Abends im estnischen Fernsehen, das Magazin Aktual'naja kamera, die Aktuelle Kamera – komplett russisch – genau wie der Rest von ETV+. Der Sender ist nicht das erste russischsprachige TV-Angebot in Estland oder im Baltikum insgesamt. Aber: es ist der erste staatliche Fernsehsender – und ist damit in Europa einzigartig.
Vor kurzem erst hat ETV+ seinen zweiten Geburtstag gefeiert – mit viel politischer Prominenz, sogar der deutsche Botschafter war dort. ETV+ war eine politische Entscheidung des estnischen Parlaments, des Riigikogu. Die Entscheidung des Parlaments einen russischsprachigen Fernsehsender aus der Taufe zu heben, kam nur wenige Monate nach der Annexion der Krim im Jahr 2014. Eine Reaktion auf die immer aggressiver werdende Propaganda in den russischen Medien und auf die Tatsache, dass sich die überwiegende Mehrheit der russischsprachigen Bevölkerung im Land über diese russischen Medien informiert.
"Wir können keine Propaganda betreiben"
Der Journalist Ainar Ruussar arbeitet beim ERR, beim Eesti Rahvusringhääling, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk des Landes. Er ist dort Koordinator des russischsprachigen Medienangebots und hat ETV+ aufgebaut."Hier produzieren wir unsere täglichen Morgen- und Abendmagazine live", erklärt er.
ETV+ hat seinen Sitz am östlichen Rand der Innenstadt von Tallinn – in einem alten, ziemlich heruntergekommenen Sowjetbau. Gegenüber dem Programm herrschte von Beginn auch innerhalb der russischen Bevölkerung Estlands von Beginn an Skepsis. "Es gibt eine Umfrage, danach kennen uns mehr als 70 Prozent aller Russen, die in Estland leben. Aber sie schalten uns nicht ein, weil sie glauben, dass wir einen Propaganda-Sender betreiben. Aber das ist falsch! Von Anfang an haben wir hier einen freien, journalistisch unabhängigen Sender aufgebaut. Wir können gar keine Propaganda betreiben, weil wir an das Nationale Rundfunkgesetz gebunden sind. Und da ste ht, dass der Estnische öffentlich-rechtliche Rundfunk unabhängig sein muss", so Ruussar.
Es geht aber auch um Anerkennung der russischen Esten. In den vergangenen gut zwei Jahrzehnten fühlten sich viele von ihnen von der estnischen Mehrheitsgesellschaft diskriminiert und zurückgewiesen. Immer noch kommt es vor, dass russischsprachige Esten wenig bis gar nicht über die Ereignisse im eigenen Land informiert sind. Ruussar sagt, er habe in Narva Menschen getroffen, die den Namen der estnischen Präsidentin nicht gewusst hätten, weil ihr Präsident Putin heiße.
Kreml-Fernsehen ist mindestens so populär
Narva ist Estlands kleines Russland. ETV+ hat hier ein weiteres Studio, wo regelmäßig Polittalks zu lokalen Themen produziert werden. Ein Großteil der estnischen Russen lebt hier oder im Umland. 95 Prozent der Einwohner sind russischstämmig – Eine junge Russin meint: "Kreml-Fernsehen? Ja, das gucke ich auch. Das ist sehr populär bei uns, jeder guckt das. Ich würde nicht sagen, dass wir denen zu hundert Prozent vertrauen, aber es gibt dort einfach mehr Informationen. Und es ist viel unterhaltsamer, es ist einfach besser."
Dass der Sender bislang offenbar nicht zu seiner Zielgruppe durchdringt, hat viel Kritik ausgelöst. Da ist zum einen die Eesti Konservatiivne Rahvaerakond, eine rechtspopulistische Partei im Parlament. Sie will ETV+ schon lange dichtmachen – wegen der Kosten, aber auch, weil sie ein staatlich gefördertes, russischsprachiges Angebot grundsätzlich ablehnt. Aber auch von gemäßigter Seite wird der ausbleibende Erfolg bemängelt.
Schlechte Quoten, wenig Erfolg
"In diesen zwei Jahren gab es nur einmal bessere Quoten und das lag an der Fußball-EM", so Ivan Lavrentjev. Er ist Medienexperte und stammt selber aus einer russischsprachigen Familie. "Jetzt liegen sie wieder bei 0,5 bis 0,6 Prozent. Was die Leute sehen wollen sind keine Nachrichten, sondern den Sänger, den sie vergöttern. Das kriegen sie nicht bei ETV+ und deswegen wird der Sender kaum erfolgreich sein."
Der Medienexperte arbeitet beim estnischen Sozialministerium in der Öffentlichkeitsarbeit und ist dort für die Kontakte zu russischsprachigen Medien zuständig.
Natürlich ist der Kampf gegen die russischen Medien mehr als ungleich. ETV+ ist mit einem Budget von rund 4 Millionen Euro selbst für estnische Verhältnisse schmal ausgestattet – erst recht wenn man auf das Budget der Konkurrenz vom Perviy Baltiskiy Kanal schaut, dem Ersten baltischen Kanal. Dahinter verbirgt sich der kremltreue russische erste Kanal aus Moskau. Das Programm ist bis auf kleinere Abweichungen, etwa in der Werbung, nahezu identisch. Die Quoten dort sind zehnmal höher.
[*] Anders als zunächst im Online-Teaser dargestellt, existiert der russischsprachige Fernsehsender ETV+ erst seit zwei Jahren.