Kann man Pasteten "schreiben"? Jan Wagner kann, und gleich in 18 Variationen. Sein neuer Gedichtband heißt denn auch "Achtzehn Pasteten":
"Der Titel des Gedichtbands ist der Titel des zentralen Gedichtzyklus'. Der Auslöser zu diesem Zyklus war ein Zitat von Samuel Pepys, dessen Tagebücher ich vor einigen Jahren las, er berichtet von einem Abendessen bei einem Freund. Dieser Freund hatte den 18. Hochzeitstag, deswegen auch die Feier. Auf dem Büffet, schreibt Pepys in seinem Tagebuch, hätten nicht nur Köstlichkeiten wie eine Rinderlende gestanden, sondern auch 18 Pasteten, und zwar für jedes Jahr der Ehe eine Pastete. Als ich das las, gefiel mir das sehr gut, weil ich dachte, das wäre eine schöne neuartige Zusammenführung der alten Themen Essen und Liebe - und hab mir das rausgeschrieben ohne zu wissen, was ich damit anfangen sollte irgendwann. Dann war eben die Idee, diese Themen Essen und Liebe anhand von 18 Pasteten zusammenzuführen - beziehungsweise 18 Pasteten zu "schreiben", die sich an jeweils einem Gericht orientieren, aber das mit dem Thema Liebe vermischen, und dann von salzigen Pasteten bis hin zur Süßspeise das durchexerzieren."
Als Vorspeise reicht Wagner die berühmte "shepherd´s pie". Schon der erste Vers des Gedichts, das von einem verliebten Schäfer handelt, zeigt die Klasse des 36-jährigen Autors: "schafe sind wolken, die den boden lieben". Das ist typisch Wagner: Er nimmt ein Sprachklischee - hier den Vergleich von Schaf und Wolke - und wendet es überraschend neu. Die weitere Speisen-Folge reicht von "terrine de mouflon" über "empanada" bis zu "quittenpastete"; wobei der Autor das Thema Liebe ziemlich weit fasst - es steht nicht immer im Zentrum der Texte. Im letzten Gedicht über die "quittenpastete" geht es um eine Kindheitserinnerung, in der die Liebe von Eltern und Kind zwar nicht ausgesprochen, aber spürbar ist. Eltern und Kind - "vier große Hände, zwei kleine", heißt es - pflücken Quitten und kochen daraus Gelee. Aus der Erinnerung an die alltägliche Situation entsteht ein Gedicht voller ungewöhnlicher Bilder, in dem das Gelb der geheimnisvollen Quitten noch immer nachleuchtet:
quittenpastete
wenn sie der oktober ins astwerk hängte,
ausgebeulte lampions, war es zeit: wir
pflückten quitten, wuchteten körbeweise
gelb in die küche
unters wasser. apfel und birne reiften
ihrem namen zu, einer schlichten süße -
anders als die quitte an ihrem baum im
hintersten winkel
meines alphabets, im latein des gartens,
hart und fremd in ihrem arom. wir schnitten,
viertelten, entkernten das fleisch (vier große
hände, zwei kleine),
schemenhaft im dampf des entsafters, gaben
zucker, hitze, mühe zu etwas, das sich
roh dem mund versagte. wer konnte, wollte
quitten begreifen,
ihr gelee, in bauchigen gläsern für die
dunklen tage in den regalen aufge-
reiht, in einem keller von tagen, wo sie
leuchteten, leuchten.
Neben dem Pasteten-Zyklus im Zentrum des Bandes findet man drei weitere Abteilungen mit Gedichten. Die Themen sind breit gestreut: Tiere, Pflanzen und Landschaften, historische Ereignisse und Personen, Kunst und Literatur, Reisebilder. Es gibt einen Nachruf auf die Grubenpferde der alten Zechen, ein staunendes Gedicht über den Holunder, oder drei Texte über nicht geschriebene, aber "mögliche Bücher". Früher hat sich Wagner öfter mit großen historischen Personen beschäftigt, etwa Velazquez oder Störtebeker. Im neuen Band rücken Randfiguren der Geschichte in den Blick - wie der Hundezüchter Friedrich Dobermann. Den Hund kennt jeder, aber den Züchter? Wagner setzt ihm ein kleines lyrisches Denkmal. Dobermann war im 19. Jahrhundert im thüringischen Apolda Abdeckerei-Verwalter und Steuer-Eintreiber. Letzteres war offenbar nicht ungefährlich, weshalb er stets zwei Hunde bei sich hatte. Weil ihm die Tiere aber nicht scharf genug waren, züchtete er kurzerhand aus verschiedenen Promenadenmischungen eine eigene Rasse:
dobermann
dies ist das dorf, und dies am waldesrand
die wasenmeisterei, von deren dach
ein dünner rauch sich in den himmel stiehlt.
die leeren felle an der wand. der korb
mit welpen, ihre augen noch vernäht
von blindheit: so beschnüffeln sie die welt.
noch ist es früh, und in den städten schlafen
die landvermesser und die kartographen.
im garten jener brunnen voller durst.
apolda, thüringen: die tote kuh
am feldrand, ein gestrandeter ballon,
von seuche aufgebläht. sie wird
dort liegenbleiben: unter einem kleingeld
von sternen schreitet er, an dessen seite
zwei schwarze klingen durch die landschaft
[schneiden
Wagners ironische, ernste, melancholische Gedichte sind oft gereimt, und zwar in allen Variationen, die der Reim ermöglicht. Der Autor mag das Spiel mit Formen und Klängen, greift gern auf klassische Formen zurück - auch auf jene, die man heute kaum noch kennt, wie Pantum oder Sestine. In einer Zeit, in der die meisten Lyriker freie Rhythmen und Verse schätzen, ist das ungewöhnlich. Aber Wagner ist kein lyrischer Streber, der unbedingt beweisen will, was er kann. Er nutzt die klassischen Formen spielerisch, beiläufig. Sie sind kein Korsett, in das ein Inhalt zu "schnüren" wäre, sondern bieten im Gegenteil neue, andere Möglichkeiten als freie Verse. Manchmal staune er selbst, wohin sich ein Gedicht durch die Vorgabe der Form entwickle, sagt er. Und der Leser staunt mit. Fazit: Mit seinen ebenso lockeren wie geschmackvollen "Pasteten" gehört Jan Wagner endgültig zu den interessantesten jungen Lyrikern im Land.
Jan Wagner: "Achtzehn Pasteten"
Gedichte des Lyrikers
(Berlin Verlag)
"Der Titel des Gedichtbands ist der Titel des zentralen Gedichtzyklus'. Der Auslöser zu diesem Zyklus war ein Zitat von Samuel Pepys, dessen Tagebücher ich vor einigen Jahren las, er berichtet von einem Abendessen bei einem Freund. Dieser Freund hatte den 18. Hochzeitstag, deswegen auch die Feier. Auf dem Büffet, schreibt Pepys in seinem Tagebuch, hätten nicht nur Köstlichkeiten wie eine Rinderlende gestanden, sondern auch 18 Pasteten, und zwar für jedes Jahr der Ehe eine Pastete. Als ich das las, gefiel mir das sehr gut, weil ich dachte, das wäre eine schöne neuartige Zusammenführung der alten Themen Essen und Liebe - und hab mir das rausgeschrieben ohne zu wissen, was ich damit anfangen sollte irgendwann. Dann war eben die Idee, diese Themen Essen und Liebe anhand von 18 Pasteten zusammenzuführen - beziehungsweise 18 Pasteten zu "schreiben", die sich an jeweils einem Gericht orientieren, aber das mit dem Thema Liebe vermischen, und dann von salzigen Pasteten bis hin zur Süßspeise das durchexerzieren."
Als Vorspeise reicht Wagner die berühmte "shepherd´s pie". Schon der erste Vers des Gedichts, das von einem verliebten Schäfer handelt, zeigt die Klasse des 36-jährigen Autors: "schafe sind wolken, die den boden lieben". Das ist typisch Wagner: Er nimmt ein Sprachklischee - hier den Vergleich von Schaf und Wolke - und wendet es überraschend neu. Die weitere Speisen-Folge reicht von "terrine de mouflon" über "empanada" bis zu "quittenpastete"; wobei der Autor das Thema Liebe ziemlich weit fasst - es steht nicht immer im Zentrum der Texte. Im letzten Gedicht über die "quittenpastete" geht es um eine Kindheitserinnerung, in der die Liebe von Eltern und Kind zwar nicht ausgesprochen, aber spürbar ist. Eltern und Kind - "vier große Hände, zwei kleine", heißt es - pflücken Quitten und kochen daraus Gelee. Aus der Erinnerung an die alltägliche Situation entsteht ein Gedicht voller ungewöhnlicher Bilder, in dem das Gelb der geheimnisvollen Quitten noch immer nachleuchtet:
quittenpastete
wenn sie der oktober ins astwerk hängte,
ausgebeulte lampions, war es zeit: wir
pflückten quitten, wuchteten körbeweise
gelb in die küche
unters wasser. apfel und birne reiften
ihrem namen zu, einer schlichten süße -
anders als die quitte an ihrem baum im
hintersten winkel
meines alphabets, im latein des gartens,
hart und fremd in ihrem arom. wir schnitten,
viertelten, entkernten das fleisch (vier große
hände, zwei kleine),
schemenhaft im dampf des entsafters, gaben
zucker, hitze, mühe zu etwas, das sich
roh dem mund versagte. wer konnte, wollte
quitten begreifen,
ihr gelee, in bauchigen gläsern für die
dunklen tage in den regalen aufge-
reiht, in einem keller von tagen, wo sie
leuchteten, leuchten.
Neben dem Pasteten-Zyklus im Zentrum des Bandes findet man drei weitere Abteilungen mit Gedichten. Die Themen sind breit gestreut: Tiere, Pflanzen und Landschaften, historische Ereignisse und Personen, Kunst und Literatur, Reisebilder. Es gibt einen Nachruf auf die Grubenpferde der alten Zechen, ein staunendes Gedicht über den Holunder, oder drei Texte über nicht geschriebene, aber "mögliche Bücher". Früher hat sich Wagner öfter mit großen historischen Personen beschäftigt, etwa Velazquez oder Störtebeker. Im neuen Band rücken Randfiguren der Geschichte in den Blick - wie der Hundezüchter Friedrich Dobermann. Den Hund kennt jeder, aber den Züchter? Wagner setzt ihm ein kleines lyrisches Denkmal. Dobermann war im 19. Jahrhundert im thüringischen Apolda Abdeckerei-Verwalter und Steuer-Eintreiber. Letzteres war offenbar nicht ungefährlich, weshalb er stets zwei Hunde bei sich hatte. Weil ihm die Tiere aber nicht scharf genug waren, züchtete er kurzerhand aus verschiedenen Promenadenmischungen eine eigene Rasse:
dobermann
dies ist das dorf, und dies am waldesrand
die wasenmeisterei, von deren dach
ein dünner rauch sich in den himmel stiehlt.
die leeren felle an der wand. der korb
mit welpen, ihre augen noch vernäht
von blindheit: so beschnüffeln sie die welt.
noch ist es früh, und in den städten schlafen
die landvermesser und die kartographen.
im garten jener brunnen voller durst.
apolda, thüringen: die tote kuh
am feldrand, ein gestrandeter ballon,
von seuche aufgebläht. sie wird
dort liegenbleiben: unter einem kleingeld
von sternen schreitet er, an dessen seite
zwei schwarze klingen durch die landschaft
[schneiden
Wagners ironische, ernste, melancholische Gedichte sind oft gereimt, und zwar in allen Variationen, die der Reim ermöglicht. Der Autor mag das Spiel mit Formen und Klängen, greift gern auf klassische Formen zurück - auch auf jene, die man heute kaum noch kennt, wie Pantum oder Sestine. In einer Zeit, in der die meisten Lyriker freie Rhythmen und Verse schätzen, ist das ungewöhnlich. Aber Wagner ist kein lyrischer Streber, der unbedingt beweisen will, was er kann. Er nutzt die klassischen Formen spielerisch, beiläufig. Sie sind kein Korsett, in das ein Inhalt zu "schnüren" wäre, sondern bieten im Gegenteil neue, andere Möglichkeiten als freie Verse. Manchmal staune er selbst, wohin sich ein Gedicht durch die Vorgabe der Form entwickle, sagt er. Und der Leser staunt mit. Fazit: Mit seinen ebenso lockeren wie geschmackvollen "Pasteten" gehört Jan Wagner endgültig zu den interessantesten jungen Lyrikern im Land.
Jan Wagner: "Achtzehn Pasteten"
Gedichte des Lyrikers
(Berlin Verlag)