Heuer: Herr Meri, Sie haben die hartnäckigen Bemühungen um einen Beitritt oder die Einladung der baltischen Staaten zur NATO selber erwähnt. So hartnäckig mussten diese Bemühungen ja unter anderem deshalb sein, weil Russland sehr lange, sehr entschieden Widerstand geleistet hat. Wieso, glauben Sie, hat Russland seinen Widerstand gegen die Aufnahme der baltischen Staaten in die NATO aufgegeben?
Meri: Die Welt hat sich verändert und ich glaube, in dieser Welt hat sich Estland enorm verändert. Aber auch Russland hat sich zu unserer Freude verändert. Russland ist ja ein guter Partner der EU. Es freut uns, dass Russland ein Verständnis für die Politik der Vereinten Staaten hat, und das ist, glaube ich, doch eine Folge dieser Veränderung, dass Russland sieht, dass der Beitritt in die NATO die politische Sicherheit der russischen Westgrenze nicht destabilisiert, sondern im Gegenteil: Es gibt Russland eine formelle Garantie, dass es sich keine Sorgen um seine Westgrenze zu machen braucht.
Heuer: Im Kampf gegen den Terror hat die NATO ja auch Russland förmlich als gleichberechtigten Partner anerkannt. Können Sie sich vorstellen, dass Estland zum Beispiel gemeinsam mit Russland gegen tschetschenische Terroristen vorgeht?
Meri: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen, und unter uns gesagt: das kann ich mir auch im Falle der Bundesrepublik nicht vorstellen.
Heuer: Wir sprechen jetzt hier aber über tschetschenische Terroristen.
Meri: Ja, wenn wir gemeinsam verstehen, wie wir den Terrorismus gegen einen Krieg für die Selbstständigkeit abgrenzen können, dann könnten wir das Thema weiterbesprechen. Was ich hier allerdings trotzdem noch sagen möchte, ist die Hoffnung, dass Russland trotz seiner Größe doch imstande ist, das furchtbare Problem mit Tschetschenien auf politische Weise zu lösen. Das wäre das Beste, was im Interesse Russlands und im guten Namen Russlands dienen könnte.
Heuer: Wie könnte denn eine solche Lösung konkret aussehen?
Meri: Ich glaube, da könnte die NATO und vielleicht auch die EU Russland moralischen Beistand leisten. Letzten Endes ist es das tschetschenische Volk, das seine Entscheidung treffen muss, und ich glaube, bis jetzt hat es genügend gezeigt, dass es eigentlich zu einer friedlichen Lösung bereit war. Ich spreche vom ersten tschetschenischen Krieg. Ich bedaure, dass es zu einem zweiten Krieg gekommen ist, aber eine Hoffnung darf man hier nie beiseite legen.
Heuer: Unter der Überschrift, Kampf gegen den Terror, haben die USA ja neben anderen auch die NATO-Staaten um konkrete Hilfe beim Irak-Einsatz gebeten. Gebeten wurde auch Deutschland. Die Bundesrepublik, die deutsche Regierung hat bisher erklärt, sich an einer militärischen Aktion im Irak unter gar keinen Umständen beteiligen zu wollen. Haben Sie Verständnis für diese Positionen?
Meri: Ich möchte mich als ein Nicht-Mitgliedsstaat nicht gleich kopfüber in die inneren Angelegenheit der Mitgliedsstaaten einmischen, aber was ich mir vorstellen kann, ist, dass einige Mitglieder der NATO, sollte es zu einer Krise kommen, den irakischen Waffen unterliegen. Ich spreche jetzt von Griechenland, von der Türkei und so weiter. Ich glaube auch, dass man genügend Beweise hat, dass man den guten Worten aus Bagdad nicht immer Glauben schenken kann. Es muss Frieden geben, und mitunter ist der Preis eines dauernden Friedens auch ziemlich hoch.
Heuer: Das war Lennart Meri, der ehemalige estnische Staatspräsident. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Link: Interview als RealAudio