittin. – Herr Trittin, ich würde gerne noch mal kurz auf ein Thema blicken, was gestern Abend sehr deutlich die Schlagzeilen dominiert hat hier in Deutschland. Es ging um Neuigkeiten aus dem NSU-Untersuchungsausschuss, um eine verschwundene Akte des MAD und die Tatsache, dass der Ausschuss offenbar nicht über Kontakte zum früheren Rechtsterroristen Mundlos informiert wurde. Wissen Sie inzwischen genug darüber, um sich bereits eine Meinung gebildet zu haben?
Trittin: Nach allem, was wir jetzt wissen, hat der MAD versucht, Herrn Mundlos als V-Mann anzuwerben.
Klein: Was der MAD bestreitet!
Trittin: Nach allem, was wir zusätzlich wissen, hat der MAD diese Tatsache und diese Akte dann versucht zu vertuschen. So viel zur Glaubwürdigkeit der Ausführungen des MAD. Dies ist nicht der erste, das ist der weiß nicht wie vielste Fall, dass Inlandsgeheimdienste der Bundesrepublik Deutschland in diesem Verfahren versuchen, die Aufklärung durch den Bundestag und durch den Untersuchungsausschuss hinters Licht zu führen. Das alles belegt nach meiner Auffassung, dass diese Dienste in dieser Form nicht zu reformieren sind. Verfassungsschutz, das Bundesamt für Verfassungsschutz, die diversen Landesämter für Verfassungsschutz und auch die Verhaltensweisen des MAD belegen, dass hier eine Mentalität Einzug gehalten hat, die offensichtlich fast geradezu genetisch in den Code dieser Behörden eingeschrieben ist. Nach meiner Auffassung kann es hierfür nur einen Weg geben, nämlich diese Behörden aufzulösen und einen kompletten personellen Neuanfang zu starten. Ob wir dafür 18 Inlandsgeheimdienste, also 16 in den Ländern, ein Bundesamt für Verfassungsschutz und einen MAD brauchen, kann man getrost bezweifeln. Aber mit diesen Institutionen und mit diesem Personal, was notorisch daran geht, das eigene Handeln gegenüber ihren Kontrollinstanzen zu vertuschen, mit diesen ist ein demokratisch gesteuerter Inlandsgeheimdienst, den wir brauchen, nicht möglich und deswegen brauchen wir einen kompletten Neuanfang.
Klein: …, sagt Jürgen Trittin, der Fraktionschef der Bündnis-Grünen im Deutschen Bundestag, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Trittin!
Trittin: Ich danke Ihnen, Frau Klein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Am Telefon begrüße ich Jürgen Trittin, der Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Trittin.
Jürgen Trittin: Guten Morgen, Frau Klein!
Klein: Die Mehrheit der Deutschen, Herr Trittin, ist froh, dass Karlsruhe sich die Pläne noch einmal vornimmt und überprüft. Sie auch?
Trittin: Ja, ich freue mich darüber. Ich hätte mich sogar noch mehr gefreut, wenn das Bundesverfassungsgericht mehr Zeit gefunden hätte dafür zu prüfen, weil Schwarz-Gelb die Ratifizierung des Staatsvertrages oder des völkerrechtlichen Vertrages über den Europäischen Stabilisierungsmechanismus über ein Jahr herausgezögert hat. Deswegen kam jetzt die Verzögerung beim in Kraft treten, deswegen muss das Bundesverfassungsgericht in einem Eilverfahren diese hoch komplexe Materie entscheiden. Die Entscheidungsunfähigkeit von Schwarz-Gelb produziert sozusagen den Notstand beim höchsten deutschen Gericht.
Klein: Nicht wenige Deutsche hoffen offenbar auch auf ein klar erkennbares Stoppschild, das Karlsruhe zeigt mit Blick auf die gegenwärtige Euro-Politik. Können Sie das auch nachvollziehen?
Trittin: Das werden wir heute Morgen um zehn sehen. Ich halte, nachdem wir Grüne gerade in der Frage der Beteiligung des Deutschen Bundestages in der vorletzten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts uns komplett durchgesetzt haben und damit sichergestellt ist, dass über ein neues Programm, dass über entsprechende Zustimmung zu neuen Maßnahmen die Bundesrepublik Deutschland im ESM der Deutsche Bundestag entscheidet und nicht die Regierung und nicht anonyme Mächte, da halte ich es für verfassungskonform - das es auch der Grund, warum die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, ich glaube, mit einer Ausnahme dem Vertrag über den Europäischen Stabilisierungsmechanismus zugestimmt hat. Wir brauchen einen solchen Krisenmechanismus, wenn wir weiterhin in einer gemeinsamen Währung leben wollen, in der Abwertungen ja nicht mehr möglich sind. Wie sollen anders Ungleichgewichte in einer solchen Währungsunion ausgeglichen werden? Deswegen ist ein solcher Krisenmechanismus unabdingbar, der hätte schon mit der Gründung des Euro eingeführt werden müssen.
Klein: Aber nun geht es ja auch um die Ausgestaltung oder vor allen Dingen um die Ausgestaltung dieses Krisenmechanismus, und eine Frage dabei ist: gibt es eigentlich einen kalkulierbaren unwiderruflichen Deckel auf diesem ESM? Gibt es eine Deckelung für die Haftung, für die ja auch unter anderem der deutsche Steuerzahler dann geradestehen muss? Ist es aus Ihrer Sicht ebenfalls zwingend notwendig, das zu prüfen und dann möglicherweise eine Obergrenze, die definitiv feststeht, einzuziehen?
Trittin: Für diesen gibt es eine, und das sind die Verträge und das ist die Entscheidung des Deutschen Bundestages, der nämlich bestimmt, wie viel Geld am Ende dafür zur Verfügung gestellt wird. Es gibt für einen anderen Teil gemeinsamer europäischer Haftung keinen Deckel mehr, das ist der Teil der gemeinsamen Haftung innerhalb der Europäischen Zentralbank. Dort liegen heute schon 208 Milliarden Staatsanleihen aus Krisenstaaten. Das ist mit der Verweigerung eines Altschuldentilgungsfonds, den die Bundesregierung bis heute blockiert, der eine begrenzte Vergemeinschaftung von Staatsschulden gewesen wäre, provoziert worden. Nunmehr wird die Europäische Zentralbank im Krisenfall, um die gemeinsame Währung zu erhalten, Staatsanleihen unbegrenzt aufkaufen und dafür haften wir. Nur das hat mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus nichts zu tun, der ist dagegen ein wohl organisiertes und politisch gesteuertes Projekt.
Klein: Na ja, ohne diesen ESM wird es auch den EZB-Entscheidungen nicht kommen. Aber ich verstehe Sie richtig, dass Sie diese Entscheidung der EZB, unbegrenzt Staatsanleihen aufzukaufen, aufkaufen zu können, ebenfalls für bedenklich und für eine Entscheidung halten, die rückgängig gemacht werden sollte?
Trittin: Es gibt eine bessere Alternative, das ist der Altschuldentilgungsfonds, der eben den schrittweisen Schuldenabbau kombiniert mit einer begrenzten und eben nicht unlimitierten gemeinsamen Haftung. Schwarz-Gelb tut immer so, als gäbe es keine gemeinsame Haftungen; die gibt es, die gibt es schon lange, die wird es auch weiterhin geben. Es geht nicht um das ob, sondern es geht um das wie, und nach unserer Auffassung muss so etwas politisch gesteuert geschehen und sollte nicht zur Disposition der notgedrungen unabhängigen Europäischen Zentralbank stehen.
Klein: Aber noch mal die Nachfrage: Eine Klage in Karlsruhe, die jetzt noch mal von Peter Gauweiler eingereicht wurde, richtete sich ja auch gegen diese EZB-Entscheidung. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Sache noch nicht entschieden, es hat nur entschieden, dass es seine heutige Entscheidung nicht verschiebt. Die Frage ist natürlich auch, ob das der richtige Ort ist, oder ob es nicht vor den Europäischen Gerichtshof gehört. Sollten Klagen gegen diese Entscheidung da weiter verfolgt werden Ihrer Meinung nach?
Trittin: Das Bundesverfassungsgericht hat zur Europäischen Zentralbank bereits entschieden im Maastricht-Urteil und hat ausdrücklich seine Unabhängigkeit festgehalten. Das Bundesverfassungsgericht ist für Entscheidungen der EZB nicht das zuständige Gericht und deswegen war die Klage und ist die Klage von Herrn Gauweiler abwegig.
Klein: Aber Sie würden sich schon wünschen, dass er oder jemand anderes das noch mal weiterverfolgt auf europäischer Ebene?
Trittin: Nein. Ich halte es für richtig, dass die Bundesrepublik Deutschland das tut, was wir Grünen immer fordern, nämlich anstatt unbegrenzt durch Anleihenkauf in die Haftung zu gehen dieses zu tun durch einen Altschuldentilgungsfonds, der tatsächlich dafür sorgt, dass die Schulden in ganz Europa, die ja im wesentlichen verstaatlichte Bankschulden sind, dass wir das endlich runterbringen. Wir haben im Euro ein Verbot, die Schulden anderer Staaten aufzukaufen. Das ist vernünftig. Was wir brauchen und praktizieren müssen ist auch ein Verbot, dass wir Bankschulden aufkaufen. Genau das ist seit 2008 überall, übrigens auch in Deutschland, passiert.
Klein: Aber die EZB hat ja nun mal entschieden und sie konnte das, wie sie selbst sagt und wie auch viele Politiker sagen, weil sie unabhängig entscheiden darf. Der einzige, der im Gremium dagegen gestimmt hat, war Jens Weidmann, der Präsident der Bundesbank. Das heißt, es gab aus Deutschland direkt ein Veto. Nur machen kann ja niemand etwas dagegen.
Trittin: Nein, es gab kein Veto. Es gab die Haltung, ich stimme dagegen, weil die Annahme gesichert ist. Auch Herr Weidmann, auch die Bundesregierung wissen, dass man nicht tatenlos zusehen kann, wie die Zinsen in Spanien und Italien explodieren. Das macht alle Konsolidierungsbemühungen zunichte. Hier muss und hier musste etwas passieren, und da die sinnvollen Maßnahmen von Deutschland bis heute blockiert werden, weil die Koalition nicht handlungsfähig ist, musste die EZB handeln und sie hat dann zu dem Instrument gegriffen, was ihr zur Verfügung steht. Wenn es andere Instrumente gäbe, bräuchte sie solche Entscheidungen nicht zu treffen. Im übrigen gilt auch hier: eine Leistung und ein Aufkauf für solche Staatsanleihen wird es nur geben, wenn ein Land unter den Rettungsschirm des ESM kommt, und auch hier spielt am Ende der Deutsche Bundestag die entscheidende Rolle und nicht die Europäische Zentralbank.
Klein: Sie hören den Deutschlandfunk, ein Interview mit dem Fraktionschef der Grünen im Deutschen Bundestag, Jürgen Trittin. – Herr Trittin, ich würde gerne noch mal kurz auf ein Thema blicken, was gestern Abend sehr deutlich die Schlagzeilen dominiert hat hier in Deutschland. Es ging um Neuigkeiten aus dem NSU-Untersuchungsausschuss, um eine verschwundene Akte des MAD und die Tatsache, dass der Ausschuss offenbar nicht über Kontakte zum früheren Rechtsterroristen Mundlos informiert wurde. Wissen Sie inzwischen genug darüber, um sich bereits eine Meinung gebildet zu haben?
Trittin: Nach allem, was wir jetzt wissen, hat der MAD versucht, Herrn Mundlos als V-Mann anzuwerben.
Klein: Was der MAD bestreitet!
Trittin: Nach allem, was wir zusätzlich wissen, hat der MAD diese Tatsache und diese Akte dann versucht zu vertuschen. So viel zur Glaubwürdigkeit der Ausführungen des MAD. Dies ist nicht der erste, das ist der weiß nicht wie vielste Fall, dass Inlandsgeheimdienste der Bundesrepublik Deutschland in diesem Verfahren versuchen, die Aufklärung durch den Bundestag und durch den Untersuchungsausschuss hinters Licht zu führen. Das alles belegt nach meiner Auffassung, dass diese Dienste in dieser Form nicht zu reformieren sind. Verfassungsschutz, das Bundesamt für Verfassungsschutz, die diversen Landesämter für Verfassungsschutz und auch die Verhaltensweisen des MAD belegen, dass hier eine Mentalität Einzug gehalten hat, die offensichtlich fast geradezu genetisch in den Code dieser Behörden eingeschrieben ist. Nach meiner Auffassung kann es hierfür nur einen Weg geben, nämlich diese Behörden aufzulösen und einen kompletten personellen Neuanfang zu starten. Ob wir dafür 18 Inlandsgeheimdienste, also 16 in den Ländern, ein Bundesamt für Verfassungsschutz und einen MAD brauchen, kann man getrost bezweifeln. Aber mit diesen Institutionen und mit diesem Personal, was notorisch daran geht, das eigene Handeln gegenüber ihren Kontrollinstanzen zu vertuschen, mit diesen ist ein demokratisch gesteuerter Inlandsgeheimdienst, den wir brauchen, nicht möglich und deswegen brauchen wir einen kompletten Neuanfang.
Klein: …, sagt Jürgen Trittin, der Fraktionschef der Bündnis-Grünen im Deutschen Bundestag, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Trittin!
Trittin: Ich danke Ihnen, Frau Klein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.