Internationale Möbelmesse Köln, Küchenbereich. Die Besucher drängeln sich um Esstische von bis zu dreieinhalb Metern Länge und mehr als einem Meter Breite.
"Die meisten leben in der Stadt. In der Stadt ist das Leben teuer, kleinere Oberfläche, und dafür braucht man auch Möbel, die nicht so viel Platz einnehmen, also eher ein bisschen luftig und nicht zu groß", sagt der Designer Dick Spierenburg. Der Niederländer ist Creative Director der Kölner Möbelmesse und hat die aktuellen Trends fest im Blick.
So wie viele der Messebesucher interessiert sich auch Marion Küpper für die übergroßen Esstische: "Ich fand immer schon gut, Leute einzuladen, für die ich kochen kann oder mit denen ich kochen kann, das ist einfach so ein Kommunikationsort, und das finde ich gut. Ja, und auch zum Arbeiten, finde ich, kann man daran sitzen. Also das ist der zentrale Ort für mich immer gewesen, die Küche."
Kochen, Essen, Arbeiten, Entspannen sind eins
Auch laut Dick Spierenburg sind Kochen, Essen, Arbeiten und Entspannen inzwischen eins geworden. Alles wird sich zukünftig nur noch in einem einzigen großen offenen Raum abspielen, glaubt er:
"Küchen und Essen, das ist total integriert worden und so langsam ist auch die Sitzlandschaft in der Nähe, im offenen Raum. Also man sieht, dass diese Räume mehr und mehr sich verbinden. Wenn man Gäste hat, kommt man eigentlich nicht mehr weg vom Essbereich, man bleibt den Abend lang am Tisch, man kocht noch etwas, man nimmt noch etwas und das ist so gemütlich wie ein Stammtisch im Café."
Gemütlich wirken die neuen Küchenbereiche tatsächlich. Oftmals gleichen sie sogar eher einem Wohnzimmer. Ihre Ausstattung mit Textillampenschirmen über dem Herd, offenen Bücherwänden über der Arbeitszeile oder Samtsofas auf hochflorigen Teppichböden ist aus hygienischer Sicht nicht wirklich küchenkompatibel, aber das alles sieht sehr schick aus.
Der Theologe Kai Funkschmidt untersucht, wie Menschen heutzutage durch Mahlzeiten Gemeinschaft herstellen und hat dabei auch großstädtische Ringe wie beispielsweise Eatwith im Blick, wo man sich online zu gemeinsamen Essen in privaten Räumen verabredet.
"Es gibt sicherlich ein Bedürfnis danach, gemeinsam zu essen. Und dass wir jetzt anfangen, wo die Familien sich auflösen oder viele Leute auch als Singles leben oder in fremden Städten leben und dort erst einmal alleine wohnen und deswegen alleine essen, dass sie da anfangen, jetzt sich neue Essensgemeinschaften zu gründen ist sicherlich ein Ausdruck davon, dass man merkt, da fehlt was, was grundsätzlich zum Menschsein dazugehört.
Funkschmidt arbeitet in der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen und hat beobachtet, dass sich Essen und Ambiente in den letzten Jahren zu einer regelrechten Ideologie entwickelt haben. Der heilige Ernst mit dem solche Treffen mitunter zelebriert werden, wirft die Frage auf, ob man vielleicht von einem neuen, säkularisierten Abendmahl sprechen kann.
"Das hat religiöse Qualität, da geht es um die Essensituation, es geht aber auch um das, was gegessen wird. Das heißt, sie haben ein Speisegebot, das es unmöglich macht für andere, in voller Weise daran zu partizipieren. Sie werden sehen, wenn Sie sich die Speisegebote aller Religionen anschauen und auch die Verzehrsituation, dann gehört neben dem Gemeinschaftsstiftenden nach innen immer auch ein Abgrenzungsmoment nach außen dazu."
Gnadenlosigkeit in bestimmten Milieus
Die Abgrenzung zeigt sich dabei besonders daran, was gegessen wird – oder eben nicht gegessen wird.
"Dass Menschen sich Gedanken machen, wie sie sich ernähren, dass Menschen sich Gedanken machen, wie sie ethisch leben können, das ist sicherlich begrüßenswert. Aus christlicher Sicht finde ich, dass das oft mit einer gewissen Gnadenlosigkeit einhergeht – jedenfalls in bestimmten Segmenten dieser Milieus. Komischerweise, obwohl die Menschen dem Christentum oft vorwerfen, es sei so dogmatisch, finde ich, dass dieses Dogmatische dann eher dort reinkommt, wo das Moment der Gnade fehlt, wo man eben alles perfekt machen muss", so Funkschmidt.
Diese gnadenlose Selbstoptimierung und der damit einhergehende Perfektionismus zeigen sich oftmals auch im perfekt gestylten Umfeld der Gastgeber. So auch an den Riesentischen, die zu sagen scheinen: 'Schau, wie ich leben kann und wie viel Platz ich habe!'
Ein Bedürfnis, zusammen zu sitzen
Gunther Hirschfelder ist Professur für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg und erforscht seit vielen Jahren unsere Ernährung und Esskultur.
"Diese Tische künden auf jeden Fall davon, dass es ein Bedürfnis gibt, zusammen zu sitzen, zusammen zu essen, nachher drüber zu sprechen und diese großen Möbel dann auch vielleicht im Social Media oder in anderen Netzwerken eben sichtbar zu machen, also darüber zu sprechen. Ob an diesen Tischen tatsächlich gegessen wird, darüber haben wir überhaupt kein empirisches Material."
Also alles möglicherweise nur ein großer Fake, reine Selbstinszenierung? Nicht ganz. Gemeinsame Mahlzeiten stiften Vertrauen und sind ein elementarer Baustein des Miteinanders, so Hirschfelder. Gerade das biblische Abendmahl lege davon ein Zeugnis ab:
"Wir haben ein Vereinsamungsproblem und dieses Vereinsamungsproblem kann man ein stückweit dadurch lösen, dass man eben wieder gemeinsam isst oder sich zumindest eine Gelegenheit anschafft, an der man essen könnte. Das Essen und das Sprechen über das Essen und die Ideologisierung des Essens haben insofern religiöse Bezüge, als dass sie als Stellvertreter herhalten für Weltanschauungen, für Weltdeutungen. Und insofern erfüllen diese Essensituation und diese kommunikativen Situationen tatsächlich Funktionen, die Religion früher gehabt hat."
Der religiöse Eifer um das Thema Essen
Allerdings ist hierbei zu unterscheiden zwischen der reinen Versorgungsküche und der Erlebnisküche. Die Versorgungsküche ist rein pragmatisch, sie soll satt machen. Der religiöse Eifer um das Thema Essen betrifft in erster Linie die Erlebnisküche. Eben weil solche großen, gemeinsamen Essensveranstaltungen eher die Ausnahme sind, wird umso mehr über sie diskutiert.
"Die Religion hat heute nicht mehr diese Funktionsbezüge. Sie spielt noch eine Rolle in der Gesellschaft, aber wir reden weniger darüber und wir haben natürlich zunehmend Menschen, die gar keinen Bezug zu Religion haben oder eine negative Einstellung zu Religion haben. Wir brauchen eine neue Deutungsfolie in der Gesellschaft, und die Ernährung ist dabei, im Augenblick eine solche Deutungsfolie zu werden."