Christiane Kaess: Er soll den konservativen Geist in der CDU stärken, der sogenannte Berliner Kreis. Bisher bestand dieser aus einem lockeren unregelmäßigen Treffen von Parteimitgliedern, die sich sorgten, dass mit dem konservativen Profil auch ein Teil der Wähler abhandenkommen könnte. Themen wie die Energiewende oder die Abschaffung der Wehrpflicht riefen sie auf den Plan, um nur zwei Beispiele zu nennen. Solange sie sich zu unverbindlichen Diskussionen zusammensetzten, hatte auch niemand ein Problem damit, aber jetzt streben die Anhänger des Berliner Kreises feste organisatorische Strukturen an und das gefällt der Parteispitze gar nicht, wohl in der Sorge um Spaltungen innerhalb der Partei. Heute Abend sollen der Wortführer des Berliner Kreises, der Vorsitzende der hessischen CDU-Landtagsfraktion, Christian Wagner und der CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe zusammenkommen.
Ich bin jetzt am Telefon mit Werner Patzelt verbunden, er ist Parteienforscher an der TU Dresden. Guten Tag, Herr Patzelt.
Werner Patzelt: Ja, guten Tag.
Kaess: Herr Patzelt, ist der Berliner Kreis eine Sammlung von Rückwärtsgewandten?
Patzelt: Das glaube ich nicht. Er ist eine Sammlung von Persönlichkeiten in der CDU, die ein schlechtes Gefühl dabei haben, wenn ihre Partei zwar den linken Flügel stark macht, was taktisch und strategisch völlig richtig ist, aber hin zum rechten Rand gähnende Leere lässt, und zwar insbesondere eine intellektuelle Leere, denn das wird sehr wohl die erste wichtige Aufgabe sein herauszufinden, was heute Konservatismus wirklich heißen könnte.
Kaess: Angeblich stößt dieser Kreis auf großes Interesse bei den Parteimitgliedern. Belegt das, dass die Initiative ein starkes Bedürfnis abdeckt?
Patzelt: Mir scheint, dass genau das der Fall ist. Viele Unionsmitglieder fühlen sich zwar im Glanz der Kanzlerin wohl geborgen, empfinden aber, dass unklar geworden ist, wofür diese Partei steht. Was will sie sozusagen konservieren? – Sie will offenkundig keine Wehrpflichtarmee konservieren, sie will den Weg der friedlichen Nutzung der Kernenergie nicht konservieren, sie will wo möglich den Sozialstaat konservieren, will sie eine integrierte Europäische Union konservieren. Darüber gibt es Unklarheit und infolgedessen suchen sich viele Parteimitglieder ein Sprachrohr oder hoffen darauf, um diese Unklarheiten zu klären.
Kaess: Wie erklären Sie sich auf der anderen Seite, so wie das jetzt im Beitrag dargestellt worden ist, dass viele konservative CDU-Mitglieder selber gegen diesen Kreis sind?
Patzelt: Mir scheint, dass es so ein Gefühl gibt, dass man in der Union als Konservativer nicht willkommen sei, dass man so Ausgrenzungen und zumindest Abgrenzungen ausgesetzt wäre, und man fürchtet einfach, das Etikett "Konservativ" ist gleich rechts, ist gleich in der Union eigentlich nicht mehr akzeptabel, aufgeheftet zu bekommen. Klammheimlich wird man wohl jene bewundern, die den Versuch machen, ein Gesprächsforum für zu eruierende konservative Positionen aufzubauen, aber solange das nicht zum Selbstläufer wird, ist man wohl nicht gerne selbst dabei.
Kaess: Und welches Problem hat die Parteispitze damit? Wolfgang Bosbach, auch einer der Anhänger des Berliner Kreises, der hat heute Morgen in unserem Programm es so formuliert, der Kreis brächte engagierte Bürger zusammen, um zu diskutieren, wie man Stammwähler binden kann. Warum ist das ein Problem für die Parteispitze?
Patzelt: Es ist für eine Parteispitze natürlich schwieriger, eine Partei auf Kurs zu halten, die mit verschiedenen Flügeln um sich schlägt und folglich auch erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit auf ihre innerparteilichen Diskussionen zieht. Denn eines ist völlig klar: Am wenigsten wünschen sich die Bürger Deutschlands Parteien, die um ihren Kurs diskutieren. Infolgedessen ist es einer Parteivorsitzenden, die in ihrer Rolle als Kanzlerin wahrhaftig gefordert genug ist, unangenehm, nun auch noch innerparteilich eine Front eröffnet zu bekommen. Andernteils ist es aufgrund der schrumpfenden Wählerzahlen der Partei im Vergleich zu den 40 plus X Prozent aus früheren Jahren nur zu verständlich, dass sich Leute, denen die Union am Herzen liegt, Gedanken darüber machen, wie man denn wieder auf die Marke von 40 Prozent gelangen könnte.
Kaess: Sie haben über die Probleme der Parteispitze jetzt gerade gesprochen. Aber mit der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands, kurz CDA, in der CDU hatte man ja auch kein Problem.
Patzelt: So ist es. Es gibt auch den Evangelischen Arbeitskreis in der Union, es gibt eine Mittelstandsvereinigung und so weiter. Es sind sozusagen Gefühle der Sorge, vom politischen Gegner vorgehalten zu bekommen, man sei nun eine rechte Partei. Die Union bringt einfach nicht den innerlichen Mumm auf zu sagen, wir sind eine Partei, die von der politischen Mitte mit starkem linken Rand bis zum rechten Rand der Gesellschaft alles abdeckt, denn in unserem Lande gilt die Gleichung, nicht Mitte ist gleich rechts ist gleich faschistuid ist gleich gefährlich.
Schulz: Die Gründer oder Mitglieder des Berliner Kreises setzen ja darauf, dass es ein Konzept sein sollte, um auch wieder das Wahlziel 40 Prozent plus X zu erreichen. Kann das aufgehen Ihrer Meinung nach?
Patzelt: Das kann aufgehen, wenn die Union sich bemüht, das zu tun, was sie am liebsten vermeidet, nämlich intellektuell zu sein und sich systematische Gedanken zu machen. Im Grunde sollte es ja nicht schwer sein, um ein Konzept wie Nachhaltigkeit herum ein komplettes konservatives Programm zu entwickeln: Nachhaltigkeit bei der Finanzpolitik, Nachhaltigkeit beim Bevölkerungsaufbau, Nachhaltigkeit beim Umgang mit unseren Energieressourcen. Aber es muss jemand bereit sein, die notwendige intellektuelle Arbeit zu machen. Wir sehen aber, dass die meisten, die sich selbst als konservativ etikettieren, dann einige schnell formulierte Themen haben, Familienbild und so weiter, und sich eben nicht auf den Weg machen, eine Programmatik systematisch zu entwickeln.
Kaess: Noch kurz zum Schluss: Was ist in der SPD anders, dass man da keine Probleme mit Flügeln hat?
Patzelt: Die SPD ist von je her eine Partei, die auf Intellektualität setzt. Sie entstammt ja einer wissenschaftlichen Bewegung, die sich politisch ummünzen wollte. Folglich hat Programmdiskussion auf der Linken von je her einen ganz anderen Stellenwert und es ist freilich auch so, dass Flügel- und Sektierertum auf der Linken eine ganz besondere Rolle gespielt haben, und da sagt sich die SPD, im Vergleich zu früheren Zeiten fahren wir mit unseren Flügeln ja doch noch ziemlich gut.
Kaess: Werner Patzelt war das, er ist Parteienforscher an der TU Dresden. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Patzelt.
Patzelt: Gern geschehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ich bin jetzt am Telefon mit Werner Patzelt verbunden, er ist Parteienforscher an der TU Dresden. Guten Tag, Herr Patzelt.
Werner Patzelt: Ja, guten Tag.
Kaess: Herr Patzelt, ist der Berliner Kreis eine Sammlung von Rückwärtsgewandten?
Patzelt: Das glaube ich nicht. Er ist eine Sammlung von Persönlichkeiten in der CDU, die ein schlechtes Gefühl dabei haben, wenn ihre Partei zwar den linken Flügel stark macht, was taktisch und strategisch völlig richtig ist, aber hin zum rechten Rand gähnende Leere lässt, und zwar insbesondere eine intellektuelle Leere, denn das wird sehr wohl die erste wichtige Aufgabe sein herauszufinden, was heute Konservatismus wirklich heißen könnte.
Kaess: Angeblich stößt dieser Kreis auf großes Interesse bei den Parteimitgliedern. Belegt das, dass die Initiative ein starkes Bedürfnis abdeckt?
Patzelt: Mir scheint, dass genau das der Fall ist. Viele Unionsmitglieder fühlen sich zwar im Glanz der Kanzlerin wohl geborgen, empfinden aber, dass unklar geworden ist, wofür diese Partei steht. Was will sie sozusagen konservieren? – Sie will offenkundig keine Wehrpflichtarmee konservieren, sie will den Weg der friedlichen Nutzung der Kernenergie nicht konservieren, sie will wo möglich den Sozialstaat konservieren, will sie eine integrierte Europäische Union konservieren. Darüber gibt es Unklarheit und infolgedessen suchen sich viele Parteimitglieder ein Sprachrohr oder hoffen darauf, um diese Unklarheiten zu klären.
Kaess: Wie erklären Sie sich auf der anderen Seite, so wie das jetzt im Beitrag dargestellt worden ist, dass viele konservative CDU-Mitglieder selber gegen diesen Kreis sind?
Patzelt: Mir scheint, dass es so ein Gefühl gibt, dass man in der Union als Konservativer nicht willkommen sei, dass man so Ausgrenzungen und zumindest Abgrenzungen ausgesetzt wäre, und man fürchtet einfach, das Etikett "Konservativ" ist gleich rechts, ist gleich in der Union eigentlich nicht mehr akzeptabel, aufgeheftet zu bekommen. Klammheimlich wird man wohl jene bewundern, die den Versuch machen, ein Gesprächsforum für zu eruierende konservative Positionen aufzubauen, aber solange das nicht zum Selbstläufer wird, ist man wohl nicht gerne selbst dabei.
Kaess: Und welches Problem hat die Parteispitze damit? Wolfgang Bosbach, auch einer der Anhänger des Berliner Kreises, der hat heute Morgen in unserem Programm es so formuliert, der Kreis brächte engagierte Bürger zusammen, um zu diskutieren, wie man Stammwähler binden kann. Warum ist das ein Problem für die Parteispitze?
Patzelt: Es ist für eine Parteispitze natürlich schwieriger, eine Partei auf Kurs zu halten, die mit verschiedenen Flügeln um sich schlägt und folglich auch erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit auf ihre innerparteilichen Diskussionen zieht. Denn eines ist völlig klar: Am wenigsten wünschen sich die Bürger Deutschlands Parteien, die um ihren Kurs diskutieren. Infolgedessen ist es einer Parteivorsitzenden, die in ihrer Rolle als Kanzlerin wahrhaftig gefordert genug ist, unangenehm, nun auch noch innerparteilich eine Front eröffnet zu bekommen. Andernteils ist es aufgrund der schrumpfenden Wählerzahlen der Partei im Vergleich zu den 40 plus X Prozent aus früheren Jahren nur zu verständlich, dass sich Leute, denen die Union am Herzen liegt, Gedanken darüber machen, wie man denn wieder auf die Marke von 40 Prozent gelangen könnte.
Kaess: Sie haben über die Probleme der Parteispitze jetzt gerade gesprochen. Aber mit der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands, kurz CDA, in der CDU hatte man ja auch kein Problem.
Patzelt: So ist es. Es gibt auch den Evangelischen Arbeitskreis in der Union, es gibt eine Mittelstandsvereinigung und so weiter. Es sind sozusagen Gefühle der Sorge, vom politischen Gegner vorgehalten zu bekommen, man sei nun eine rechte Partei. Die Union bringt einfach nicht den innerlichen Mumm auf zu sagen, wir sind eine Partei, die von der politischen Mitte mit starkem linken Rand bis zum rechten Rand der Gesellschaft alles abdeckt, denn in unserem Lande gilt die Gleichung, nicht Mitte ist gleich rechts ist gleich faschistuid ist gleich gefährlich.
Schulz: Die Gründer oder Mitglieder des Berliner Kreises setzen ja darauf, dass es ein Konzept sein sollte, um auch wieder das Wahlziel 40 Prozent plus X zu erreichen. Kann das aufgehen Ihrer Meinung nach?
Patzelt: Das kann aufgehen, wenn die Union sich bemüht, das zu tun, was sie am liebsten vermeidet, nämlich intellektuell zu sein und sich systematische Gedanken zu machen. Im Grunde sollte es ja nicht schwer sein, um ein Konzept wie Nachhaltigkeit herum ein komplettes konservatives Programm zu entwickeln: Nachhaltigkeit bei der Finanzpolitik, Nachhaltigkeit beim Bevölkerungsaufbau, Nachhaltigkeit beim Umgang mit unseren Energieressourcen. Aber es muss jemand bereit sein, die notwendige intellektuelle Arbeit zu machen. Wir sehen aber, dass die meisten, die sich selbst als konservativ etikettieren, dann einige schnell formulierte Themen haben, Familienbild und so weiter, und sich eben nicht auf den Weg machen, eine Programmatik systematisch zu entwickeln.
Kaess: Noch kurz zum Schluss: Was ist in der SPD anders, dass man da keine Probleme mit Flügeln hat?
Patzelt: Die SPD ist von je her eine Partei, die auf Intellektualität setzt. Sie entstammt ja einer wissenschaftlichen Bewegung, die sich politisch ummünzen wollte. Folglich hat Programmdiskussion auf der Linken von je her einen ganz anderen Stellenwert und es ist freilich auch so, dass Flügel- und Sektierertum auf der Linken eine ganz besondere Rolle gespielt haben, und da sagt sich die SPD, im Vergleich zu früheren Zeiten fahren wir mit unseren Flügeln ja doch noch ziemlich gut.
Kaess: Werner Patzelt war das, er ist Parteienforscher an der TU Dresden. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Patzelt.
Patzelt: Gern geschehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.