Helden haben es nicht leicht. Im Leben nicht und schon gar nicht in der Literatur. Was da so heroisch daherkommt, hoch zu Ross, glänzend und aufrecht, weder Tod noch Teufel fürchtet, muss oft mühsam in den Sattel gehoben werden und sich in Eisenrüstungen kleiden, um nicht in sich zusammenzufallen. In Ihrem Essayband "Heimliche Helden" nimmt Ulrike Draesner sich gleich zu Beginn den Heldenmythos der Deutschen schlechthin vor, das Nibelungenlied, um ihn lustvoll zu sezieren. Was insbesondere von den Nationalsozialisten als Inbegriff des Deutschen Heldentums propagiert wurde, entpuppt sich bei genauerer Analyse als Konstrukt im Dienste einer Ideologie. Auch wenn sie in Drachenblut baden und aufmüpfige Zwergenkönige samt ihren Heerscharen metzeln, so heroisch erscheinen die Helden des Mittelalters keineswegs. Mitunter, findet Ulrike Draesner, wirken sie reichlich tollpatschig.
"Der Held wird von seiner Ehefrau, die keine Lust zum Beischlaf hat, gepackt und am Nagel an der Wand aufgehängt. Und da lässt sie ihn die Nacht über zappeln, damit sie mal ruhig schlafen kann. Und dann nimmt sie ihn wieder ab. Das ist großartig komisch, und der Held hat Lücken und Schwächen. Ihm zur Seite steht von Anfang an auch der Held der Reden. Also derjenige, Hagen, der kommuniziert, überall Informationen einholt und wie eine große Spinne im Netz verwaltet. Diese Doppelung auch des Helden, die fand ich sehr spannend in Bezug auf das Schreiben selbst, den Schreibprozess. Also der Held in der Literatur – was ist das denn?"
Heimlich bedeutet auch "vertraulich" oder "vertraut"
Diese Frage stellt sich Ulrike Draesner in ihren Essays über Heinrich von Kleist, James Joyce, Thomas Mann, Gottfried Benn und anderen. Um das Wortpaar "Heimliche Helden" gleich zu Beginn in seiner schönen Mehrdeutigkeit erstrahlen zu lassen, stellt Ulrike Draesner ihrem Buch eine Erklärung des Wortes "heimlich" voran, das im Mittelhochdeutschen sowohl "verborgen" oder "geheim" als auch "vertraulich" oder "vertraut" bedeuten kann.
"Es sind mir vertraute Autoren, die mich zum Teil wirklich schon seit vielen Jahren bis Jahrzehnten begleiten, also noch aus der Schulzeit, Kleist oder Benn zum Beispiel oder Werke wie das Nibelungenlied. Das also heimlich, die Nähe. Und zum anderen die Heimlichkeit in den Schreibbewegungen dieser Autoren, die zum Teil auch sehr einschneidende Erfahrungen gemacht haben mit Krieg, mit Schlachten."
Ulrike Draesner sucht nach Spuren des Heldentums in den Biografien der ihr vertrauten Autoren, aber auch in deren Werken. So präsentiert sie ein breit gefächertes Spektrum von Heldenstrategien und heroischen Mustern - vom Klischeebild des eisernen Recken im "Nibelungenlied", der seinen Kopf hinhält und seine liebe Mühe hat, den Erwartungen der anderen, weniger heldenhaften Zeitgenossen gerecht zu werden, bis hin zu einem gestrauchelten Dichterhelden wie Gottfried Benn, der sich 1950 in seinem Buch "Doppelleben" auf Schlängelwegen durch die finstren Stellen seiner Biografie bewegt, um sich wieder ins rechte Licht zu rücken. In Hans-Joachim Schädlichs Roman "Anders" wird ebenso wie in Thomas Manns "Felix Krull" gelogen, dass sich die Balken biegen.
Ulrike Draesner spricht von "Lügenhelden" oder Helden "der eigenen Verwischung". Das Heldentum wird zur Behauptung, zur Fiktion. Das verbindet diese Romanhelden mit ihren Schöpfern, den Heroen des Wortes. Sie erfinden Geschichten und überleben. Die "wahren" Helden sterben im Gefecht. "Held ist", heißt es bei Ulrike Draesner, "wer sich sein Leben für die Zwecke anderer nehmen beziehungsweise stehlen lässt".
"Das ist derjenige, der bereit ist, sich zu opfern, das kennen wir ja auch aus Kriegsideologie. Aber aus der Perspektive der Person, die zum Helden gemacht wird, zeigt das natürlich auch diese unglaubliche Ambivalenz dieses Daseins. Held ist nichts Stabiles. Held zu sein, heißt, sich in einem absolut prekären Zustand zu befinden."
Wie jemand versucht, sich nicht zum Helden machen zu lassen, demonstriert Ulrike Draesner am Beispiel Karl Valentins. Immer wieder gab es Versuche der Nationalsozialisten, den Komiker aus der Münchner Au als "Volksunterhalter" vor ihren Propagandakarren zu spannen. Valentin entzog sich der politischen Vereinnahmung. Das Vorhaben, ihn nach Polen zur abendlichen Unterhaltung beim Fronteinsatz zu schicken, scheiterte daran, dass Valentin aus Angst vor Geschwindigkeiten über 30 Kilometer pro Stunde verlangte, in einer Kutsche gefahren zu werden. Ein im Buch abgedrucktes Foto zeigt Karl Valentin 1936 allein in den Sitzreihen des leeren Olympiastadions. Er war zu den Olympischen Spielen einen halben Tag zu spät gekommen. Seine Reise von München nach Berlin hatte 14 1/2 Tage gedauert. Auch eine Form des heimlichen Heldentums, meint Ulrike Draesner.
"Ich fand das so schön bei Karl Valentin, weil es dann auch aus den 40er-Jahren, unmittelbar nach dem Krieg, ein Interview mit ihm gibt, wo jemand ihn befragt, ein Schweizer Journalist. Er sei ja nie Mitglied der NSDAP gewesen. Und Valentin sagt, nein, das war er nicht, weil niemand gekommen sei und ihn gefragt habe. Und der Schweizer Journalist, schon leicht empört, fragt zurück: "Und wenn jemand gekommen wäre, was hätten Sie dann gemacht?" Und er sagt: "Ja, dann wäre ich wahrscheinlich Mitglied geworden. Denn wissen Sie, da gab es die Angst."
Der Essayband verbindet Analytisches und Erzählendes
Ulrike Draesner ist in Planegg aufgewachsen, jenem Vorort von München, in dem auch Karl Valentin gelebt hat. In ihren Essays sucht sie immer wieder biografische Bezüge und persönliche Blickwinkel. So nähert sie sich dem "Felix Krull"-Roman von Thomas Mann durch das Wiederlesen und die Erinnerung an das erste Leseerlebnis im Teenageralter. Auch das Lesen erfordert Heldenmut, meint Ulrike Draesner. Das klingt vielleicht etwas pathetisch, wie auch der Heldenbegriff als Klammer für höchst unterschiedliche Lebensentwürfe, Erzählmethoden und Figurenmodelle gelegentlich ein wenig überstrapaziert wirkt.
Dennoch gelingt es Ulrike Draesner, selbst in bekannte Werke und Dichterbiografien erhellende Schlaglichter zu werfen. Spiegelsymmetrisch zu ihrem Essayband "Schöne Frauen lesen", in dem sich ein Text über Flaubert befand, ist in Ulrike Draesners Buch über ihre heimlichen Helden auch Platz für eine Frau - die löwenjagende Kaffeefarmerin Tania Blixen. Eine augenzwinkernde Selbstreferenz, die wie so vieles in diesem Buch zeigt, dass Ulrike Draesner den Essay nicht als akademische Muskelübung begreift, sondern als literarische Form, die auf beinahe spielerische, manchmal sogar poetische Weise Bezüge herstellt und Analytisches und Erzählendes miteinander verbindet.
Ulrike Draesner: "Heimliche Helden"
Luchterhand Verlag, 268 Seiten, 19,99 Euro.
Luchterhand Verlag, 268 Seiten, 19,99 Euro.