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Esso-Häuser
Hamburg sammelt Bürger-Ideen für Wohnkomplex

Im Hamburger Stadtteil St. Pauli wurde Anfang 2014 ein Wahrzeichen abgerissen: die Esso-Häuser. Investoren sind an dem einst armen Viertel interessiert, denn auch hier steigen die Mietpreise. Die Stadt hat die Notbremse gezogen: Es soll etwas Gleichwertiges folgen und dafür werden Ideen gesammelt - in einem Container.

Von Dirk Schneider | 03.11.2014
    Ein Müllcontainer steht am 07.01.2014 am Spielbudenplatz in Hamburg auf der Reeperbahn vor den sogenannten Esso-Häusern und einer Esso-Tankstelle. Drei Wochen nach der Evakuierung der einsturzgefährdeten "Esso-Häuser" auf der Hamburger Reeperbahn werden seit 07.01.2014 alle Wohnungen leergeräumt. Die Mieter dürfen ihr Mobiliar aus Sicherheitsgründen nur mit Hilfe einer Spedition aus den baufälligen Gebäuden holen.
    Ein Müllcontainer steht am 07.01.2014 am Spielbudenplatz in Hamburg auf der Reeperbahn vor den sogenannten Esso-Häusern und einer Esso-Tankstelle. (picture alliance / dpa / Maja Hitij)
    "Ich würde gerne mitplanen, wie die Häuser aussehen sollen. Darf man das auch malen? Dann möchte ich das mal ausprobieren! Ich weiß schon, wie das aussehen soll."
    Ben wohnt auf St. Pauli. Der Sechsjährige hat schon eine Idee, wie die neuen Häuser am Spielbudenplatz neben der Reeperbahn aussehen sollen. In der PlanBude hat man für alle Ideen ein offenes Ohr. Ben bekommt Buntstifte und ein großes Blatt Papier. Ein Kinderspiel? Nein, viel mehr als das, erklärt Christoph Schäfer, der als Künstler an dem Projekt beteiligt ist:
    "Wir müssen hier unterschiedliches Wissen in diese Bude hineinbekommen und in diese Planung. Das Wissen des Alltags, das Wissen dieses Viertels, weil genau das auch was ist, was in diesen neuen Architekturen hier drumrum auch so offensichtlich fehlt. Also das ist so richtig vorbei geplant an dem, wie dieser Stadtteil tickt, wie er funktioniert. Und diese Alltagserfahrung muss da rein."
    Container als Sammelort für Ideen
    Die PlanBude ist ein kleiner Container mit Fenstern. Er steht an der Ecke, an der man früher zu Deutschlands berühmtester Tankstelle eingebogen ist: der Esso-Tankstelle, die dem früheren Gebäudekomplex ihren Namen gegeben hat: Esso-Häuser. In diesem Container nun soll der Grundstein gelegt werden für eine neue Architektur. Die nicht dem Profit, sondern den Menschen dient. Die so einzigartig sein soll wie ihre Umgebung, anders als die Stahl und Beton gewordenen Investorenträume, die weltweit denselben Moden folgen. In die PlanBude sind alle eingeladen, die sich auf St. Pauli aufhalten, ihre Ideen einzubringen: Touristen sind genauso willkommen wie Anwohner.
    "Sie können hier machen, was Sie wollen. Sie können zeichnen, Sie können einfach nur einen Satz hinschreiben. Wir freuen uns auch über Fotos, Beispiele aus anderen Ländern, Dinge, die man wo gesehen hat, im Urlaub. Entwürfe, die man vielleicht schon seit ewigen Jahren in den Schubladen hat."
    Neben Buntstiften und Papier gibt es im Container auch Lego-Steine, Bücher und Bildbände über Architektur. Und sogar eine Couch, auf der man sich etwas erträumen kann, sollte einem gar nichts einfallen. Ben ist mit seiner Zeichnung schon fertig, zwei Häuser hat er gemalt:
    "Also, der Architekt kann sich aussuchen, entweder das Haus oder das. - Das ist ja ne coole Sache. Und muss ich da noch was dazu wissen, was da noch so passieren soll in dem Haus? - Eigentlich nicht."
    Nun ja, vielleicht nicht sehr ergiebig für den Planungsprozess, aber für den Sechsjährigen eine ungewöhnliche Erfahrung: Seine Meinung zur Stadtplanung ist gefragt - wo gibt es denn so was? Am Ende der PlanBude steht ein Bebauungsplan, der verbindlich regelt, welche Art von Gebäude hier entstehen soll.
    "Die Dinge, die für das Baugesetz und für die Aufstellung von Bebauungsplänen eigentlich relevant sind, sind: gemeinwohlorientiert, was brauchen die Menschen, was ist gut, was passt in die Tradition."
    Tja, "eigentlich". Die Praxis sieht in der Regel anders aus. Am Ende aus all den Zeichnungen, Texten und anderen Anregungen etwas heraus zu destillieren, das den Wünschen der Beteiligten entspricht, scheint eine schwierige Aufgabe. Doch Teile des PlanBude-Teams, auch Christoph Schäfer, haben in einem ähnlichen Verfahren schon einen Park im Stadtteil geplant: Park Fiction heißt das Projekt, das zur documenta 11 nach Kassel eingeladen wurde und weltweit Beachtung gefunden hat.
    Buy Buy St. Pauli
    Dass das Bezirksamt Hamburg-Mitte sich nun auf dieses aufwendige Planungsverfahren eingelassen hat, ist die Folge eines langen Kampfes gegen die Verdrängung der Mieter und schließlich den Abriss der Esso-Häuser. Dessen Geschichte erzählt jetzt eine Dokumentation namens "Buy Buy St. Pauli". Für sie haben die Hamburger Filmemacher und Stadtteilaktivisten Irene Bude, Olaf Sobczak und Steffen Jörg vier Jahre lang Bewohner sowie Klub-, Laden- und Hotelbetreiber bei ihrem Kampf um den Erhalt des Komplexes begleitet.
    "Buy Buy St. Pauli" ist ein Lehrstück darüber, wie die Immobilienspekulation nicht nur die Architektur, sondern auch die Menschen im Griff hat. Und er ist ein fesselnder Bericht über eine Solidargemeinschaft, die zwar den Abriss des Häuserkomplexes nicht verhindern konnte – am Ende aber die Menschen doch wieder in ihr Recht gesetzt hat. Denn deren Wünsche sollen nun aus der PlanBude hervorgehen und schließlich in Beton gebaut werden. Der Investor Bayerische Hausbau dürfte sich dieses Mal ausnahmsweise verspekuliert haben. Die Stadt Hamburg aber könnte sich am Ende schmücken mit diesem Projekt, gegen deren Unterstützer sie vor einem Jahr noch mit Wasserwerfern vorgegangen ist.