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Essad Bey: "Georgien – Ein Wunderland, ein Märchenland"
Fantastische Geschichten einer schillernden Gestalt

Er war der Sohn eines jüdischen Ölbarons, der sich gern in orientalischer Aufmachung zeigte. Der rätselhafte Essad Bey alias Lew Nussimbaum schrieb ein Buch über das Kaukasusland Georgien, das zwischen Dichtung und Wahrheit oszilliert. Ein historisches Fundstück und ein wahres Lesevergnügen.

Von Dorothea Dieckmann |
Essad Beys "Georgien - Ein Wunderland, ein Märchenland" und der Blick auf den Tuscheti Nationalparkt
Betrachtungen des Kaukasus aus der Sicht eines exotischen Fremdlings (Buchcover Arco Verlag / Hintergrund: picture alliance / Rainer Hackenberg)
Berlin 1922. Ein seltsamer Student belegt an der Universität die Fächer Türkisch, Arabisch und Islamwissenschaft: Essad Bey nennt sich der 17-Jährige, der aus seiner aserbeidschanischen Heimatstadt Baku vor den Bolschewisten geflohen ist. Bald darauf wird der polyglotte junge Mann zum Orientexperten der Wochenzeitung "Die Literarische Welt". Mit 24 veröffentlicht er die opulent erzählte, autobiografisch gefärbte Schrift "Öl und Blut im Orient". In diesem ersten von vielen Bestsellern verbreitet er die Legende, sein Vater sei ein moslemischer Aristokrat, seine Mutter eine russische Revolutionärin gewesen. Dabei war Essad Bey, der gern in orientalischer Aufmachung auftrat, ein zum Islam übergetretener Sohn jüdischer Eltern mit ursprünglichem Namen Lew Nussimbaum. 1931 erschien seine populäre Darstellung "Der Kaukasus. Seine Berge, Völker und Geschichte." Die Absicht, so erklärt der Autor im Vorwort, sei ein Buch,
"das das ganze Land [des Kaukasus] möglichst zusammenhängend und umfassend betrachtet, dieses seltsame Land, das ja (...) eine wunderliche Einheit darstellt (...). Mit Armenien beginnend, zieht sich die Reihe der Kaukasusländer nordwärts über das islamische Aserbeidjan in die grauen Gipfel der daghestanischen Berge, von da aus über die Wälder Tschetscheniens nach dem westlichen Nordkaukasus, dem Sitze der sagenhaften Tscherkessen, und dann wieder nach dem Süden, nach Georgien, dem kulturell bedeutendsten Lande des Kaukasus."
Feier der Superlative
Seit seiner Ankunft in Europa hat Essad Bey den asiatischen Kontinent nie wieder betreten. Doch die georgischen Städte Tiflis und Batumi waren Stationen seiner Flucht gewesen. Sein Vater stammte von dort. Und schließlich hat sein Biograph Tom Reiss vor zehn Jahren in minutiösen Recherchen die umstrittene Autorschaft des weltberühmten Romans "Ali und Nino" erforscht. Seither besteht kaum noch Zweifel, dass Lew Nussimbaum alias Essad Bey unter dem weiteren Pseudonym Kurban Said die leichtfüßige Liebesgeschichte zwischen einem aserbeidschanischen Moslem und einer georgischen Christin geschrieben hat, die eine wunderbar tolerante Haltung beweist. Vor dem Hintergrund dieser Bezüge hat der Arco Verlag aus Essad Beys Kaukasusbuch eine Auswahl zum Thema Georgien getroffen. Der Titel "Georgien – ein Wunderland, ein Märchenland" ist einer der Passagen entnommen, in denen sich die Superlative häufen:
"Generationen von Malern gingen nach Alasan, und ihr Urteil war einstimmig – es gibt kein schöneres Tal in der Welt. (...) Dort wächst der beste Wein der Welt (...) Georgien, ein Märchenland, ein Wunderland. Oft wird der Satz missbraucht:'Paradies auf Erden'. Hier ist er am Platze; denn wenn es auf Erden ein Paradies gibt, so ist es Georgien."
Blut und Schwefel
Das Bild, das Essad Bey von Georgien entwirft, schillert ebenso zwischen Dichtung und Wahrheit, folkloristischer Inszenierung und aufrichtigem Porträt wie sein Selbstbild als exotischer Fremdling im europäischen Exil. Der Rundumschlag von Geschichte und Ethnographie über Geographie und Architektur bis zu Kunst und Literatur ist mit ausschweifender Rhetorik, anekdotischen Blitzlichtern und überschwänglichen Wertungen gesättigt. Essad Beys Blick auf den Osten findet nicht im Bericht, sondern in der Erzählung zur Sprache, sehnsüchtig, schwärmerisch, staunend. Genau das macht die Lektüre nicht nur vergnüglicher, sondern auch ehrlicher als manch sogenannte neutrale Darstellung, die ihre Allgemeinplätze mit Statistiken anreichert. Dennoch tendiert der Ton in manchmal schwer erträglicher Weise zum Kitsch einer Geschichtsschreibung, die "Glanz und Elend" distanzlos als gleichermaßen sensationell feiert. Georgien beschreibt er als Schwelle zwischen Europa und Asien, die Hauptstadt Tiflis als Hybrid aus Paris und Babylon. Hier mischen sich nicht Öl und Blut, sondern Blut und Schwefel:
"Tphilisi – die Warme – heißt die Stadt bei den Georgiern. Denn warme Schwefelquellen springen aus dem Felsenbecken, in dem die Stadt liegt. (...) In der heißen Schwefelquelle badeten die Herrscher, die die Stadt bezwangen (...); sie alle nahmen das Schwefelbad, nachdem sie des Blutbades genug hatten. (...) Auch der finstre Mann, der heute in der Herrscherquelle badet, muss das Blut Georgiens von seinem Körper abwaschen, dasselbe Georgierblut, das in seinen Adern fließt: Josef Dschugaschwili heißt dieser Georgier, und Stalin wird er genannt."
Romantischer Überschwang
Obwohl seit seiner Flucht vor den Oktoberrevolutionären ein glühender Antibolschewist, verzichtet Essad Bey auch beim Thema Stalin nicht auf heroisches Pathos. Das macht jedoch diesen jüdischen Verwandlungskünstler trotz seiner wirren politischen Ansichten, wie einer abstrusen Sympathie zum Mussolini-Faschismus, nicht zu einem reaktionären Chauvinisten; sein literarisierender Stil leidet eher an einem Zuviel an romantischem Überschwang. Hingebungsvoll schildert er auch die Entwicklung der georgischen Literatur, von dem Dichter Rustaveli, der im "Goldenen Zeitalter" unter Königin Tamar wirkte, bis zu Grigol Robakidse, der ebenfalls vor den Sowjets nach Berlin floh und das Georgienbild des Jüngeren beeinflusste. Auf die Verbindungen zwischen Exilierten aus dem Kaukasus, orientbegeisterten Europäern und einem jüdischen, islamfreundlichen Orientalismus jener Zeit weist der Herausgeber Christoph Haacker hin. Sein Nachwort, die sorgfältigen Anmerkungen, vor allem aber der Bildteil machen das Buch zu einer Besonderheit unter den Publikationen zu Georgien. Nicht zuletzt trägt es dazu bei, den Autor wieder bekannt zu machen, von dem der Islamwissenschaftler Stefan Weidner sagte:

"Essad Bey ist ein Simplicissimus des 20. Jahrhunderts, nur dass der Orient sich seit 1914 nicht in einem dreißigjährigen, sondern einem über hundertjährigen Krieg befindet."
Essad Bey: "Georgien – Ein Wunderland, ein Märchenland".
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Christoph Haacker.
Arco Verlag, Wuppertal.
192 Seiten, 16 Euro.