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Ethnologisches Museum Berlin
"Wir möchten andere Perspektiven zulassen"

Wenn das Ethnologische Museum ab 2019 ins Humboldt-Forum im wieder erbauten Berliner Stadtschloss zieht, solle sich auch am Konzept der Ausstellungen etwas ändern, sagte Direktorin Viola König im DLF. So sollen die Exponate multiperspektivisch erzählen und auch der zeitgenössische Blick auf die ethnologische Geschichte in den Vordergrund rücken.

Viola König im Gespräch mit Dina Netz |
    Klubhaus, Palau-Inseln 1900
    Klubhaus, Palau-Inseln 1900, im Ethnologischen Museum Berlin (Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum, Foto: Dietrich Graf)
    Dina Netz: Im Ethnologischen Museum und dem Museum für Asiatische Kunst in Berlin, da geht es im Moment noch eher ruhig zu: Die beiden Museen sind in Berlin-Dahlem angesiedelt, also abseits des Museumsinsel-Touristen-Trubels. Das wird sich 2019 aber ändern, wenn beide Häuser ins Humboldt-Forum im wieder aufgebauten Berliner Stadtschloss ziehen. Und sogar der Bundesaußenminister hat sich des Themas kürzlich angenommen, indem er anmerkte, es reiche nicht aus, die beiden Dahlemer Ausstellungen nur an einem attraktiveren Ort in der Mitte Berlins unterzubringen. Das ist auch nicht vorgesehen, ganz und gar nicht sogar, denn das Humboldt-Forum will ja exemplarisch stehen für einen Perspektivwechsel in der Museumsarbeit. Wie genau der vollzogen werden soll, dazu hören wir hier in "Kultur heute" in diesen Tagen viele Stimmen, und eine davon ist nun die von Viola König, Direktorin des Ethnologischen Museums. Ich habe Frau König gefragt: Das Humboldt-Forum will sich künftig auf "zeitgemäße Weise" präsentieren. Was bedeutet das für die Objekte Ihres Hauses, was wird sich hauptsächlich ändern bei der Präsentation?
    Viola König: Ich fang mal an mit dem, was sich nicht ändern wird. Was wir lange überlegt haben: Wir bleiben tatsächlich bei einer übergeordneten geografischen Struktur, der sogenannten "Kontinent-Struktur", also nach Afrika, Amerika, Asien und so weiter - einfach weil unsere Besucher nach dem Wo fragen, wo finde ich was woher, aber auch, weil die Angehörigen der Kulturen und Gruppen, die wir zeigen, sehr daran interessiert sind, dass man genau sagt, wo sie herkommt, wo sie wohnen, wo sie auf diesem Globus zu finden sind.
    Netz: Das ist in der Tat schon mal überraschend, weil ich glaube, dass man ja bei ethnologischen Museen heute eher mit thematischen Strukturen arbeitet, oder?
    König: Genau! Und das ist bei uns dann die nächste Ebene. Auf der nächsten Ebene wird es dann auch bei uns thematisch. Anders als früher, wo man eher in einem Parcours enzyklopädisch ganz, ganz viel zu sehen bekam über Zeit und Raum - man wollte so viel wie möglich aus dem Fundus zeigen -, haben wir jetzt unsere Sammlung nach wirklichen Schwerpunkten befragt, nach Aussagen und Themen, die interessant sind, die auch interessant für die Besucher heute sind, oder wenn sie das auf den ersten Blick nicht zu sein scheinen, dann machen wir das interessant. Und wir möchten dabei auch ein Potpourri an unterschiedlichen Themen zeigen. Das heißt, auch das war früher in ethnologischen Museen nicht selbstverständlich. Wir wollen nicht immer und immer wieder dasselbe Thema an einer anderen Stelle der Welt wiederholen, sondern das ist dann schon so eine abgestimmte Mischung.
    Netz: Jetzt müssen wir aber über das Wie reden, denn das ist ja das, was sich hauptsächlich ändern wird, also nicht nur die Struktur der Ausstellung, sondern ein Anliegen des Humboldt-Forums ist ja zum Beispiel die Überwindung des Eurozentrismus, die Anerkennung des anderen. Wie geht das jetzt in der praktischen Präsentation Ihrer Exponate?
    König: Wir sind grundsätzlich gerne bereit, diese früher so als Deutungshoheit bezeichnete Dominanz dessen, was ausgestellt wird, wie es befragt wird, wie es gezeigt wird, aufzugeben. Das Kunststück ist jetzt - wir haben zusammen mit dem Museum für Asiatische Kunst 17.000 Quadratmeter -, dieses an allen Stellen gleichzeitig zu leisten. Das heißt, wir möchten andere Perspektiven zulassen. Das können Angehörige der Kulturen und der Gesellschaften sein, die wir präsentieren. Das können auch Künstler sein, das können auch Kollegen international aus dem Ausland sein, das können auch ganz andere mediale Formate sein. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir sehr viel historische Sammlung im Ethnologischen Museum haben und dass wir auf jeden Fall alle in der Zeitgenossenschaft gemeinsam im 21. Jahrhundert stehen und von da aus auf die Objekte blicken. Insofern ist es für mich auch wichtig, dass wir andere Quellen weiterhin erforschen, rekonstruieren und auch versuchen, die Vielstimmigkeit in die Vergangenheit zu versetzen.
    Netz: Das müssen Sie mir jetzt erklären.
    König: Da wird es nämlich richtig schwierig. Wir haben eine ganz hervorragende Sammlung aus China zum Thema Traditionelle Chinesische Medizin. Ich muss Ihnen nicht sagen, dass das ein Thema ist, was in aller Welt aktuell ist. Es gibt eine unglaubliche Literatur darüber. Dennoch muss die nicht unbedingt identisch sein mit dem, was die alten Quellen über diese Sammlung aussagen und vor welchem Hintergrund man damals, als die Sammlung zusammengestellt wurde, praktiziert hat. Und da gibt es auch durchaus Kontroversen heute zwischen den verschiedenen Teilnehmern - wir hatten dazu gerade ein Symposium -, wie man diese Dinge am besten ausstellt und was die finalen Aussagen dazu sein müssen. Das ist ein sehr gutes Beispiel, was durch die Zeiten erklärt werden muss.
    "Wir werden da ein Potpourri, einen Mix an verschiedenen Medien einsetzen"
    Netz: Sie haben gerade schon in einem Nebensatz angedeutet, dass sich auch zeitgenössische Künstler mit ethnologischen Objekten auseinandersetzen können, und das ist beim sogenannten Humboldt Lab, wo ja auch neue Präsentationsformen, neue Erzählformen für Ihre Sammlung erprobt worden sind, auch gemacht worden. Das war ja nicht unumstritten, weil es auch die Sorge gab, Exponate selbst könnten dahinter verschwinden, hinter so einer zeitgenössischen Auseinandersetzung. Wie stehen Sie dem gegenüber und wie wird das in Zukunft gehandhabt werden im neuen Ethnologischen Museum?
    König: Der Unterschied ist einfach - das war auch für uns neu -, dass in einem Museum wie dem Hamburger Bahnhof für zeitgenössische Kunst sehr viel erlaubt ist, was in einem ethnologischen Museum offensichtlich nicht erlaubt ist, was auch die Besucher nicht erwarten, auch nicht sehen wollen, und an der Stelle wird es jetzt wirklich spannend. Ich gehe mal auf eine Sammlung ein, eine große Sammlung von der pazifischen Westküste und von den Alaska-Eskimo. Der Sammler, der Kapitän Jacobsen, hat im Auftrag meines Vor-Vorgängers, des Gründungsdirektors, als Kapitän eine Reise an die Nordwestküste unternommen, die er in zwei Teile aufgeteilt hat, einerseits zu den Eskimo-Yupik und den Yupik nach Alaska, und eine an die Nordwestküste, also Vancouver nordwärts bis an die amerikanische Grenze. Wir hatten uns jetzt überlegt, wir teilen das in zwei Teile. Einerseits beleuchten wir die Sammlung der Eskimo aus der Sicht der heutigen Vertreter dieser Kulturen, also was können sie mit diesen Objekten anfangen, was sagen sie ihnen heute, was sagen sie dazu, dass sie in Berlin sind. Wir hatten auch eine Yupik-Delegation schon mal in Berlin. Da bewegte man sich scheinbar auf sicherem Grund. Aber das, was uns dann doch überrascht hat: Wir haben gedacht, wir dürften die Figur des Sammlers Kapitän Jacobsen als Angehöriger unserer eigenen Kultur so darstellen, dass unsere Kritik an dieser Art von Sammlung, des Zusammenramschens Ende des 19. Jahrhunderts, was überall auf der Welt damals passierte, auch in Nordamerika, in allen europäischen Großstädten, da haben wir gemerkt, dass das Format, was wir dazu gewählt haben, nämlich das "Helmi", eine Berliner, wie sie selber sagen, anarchische Theatergruppe damit zu beauftragen, unter dem Titel "Reisebericht" die Reise des Kapitän Jacobsen mal aus der Sicht der zeitgenössischen europäischen Sicht darzustellen, dass das gar nicht so einfach ist, weil es kommt - das lässt sich gar nicht vermeiden - immer auch ein Bild, ein Klischee der besuchten Gruppen aus dem 19. Jahrhundert mit rüber. Und da muss man dann eben doch schauen, wie können wir mit demselben Maßstab der Kritik, den wir an unsere eigenen Kultur, unsere eigenen Sammler legen, wie kann man da indigene Stimmen und Sichten mit einbeziehen. Und weil das noch nicht geklärt ist bisher, werde ich mit meiner Kollegen auch jetzt im September dort hinfahren, den Film vorführen, und dann sind wir gespannt, was die Diskussion ergibt.
    Netz: Also sehe ich, dass der Prozess gerade erst angestoßen und noch lange nicht abgeschlossen ist über die geeigneten Formen der Präsentation. - Wir haben jetzt über dieses multiperspektivische Erzählen ein bisschen gesprochen. Überhaupt sollen die Werke in Ihrem neuen Haus ja dann etwas anders ausgestellt werden als bisher. Es soll weniger, sagen wir es mal etwas platt, Vitrinen geben. Es soll eher so sein, dass die Werke von sich erzählen. Wie kann man denn ethnologische Objekte allgemein zum Erzählen bringen?
    König: Wir haben eine Vielzahl an Medien, sei es Audio, sei es per Film, sei es auch mit Datenbanken. Wir werden da ein Potpourri, einen Mix an verschiedenen Medien einsetzen, damit die Objekte tiefer erklärt werden können, mit mehr Kontext, als man das früher (einfach Landkarte, Text und vielleicht eine Grafik) gekonnt hat. Mir schwebt auch in einzelnen Fällen vor - das ist jetzt das Beispiel eines anderen Objektes, was so eine Mischform aus einer großen Landkarte und einer geschichtlichen Erzählung aus Mexiko ist, ein 4,50 Meter mal 4,50 Meter großes Dokument, wo man mit bloßem Auge gar nicht erkennen kann, was eigentlich alles darauf dargestellt ist. Da gibt es ein Forschungsprojekt, wo eine mexikanische Doktorandin sich genau in der Region aufhält, versucht, das Wissen der heute lebenden Bevölkerung aufzunehmen, zu schauen, ob es archäologische Grabungen gibt, was dort gefunden wird. Das ist auch noch alles ein Prozess, wo wir versuchen, dann vielleicht in Echtzeit zu übertragen, was es alles für Geschichten für dieses riesige Dokument zu erzählen gibt.
    Netz: Frau König, wenn Sie es vielleicht noch mal kurz zusammenfassen. Was sind die wichtigsten Punkte, die sich nach Ihren Wünschen in dem neu zu eröffnenden Museum 2019 ändern sollen im Vergleich zu dem jetzigen Museum?
    König: Erstens: Wir müssen unbedingt flexibel bleiben. Wir sind hier in Dahlem zum Teil mit 40 Jahre alten Dauerausstellungen gesegnet. Das muss in sehr viel schnellerer Folge auswechselbar sein, auch weil wir eine halbe Million Objekte haben, die in größerer und schnellerer Folge befragt und ausgestellt werden sollen und wollen.
    Das andere ist wirklich die Hinzuziehung anderer Stimmen, anderer Interpretationsmöglichkeiten, also diese berühmte Multiperspektivität und Vielstimmigkeit. Was für uns auch noch ganz wichtig ist: Ethnologische Museen - das wird immer leicht vergessen - sind familienfreundlich, sind kinderfreundlich, sind schülerfreundlich, und wir werden wirklich Inseln in die Hauptausstellung einpflanzen, wo jugendliche Besucher, Kinder in allen Altersklassen dann die Themen auch noch mal für ihr Verständnis und für ihre Welt ganz anders vermittelt bekommen als für diese sogenannten Besucherausstellungen.
    Netz: Ein Blick in die Zukunft von Viola König, Direktorin des Ethnologischen Museums Berlin, in unserer Reihe "Das Humboldt-Forum und seine Geschichte(n)".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.