Dina Netz: Nach einem jahrelangen Rechtsstreit hat das Bundesverfassungsgericht im Oktober das Erscheinen des Romans endgültig untersagt. Das war sozusagen die verlegerische Ebene. Jetzt kommt aber noch die persönliche. Billers Ex und ihre Mutter haben auch auf Schadenersatz geklagt. Heute hat das Münchener Landgericht entschieden, die Exfreundin bekommt 50.000 Euro.
Der Fall der Mutter muss noch einmal einzeln verhandelt werden. Ich bin jetzt verbunden mit Rainer Dresen, Justiziar der Verlagsgruppe Random House. Herr Dresen, wer muss diese 50.000 Euro jetzt eigentlich zahlen, der Verlag Kiepenheuer & Witsch, Maxim Biller oder irgendeine Versicherung?
Rainer Dresen: Die Klage richtete sich sowohl gegen den Autor als auch gegen den Verlag, und zwar in deren Eigenschaft als sogenannte Gesamtschuldner. Das heißt, die Klägerin kann sich, wenn dieses Urteil in den weiteren Instanzen Bestand haben sollte, aussuchen, gegen wen sie irgendwann mal den Gerichtsvollzieher losschickt. Im Zweifel sucht man sich dann den aus, der mehr Geld hat.
Netz Den Verlag.
Dresen: Der wiederum kann sich dann im sogenannten Innenverhältnis von seinem anderen Mitverklagten den Anteil holen, der vielleicht gerechterweise ihm zustehen würde. Das kann den Klägern aber egal sein. Die können sich aussuchen, an wen sie sich halten.
Netz Billers Verlag Kiepenheuer & Witsch sagt heute, 50.000 Euro, das sei grotesk, unangemessen. Und der Verband Deutscher Schriftsteller pustet ins selbe Horn, der hält die Summe für deutlich überzogen. Finden Sie das auch?
Dresen: Ich würde gar nicht mal so weit gehen, dass ich mich über die Summe groß aufregen würde, sondern als betroffener Verlagsjustiziar, der mit solchen Fällen immer zu tun hat, stört mich schon grundsätzlich, dass überhaupt eine Geldentschädigung ausgeurteilt wurde in erster Instanz. Denn Geldentschädigung ist ja was anderes als Schadensersatz. Das ist eine Möglichkeit, Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion zu erhalten. Und das ist was ganz anderes als Schadensersatz und setzt vor allem voraus, nicht nur, dass eine Persönlichkeitsrechtsverletzung bestätigt wurde, das ist ja schon in allen Instanzen passiert, weil das ja auch noch schwerwiegend sei.
Netz Genau, danach ist das Erscheinen des Buches dann verboten worden.
Dresen: Und darüber kann man sich trefflich streiten, ob hier tatsächlich eine schwerwiegende vorliegt. Denn das ist eine Ebene, auf der die Kunstfreiheit nämlich sehr, sehr stark zu gewichten ist. Und nachdem, was ich von dem Urteil bisher gelesen hab, ist es nicht in dem Maße passiert, wie es nötig wäre, wobei ich glaube, das wird in den weiteren Instanzen sicherlich noch ein bisschen stärker das Thema werden.
Netz Wie kann man denn überhaupt Schaden durch ein Buch haben? Sie sagen gerade, es muss ein schwerwiegender Schaden sein, von dem es eigentlich nur eine einzige Auflage gibt.
Dresen: Es ist, wie gesagt, eben nicht gerade Schadensersatz, was eingeklagt wurde, sondern Schmerzensgeld, juristisch auch Geldentschädigung genannt. Da wird all das eingeklagt, was nicht schon im Wege des Schadensersatzes verlangt werden könnte. Und Voraussetzung ist tatsächlich hier, dass etwas passiert ist, was ausgeglichen werden musste, wofür Genugtuung erfolgen muss, und zwar auf eine Art und Weise, die bisher nicht schon möglich war. Bisher ist kein Schadensersatz verlangt worden, sondern es ist Unterlassung verlangt worden und darüber hinaus jetzt Geldentschädigung. Das ist unabhängig von den verkauften Exemplaren, sondern es geht einfach darum, dass in einem Buch jemand in seiner Intimsphäre verletzt ist. Wie viel Leute dieses Buch gelesen haben, gekauft haben, ist dafür völlig irrelevant.
Netz Herr Dresen, ist das denn jetzt ein Präzedenzfall? Hat es jemals einen anderen Fall gegeben, in dem eine Figur, die sich in einem Buch wiedererkannte, eine Person, die sich in einer Figur wiedererkannte, Schmerzensgeld zugesprochen bekam?
Dresen: Meines Erachtens nicht. Ich hatte schon Fälle, wo so was schon versucht wurde, aber abgelehnt wurde. Es gibt unzählige Fälle, wo jemand Unterlassungsansprüche aus Büchern herleitet. Aber Schmerzensgeld ist meines Erachtens ein Novum, und das sollte auch, wenn es geht, vermieden werden, weil das natürlich für künftige Kläger Tür und Tor öffnet. Wenn nicht nur Bücher verboten können, was schon reizvoll für viele ist, sondern wenn auch Geld damit gemacht werden kann, das wird sicherlich eine Klagewelle verursachen, die kein Verlag letztlich hinnehmen kann.
Netz Vermuten Sie, dass das Urteil Einfluss haben wird auf das Klima bei Autoren und Verlagen? Wird man jetzt vorsichtiger sein bei dem, was man schreibt?
Dresen: Die meisten Verlage sind jetzt schon vorsichtiger, weil die Verlage trifft natürlich sehr ein Publikationsverbot, wenn Bücher vernichtet werden müssen. Autoren und auch die Öffentlichkeit reagieren viel stärker, ist meine Vermutung, auf Schmerzensgeld, weil es viel weniger abstrakt ist als ein Buchverbot. Es ist klar, bei einem Schmerzensgeld von zigtausend Euro kann sich jeder vorstellen, das wird sicherlich viele beeindrucken und sicherlich eine starke Änderung auch in der Herangehensweise hervorrufen. Viele Verlage ändern schon sehr viel, und meine Aufgabe zum Beispiel ist wirklich sehr stark Manuskriptprüfung. Es gibt viele Verlage, die das noch nicht machen, auch weil das kostenintensiv, zeitintensiv ist. Es wird bald keinen Verlag mehr geben, der sich das leisten kann, Manuskripte ungeprüft zu veröffentlichen, Sachbücher und Romane.
Netz Ich danke Ihnen sehr für diese Einschätzung! Das war Rainer Dresen, der Justiziar der Verlagsgruppe Random House über die neueste Kapriole im Fall "Esra".
Der Fall der Mutter muss noch einmal einzeln verhandelt werden. Ich bin jetzt verbunden mit Rainer Dresen, Justiziar der Verlagsgruppe Random House. Herr Dresen, wer muss diese 50.000 Euro jetzt eigentlich zahlen, der Verlag Kiepenheuer & Witsch, Maxim Biller oder irgendeine Versicherung?
Rainer Dresen: Die Klage richtete sich sowohl gegen den Autor als auch gegen den Verlag, und zwar in deren Eigenschaft als sogenannte Gesamtschuldner. Das heißt, die Klägerin kann sich, wenn dieses Urteil in den weiteren Instanzen Bestand haben sollte, aussuchen, gegen wen sie irgendwann mal den Gerichtsvollzieher losschickt. Im Zweifel sucht man sich dann den aus, der mehr Geld hat.
Netz Den Verlag.
Dresen: Der wiederum kann sich dann im sogenannten Innenverhältnis von seinem anderen Mitverklagten den Anteil holen, der vielleicht gerechterweise ihm zustehen würde. Das kann den Klägern aber egal sein. Die können sich aussuchen, an wen sie sich halten.
Netz Billers Verlag Kiepenheuer & Witsch sagt heute, 50.000 Euro, das sei grotesk, unangemessen. Und der Verband Deutscher Schriftsteller pustet ins selbe Horn, der hält die Summe für deutlich überzogen. Finden Sie das auch?
Dresen: Ich würde gar nicht mal so weit gehen, dass ich mich über die Summe groß aufregen würde, sondern als betroffener Verlagsjustiziar, der mit solchen Fällen immer zu tun hat, stört mich schon grundsätzlich, dass überhaupt eine Geldentschädigung ausgeurteilt wurde in erster Instanz. Denn Geldentschädigung ist ja was anderes als Schadensersatz. Das ist eine Möglichkeit, Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion zu erhalten. Und das ist was ganz anderes als Schadensersatz und setzt vor allem voraus, nicht nur, dass eine Persönlichkeitsrechtsverletzung bestätigt wurde, das ist ja schon in allen Instanzen passiert, weil das ja auch noch schwerwiegend sei.
Netz Genau, danach ist das Erscheinen des Buches dann verboten worden.
Dresen: Und darüber kann man sich trefflich streiten, ob hier tatsächlich eine schwerwiegende vorliegt. Denn das ist eine Ebene, auf der die Kunstfreiheit nämlich sehr, sehr stark zu gewichten ist. Und nachdem, was ich von dem Urteil bisher gelesen hab, ist es nicht in dem Maße passiert, wie es nötig wäre, wobei ich glaube, das wird in den weiteren Instanzen sicherlich noch ein bisschen stärker das Thema werden.
Netz Wie kann man denn überhaupt Schaden durch ein Buch haben? Sie sagen gerade, es muss ein schwerwiegender Schaden sein, von dem es eigentlich nur eine einzige Auflage gibt.
Dresen: Es ist, wie gesagt, eben nicht gerade Schadensersatz, was eingeklagt wurde, sondern Schmerzensgeld, juristisch auch Geldentschädigung genannt. Da wird all das eingeklagt, was nicht schon im Wege des Schadensersatzes verlangt werden könnte. Und Voraussetzung ist tatsächlich hier, dass etwas passiert ist, was ausgeglichen werden musste, wofür Genugtuung erfolgen muss, und zwar auf eine Art und Weise, die bisher nicht schon möglich war. Bisher ist kein Schadensersatz verlangt worden, sondern es ist Unterlassung verlangt worden und darüber hinaus jetzt Geldentschädigung. Das ist unabhängig von den verkauften Exemplaren, sondern es geht einfach darum, dass in einem Buch jemand in seiner Intimsphäre verletzt ist. Wie viel Leute dieses Buch gelesen haben, gekauft haben, ist dafür völlig irrelevant.
Netz Herr Dresen, ist das denn jetzt ein Präzedenzfall? Hat es jemals einen anderen Fall gegeben, in dem eine Figur, die sich in einem Buch wiedererkannte, eine Person, die sich in einer Figur wiedererkannte, Schmerzensgeld zugesprochen bekam?
Dresen: Meines Erachtens nicht. Ich hatte schon Fälle, wo so was schon versucht wurde, aber abgelehnt wurde. Es gibt unzählige Fälle, wo jemand Unterlassungsansprüche aus Büchern herleitet. Aber Schmerzensgeld ist meines Erachtens ein Novum, und das sollte auch, wenn es geht, vermieden werden, weil das natürlich für künftige Kläger Tür und Tor öffnet. Wenn nicht nur Bücher verboten können, was schon reizvoll für viele ist, sondern wenn auch Geld damit gemacht werden kann, das wird sicherlich eine Klagewelle verursachen, die kein Verlag letztlich hinnehmen kann.
Netz Vermuten Sie, dass das Urteil Einfluss haben wird auf das Klima bei Autoren und Verlagen? Wird man jetzt vorsichtiger sein bei dem, was man schreibt?
Dresen: Die meisten Verlage sind jetzt schon vorsichtiger, weil die Verlage trifft natürlich sehr ein Publikationsverbot, wenn Bücher vernichtet werden müssen. Autoren und auch die Öffentlichkeit reagieren viel stärker, ist meine Vermutung, auf Schmerzensgeld, weil es viel weniger abstrakt ist als ein Buchverbot. Es ist klar, bei einem Schmerzensgeld von zigtausend Euro kann sich jeder vorstellen, das wird sicherlich viele beeindrucken und sicherlich eine starke Änderung auch in der Herangehensweise hervorrufen. Viele Verlage ändern schon sehr viel, und meine Aufgabe zum Beispiel ist wirklich sehr stark Manuskriptprüfung. Es gibt viele Verlage, die das noch nicht machen, auch weil das kostenintensiv, zeitintensiv ist. Es wird bald keinen Verlag mehr geben, der sich das leisten kann, Manuskripte ungeprüft zu veröffentlichen, Sachbücher und Romane.
Netz Ich danke Ihnen sehr für diese Einschätzung! Das war Rainer Dresen, der Justiziar der Verlagsgruppe Random House über die neueste Kapriole im Fall "Esra".