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Essayband "Klasse und Kampf"
Geschichten aus der deutschen Unterschicht

Ist es zeitgeistiger über Rassismus und Sexismus zu reden, als über Klassismus? Vielleicht. "Aber der Dreiklang Race-Class-Gender gehört immer zusammen“, sagte Autor Christian Baron im Dlf. Er hat mit Lektorin Maria Barankow und einem Dutzend Prominenter eine Anthologie herausgebracht, die es in sich hat.

Christian Baron im Corsogespräch mit Kolja Unger | 29.03.2021
Revolutionäre 1. Mai Demo 2014 in Berlin Kreuzberg
Tritt die Frage nach Sozialpolitik in den Hintergrund? Zumindest nicht bei den 1.-Mai-Demonstrationen wie hier in Berlin (Archivbild) (picture alliance / dpa / Ole Spata)
Wir sprechen häufig über Rassismus und Sexismus. Aber ein ganz wichtiges Identitätskriterium für die Frage, welche Chancen wir im Leben und in der Gesellschaft haben, wird derzeit weniger beleuchtet als früher: das der sozialen Klasse. Das ist auch der Grund, warum viele Debatten oft so abgehoben wirken, denn viele Leute, die über Identitätspolitik debattieren, haben einen Uni-Abschluss und kommen aus einerm Haushalt mit Akademiker-Eltern.

14 Geschichten über Ausbeutung

Identitätspolitik und Sozialpolitik gehören zusammen, haben Verbindungen zueinander, etwa wenn es um Ausbeutung geht. Deren Grad, das stellen der Autor Christian Baron und seine Lektorin Maria Barankow fest, "war in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nie größer als heute". Ihr Buch "Klasse und Kampf" ist soeben erschienen und zeigt anhand 14 Geschichten auf, wie sich dieser Umstand auf Identität auswirkt. Geschrieben haben sie so prominente Kulturmenschen wie unter anderem Bov Bjerg, Lucy Fricke, Schorsch Kamerun und Sharon Dodua Otoo.
"Was häufig hinten runter fällt, ist, dass kein Diversity-Konzept vollständig ist, ohne die Dimension der sozialen Klasse", sagte Christian Baron im Deutschlandfunk. Alle Autoren und Autorinnen des Buches haben etwas Biografisches über das Thema "soziale Frage" zu sagen, wie er erklärte. "Man muss das Leid, über das man schreibt, nicht am eigenen Leib erfahren haben, und ist es bei der Art dieses Buches wichtig gewesen, weil wir eine Art Manifest formulieren." Das erfordere auch Mut.
Zum Beispiel Clemens Meyer: Er werde immer als der "Schriftsteller der kleinen Leute" bezeichnet und setze sich dagegen immer zur Wehr. Und in dem Buch trete er nun als jemand auf, der diese eigenen Erfahrung hatte, "ganz offen, ohne Fiktionsbehauptungen. Das kann ermutigend und ermächtigend wirken."

"Altern und Pflege, das ist eine Gemeinschaftsaufgabe"

Deutschland soll immer ein sozialer Bundesstaat bleiben - "diesen Artikel gibt es auch im Grundgesetz", betonte Baron. Dies sagte er vor dem Hintergrund seiner eigenen Familiengeschichte: Seine Tante wusste nicht, wie sie die Beerdigung ihres Vaters bezahlen sollte, nachdem sie ihn jahrelang - neben ihrem Job als Putzkraft in einer Spielothek - selbst gepflegt hatte. Diese Aufgabe müsse der Staat übernehmen, womit allerdings keine Bürokratie gemeint sei, sondern die Gemeinschaft. "Altern und Pflege, das ist eine Gemeinschaftsaufgabe."