„Es war definitiv ein Wunschkind und wir waren überglücklich und sind dann so in einen Schwangerschaftsautomatismus reingeraten, was man alles testen kann als Kassenleistung oder IGeL-Leistung, man will auch alles richtig machen. Gefühlt ist ja ein Mutterpass ein halbes Stickeralbum.“
Die Architektin Vera Bläsing und ihr Mann wollten sich eigentlich nur auf ihr erstes Kind freuen. „Mit 34 wird einem relativ viel nahegelegt, was man alles testen lassen sollte, Dinge, von denen man noch nie gehört hat. Unter anderem stellte sich dann die Frage, ob wir so ein Ersttrimester-Screening machen wollen. Sollte um die 100 Euro kosten. Haben wir gesagt, was ist denn, wenn wir das nicht machen? Dann wissen sie halt nicht, ob ihr Kind eine Trisomie hat.“
Screening nicht immer zuverlässig
Das Paar entschied sich für das Ersttrimester-Screening, eine Untersuchung für Selbstzahler. Mit Hilfe einer speziellen Ultraschall-Diagnostik und einiger Blutparameter wird das statistische Risiko für das Down-Syndrom ausgerechnet. Bei Vera Bläsing hieß es: Alles sei in Ordnung. Dann kam ihr Sohn Fabian vor acht Jahren auf die Welt – mit einer Trisomie 21, dem Down-Syndrom. Es ist eine sehr unterschiedlich ausgeprägte geistige Behinderung, die manchmal auch mit körperlichen Erkrankungen verbunden ist.
„Ich war total geschockt. Wir waren von dieser Diagnose Trisomie 21 ziemlich fassungslos, dass uns das jetzt gerade passiert ist.“
Das Ersttrimester-Screening gehört seit Jahrzehnten zu einem Standardangebot. Aber es ist besonders bei jüngeren Frauen unzuverlässig, erklärte der Humangenetiker Christian Netzer von der Uniklinik Köln kürzlich in einer Onlineveranstaltung des Deutschen Ethikrats. „Für eine 20-jährige Schwangere war dieser Test, wenn er auffällig war, in fast allen Fällen falsch. Und verglichen damit war NIPT ein Quantensprung.“
NIPT ab dem 9. Mai eine Kassenleistung
N-I-P-T – nicht invasiver pränataler Bluttest oder kurz NIPT. Seit 2012 ist dieser vorgeburtliche Test auf chromosomale Veränderungen in Deutschland auf dem Markt. Schon ab der zehnten Schwangerschaftswoche ist er aussagekräftig für die Trisomien 21, 18 und 13. Ab dem 9. Mai ist der Test eine Kassenleistung, so entschied es 2019 der Gemeinsame Bundesausschuss, kurz G-BA. Dieses Gremium von Ärztinnen und Ärzten, Kliniken und gesetzlichen Krankenkassen entscheidet ausschließlich anhand medizin-technischer und wirtschaftlicher Kriterien. NIPT bekam Bestnoten, erklärt der G-BA-Vorsitzende und CDU-Politiker Josef Hecken.
„Die medizinische Bewertung ist ganz eindeutig: der Test hat kein Risiko. Der Test hat eine sehr hohe Genauigkeit. Damit kann ich Mutter und Kind schützen. Die Frage ist nur, welche gesellschaftlichen Prozesse, Drucksituationen, Dynamiken entwickeln sich daraus.“
Risiko bei Fruchtwasseruntersuchung
Bestätigt hat sich im Laufe der ersten Jahre, dass die Untersuchung deutlich aussagekräftiger ist als das Ersttrimester-Screening, und das ganz ohne Risiko - anders als eine Fruchtwasseruntersuchung, die sehr zuverlässig Auskunft gibt über den Gesundheitszustand des ungeborenen Kindes. Dabei wird mit einer langen Nadel durch die Bauchdecke gestoßen und Fruchtwasser oder Gewebe entnommen. In den 80er- und 90er-Jahren lag das Risiko einer Fehlgeburt in Folge dieser Untersuchung bei über einem Prozent. Das heißt bei jedem 100. Eingriff kam es zu einer Fehlgeburt. Inzwischen ist das Risiko deutlich gesunken, auf etwa 1 zu 1.000. Aber nur der NIPT auf die drei häufigsten Trisomien verspricht eine zuverlässige Aussage ohne Risiko, es genügen ein paar Tropfen mütterlichen Blutes. Deshalb sprach sich auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der damals noch gesundheitspolitischer Sprecher der SPD war, in der Orientierungsdebatte des Bundestags im April 2019 für die Kassenzulassung aus.
„Der Test ist medizinisch gesehen schlicht und ergreifend viel besser. Kann ich den besseren Test Frauen vorenthalten und ihnen die gefährliche Amniozentese zumuten, wenn sie das Geld nicht haben? Da ist meine klare Antwort als Ethiker, das können wir nicht.“
Kassenzulassung als Frage der Gerechtigkeit
Für Lauterbach, wie auch für viele andere Abgeordnete in dieser Debatte, war es also nicht die Frage, ob es aus medizinethischer Sicht in Ordnung ist, das ungeborene Kind per Bluttest auf das Down-Syndrom zu untersuchen. Denn der Test war längst auf dem Markt und zugelassen, gut die Hälfte aller Schwangeren zahlte bereits für diesen genetischen Check. Bei der Kassenzulassung ging es eher um Gerechtigkeit: Es soll nun keine Frage des Geldbeutels mehr sein, ob dieser risikolose Test gemacht wird oder nicht.
„Die Anzahl der Patienten, die diese Untersuchung wünschen ist viel, viel größer geworden“, sagt die Frauenärztin und Pränataldiagnostikerin Andrea Fotiadis-Schmitz. Sie bietet NIPT seit der Markteinführung an und hält den Test für eine sehr gute Methode. Allerdings nur, wenn er eingebunden ist in eine ausführliche genetische Beratung und weiterführende Diagnostik. Dies hatten auch die Berufsverbände der Gynäkologen und Pränatalmediziner dem G-BA dringend empfohlen. Jetzt sehen sie der Kassenzulassung kritisch entgegen.
Kritik an der Kassenzulassung
"Ein wesentlicher Punkt ist, dass dieser Bluttest abgekoppelt von aller sonstigen Diagnostik als Kassenleistung angeboten werden soll, was nicht unbedingt sinnvoll ist.“ Die Ärztin macht den Test nur zusammen mit einem frühen Feinultraschall in der 12. bis 14. Schwangerschaftswoche, der allerdings keine Kassenleistung ist und von den Eltern üblicherweise selbst bezahlt werden muss.
„Dann haben wir auch die Gelegenheit die Nackenfalte zu beurteilen, die auch ein Marker für die verschiedensten Auffälligkeiten und möglichen Fehlbildungen sein können. Wir haben viel, viel mehr Chromosomen und es gibt so viel mehr an Erkrankungen. Das ist wirklich nur ein kleines Eckchen vom Kuchen, was damit untersucht wird. Und es suggeriert aber, wenn der Test unauffällig ist, dann ist das Kind gesund. Das ist einfach nicht richtig.“
Wissen wollen, ob alles in Ordnung ist
Gleichzeitig beobachtet die Gynäkologin eine erhöhte Nachfrage von Paaren, die einfach nur sicher sein wollen, dass alles in Ordnung ist. „Es kommen zunehmend Paare, wo man aus medizinischer Sicht eigentlich keine wirkliche Indikation sieht. Also wo kein besonderes Risiko aufgrund einer Vorgeschichte oder des Alters vorliegt, sondern wo es darum geht, wir möchten gerne wissen, dass alles mit dem Kind okay ist.“
Das kann aber auch NIPT nicht bieten. Die meisten Behinderungen entstehen unter der Geburt und zahlreiche andere Krankheiten und genetische Fehlbildungen können bislang nicht vorgeburtlich erkannt werden. Hier lohnt ein Blick ins Detail. Humangenetiker Christian Netzer: „Das was in den Testbroschüren immer angegeben wird, ist die Sensitivität und die Spezifität. Beides Werte, die deutlich über 99 Prozent liegen und damit für den statistischen Laien einen nahezu perfekten Test dastehen lassen.“
Aussagekraft der Tests
Die beiden Werte geben Auskunft über die Trefferquote, Abweichungen zu erkennen. Für die Schwangere sei aber wichtiger, wie hoch der positive Vorhersagewert ist. „Der sagt, wie viele das denn tatsächlich haben, was der Test behauptet.“
Ein Testergebnis ist umso genauer, je häufiger der Fehler vorkommt, den man sucht. Deshalb sind die Aussagen über das Down-Syndrom auch besonders gut. Eine große Rolle spielt auch das Alter der Schwangeren. Je älter eine Frau, desto größer ist ihr Risiko, ein Kind mit Trisomie 21 zu bekommen. Eine 20-Jährige hat ein statistisches Risiko von unter 1 zu 1.000, also sehr gering.
„In diesem Fall sagt ein auffälliger NIPT trotz über 99-prozentiger Sensitivität und Spezifität nur in etwa der Hälfte der Fälle, dass tatsächlich der Fetus ein Down-Syndrom, eine Trisomie 21 hat.“ Nur bei älteren Schwangeren ab 40 Jahren sei die Test-Vorhersage über das Down-Syndrom mit 93 Prozent sehr genau. Die Pränataldiagnostikerin Andrea Schmitz-Fotiadis erklärt, unabhängig vom Alter gelte die Regel: „Wenn wir einen unauffälligen Pränataltest haben und wenn der dazu durchgeführte Ultraschall ebenfalls unauffällig ist, dann hat die Patientin doch ein hohes Maß an Sicherheit, was die Gesundheit des Kindes betrifft.“
Anders sei es bei einem auffälligen Ergebnis. Gewissheit bekommen Frauen dann nur durch eine Fruchtwasseruntersuchung, die sie gerade mit dem Bluttest vermeiden wollten. Wie viele Frauen ganz ohne diese weiterführende invasive Abklärung einen frühen Schwangerschaftsabbruch innerhalb der gesetzlich geregelten Frist bis zur 14. Schwangerschaftswoche machen, ist nicht bekannt und statistisch auch kaum zu erfassen.
Ethische Konflikte durch Tests
„Die Sorge, die wir haben, wenn der Bluttest schon abgenommen wird ab der 10. Woche, dann ist natürlich die Hemmschwelle viel geringer weil, die Frauen sind ja noch im Rahmen der Fristenlösung, und könnten sagen, ne, das ist mir alles zu heikel, ich beende jetzt lieber die Schwangerschaft, als dass ich jetzt noch ein paar Wochen in weitere Untersuchung, Ultraschall, invasiver Diagnostik investiere und nachher ist es doch ein krankes Kind. Das ist das, was wir erwarten.“
Seit über 50 Jahren erzeugt die pränatale Diagnostik einen starken Konflikt: Hier die freie, autonome Entscheidung der Frau. Dort das Wunschkind, das möglicherweise nicht ganz gesund oder mit einer Behinderung auf die Welt kommt. Inzwischen können einige Krankheiten schon im Mutterleib behandelt werden. Im Falle der Trisomien gibt es jedoch keine Heilung. Es gibt nur: entweder ein Leben mit einem behinderten Kind oder einen Schwangerschaftsabbruch.
Die gesellschaftliche Botschaft von NIPT-Tests
„Erstmal finde ich es für die Frauen eine ganz furchtbare Entscheidung, die da auf sie zukommt“, meint Vera Bläsing. Sie sei froh, dass sie vor acht Jahren nicht über das Leben ihres Sohnes mit Down-Syndrom entscheiden musste – weil das Ersttrimester-Screening in ihrem Fall unauffällig war.
Inzwischen berät die Architektin ehrenamtlich Schwangere im Konfliktfall. Und engagiert sich in der Kampagne #NoNIPT gegen die Kassenfinanzierung der Bluttests. Denn damit sei aus ihrer Sicht eine falsche gesellschaftliche Botschaft verbunden: „Wir erkennen das an, dass eure zumutbare Opfergrenze überschritten sein könnte durch ein Kind mit Behinderung, finde ich ein ganz furchtbares Signal.“
Kostenlose Tests für Schwangere, das sei eine Frage der Gerechtigkeit, argumentierte hingegen Sabine Dittmar von der SPD im Deutschen Bundestag in der Orientierungsdebatte über die Kassenzulassung: „Es ist die höchstpersönliche Entscheidung der Frau, ob sie sich für Pränataldiagnostik entscheidet oder dagegen.“
Kostenloser Test klingt nach Normalfall
Kostenlose Tests, das klinge nach Normalfall, widersprach Kirsten Kappert-Gonther von Bündnis 90/Die Grünen. „In Island wird der Praena-Test flächendeckend eingesetzt. Eine Abtreibung bei dem sogenannten Down-Syndrom ist dort der Normalfall. Diesen Normalfall darf es in Deutschland niemals geben.“
Anders als in Schweden, Dänemark und den Niederlanden beispielweise soll die Kassenfinanzierung hierzulande eine Einzelfall-Entscheidung sein und kein Regelangebot. „Wir wollen hier kein Screening nach Belieben oder nach Befindlichkeit der Mutter, sondern es muss schon objektive Anhaltspunkte auch für die von der Mutter geäußerte Besorgnis geben“, erklärt der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Josef Hecken.
Eine gute psychosoziale Beratung
Den Rahmen für die jeweilige Entscheidung soll eine verpflichtende Informationsbroschüre liefern. Darin heißt es: „Die Kosten werden übernommen, wenn sich aus anderen Untersuchungen ein Hinweis auf eine Trisomie ergeben hat oder, wenn eine Frau gemeinsam mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt zu der Überzeugung kommt, dass der Test in ihrer persönlichen Situation notwendig ist.“
„Sie sehen, dass das Altersrisiko kein Risikofaktor mehr ist. Sie sehen aber, dass die psychische Befindlichkeit der Mutter eine größere Rolle spielt als in der Vergangenheit.“ Ausgerechnet das Alter der Mutter ist aber für die Treffsicherheit des NIPT wichtig. Je jünger die Schwangere, desto häufiger falsch positive Ergebnisse. Und ohne nähere Indikation entscheidet künftig allein die Ärztin, der Arzt, ob die persönliche Situation der Schwangeren die Kassenleistung rechtfertigt. Ein verantwortlicher Umgang mit dem Test hängt also wesentlich von seiner Einbindung in eine gute psychosoziale Beratung ab.
Beratung kommt oft zu kurz
In der Praxis komme die Beratung aber oft zu kurz, meint Sigrid Graumann, Biologin und Philosophin, Mitglied im Deutschen Ethikrat. „Dafür ist die Beratung, die die meisten Ärztinnen und Ärzte, da gibt es selbstverständlich Ausnahmen, da ist in der Regel das, was sie leisten und was sie in den Weiterbildungen vermittelt bekommen nicht genug.“
Diese Erfahrung macht auch Vera Bläsing immer wieder, wenn sich Schwangere nach einem Befund bei ihr melden. „Es interessiert sich aber keiner dafür im Moment, ob das, was im Schwangerschaftskonfliktgesetz oder auch im Gendiagnostikgesetz schon steht an Vorgaben, wie persönliche Befundmitteilung, ergebnisoffen, dass man einen Fachmann hinzuzieht, wenn man selber keine Erfahrung hat mit Menschen, die mit dieser Beeinträchtigung geboren sind.“
Angst vor gesellschaftlichem Abseits
Viele Paare hätten ganz falsche Vorstellungen vom Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom und auch Angst, dass dadurch die ganze Familie ins Abseits gedrängt werde. „Es gibt ja dieses Sprichwort, dass es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind groß zu ziehen und viele haben Angst, dass dadurch das Dorf weg ist und dass sie alleine mit dem Kind und den Herausforderungen umgehen müssen, dass man sie im Regen stehen lässt.“
Die Kassenfinanzierung des Tests auf die Trisomien ist kaum abgeschlossen, da steht schon der nächste Hersteller mit einem Antrag auf der Liste des Gemeinsamen Bundesausschuss: Die Kassenzulassung für die molekulare Testung auf Mukoviszidose. Bei dieser schweren Erkrankung füllt sich die Lunge mit einem zähen Schleim, der häufig zu Entzündungen der Atemwege führt.
Weitere Tests vor Kassenzulassung
Als Stephan Kruip 1965 geboren wurde, lag seine Lebenserwartung bei etwa 15 Jahren. „Die Entwicklung der Therapie und der Medikamente war so, dass ich immer in den Genuss neuer Möglichkeiten gekommen bin, die mein Leben verlängert haben.“ Wie beim Bluttest auf die Trisomien kann auch die Untersuchung auf Mukoviszidose nur eine Krankheitswahrscheinlichkeit für das Ungeborene angeben.
„Wie dieser Mensch mit der Mukoviszidose klarkommt, kann man daraus nicht ablesen. Da gibt es ja ganz unterschiedliche Beispiele. Da gibt es den Achtjährigen, der lungentransplantiert werden muss, bis zu dem 57-jährigen Marathon-Läufer, der ich eben bin, und der völlig normal arbeitetet, eine Familie gegründet hat, der fest im Leben steht und noch viele Jahre vor sich hat.“
Tests erzeugen eine Erwartungshaltung
Stephan Kruip ist Vorsitzender des Bundesverbands für Mukoviszidose und Mitglied im Deutschen Ethikrat. Persönlich fühle er sich nicht diskriminiert durch die Einführung des Tests. Für Risiko-Paare, bei denen beide Elternteile gesund sind, aber Genträger, hält er eine Kassenfinanzierung für gerechtfertigt. Sein Verband befürworte auch grundsätzlich die freie Entscheidung der Schwangeren oder Paare.
„Die Befürchtung ist ja eher, dass durch die Einführung eines solchen Tests eine Erwartungshaltung und eine Üblichkeit erzeugt wird, dass das dann Eltern, die dennoch ein Kind mit Mukoviszidose haben, sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, dass der Kinderarzt sagt, na, sowas hätte aber heute nicht mehr passieren müssen.“
Neben Mukoviszidose bieten einige Test-Hersteller für Selbstzahler inzwischen ein weites Suchfeld an, erklärt die Humangenetikerin Sigrid Graumann: „Wir haben eine zunehmende Ausweitung des Spektrums an Chromosomenveränderungen, nach denen gesucht wird. Das wird auch weitergehen, davon gehe ich aus. Das sind dann in aller Regel, sehr, sehr seltene Chromosomenveränderungen, wo man sich medizinisch die Frage stellen muss, macht das überhaupt Sinn nach einem Sandkorn im Sandkasten zu suchen? Aber mit diesen Tests wird viel Geld verdient. Es ist im Grunde eine Markt getriebene Entwicklung, die wir hier beobachten.“
87 Prozent der Frauen wollen sämtliche Befunde
Der Testumfang bestimmt den Preis. Der Markt bietet klein, mittel, groß, das volle Programm oder nur die Trisomie 21. In den Niederlanden ergab eine Studie von 2017, dass schon im ersten Jahr nach der Testfreigabe 87 Prozent der Frauen sämtliche Befunde wissen wollten – egal wie extrem selten die Abweichungen waren. Nur elf von den 100 entdeckten Trisomien wurden dann durch eine Fruchtwasseruntersuchung bestätigt.
Die Entwicklung werde weitergehen, meinte der SPD-Abgeordnete und heutige Gesundheitsminister Karl Lauterbach in der Orientierungsdebatte vor drei Jahren. Den NIPT auf die Trisomien 21,18 und 13 hält er für sinnvoll. Bei der Suche nach selteneren Erkrankungen zeigte er sich aber skeptisch. "Wir werden Tests auf fast jede erdenkliche genetische Erkrankung bekommen, die sind jetzt in Vorbereitung. Dafür brauchen wir ein Gremium. Es müssen Ethiker, Wissenschaftler, Soziologen, Psychologen sein, wir können das nicht, dafür brauchen wir ein neues Verfahren und ein neues Gremium. Vielen Dank.“
Ethische Debatte fehlt noch
Seine Forderung von damals könnte er nun als Gesundheitsminister umsetzen. Im Koalitionsvertrag ist allerdings keine Rede davon und aus dem Ministerium kam auf Anfrage lediglich der Hinweis, eine weitere Orientierungsdebatte sei immer möglich. Bis dahin liegt die Entscheidung allein beim Gemeinsamen Bundesausschuss, der nur über Technik und Wirtschaftlichkeit entscheidet. Ihr Vorsitzender Josef Hecken drängt deshalb schon lange auf eine ethische Debatte: „Ein klares Bekenntnis des Souveräns, will die Gesellschaft, dass es hier, ich verwende bewusst dieses unschöne Wort, eine Selektion gibt, oder möchte die Gesellschaft das nicht. Ich persönlich möchte das nicht. Und deshalb hoffe ich, dass der Gesetzgeber uns jetzt, anders als beim letzten Mal, da flankierend zur Seite steht.“