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Ethik der Fortpflanzungsmedizin
Kinder nach Maß?

Der französische Reproduktionsbiologe Jacques Testart warnt in seinem jüngsten Buch "Wie morgen Kinder gemacht werden" vor einem zunehmendem Missbrauch fortpflanzungsmedizinischer Techniken. Dem Atheisten Testart missfällt, dass er vor allem in kirchlich konservativen Kreisen auf offene Ohren stößt.

Von Bettina Kaps |
    Ein Kinderwagen und ein Kind stehen in einem Hinterhof im Ost-Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg, aufgenommen im Jahr 1981.
    Ein Kinderwagen und ein Kind stehen in einem Hinterhof im Ost-Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg, aufgenommen im Jahr 1981. (picture-alliance/ ZB / dpa)
    Jacques Testart ist in Frankreich ein bekannter Wissenschaftler: 1972 hat er die Leihmutterschaft bei Rindern entwickelt. Zehn Jahre später gelang es seinem Team, das erste französische Baby im Reagenzglas zu zeugen. Auch beim Einfrieren von menschlichen Embryonen leistete der Biologe Pionierarbeit. Aber schon damals, vor fast 30 Jahren, warnte Testart vor "Wunschkindern à la carte". Zugleich weigerte er sich, an Forschungsarbeiten teilzunehmen, die zur genetischen Auswahl von Embryonen führen können. Heute würden seine Befürchtungen zunehmend Wirklichkeit, sagt der inzwischen 75-Jährige.
    "Die In-vitro-Fertilisation wird benutzt, um eine große Zahl von Embryonen zu erzeugen, unter denen ausgewählt wird, welchen man in die Gebärmutter einpflanzt. Die Präimplantationsdiagnostik wurde in Frankreich nur für Paare erlaubt, bei denen die Gefahr besteht, dass sie eine 'besonders schwere Krankheit' vererben können. Aber 'besonders schwer' – das ist so schwammig, dass es Tür und Tor für subjektive Entscheidungen öffnet. Letztendlich wird man sich an den technischen Möglichkeiten und an den Wünschen der Betroffenen orientieren. Darin sehe ich derzeit die schlimmste Entgleisung."
    In den USA können Eltern das Geschlecht ihres Kindes auswählen
    In vielen Ländern geht die Anwendung der Präimplantationsdiagnostik – kurz PID – längst über rein medizinische Indikationen hinaus. So können Eltern in den USA das Geschlecht ihres Kindes auswählen. In Großbritannien dürfen weibliche Embryonen auf ein Gen untersucht werden, das Brustkrebs auslösen kann. Vor einem Jahr durften britische Ärzte bei der PID nach 70 Krankheiten suchen. Heute umfasst die Liste schon 300 Krankheiten. In London wurde es einem Ärzteteam sogar erlaubt, ein Screening auf Schielen vorzunehmen. Die britische Presse spricht längst von "Designer-Babys". In Frankreich und Deutschland sind derartige Untersuchungen untersagt. Aber wer weiß, wie lange noch, sagt Jacques Testart.
    "Frankreich und Deutschland gehören zu den restriktivsten Ländern in Europa. Belgien, Spanien und Großbritannien sind viel liberaler. Aber die Praktiken dort erhöhen den Druck auch bei uns. In Fragen der Bioethik werden die Gesetze nie strenger, sondern immer lockerer. Alles, was in einem unserer Nachbarländer erlaubt ist, wird früher oder später auch bei uns eingeführt."
    Testart prangert schleichende Form der Eugenik an
    In seinem Buch "Wie morgen Kinder gemacht werden" prangert Testart eine schleichende Form der Eugenik an. Diese Entwicklung habe mit staatlichen Samenbanken begonnen. Dort werde der Spender für eine künstliche Befruchtung ausgesucht, um möglichst große Ähnlichkeit mit dem sozialen Vater herzustellen: Blutgruppe, körperliche Eigenarten, Augenfarbe. Außerdem würden gezielt Nachforschungen über mögliche Krankheiten des Spenders und seiner Eltern angestellt, was in gewöhnlichen Partnerbeziehungen selten vorkomme.
    "Deshalb sage ich: Die Samenbanken haben eine neue Form von Eugenik erfunden, die sich auch zunehmend bei der In-vitro-Fertilisation einschleicht, weil sie freundlich und mitfühlend ist. Diese Eugenik hat alle Eigenschaften, um akzeptiert zu werden."
    Jacques Testart befürwortet künstliche Befruchtungen nur bei Paaren, die tatsächlich unfruchtbar sind. In den Industrieländern werden heute schon drei Prozent aller Kinder durch künstliche Befruchtung gezeugt, sagt Testart, Tendenz steigend. Die technischen Möglichkeiten schritten immer weiter voran, während die bioethische Gesetzgebung stets hinterherhinke und schließlich angepasst werde. Eines Tages werde die Reproduktionsmedizin dazu dienen, den Menschen tatsächlich zu "optimieren", warnt der Wissenschaftler.
    Testart bezeichnet sich ausdrücklich als Atheist. Daher missfällt es ihm, dass er vor allem in kirchlich konservativen Kreisen auf offene Ohren stößt. Viele Wissenschaftler würden ihn hingegen als "Ayatollah" verunglimpfen.
    "Man sagt mir: Sie haben kein Recht, die Leute daran zu hindern, das Kind zu bekommen, das sie sich wünschen. Alle Eltern erhoffen sich natürlich das schönste, beste und leistungsfähigste Kind und die Wissenschaft suggeriert, dass sie es ihnen geben kann. Wir alle haben Angst davor, ein Kind zu bekommen, das behindert ist. In unserer Leistungsgesellschaft hat ein behindertes Kind keinen Platz."
    Unerwartete Rückendeckung aus Großbritannien
    Anfang Mai bekam Jacques Testart unerwartet Rückendeckung aus Großbritannien: Der Arzt Robert Winston, der in der Öffentlichkeit gerne als "Guru der künstlichen Befruchtung" bezeichnet wird, weil er mehr als 10.000 Retortenbabys zum Leben verholfen hat, befürchtet jetzt ebenfalls einen Rückfall in die Eugenik. In einem Vortrag warnte der 73-Jährige:
    "Demnächst wird es für die Reichen möglich sein, durch Bezahlung ein intelligenteres und stärkeres Kind zu bekommen als die Armen".
    Auch bei der Frage, wie die Auswüchse der Reproduktionsmedizin gestoppt werden können, sind sich die beiden Wissenschaftler weitgehend einig. Das Zeitalter der Eugenik könne zu Ende gehen, weil andere Probleme wie der Klimawandel und Wasserknappheit dringlicher würden, sagt Winston. Jacques Testart formuliert es so:
    "Wahrscheinlich werden diese Techniken zu teuer. Oder aber sie werden überflüssig, weil es uns gelingt, menschlicher miteinander umzugehen. Wenn uns die Ressourcen ausgehen, müssen wir umdenken, und das wird sich notgedrungen auf Bereiche der Spitzenmedizin auswirken, die extrem teuer und nicht wirklich erforderlich sind."